Matthew Tapie, Alan Brill und Matthew Levering (Hrsg.). The Challenge of Catholic-Jewish Theological Dialogue. The Catholic University of America Press, 2025. 346 Seiten, USD 75, ISBN 978-0-8123-3898-2
Universität Luzern
Die Aufsatzsammlung, die aus einer Online-Konferenz während der Coronazeit hervorgegangen ist, gilt dem systematisch-theologischen Dialog zwischen Juden und Katholiken. Er sei bis anhin stiefmütterlich behandelt worden, schreibt Tapie in der Einleitung, da ethische Fragen und eine Erinnerungskultur der Aufarbeitung im Zentrum gestanden hätten bzw. theologische Streitfragen historisch belastet seien und wenig geeignet für die notwendige Vieldeutigkeit eines Dialogs erscheinen (xi). Dennoch werde er vom Magisterium der kath. Kirche gefordert (xiii). So will die Aufsatzsammlung die theologischen Fragestellungen, wie sie sich seit Nostra aetate entwickelt haben, vertiefen. Sie grenzt sich von protestantischen Debatten ab, methodisch, da sie sich am Magisterium orientiert, das z. B. die Theorie von zwei parallelen Heilswegen von Juden und Christen ablehnt, und an den Konzilien mit ihrer Hohen Christologie nicht rüttelt (xiv); inhaltlich, indem sie sich von einer «jüdisch-messianischen Eschatologie» (xv) distanziert. Teil I enthält drei Aufsätze zum theologischen Dialog, mit je einer jüdischen und katholischen Respons. Teil II zu Mission, Gesetz und Land nimmt drei «heisse» Dialogthemen auf. Auf fünf katholische Aufsätze folgt je eine jüdische Respons.
Bruce D. Marshall eröffnet und nennt im Licht des vatikanischen Dokuments zu 50 Jahre Nostra aetate «Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt (Röm 11,29)» vier bleibende Botschaften: der unwiderrufene Bund Gottes mit Israel, die Absage an die Kollektivschuld der Juden für Jesu Tod, die Abweisung jedes Antisemitismus und der universale christliche Wahrheitsanspruch (4-6). Er betont, dass die Verhältnisbestimmung der ersten und letzten Aussage komplex und nicht gelöst ist. Für Katholiken stelle es jedoch eine Pflicht dar, sich mit diesen Wahrheiten, die durch das Konzil auf die höchste Lehramtsebene gehoben worden sind, auseinanderzusetzen (7). Katholiken wären asymmetrisch auf die Juden verwiesen, auch wenn ihr Absolutheitsanspruch für diese eine Zumutung sei. Malka Z. Simkovitch schreibt, dass viele Juden den theologischen Dialog entweder ganz ablehnen oder ihn als sekundär sehen. Sie kritisiert, dass «Denn unwiderruflich sind» das Judentum zum «ontological opposite of Christianity» (14) mache, es selektiv wahrnehme und instrumentalisiere. Wenn Juden sich aber dem theologischen Dialog verweigerten, müsste die kath. Theologie weiterhin einen «hermeneutischen Juden» aus den Quellen konstruieren, der nun nicht mehr negativ, sondern positiv sei. Alternativ: Die Theologen müssten sich den Juden in der Kirche zuwenden (19). Der kath. Respondent Dennis B. McManus weist darauf hin, dass Nostra aetate sich nur von einem negativen Judenbild verabschiedet habe, die Lehre vom «unwiderrufenen Bund», weitere positive Bestimmungen und der Dialog überhaupt erst Frucht der aktiven Rezeption sei. Der neuralgische Punkt sei der Auftrag Christi in Mt 28, alle Menschen zu taufen (26), den Papst em. Benedikt dahin gewendet habe, dass es gegenüber Juden nicht um Mission, sondern um Dialog zur Deutung Jesu gehe (28). Ob der jüdische Partner sich auf einen solchen Dialog einlasse, müsse ihm in aller Freiheit überlassen sein; dazu sei die Zeit wohl noch nicht reif (29).
