Ryan D. Collman. The Apostle to the Foreskin: Circumcision in the Letters of Paul. Berlin: De Gruyter, 2023. 246 S., EUR 99.95, ISBN 978-3-11-099554-1

Guido Baltes 
Philipps-Universität Marburg
guido.baltes@staff.uni-marburg.de

Mit dieser Studie zur Bedeutung der Beschneidung in den Paulusbriefen legt Ryan Collman, Research Assistant an der Universität Sheffield, eine Untersuchung vor, die über das eng gefasste Themenfeld der Beschneidung hinaus weitreichendere Bedeutung für die Frage nach einem veränderten Paulusbild und für die Frage nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten zwischen antikem Judentum und entstehendem Christentum hat. Das als Dissertationsschrift an der Universität Edinburgh angenommene Werk (Supervisor: Matthew Novenson, Examiner: Philippa Townsend und Paula Fredriksen) wurde 2023 mit dem Manfred Lautenschläger Award für herausragende Dissertationen im Bereich „God and Spirituality“ ausgezeichnet.

Obwohl sich der Autor auf eine eng begrenzte Auswahl neutestamentlicher Texte konzentriert, zielt seine Untersuchung auf einen darüber hinausreichenden Forschungsertrag. Die Studie zum Thema „Beschneidung“ versteht sich ausdrücklich als Beitrag zu einem „emerging Paradigm“ (9) in der Paulusforschung: Der Autor verortet seine Untersuchung programmatisch „within the context of the emerging Paul within Judaism Schule“ (9) und bezeichnet sie als die erste umfassende Behandlung des Themas „Beschneidung“ aus der Perspektive dieser in den letzten Jahrzehnten zunehmend diskutierten Forschungsrichtung.

Unter dem Titel „Paul within Judaism“ sammeln sich Forscherinnen und Forscher, die das Verhältnis des Paulus zum antiken Judentum in Abgrenzung zu älteren Tendenzen der Paulusforschung, aber auch zur sogenannten „Neuen Paulusperspektive“ neu zu konzeptualisieren suchen: Während die christliche und jüdische Paulusforschung bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem den Kontrast zwischen Paulus und dem Judentum seiner Zeit heraushob und dabei insbesondere die vermeintliche jüdische „Gesetzesreligion“ und „Werkgerechtigkeit“ der paulinischen, „gesetzesfreien“ Rechtfertigungstheologie gegenüberstellte, entstand in der Folge der später sogenannten „Neuen Paulusperspektive“ (Collman nennt auf S. 8 E.P. Sanders, J. D.G. Dunn und N.T. Wright) seit den späten 70er Jahren ein verändertes Bild von Paulus und seinem Verhältnis zum Judentum. Nicht eine vermeintliche jüdische Werkgerechtigkeit sei es gewesen, gegen die sich Paulus wende (diese existiere ohnehin nur in christlichen Zerrbildern des Judentums), sondern der jüdische Heilsexklusivismus bzw. das jüdische Beharren auf einer nationalen Identität als erwähltes Gottesvolk. Paulus werbe für ein Christentum, in dem die „boundary marker“, also die Grenzziehungen zwischen Juden und Nichtjuden, die sich insbesondere im Toragehorsam zeigten, aufgehoben würden. Das Beharren des Paulus auf einem „gesetzesfreien“ Evangelium sei daher nicht im engeren Sinne theologisch motiviert, sondern soziologisch: Der Verzicht auf den Toragehorsam diene nicht dazu, den Menschen „allein aus Gnade“ mit Gott in Verbindung zu bringen, sondern dazu, die Barrieren zu beseitigen, mit denen Nichtjuden durch Juden ausgegrenzt würden.

