Der hier anzuzeigende Band ist der erste Teil der zweibändigen Corpus Inscriptionum Iudaeae/Palaestinae (CIIP)-Ausgabe zu Galiläa und den nördlichen Regionen. Das Gesamtwerk ist gewaltig
und gewaltig ist auch dieser Teilband (der siebte von unterdessen acht erschienenen).
Von 11 Forscherinnen und Forschern herausgeben (Alla Kushnir-Stein und Ada Yardeni
sind unterdessen verstorben) und reich bebildert wird dieser Band besondere Aufmerksamkeit
erhalten, weil er mit Örtlichkeiten wie Ptolemais (Akko), Ḥuqoq, Kapernaum, Magdala,
Tiberias und Sepphoris einige galiläische/nördliche Highlights umfasst. Diese Rezension
wird sich denn auch auf diese Orte konzentrieren. Der Band umfasst freilich viel mehr.
Darauf deutet ja schon der Titel der Reihe hin: Die Sammlung ist nicht mehr ein Corpus Inscriptionum Iudaicarum (Recueil des inscriptions juives) im Sinne des damaligen Herausgebers Jean-Baptiste
Frey, sondern orientiert sich (fast) rein geographisch: Abgedeckt werden alle Inschriften,
die aus dem antiken Galiläa sowie dem ganzen Norden des heutigen Israel von der Küste
des Mittelmeers bis zum See Genezareth stammen. Nicht berücksichtigt wurden die Inschriften
aus den Golan-Höhen. Den Inschriften werden jeweils kürzere, manchmal auch längere
historische und archäologische Einführungen zu den Örtlichkeiten vorangestellt. Die
Kürzel sowohl am Ende der Einführungen als auch der Einträge zu den Inschriften weisen
jeweils die Autorschaft aus. Wo immer möglich sind Fotos abgebildet. Die Inschriften,
zu einem grossen Teil in griechischer Sprache verfasst, werden im Original und in
englischer Übersetzung wiedergegeben. Natürlich stehen die Herausgeberinnen und Herausgeber
auf den Schultern jener, die sich mit den einzelnen Inschriften und Dokumenten schon
eingehend beschäftigt oder diese gar herausgegeben haben. Aber diese in allen Belangen
überzeugende Edition akzeptiert die bisherige Forschung nicht ohne Abwägen und sie
kommt öfter auch zu abweichenden Einschätzungen.
Wer sich für Magie interessiert, wird u. a. das gut lesbare Amulett aus Akko nachschlagen
(S. 334–337, besprochen von Walter Ameling), auf dem vom einen Gott (εἷς θεὸς), der das Böse besiegt, die Rede ist und auf dem König Salomon bildlich
dargestellt ist (offenbar im Kampf mit dem bösen Dämon). Das epigraphische Material
aus dem Norden Israels zeigt insbesondere für die jüdischen Dokumente eines immer
wieder: Wir haben es hier mit keiner monolithischen Kultur zu tun. Vielmehr spiegeln
die Inschriften häufig ein gleichsam hybrides Selbstverständnis wider. Die Synagoge
von Ḥuqoq aus dem 5. Jh. n. Chr., die seit 2011 ausgegraben wird, wird auf 14 Seiten
von Jonathan Price umfassend und mit wunderbaren (wenn auch schwarz-weissen) Bildern
des Mosaikbodens präsentiert (S. 406–420). Wie andere schon länger bekannte Synagogen
(u. a. Beth Alfa, Ḥammat Tiberias) präsentiert auch dieses Synagogenmosaik einen Zodiak
mit dem griechischen Sonnengott Helios im Zentrum. Das hinderte die Nutzer der Synagoge
nicht daran, im östlichen Flügel auf Hebräisch einen Satz in den Mosaikboden zu schreiben,
der besagt, dass jene, die „an allen Geboten festhalten“ (שהן מתח[זקי]ן בכל מצות),
gesegnet sein sollen. Die Besprechung der Synagoge von Ḥuqoq konzentriert sich auf
die Inschriften; der bezüglich der historischen Verortung umstrittene „elephant panel“
(Zusammentreffen Alexanders mit dem Jerusalemer Hohepriester? Belagerung Jerusalems
durch Antiochus VII Sidetes?) ist wegen der fehlenden Beschriftung konsequenterweise
nicht aufgenommen (Ergänzungen finden sich auf der Grabungswebsite von Ḥuqoq: https://huqoq.web.unc.edu/reports/).
Im Kapitel über Kapernaum wird man die mehreren Hundert Graffiti (mehrheitlich in
griechischer, teils auch in syrischer und aramäischer Sprache verfasst) aus dem „Haus
des Petrus“ vorfinden. Aus der Synagoge sind Spenderinschriften aus derselben Zeit
(ca. 6. Jh. n. Chr.) sowohl in griechischer als auch in aramäischer Sprache gefunden
worden (S. 515–518), und man fragt sich, was wohl zum jeweiligen Sprachentscheid geführt
hat.