Jennifer Hart Weed bespricht die Maimonides Rezeption durch Thomas von Aquin. Der Aquinate verweise auf ihn selektiv und zitiere ihn nie direkt. Auch wenn schriftlicher Austausch zwischen Gelehrten heute viel umfassender ist, votiert Weed für Begegnung im Dialog und stellt des Aquinaten Modell der Freundschaft vor. Gemeinsames Interesse an einem Gut, Ähnlichkeit im Zugang und der Entscheid füreinander seien wesentlich. Weed veranschaulicht intellektuelle Freundschaft an Abraham J. Heschel und Martin L. King in den 1960er Jahren. In den beiden Responsen wird zum einen darauf hingewiesen, dass auch die Alterität für jüdisch-christliche Freundschaften notwendig sei, auch wenn der Jude als der Andere schlechthin eine schwierige Kategorie darstellt (56-60). Zum anderen wird die rabbinische Weisung, sich Lehrer und Freund zu suchen, vorgestellt (67-70).
Der dritte Aufsatz von Pim Valkenburg stellt die Koransure 5 und Hadithe vor, die unterschiedliche Formen der Überbietung gegenüber den Ansprüchen von Juden und Christen erheben, sich als «Kinder Gottes» bzw. als auserwählt zu verstehen. Reuven Firestone zeichnet in seiner Respons religionsgeschichtlich nach, wie diese theologischen Begriffe Gemeingut in der polytheistischen Völkerwelt waren und wie sie in der Anwendung auf den Monotheismus zu Rivalitätskonstellationen geführt haben. Carol Bakhos wiederum zeigt, dass der Koran gerade die Bundessprache von Juden und Christen kritisch beurteilt und eine Glaubensgemeinschaft schaffen will, in der diese exklusiven Ansprüche überwunden werden. Es gebe einen bundestheologischen Pluralismus im Koran (108). Überhaupt wolle der Islam weniger überbieten, als zurück zum Ursprung gehen.
Die Aufsätze im zweiten Buchteil, die sich mit den Fragestellungen Mission, Gesetz und Land auseinandersetzen, tun dies im Horizont von «Denn unwiderruflich sind» (2015). Matthew Tapie argumentiert, der Verzicht auf aktive Judenmission der kath. Kirche entspringe nicht pragmatischem und strategischem Dialogdenken, sondern liege im «depositum fidei» der Kirche begründet (114). Dabei zeigt er, dass aus einer Interpretation von Röm 11, wie sie auch Benedikt XIV. teile, der universale, christliche Wahrheitsanspruch aufrechterhalten werden könne, die Zeit der Geschichte aber nicht für die Bekehrung der Juden, sondern der Heiden gedacht ist. Er weist auch das Argument zurück, dass Juden aus historischen Gründen nicht an Jesus als den Erlöser glauben könnten, weil das Christentum über sie Unheil gebracht habe (132-141). Vielmehr sei die «Verstockung» Israels Teil von Gottes Heilsplan. Die rituellen Gesetze der Juden wiesen gemäss Thomas von Aquin auch heute noch auf Christus hin, vor allem die Beschneidung, die Christus selbst an sich trug (145-150).
Bruce D. Marshall geht es in seinem zweiten Aufsatz in diesem Band um die Kohärenz des katholischen Glaubens (177), die den universalen Heilsanspruch Christi und die Lehre des «ungekündigten Bundes» von Gott mit Israel integriere. Dabei läuft seine Argumentation darauf hinaus, dass Juden zwar in die Kirche eintreten, darin aber weiterhin der Halacha treu bleiben sollen (179). Die Hebräischen Katholiken in Israel sieht er als Vorläufer einer solchen jüdischen Kirche. Während Marshall daraus für den jüdisch-christlichen Dialog auch Schwierigkeiten entstehen sieht, antwortet David Novak darauf, dass auch getaufte Juden in der Kirche, die die Halacha hielten, vom jüdischen Volk Abgefallene seien (189-196).