In den letzten Jahrzehnten wird aber nun auch diese „neue Paulusperspektive“ zunehmend infrage gestellt. Und zwar nicht nur von Vertretern traditioneller Paulusperspektiven, sondern auch von solchen, die ein noch weitgehenderes Neudenken in der Paulusforschung fordern. Hierzu zählten schon früh etwa Lloyd Gaston („Paul and the Torah“, 1987), Stanley Stowers („A Rereading of Romans“, 1994) und John Gager („Reinventing Paul“, 2000). In jüngerer Zeit hat sich die Bezeichnung „Paul within Judaism“ für diesen Forschungsansatz zunehmend durchgesetzt. Collman nennt als die für seine Arbeit prägendsten Vertreter Mark Nanos, Magnus Zetterholm, Anders Runesson, Pamela Eisenbaum sowie die drei eingangs genannten Betreuer seiner Arbeit (9). Bei aller Verschiedenheit eint die Vertreter dieses Paradigmas die Überzeugung, Paulus habe als Jude zentrale Merkmale jüdischer Identität wie etwa die Beschneidung, die Speise- oder die Reinheitsvorschriften weder abgelehnt noch aufgehoben noch als „Adiaphora“ behandelt. Vielmehr sei die bleibende Unterscheidung jüdischer und nichtjüdischer Identitäten auch innerhalb der christusgläubigen Gemeinden für Paulus ein wichtiges ekklesiologisches Anliegen. Paulus lehne daher zwar die Forderung umfassenden Toragehorsams für nichtjüdische Christusgläubige vehement ab, setze diesen aber gleichzeitig für jüdische Christusgläubige als selbstverständlich voraus.

Die „neue Paulusperspektive“ habe, so lautet die Kritik, in ihrem Bemühen, alte antijüdische Stereotype wie „Gesetzlichkeit“ und „Werkgerechtigkeit“ zu überwinden, neue Stereotype geschaffen, die sich letztlich als ebenso antijüdisch herausstellen: So sei es hier der vermeintliche jüdische Ethnozentrismus, der Nichtjuden vom Gott Israels und damit von der Heilswirklichkeit ausschließe und deshalb von Paulus und den frühen Christusnachfolgern überwunden werden müsse. Für Vertreter der „neuen Paulusperspektive“ sei, wie auch schon in älteren Paulusdeutungen, nur die gänzliche Auflösung jüdischer Identität, verbunden mit dem Verzicht auf jüdische „identity marker“, insbesondere die Beschneidung, ein konsequenter Ausdruck paulinischen Christusglaubens.

Die Frage nach der Haltung des Paulus gegenüber der Beschneidung ist daher ein zentraler Streitpunkt zwischen Vertretern des „Paul within Judaism“-Paradigmas und der „neuen Paulusperspektive“ und damit ein wichtiger Prüfstein für die Tragfähigkeit des Paradigmas. Das verleiht der vorliegenden Untersuchung von Collman ihre programmatische Relevanz. Der Autor selbst räumt ein, dass die Frage der Beschneidung von Vertretern des neuen Paradigmas bereits vielfach thematisiert worden sei. Mit seiner Studie liege jedoch „die erste umfassende Untersuchung von Beschneidung in den Paulusbriefen aus dieser Perspektive“ vor (10). Seine wichtigsten Antipoden findet Collman (11–14) in den Arbeiten von Thomas Schreiner (1983, „traditional, anti-legalist reading“, „Paul’s break with Judaism and subsequent obsolescence of the law“), Andreas Blaschke (1998, „like most anti-legalist interpreters“, „Paul does not abrogate circumcision for Jews […] – although he does devalue it“), Claude Mimouni (2007, „Paul spiritualizes and universalizes circumcision“, „While Paul still allows for Jews […] to practice circumcision, he does not consider it a necessity for them or of any particular value“) und Nina Livesey (2010, „successful, albeit somewhat unremarkable“, „rightly emphasizes Paul’s gentile audiences“). Gemeinsam sei all diesen Werken eine Tendenz zur Spiritualisierung, Christianisierung und Universalisierung der Beschneidung, die Collman mit seiner Arbeit zu überwinden sucht (15).

