Mit seiner althistorischen Freiburger Dissertation hat
Johannes Christian Bernhardt ein gewaltiges Buch
über das „pièce de résistance“ der antiken
jüdischen (und seleukidischen) Geschichte
vorgelegt. Auf über 700 Seiten geht Bernhardt dem
Verlauf des makkabäischen/hasmonäischen Aufstands
und der seleukidischen Politik in Judäa nach.
Entstanden ist ein exzellent geschriebenes,
zumeist klug abwägendes, in seinen
Schlussfolgerungen aber fragwürdiges Buch. In neun
meisterhaft aufgebauten Kapiteln, die häufig
gleichsam mit einem „cliff hanger“ enden, führt
Bernhardt den Leser von der Problemstellung bis
zur Lösung. Was die seleukidische Geschichte unter
Antiochus IV. bekanntlich ganz „unüblich und
völlig rätselhaft“ (4) macht, ist das sogenannte
Religionsedikt des Königs aus dem Jahr
168 v. Chr., das gemäß dem ersten Makkabäerbuch im
Wesentlichen zu einem Verbot des Judentums geführt
hätte. Das Edikt zweifelt Bernhardt (wie manche
vor ihm) an. Seine Hauptthese, die sich – wie dem
Leser erst am Ende klar wird – im scheinbar
harmlosen Titel des Buches („Die jüdische
Revolution“) widerspiegelt, stellt das Edikt
gleichsam auf den Kopf: Antiochus IV. Epiphanes
hat letztlich den Raum geschaffen, in dem das
Judentum erst entstand. Doch der Reihe nach. In
den ersten 70 Seiten klärt Bernhardt seinen Ansatz
und erläutert die Quellenproblematik. Bernhardt
geht die Arbeit „kulturwissenschaftlich mit
positivistischer Grundierung“ (12) an und hält
sich durchweg an dieses methodische Konzept. Seine
Darlegung der Quellen und ihrer jeweiligen
Problematik ist hervorragend. Man kann auf sie als
verlässliches Repositorium zurückgreifen. Dass es
im Laufe der Forschung zu den verschiedensten
Interpretationen dessen, was zwischen 168 und
140 v. Chr. in Palästina geschehen ist, gekommen
ist (Bernhardt beschreibt 13 Deutungsansätze),
hängt mit der äußerst schwierigen Quellenlage
zusammen: Das Danielbuch und erst recht die
Makkabäerbücher nehmen eine einseitig
prohasmonäische Sicht ein, Josephus’ Darstellung
ist von seinem Hauptinteresse (dem
jüdisch-römischen Krieg) geprägt und auf paganer
Seite ist die Überlieferungslage, gelinde gesagt,
lückenhaft: Polybius ist in den hierfür relevanten
Stellen fast nicht erhalten. Eher selten zur Hand
genommen, von Bernhardt aber fruchtbar gemacht,
werden Exzerpte des Porphyrius in Eusebius’
Daniel-Kommentar (nach Porphyrius wurde ein
Kultbild des Zeus Olympios im Jerusalemer Tempel
errichtet). Bernhardt will „ergebnisoffen“ (32)
eine „möglichst systematische Analyse von
Handlungsmustern und Strategien der Hasmonäer“
(33) durchführen. Das gelingt ihm insgesamt sehr
gut. Seltsam ist Bernhardts Entscheid, auf zwei
pagane Quellen als Orientierungspunkte fast ganz
zu verzichten: Diodor und Tacitus. Letzterer
schreibt in seinem Judenexkurs, Antiochus habe
versucht, den Juden ihren Aberglauben zu nehmen
und ihnen griechische Sitten zu geben (hist.
5,8,2: rex Antiochus demere superstitionem
et mores Graecorum dare adnisus) und nach
Diodor hat Antiochus versucht, die eigentümlichen
Gesetze der Juden abzuschaffen. Nach Bernhardt
sind diese Stellen ein Nachklang zur hasmonäischen
Propaganda bzw. eine Reaktion „auf die
Konstruktion des hasmonäischen Gründungsmythos“
(483). Wie man sich vorzustellen hat, dass pagane
Quellen auf die Makkabäer-Bücher zurückgriffen,
bleibt dabei völlig offen. Durch das vorschnelle
Wegschieben von Diodor (im Epilog kurz besprochen)
und Tacitus, die von einer aktiven Judenpolitik
Antiochus’ sprechen, vergibt sich Bernhardt eine
noch ergebnisoffenere Diskussion der Quellen.