Um halachisch lebende Juden aus katholisch-theologischer Reflexion zu würdigen, setzt Holly Tayler Coolman bei Thomas von Aquin an. Sie zeigt, wie er die Kontinuität und die Transformation vom alten zum neuen Gesetz denkt, wobei er ersteres in ethische, rechtliche und rituelle Gesetze unterteil (203-205). Sie alle haben vor Christus auf diesen hingewiesen (204; 213). Für Thomas hätten Juden und Christen denselben Glauben (207). Während die rechtlichen Gesetze durch die Vertreibung der Juden aus ihrem Land überholt sind und die ethischen Gesetze von Christus übernommen wurden, sind gemäss Thomas die rituellen Gesetze durch die Proklamation des neuen Gesetzes, das durch den Heiligen Geist in die Herzen der gläubigen Christen gegossen sei, obsolet geworden: «tot und tödlich» (200f; 212f). Er unterscheidet nämlich drei Zeiten: Die Zeit des alten Gesetzes vor Christi Passion, die Zeit von der Passion bis zur Proklamation des neuen Gesetzes und schliesslich die Zeit des neuen Gesetzes danach. Da die Proklamation mit Christus begonnen, aber bisher die Juden noch nicht erreicht habe – Gott allein würde es bis zum Ende der Zeit bewirken (Röm 11,29) – , argumentiert nun Coolman, wäre die Halacha von der kath. Theologie weiterhin als Lebensweise des einen Bundes Gottes mit seinem zweiteiligen Volk anzuerkennen (214). In der Response ist Joel S. Kaminsky kritisch. Er unterstreicht die rabbinische Sicht eines Messias «aus Fleisch und Blut» (218), der gesellschaftliche Gerechtigkeit und Freiheit für Israel bringt. Zudem zeigt er, wie christliche und jüdische Theologen die Geschichte je unterschiedlich deuten. Die Gebote könnten nicht in rituelle und ethische unterteilt werden, und Hebräische Christen seien nicht Brücke, sondern Dilemma. Da sich rituelle und ethische Auffassungen in Judentum und Christentum widersprechen, müssten sie sich für die eine oder andere Seite entscheiden.
Auch Gavin D’Costa geht von der Dreiteilung des Gesetzes wie der Zeit aus, die der Aquinate von Augustinus übernommen hatte. Wie Coolman unterstreicht er die bleibende Bedeutung der rituellen Gesetze des Alten Bundes. Er deutet die klassische substitutionstheologische Sicht, dass die rituellen Gebote mit der Zerstörung des Tempels und mit der Erfüllung durch Christus «tot und tödlich» seien (230), aber dadurch um, dass sie weiterhin auf das Christusgeschehen verwiesen (242). Juden würden heute, subjektiv gesehen, in der Zeit vor der Verkündigung des Evangeliums leben, da ihnen dieses nicht im befreienden Sinn zugänglich gemacht worden sei. Sie lebten im Zustand des «unüberwindbaren Nicht-Wissens», zumal sie die Gebote nicht mit antichristlicher Absicht halten (236f). Vor allem zeigt D’Costa auf, dass auch spätere kirchliche Entscheidungen, wie jene des Konzils von Florenz (Cantate Domino 1442), von Benedikt XIV. (Ex quo primum 1756) und von Paul XII. (Mystici corporis 1943) einer solchen Interpretation nicht entgegenstehen: Das Konzil von Florenz lasse unter koptischen Christen auch Gebote zu, die äusserlich mit jüdischen Geboten identisch sind, jedoch nicht gegen Christus stehen würden. Sie würden nicht als «judaisierend» eingestuft (235-245). Benedikt XIV. lasse mit dem gleichen Argument in den unierten Ostkirchen Gebete zur Reinigung zu, die auch jüdisch sind, da sie zur alten Gebetstradition gehörten (245-249). Und Mystici corporis sei im Geist von Florenz geschrieben, so dass Juden, die Christus nicht aktiv ablehnten, in Unwissenheit handelten, die nicht schuldhaft sei (249-251).