Eine richtungweisende Rolle spielen dabei die Arbeiten von Matthew Thiessen (Contesting Conversion, 2011; Paul and the Gentile Problem, 2016): Thiessens These, dass die Praxis der Proselytenbeschneidung bis ins erste Jahrhundert u. Z. noch keineswegs verbreitete Praxis war, vielmehr in einigen Strömungen des Judentums, denen auch Paulus nahestand, vehement bekämpft wurde, stellt einen regelmäßig wiederkehrenden Bezugspunkt im Verlauf von Collmans Untersuchungen dar. Paulus, so die Kernthese, lehne die Beschneidung nichtjüdischer Christusnachfolger weder aus Opposition gegen jüdische Gesetzlichkeit und Werkgerechtigkeit ab („anti-legalist reading“), noch aus Opposition gegen jüdische Heilsexklusivität („anti-ethnocentric reading“), sondern weil er als Jude die Gültigkeit der Proselytenbeschneidung für Nichtjuden grundsätzlich bestreite. Allein die Beschneidung am achten Tag könne ein gültiges Zeichen der Zugehörigkeit zum Abrahamsbund sein (15).

Vor diesem Hintergrund wendet sich Collman in den vier Hauptkapiteln seines Buchs den für das Thema relevanten Texten aus den unumstrittenen Paulusbriefen zu, die sich auf vier Briefe verteilen: 1. Korinther, Galater, Philipper und Römer. Ausgangspunkt ist der Korintherbrief (Kapitel 2). Hier formuliere Paulus einen „in allen Gemeinden angeordneten“ (1 Kor 7,17) Grundsatz, dass jeder in dem bleibe, worin er berufen wurde. Er spiegele eine „ethnisch binäre“ paulinische Weltsicht wider, in der die Menschheit von Natur aus in Juden und Nichtjuden unterschieden sei. „Paul’s ethnic construction of the world is genealogical and essentialist; the binary of Jew/gentile and circumcision/foreskin are natural ones“ (18). Die Frage der Beschneidung sei deshalb für Paulus gerade keine „matter of indifference“, sondern er bestehe ausdrücklich darauf, dass auch in den christusgläubigen Gemeinden diese Binarität erhalten bleibe, was in 1 Kor 7,17–20 programmatisch gefordert werde. Unabhängig davon, zu welcher der beiden Gruppen man gehöre: Es gelte, diese Zugehörigkeit als Berufung (κλῆσις) anzunehmen (25). Zu Recht weist Collman darauf hin, dass Paulus in all seinen Briefen nur hier eine ausdrückliche Anordnung für Juden formuliert: nämlich das Verbot des ἐπισπασμός (1 Kor 7,18). „In the ancient world, circumcision was the marker par excellence for Jews and it continued to remain so for Paul“ (32). Zwar seien weder Beschneidung noch Vorhaut für Paulus Bedingung oder Garant der Gemeindezugehörigkeit. Dennoch dürfe der jeweilige Status nicht verändert werden, „because of Paul’s view of ethnic fixity: Jews are Jews and Non-Jews are Non-Jews, and nothing can effectively make one into another“ (34). Die häufig beobachtete Spannung zwischen einer scheinbaren Entwertung des Beschneidungsgebots bei gleichzeitiger Forderung, die Gebote Gottes zu halten (1 Kor 7,19) erkläre sich dann schlüssig: Die Egalitätsformel bezeichne nicht die Entwertung der Beschneidung, sondern die grundsätzliche Gleichwertigkeit der zwei durch Beschneidung und Vorhaut gekennzeichneten Menschengruppen (23; 41–45). Wichtig sei aber für beide, die jeweiligen Gebote zu halten, die für die eigene Gruppe gelten (23; 45): Für Juden etwa gelte das Beschneidungsgebot, für Nichtjuden aber gerade nicht.