Bernhardt spricht in seiner Dissertation konsequent nur von
Judäern, nicht von Juden (sogar noch in Bezug auf
das heutige Chanukka-Fest heißt es auf S. 13:
„Alljährlich feiert das Judentum“). Die Frage, wie
griechisch Ioudaios bzw.
lateinisch Iudaeus am besten
wiedergegeben werden kann, ist seit den
diesbezüglichen Diskussionsanschüben von Steve
Mason (Journal for the Study of
Judaism 38 [2007]: 457–512) heftig
umstritten. Die Debatte ist eng mit einer
weiterführenden verbunden: Ab wann kann von
Judentum gesprochen werden? Bernhardt schließt
sich Mason und Shaye Cohen an, indem er zum einen
hinter dem Begriff Ioudaios
zuerst eine ethnisch-geographische Konnotation
sieht, zum andern die Anfänge des Judentums ins
zweite Jahrhundert v. Chr. setzt. Mit Recht
diskutiert Bernhardt den Wert der Bücher Esra und
Nehemia für die persische Zeit kritisch (74–83),
dass aber „Religion in vorhasmonäischer Zeit nicht
das zentrale Definitionskriterium für die
Zugehörigkeit zu den Judäern bildete“ (84), ist
schlicht falsch. Hekataios von Abdera (von
Bernhardt S. 88–92 besprochen) schildert um ca.
300 v. Chr. in seinen Aigyptiaka
die Juden durchaus auch in religiösen Paramatern.
Hekataios, nur indirekt überliefert, wird mehr
über die jüdischen Sitten geschrieben haben als
das, was bei Diodor zu lesen ist. Aber auch der
überlieferte ethnographische Exkurs spricht (teils
durchaus polemisch) wesentliche, auch später
prägende Aspekte des Judentums an: das Ideal der
Separation, den Anikonismus, das Opferwesen,
Heirats- und Begräbnissitten. Dass Beschneidung
und Sabbat – im erhaltenen Text! – nicht
vorkommen, heißt nicht, dass diese noch nicht Teil
der religiösen Sitten der Juden gewesen sind. Auch
die Anfänge der Septuaginta, ab der Mitte des
dritten Jahrhunderts v. Chr., wären als ein
vorhasmonäischer Beleg – kein kleiner! – eines
religiösen Judentums zu verstehen.
Sehr überzeugend ist wiederum Bernhardts vorsichtig abwägende
Diskussion der Präsenz des Hellenismus in Judäa.
Auch die Schwächen von Martin Hengels
fundamentalem Werk Judentum und
Hellenismus, das das hellenistische
Judentum mitunter als praeparatio
evangelica liest, werden angesprochen.
Richtig hält Bernhardt fest, dass „die Aufnahme
griechischer Kulturgüter die Glaubensvorstellungen
und Judäertümer einzelner Gruppen nicht in Frage
stellte“. Die Juden standen auch in Jerusalem
nicht vor einem Scheideweg zwischen Hellenismus
und Judentum: „Weder der Bund mit dem einen Gott
noch die Bedeutung des Tempels in Jerusalem oder
religiöse Regelungen wurden durch die
Auseinandersetzungen grundsätzlich in Frage
gestellt oder angegriffen“ (128). Hellenismus ist
im 2. Makkabäerbuch, in dem sich der Begriff zum
ersten Mal findet, als Problem eine „Deutung
ex post“ (163). Auch bei der
Ablösung Onias’ III. durch Jason standen nicht
unterschiedliche Weltanschauungen auf dem Spiel,
sondern schlicht die Machterhaltung der
Oniaden.
Den historischen Ablauf zeichnet Bernhardt in den großen
Linien einleuchtend nach: Jason erwirkte bei
Antiochus IV. die Konstituierung Jerusalems als
Polis. Nach dem für Antiochus IV.
dramatisch-enttäuschenden Ende des 2.
Ägyptenfeldzugs („Tag von Eleusis“) schlägt er im
August 168 die Unruhen in Jerusalem nieder. Das
berühmte Religionsedikt (1 Makk 1,41–2), wonach
Antiochus IV. an sein ganzes Reich schrieb und
alle aufforderte, die eigenen Bräuche aufzugeben
und zu einem Volk zu werden, hält Bernhardt
zumindest „für eine starke Übertreibung und
Projektion aus der Perspektive des judäischen
Autors“ (239). Bernhardt bestreitet nicht, dass
Antiochus IV. den Jerusalemer Tempel nach Zeus
benannte und ein Kultbild errichtete, bezweifelt
aber, dass damit „die Abschaffung des bisherigen
Kultes intendiert“ (250) gewesen sei. Nach
Bernhardt handelte sich um eine im Ansatz harmlose
Interpretatio Graeca, die
letztlich scheiterte und zu einer
„Misinterpretatio“ wurde (254). Letzteres, dass
Antiochus IV. sich der kultischen Tragweite seines
Eingriffs im Jerusalemer Tempel nicht bewusst
gewesen sei, ist indes nicht sehr wahrscheinlich.
Wenn man im Auge behält, dass die
Auseinandersetzung zwischen Seleukiden und Juden
unter Antiochus IV. die Ausnahme von der Regel war
(vor und nach Antiochus IV. wurden religiöse
Bedenken der Juden berücksichtigt), ist kaum
anzunehmen, dass dem König die Tragweite seines
Agierens nicht bewusst gewesen sein soll. Das
wirkliche Ausmaß der Eingriffe von Antiochus IV.
in den jüdischen Kult bleibt schwer einzuschätzen.