Alan Brill antwortet nicht nur auf den Beitrag von D’Costa, sondern bezieht sich auch auf die anderen Beiträge im Band. Er kritisiert scharf, dass die christliche Tradition erstens einen «hermeneutischen Juden» geschaffen habe, der nichts mit dem real existierenden rabbinischen Judentum zu tun habe, zweitens den Juden von aussen theologische Kategorien überstülpe, die völlig unangemessen seien, und drittens diese Aufsätze um die innere Kohärenz des katholischen Lehre ringen würden und nicht mit dem Judentum im Dialog stünden (253-257). Danach legt er die von christlicher Tradition unabhängige Sicht der Gebote dar, indem er in die Tradition ausgreift und Saadja Gaon, Maimonides und Abraham J. Heschel mit ihrer Sicht der Gebote skizziert. Die neueren vatikanischen Dokumente wie z. B. «Denn unwiderruflich sind» und Äusserungen Papst Benedikts XVI. würden weit besser im Dialog mit dem Judentum stehen als die Aufsätze in diesem Band.
Der letzte Beitrag ist einer Theologie des Landes gewidmet. Matthew Levering betont darin, dass in Christus das Gesetz «erfüllt und radikal umgestaltet worden sei» (277). Christus hätte die Völker nicht nur zum jüdischen Bundesvolk als eine Verlängerung und Appendix hinzugefügt. Insofern sei auch die Landverheissung durch Christi Leib eschatologisch erfüllt und auf die ganze Erde ausgedehnt worden. Levering zeigt an Ezechiel, Jesus Sirach und anderen prophetischen Schriften, dass sie bei der Landverheissung bereits die ganze Welt im Blick gehabt hätten (279-282). Er diskutiert die Landverheissung im Neuen Testament und argumentiert vor allem anhand von Lk/Apg für eine universale, weltumspannende, eschatologische Sicht des Landes und gegen eine Restituierung eines davidischen Königstums im Land Israel (286). Da Juden heute ihrem Verständnis der Tora treu sein müssten und sie in einer «unüberwindbaren Unwissenheit» lebten, sollten Christen den Staat Israel und das Wohnen des jüdischen Volkes im Land jedoch unterstützen (298f). Isaac W. Oliver, mit dem sich Levering schon in seinem Aufsatz auseinandersetzt, antwortet, dass er das zionistische Projekt als Jude rein säkular beurteile. Die Rabbinen wie auch das NT würden einen «passiven, politischen Nationalismus» (303) vertreten. Erst der (wiederkommende) Messias würde eine politische Herrschaft des jüdischen Volkes im Land errichten. Die Sicht des NT auf das Land für die eschatologische Zeit sei aber nicht nur universalisierend. Vielmehr hätten gerade Lk/Apg auch eine reale Restituierung eines idealen und befreiten Landes mit Jerusalem im Blick, zu dem die zwölf Stämme Israels wie auch die Völker hinzukommen.
Die hier besprochene Aufsatzsammlung widmet sich den zentralen theologischen Fragen, die sich in den letzten Jahren einer kath. Theologie stellten. Sie bringt auch vorbildhaft jüdische Kritik daran zur Sprache. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sie einen guten Einblick in die Debatte gibt, wie US-katholische Theologen versuchen, die Erneuerung der Theologie des Judentums seit Nostra aetate zu verteidigen, indem sie sie nicht als Bruch mit der Lehrtradition, sondern in Kontinuität mit ihr darstellen. Diese Kontinuität und Kohärenz der Tradition werden zum Teil mit spitzfindigen Uminterpretationen zu erzielen versucht. Vergleicht man die Aufsätze mit anderen kath.-jüdischen Debatten in Nordamerika oder Europa, fällt auf, dass diese viel stärker von einer Diskontinuität in der katholischen Tradition ausgehen, geschichtlicher denken und theologisch mit der Kategorie der Umkehr arbeiten. Vor allem werden Augustinus und Thomas von Aquin nicht den Status von lehramtlichen Äusserungen gegeben. Beide katholischen Lager im Dialog mit Juden verteidigen auf ihre Weise die Errungenschaften des jüdisch-katholischen Dialogs nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gegen rechtskonservative katholische Kreise, die den Dialog mit dem Judentum als Anbiederung an den Zeitgeist verurteilen.