Vor diesem Hintergrund deutet Collman die paulinische Polemik gegen die Beschneidung von Nichtjuden im Galaterbrief (Kapitel 3) nicht als Ausdruck von Gesetzesfreiheit, sondern von Gesetzesgehorsam: Weil das biblische Beschneidungsgebot nur Juden gelte und nur am achten Tag gesetzeskonform vorgenommen werden kann, ist die Beschneidung von Nichtjuden als Ausdruck der Konversion für Paulus nicht nur ungültig und unwirksam („no positive covenantal value“, 123), sondern sogar ein Verstoß gegen göttliches Gebot. Collman weist eine „anti-legalistische“ Lesart des Gal (z. B. bei Moo), derzufolge Paulus die Beschneidung grundsätzlich ablehne, weil sie die Erlösung statt durch Christus durch Gesetzesgehorsam zu erwirken suche, zurück (56). Ebenso aber eine „anti-ethnozentrische“ Lesart (Dunn, Watson), derzufolge Paulus die Beschneidung ablehne, weil sie „physical, fleshly boundaries between Jews and gentiles“ innerhalb der Gemeinden aufrechterhalte und damit jüdische Identität gegenüber allen anderen ethnischen Identitäten privilegiere (58). Für Collman ist die Ablehnung des Paulus vielmehr ausschließlich in dessen grundsätzlicher Haltung gegenüber der Proselytenbeschneidung begründet: „If we situate Paul within the stream of Judaism which affirms that eighth-day circumcision is the only kind of valid circumcision, then proselyte circumcision is excluded“ (109). Die Sara-Hagar Allegorie in Gal 4 stehe daher weder für den Gegensatz zwischen Juden und Nichtjuden noch zwischen Christusgläubigen und nicht-Christusgläubigen, sondern für den Gegensatz zwischen der Beschneidung am achten Tag und der Proselytenbeschneidung. Während die erstere ein gültiges Zeichen jüdischer Bundeszugehörigkeit sei, habe die letztere keine Wirkkraft, aus einem Nichtjuden einen Juden zu machen, „and can only make them a slave“ (75). Echte Kindschaft könne also für die Galater nur durch den Geist empfangen werden (76). Die Egalitätsformeln in Gal 5,6 und 6,15 sprächen deshalb der Beschneidung nicht ihren grundsätzlichen Wert ab, bestreiten jedoch deren Wirkkraft einen Menschen zum Juden zu machen (ἰσχύω, „wirksam sein“). Der paulinische Verweis auf das Halten des „ganzen Gesetzes“ in Gal 5,3 und der Vorwurf in Gal 6,13, die Gegner hielten das Gesetz selbst nicht, mache deutlich, dass Paulus die Praxis der Proselytenbeschneidung, die doch für ihre Befürworter ein Ausdruck der Gesetzestreue sein soll, als Gesetzesbruch wertet (89), da sie nicht am achten Tag geschieht. Die aus der Hagar-Erzählung entlehnte Anweisung in Gal 4,30, die Sklavin zusammen mit ihrem Sohn auszustoßen, sei als direkte Handlungsanweisung an die galatischen Gemeinden zu verstehen, die gegnerischen Agitatoren zusammen mit den von ihnen beschnittenen Christusnachfolgern aus der Gemeinde auszuschließen (90–91). Die Agitatoren selbst identifiziert Collman schließlich anhand des passiv-reflexiven Gebrauchs von περιτέμνω in Gal 5,3 und 6,13 als Nichtjuden, die selbst die Proselytenbeschneidung empfangen haben (121–122).