Die literarisch-dramatischen Verarbeitungen in den
Makkabäerbüchern können sicher nicht für bare
Münze genommen werden. Die heftigen
Auseinandersetzungen mit dem seleukidischen Reich
wurden zum „hasmonäischen Gründungsmythos“. Solche
Mythen können freilich, wie Bernhardt weiß, sehr
wohl einen „historischen Kern“ haben (261). Nach
Bernhardt kam es im Dezember 168 zu
Kulteingriffen, aber nicht zu einer systematischen
Verfolgung. Etwas seltsam mutet an, wenn Bernhardt
das seinerseits stark mythologisierende Danielbuch
quasi als Kontrollgruppe benutzt: Dass das
Danielbuch nichts über ein Verbot des Sabbats und
der Beschneidung oder das Opfern von Schweinen in
Jerusalem sagt, muss so „vielsagend“ (261) nicht
sein. Die Eingriffe führten jedenfalls zur Revolte
der Hasmonäer (deren Wurzeln, wie Bernhardt zeigt,
im priesterlichen Jerusalem, nicht im ländlichen
Modein liegen: Die Historizität von Mattathias
bleibt fragwürdig) und zur erfolgreichen
Wiedereinweihung des Tempels im August
164 v. Chr.
Die Schwächen der Arbeit liegen vor allem in der Klimax, im
mit „Hellenismus und Judentum“ überschriebenen
neunten Kapitel. Die Formierung der
unterschiedlichen Strömungen des Judentums –
Chassidim, Sadduzäer, Pharisäer, Essener/Qumran –
in hasmonäischer Zeit deutet Bernhardt als
Geburtsstunde des Judentums. Bernhardt bezeichnet
die Strömungen als „Judäertümer“ – ein unsägliches
Wort. Im Kontext der Auseinandersetzung dieser
Strömungen „über religiös richtiges Judäertum“ sei
„der Nukleus für jenes ethno-religiöse
Identitätsmuster“ zu „erkennen, das man
tatsächlich als Judentum bezeichnen kann“ (465).
Flavius Josephus spricht in Bezug auf die
unterschiedlichen Strömungen von
haireseis (Denkweisen) und
Philosophien. Darum, durchaus auch mit politischen
Implikationen, handelt es sich in der Tat. Man
braucht keinen Plural (Judaisms, Judäertümer) zu
bemühen, um an der an sich richtigen, von
Bernhardt mehrfach wiederholten Ansicht
festzuhalten, dass das Judentum kein geschlossenes
System war. Das wurde es im Übrigen auch nicht mit
dem Erfolg der Hasmonäer. Dass es ohne die
Kulteingriffe und die hasmonäische Erhebung „gar
nicht erst zur Entstehung des Judentums“ („und
somit auch nicht zu Christentum und Islam“)
gekommen wäre (471), ist ein mutiges, wenig
überzeugendes Szenario im Rahmen von
„counterfactional history“. Den Titel des Buches
hat Bernhardt vor dem Hintergrund seiner These
brillant und simpel zugleich gesetzt: Die
jüdische Revolution, wobei das Substantiv
gleichsam kausative Funktion hat: die Revolution
machte das Judentum möglich. Die Hauptthese dieses
insgesamt in vielen Punkten erleuchtenden Buches
überzeugt nicht. Die am Schluss des Epilogs nur
kurz angesprochene Frage, ob in der hasmonäischen
Erhebung auch die Grundlagen des Antisemitismus –
mit allen Folgen – zu verorten sind, gilt es im
Übrigen zu verneinen. Die Geschichte des antiken
Antisemitismus beginnt nicht erst mit der
jüdischen Revolte – wie auch Zvi Yavetz vor bald
30 Jahren in einer Replik auf Christian Habicht
festgehalten hat („Judeophobia in Classical
Antiquity: A Different Approach“, Journal
of Jewish Studies 44 [1993]: 8–10).
Leider nimmt Bernhardt sein eigenes Motto, dass „die Kunst
auch in der Wissenschaft im Weglassen“ liegt
(VII), zu wenig ernst. Das Buch hätte viel kürzer
ausfallen können, ohne dass Bernhardts Thesen an
Deutlichkeit verloren hätten. Bernhardt wagt sich
auch an Themenblöcke heran, die für seine
Fragestellung nicht sehr relevant sind – so zum
Aristeas-Brief, den er wenig überzeugend in Judäa
statt in Ägypten verortet (442). Andererseits wird
künftig jede Arbeit zur hasmonäischen Erhebung
froh sein um Bernhardts detailreiche und in vielen
Punkten erhellende Aufspürung des historischen
Verlaufs jener gerade auch aufgrund der
schwierigen Quellenlage faszinierenden Ereignisse.
Auch wenn die Hauptthese diesen Rezensenten nicht
überzeugt: Johannes Christian Bernhardt hat sich
mit seiner Dissertation einen festen Platz in der
langen Forschungsgeschichte zu Antiochus IV. und
den Juden erarbeitet.