Dankenswerterweise halten sich die Herausgeber bei unterschiedlichen Forschungsmeinungen
oftmals zurück, insbesondere dann, wenn die Sachlage wirklich nicht klar ist. Reicht
„auch Du“ (καὶ σύ) auf dem Mosaikboden aus einem Gebäude aus dem römischen Magdala
aus, um den Text als Willkommensgruss zu verstehen („gegrüsst – zu ergänzen wäre χαῖρε
– seist auch Du!“)? Oder ist die Inschrift apotropäisch zu verstehen und richtet sich
gegen eindringende Dämonen (im Sinne von: „auch Du entferne dich!“)? Johannes Heinrichs
lässt die Frage offen (S. 685).
Zu Tiberias wird man die hilfreiche und ausführliche Einführung von Benjamin Isaac
schätzen (S. 701–709). Wie im Falle der Synagoge von Ḥuqoq ist auch bei jener aus
Ḥammat Tiberias das Zusammengehen von scheinbar widersprüchlichen Werten bemerkenswert.
Die griechische Spenderinschrift auf dem Mosaikboden (4. Jh. n. Chr.) enthält den
einzigen unumstrittenen epigraphischen Beleg für das Amt des rabbinischen Patriarchen
(nasi) in Judäa/Palästina (S. 719). Und gleich darüber grüsst sozusagen der Sonnengott
Helios auf seinem Wagen im Zentrum des Zodiaks. Bei der griechischen und hebräischen
(in einem Wort: שלום [Friede]) Inschrift zu Ehren des Profuturus, der für die Stoa
in der Synagoge aufgekommen ist, fragt sich, was mit mizoteros (μιζότερος) gemeint ist. Jonathan Price liest das Wort als eine Bezeichnung für einen
höheren (cf. μείζων, „der Bedeutendere“) Synagogen- oder Gemeindebeamten. Was vormals
von Baruch Lifshitz als Ethrogim gedeutet wurde, sind gemäss Jonathan Price vielmehr
Efeublätter (S. 724). Ein Fehler hat sich bei der Wiedergabe des Namens Profoturus eingeschlichen (ΠΟΦΟΤΟΥΡΟΣ). Faszinierend ist auch die Sarkophag-Inschrift
des Amandus, eines Decurio, der in seiner Grabinschrift stolz an den Saus und Braus
(τρυφή) seines Lebens zurückdenkt. „Wie ein Gott“ (ἰσοθέως) habe er gelebt. Schliesst,
wie Werner Eck schreibt, eine solche Formulierung praktisch aus, dass Amandus Jude
gewesen sein könnte (S. 744 – die Frage hängt tatsächlich auch mit jener nach der
Präsenz von Juden in der römischen Armee zusammen)? In ganz andere Kontexte führt
einen das von Ada Yardeni aufbereitete aramäische Amulett aus Tiberias, das ein Mädchen
namens Ina von Fieber befreien soll (S. 762–767).
Erwartungsgemäss viel Platz (120 Seiten) erhält Sepphoris (Diocaesarea, das moderne
Zippori). Dass Sepphoris bis zur Gründung von Tiberias Hauptstadt Galiläas war, wie
oft behauptet, lässt sich, wie Benjamin Isaac einleitend festhält, in den Quellen
nicht festmachen (S. 858). Und auch in Sepphoris treffen sich Welten, die möglicherweise
nur für den modernen Betrachter im Widerspruch stehen. Sepphoris wurde gegen Ende
des 2. Jh. n. Chr. der Wohnort von Rabbi Judah Ha-Nasi, dem Redaktor der Mischna,
und aus Sepphoris stammt aus derselben Zeit (2./3. Jh. n. Chr.) das Haus mit Mosaiken,
die Szenen aus dem Leben des Dionysos darstellen. Soll man sich gar vorstellen, dass
Rabbi Judah Ha-Nasi in der Dionysos-Villa gewohnt hat? Rina Talgam und Zeev Weiss
wagen die Vermutung (S. 919: „one may even cautiously suggest“), während Benjamin
Issac sie in seiner Einleitung ablehnt (S. 863: „There is no basis in fact for speculations
that the villa was inhabited by R. Judah Ha-Nasi.”). Die Grabinschriften von Rabbinen
aus Sepphoris sind mehrheitlich auf Hebräisch oder Aramäisch abgefasst, es finden
sich aber auch hebräisch-griechische Bilinguen: so im Falle des Epitaphs des Rabbi
Hesychius (S. 942–943). Auf einer dieser Grabinschriften (3.-5. Jh. n. Chr., S. 938–939)
findet sich auch der früheste epigraphische Beleg für „Sepphoris“ (דצפורין).
Als Nutzer kann man sich beim Herausgeberteam für diese wunderbare Edition nur bedanken.
CIIP ist ein Projekt, das sich in die Geschichte der Epigraphie einschreiben wird.
Dies trifft auch für den ersten Teilband zu Galiläa zu.