Auch in der Gegnergruppe des Philipperbriefs (Kapitel 4) sieht Collman beschnittene Proselyten, denen Paulus eine gültige jüdische Identität abspreche. Dies erkläre auch seine abwertende Terminologie in Phil 3,2 (κατατομή, „Verschneidung“), die sich nicht gegen jüdische Beschneidung an sich wende, sondern lediglich gegen Proselytenbeschneidung (139). Anhand verschiedener Textsignale (innovativ ist hier insbesondere die Deutung der Bezeichnung κύων, „Hund“, als vulgärsprachliche Umschreibung des Penis) und anknüpfend an eine ältere These von Francis Watson (1986) werden die Gegner einem „priapischen Kult“ (142) zugeordnet, der sich in besonderer Weise auf eine Verehrung des beschnittenen Penis konzentrierte (Phil 3,19) und deshalb auf Proselytenbeschneidung drängte. Dieser von ihm als missbräuchlich bewerteten Beschneidungspraxis stelle Paulus die eigene, rechtmäßige Beschneidung gegenüber: Die Aussage „Wir sind die Beschneidung“ (Phil 3,3) sei daher keineswegs als spiritualisierende Übertragung des Beschneidungsbegriffs auf die Christusgläubigen zu verstehen, sondern als Verweis auf die ethnische jüdische Identität und die gesetzeskonforme Beschneidung der Briefabsender, Paulus und Timotheus (143). Die lukanische Darstellung der Beschneidung des Timotheus in Apg 16,1–3, auch wenn sie nicht notwendig die Sicht des Paulus reflektiere, sei dabei möglicherweise ein frühes Zeugnis des matrilinearen Prinzips: Timotheus werde (als geborener Jude) zwar nicht gesetzeskonform am achten Tag beschnitten, es handle sich aber auch nicht um eine Proselytenbeschneidung (144). Der autobiographische Rückblick in Phil 3,4–6 diene schließlich ebenfalls dem Zweck, der unrechtmäßig beanspruchten jüdischen Identität der Gegnergruppe die Rechtmäßigkeit der eigenen jüdischen Identität entgegenzustellen. Die Abwertung in V. 7–8 sei dabei nicht als grundsätzliche Entwertung dieser Biographie zu verstehen, sondern im Kontext einer „rhethoric of comparison“ (98): Verglichen mit Christus seien selbst die (unbestrittenen) Vorzüge der jüdischen Identität „to be regarded as a loss“ (ebd.).

Im Blick auf den Römerbrief identifiziert Collman (in Anknüpfung an Thorsteinsson, Thiessen, Hayes, Novenson u. a.) den Gesprächspartner des Paulus in Röm 2,17–29 als „self-styled Jew“ (Ἰουδαῖος ἐπονομάζῃ), also als Nichtjuden, der die Proselytenbeschneidung vollzogen hat (153). Der Gesetzesbruch, den Paulus seinem Gesprächspartner vorhält (Röm 2,23), sei der Akt der Beschneidung selbst, die von Paulus als ungültig abgelehnt werde (160). Entgegen einer breiten Auslegungstradition, die in Röm 2,28–29 eine generelle Entwertung der jüdischen physischen Beschneidungspraxis und ihre spiritualisierende Übertragung auf die „Herzensbeschneidung“ der nichtjüdischen Christusglaubenden sieht, bezieht Collman diese Verse ausschließlich auf (ethnische) Juden: „The purpose of this text is not to redefine the concepts of ‚Jew‘ and ‚circumcision‘, but to demonstrate to the interlocutor that not all Jews and not all circumcisions receive praise from God“ (172). Paulus betone zwar die Notwendigkeit der Herzensbeschneidung als Ergänzung (nicht Ersatz) der physischen Beschneidung für Juden, er übertrage aber beides nirgends auf Nichtjuden (175–176). In Röm 2 konzentriere sich Paulus allein darauf, die irrtümliche Annahme zu widerlegen, ein Nichtjude könne durch Beschneidung zu einem Juden werden. Eine Abwertung oder Entwertung der jüdischen Beschneidung sei dabei ebenso wenig im Blick wie die Aufgabe der Beschneidungspraxis für christusgläubige Juden.

In Röm 3,1–27 zeige Paulus, wie sowohl Nichtjuden als auch Juden („Beschneidung“ und „Vorhaut“) auf gleiche Weise durch Christus gerechtfertigt werden. In 3,28–29 verleihe er dann der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden als separate Gruppen (auch nach ihrer Rechtfertigung durch Christus) eine theologische Relevanz, insofern sie in ihrer Unterschiedlichkeit die Einzigkeit Gottes widerspiegelten: „For the God of Israel to be One – Paul argues – he must be the God of both Jews and non-Jews as distinct identities. For if Jews cease to be Jews, or non-Jews have to become Jews in order to be rightwised, God’s oneness would be compromised“ (182). Der Rekurs auf Abrahams Rechtfertigung in Röm 4,9–12 belege, dass die Rechtfertigung Abrahams „im Zustand der Vorhaut“ (ἐν ἀκροβυστίᾳ) geschehen sei, also von der Beschneidung unabhängig sei. Diese Zuweisung dürfe, so Collman, entgegen der Mehrheit der Bibelübersetzungen und auch Auslegungstraditionen, nicht temporal, sondern modal gelesen werden (vgl. Röm 4,10: πῶς οὖν ἐλογίσθη). Nicht die „Unbeschnittenheit“ als ein Zeitpunkt, und auch nicht das Fehlen der Beschneidung als ein Mangel, stehe für Paulus im Vordergrund.

Collman fordert an dieser Stelle, wie auch schon in der Einleitung (16–17) und in der Titelwahl seiner Buches, programmatisch eine sprachliche Rehabilitation des Begriffs der „Vorhaut“, der für Paulus einen wichtigen (und positiv konnotierten) Identitätsmarker darstelle, in der Literatur aber zumeist durch die Negation „Unbeschnittenheit“ verdunkelt werde. Paulus betone dagegen die Rechtfertigung Abrahams „in der Vorhaut“. Die Beschneidung Abrahams sei für Paulus nicht vorrangig, wie in Gen 17,11, ein „Zeichen des Bundes“, sondern „ein Siegel der Glaubensgerechtigkeit im Zustand der Vorhaut“ (Röm 4,11). Die Beschneidung von Juden, wie Paulus sie verstehe, bestätige also ausdrücklich die Verheißung der Rechtfertigung durch Glauben, die nicht nur den Juden, sondern auch der Gruppe der „Vorhaut“, also den Nichtjuden, gelte. Die Bezeichnung des Christus als „Diener der Beschneidung“ (Röm 15,8) sei daher nicht als Gen. obj. zu lesen (ein Diener für die Juden), noch weise sie Christus die Rolle eines „Beschneidungsdieners“ für Nichtjuden zu (etwa, indem er an ihnen die Herzensbeschneidung vornehme). Sie besage vielmehr „that the Messiah has become an agent of the circumcision (i.e. the Jewish people), working on their behalf for the sake of the truthfulness of God“ (194). Christus erfülle die eschatologischen Verheißungen der Schrift, der zufolge alle Völker zum Glauben an den Gott Israels finden.

Insgesamt hat Collman mit seiner Untersuchung einen gründlichen, detaillierten und schlüssig argumentierenden Gesamtentwurf zum Thema der Beschneidung in den paulinischen Briefen vorgelegt, der sich in seinem Ergebnis deutlich von bisherigen Arbeiten zum Thema abhebt. Der Autor arbeitet eng am Text, präsentiert gängige Übersetzungs- und Deutungshypothesen relevanter Passagen ausführlich, fair und transparent und benennt anschließend plausible Alternativen. Dabei greift er in vielen Fällen auf Vorarbeiten und etablierte Forschungserträge aus dem Umfeld der „Paul within Judaism“-Forschung zurück, fügt diese aber schlüssig zu einem kongruenten Gesamtbild zusammen. Ergänzt wird dieses immer wieder durch originelle eigene Beobachtungen und Deutungsvorschläge, die über den Horizont des status quaestionis hinausgehen. Der Gesamtaufbau des Buches ist stringent, prägnante Zusammenfassungen von Ergebnissen und Thesen am Anfang und Ende größerer Sinnabschnitte erleichtern die Orientierung. Relevante Nebenthemen werden in Fußnoten exkursartig vertieft (etwa S. 144 zur Beschneidung des Timotheus oder S. 111 zum Begriff des Ἰουδαϊσμός).

An einigen Stellen hätte der Rezensent sich ausführlichere Antworten auf berechtigte Einwände gewünscht, insbesondere im Blick auf Passagen, die für die „Paul within Judaism“-Perspektive nach wie vor eine Herausforderung darstellen. So wird die paulinische Bewertung der eigenen Beschneidung als σκύβαλον (Phil 3,8) im unmittelbaren Kontext der Auslegung von Phil 3,3–6 (145–146) überhaupt nicht und in anderem Kontext (98) nur beiläufig behandelt. Die Bezeichnung des Petrus als Ἰουδαῖος ὑπάρχων (Gal 2,14) wird zwar mehrfach als Beleg für die bleibende Unterscheidung jüdischer und nichtjüdischer Identität innerhalb der Christusgemeinden angeführt, die Beschreibung seiner Lebensweise als ἐθνικῶς καὶ οὐχὶ Ἰουδαϊκῶς ζῇς im gleichen Vers wird jedoch nicht thematisiert und lediglich durch einen kurzen Verweis auf eine These von Paula Fredriksen (54) kommentiert.

Die Kernthese des Buches, die den Grund für die Ablehnung der Beschneidung christusgläubiger Nichtjuden durch Paulus in dessen essentialistisch-genealogisch binärem Weltbild und der daraus resultierenden grundsätzlichen Ablehnung jeder Proselytenbeschneidung sucht, gründet sich in hohem Maße auf die Thesen von Matthew Thiessen, die hier nicht weiter beurteilt werden können. Sie sind auch innerhalb des „Paul within Judaism“-Ansatzes keineswegs Konsens. Aber auch ohne diesen spezifischen Erklärungsansatz verliert der Argumentationsgang des Buches kaum an Plausibilität: Paulus mag andere Gründe gehabt haben, die Beschneidung nichtjüdischer Christusnachfolger abzulehnen. Eine traditionellere Erklärung wäre, dass er die soteriologische Suffizienz des Christusglaubens hervorheben wollte. Oder die – bisher an sich durchaus gültige – Proselytenbeschneidung durch das Christusereignis als eschatologisch überholt ansah. Collmans eigener Verweis auf das bleibende Nebeneinander jüdischer und nichtjüdischer Christusnachfolger als ein Ausdruck der Einzigkeit Gottes (s. oben zu Röm 3,28–29) behält auch ohne Thiessens These ihre Plausibilität.

Der grundsätzliche Nachweis, dass die paulinischen Beschneidungstexte sich ausschließlich auf die Proselytenbeschneidung von Nichtjuden beziehen und die bleibende Gültigkeit und Notwendigkeit jüdischer Beschneidungspraxis – auch innerhalb der Christusgemeinden – nirgends infrage stellen, ist Collman gelungen. Für das in der „Paul within Judaism“-Forschung zentrale Paradigma eines bleibenden Nebeneinanders von Juden und Nichtjuden in den entstehenden Christusgemeinden ist damit – zumindest im Blick auf die Beschneidungsthematik – eine wichtige exegetische Plausibilitätsgrundlage geschaffen worden. Weitere Themenbereiche, wie etwa die Speise- und Reinheitsthematik, die Tempelbindung und andere Bereiche antiker jüdischer Identitätsbildung, werden in ähnlicher Weise auf ihre Vereinbarkeit mit dem „Paul within Judaism“ Paradigma zu überprüfen sein.