Maren R. Niehoff, Hg. The Art of Contextualizing Philo of Alexandria. Texts and Studies in Ancient Judaism 190. Mohr Siebeck, 2024. 370 S., EUR 154.00, ISBN 978-3-16-164078-0
Universität Regensburg
Die vorliegende Sammlung von dreizehn Artikeln greift die Frage nach den Kontexten Philons im Anschluss an Maren Niehoffs Philo of Alexandria. An intellectual biography (Yale University Press, 2018) wieder auf. Im Fall von Philon ist die „Kunst der Kontextualisierung“ ein kompliziertes Vorhaben mit vielen Facetten, da der griechischsprachige Jude aus Alexandria „mit einem früheren alexandrinischen und späteren römischen Kontext“ (2) von keinem der Fachgebiete, für die heute seine Schriften von Bedeutung sind (Jüdische Studien, Klassische Philologie, Alte Geschichte, Bibelwissenschaft, antike Philosophie), als voll zugehörig anerkannt worden ist. Dieser Feststellung Niehoffs ist zuzustimmen, gleichwohl scheint mir angemessen, Philon zum Bereich der antiken Philosophie zu zählen. Seine Nähe zu anderen Disziplinen betrifft eher die Form als zentrale Inhalte seines Werks. Er lässt sich nur indirekt dem Feld der antiken Historiographie zuordnen.
Der erste und umfangreichste Teil des Bandes widmet sich dem römischen Kontext und befasst sich mit Philon im Zusammenhang mit Autoren und historischen Persönlichkeiten der kaiserlichen Hauptstadt. Dieser Abschnitt beginnt mit der Studie von Ludovica de Luca „Philo, Cicero und Vitruv: Gott als Architekt in Rom“, die sich mit einer philonischen Metapher befasst: dem berühmten Abschnitt, in dem der jüdische Schöpfergott als Architekt dargestellt wird. Die Autorin untersucht „frühere Modelle zur Kontextualisierung“ von De opificio mundi 17-20 in der platonischen und stoischen Philosophie (13-51). Das bekannte Bild von Philon in Opif. 17-20 wird von de Luca unter Berücksichtigung nicht nur griechischer, sondern auch lateinischer Quellen neu interpretiert. Dabei steht der mögliche Einfluss von Cicero und Vitruv im Mittelpunkt. Die Autorin vertritt die These, dass Philons Bild von Gott als Architekt Cicero (De natura deorum) durch dessen assimilierten Stoizismus zu verdanken sei. Bei der metaphorischen Verwendung des Bildes der großen Stadt der Welt (“megalopolis“) komme Cicero zum Tragen. In Synergie mit Platonismus, Stoizismus und Epikureismus sei die Metapher der Architektur entscheidend für die Artikulation wichtiger philonischer Konzepte wie dem der Vorsehung (πρόνοια). De Luca bietet einen neuen Ansatz, wie das „Motiv des Architekten als primärer Ausgangspunkt für die Verknüpfung der verschiedenen philosophischen Traditionen“ zu verstehen sei, das es Philon ermöglicht, seine „eigene innovative Interpretation des jüdischen Gottes für ein griechisch-römisches Publikum zu vermitteln“, wie Niehoff in der Einführung präzisiert (3). Nach Ansicht der Autorin scheint Philons Charakterisierung des jüdischen Gottes als Architekt eine doppelte Kommunikationsstrategie widerzuspiegeln, die er verwendet, um ein vermutlich nichtjüdisches Publikum anzusprechen. Die Hauptthese von de Luca lautet, dass das philonische Bild von Gott als Architekt möglicherweise aus apologetisch-polemischen Gründen und aus einer anti-aristotelischen und anti-epikureischen Perspektive konstruiert wurde. Es ging Philon darum, eine jüdische Kosmologie zu bestätigen, die auf dem Konzept der Schöpfung beruht.
Mischa Meier befasst sich unter dem Titel „Neros Verfolgung der Christen, die Juden und eine mögliche Verbindung zu Philon“ mit dem Rätsel um Neros Verfolgung der Christen (191-207). Wie konnte Nero wissen, dass es sich bei den Verfolgten um Christen handelte, da dieser Begriff erst im zweiten Jahrhundert n. Chr. auftaucht? Philon erwähnt weder Jesus noch seine Anhänger. Die Juden scheinen eine entscheidende Rolle als neutrale Beobachter der Debatten und als Opfer imperialer Politik zu spielen, um den Verdacht der römischen Verwaltung zu vermeiden. Die römischen Behörden konnten die Christen noch nicht als eigenständige Gruppe anerkannt haben. Seine These lautet, dass die „Verfolgung der Christen“ durch Nero im Kontext der Spannungen zwischen Juden und jüdischen Christen gesehen werden müsse. Meier stellt die Frage nach möglichen Netzwerken und Vermittlern. Es bestehe die Möglichkeit, dass Philon in diesem Zusammenhang eine Rolle gespielt habe (194). Meier betont, dass Nero, in Fortführung der Politik von Claudius, wahrscheinlich noch keine eigene Vorstellung von Christen und Christentum hatte und daher glaubte, gegen eine kleine Gruppe unter den Juden vorzugehen, deren Mitglieder in Rom Unruhe stifteten (203). Daraus folgt, dass Nero die Christen verfolgte, während er annahm, seine Maßnahmen würden sich gegen eine kleine Gruppe unter den Juden richten. Sein interessanter Ansatz basiert auf der traditionellen Annahme, dass es sich bei den unter Nero verfolgten Personen um dieselben Chrestiani oder Christiani gehandelt haben muss, die Claudius bereits aus Rom vertrieben hatte, eine angeblich jüdische Gruppe, die auf Betreiben eines gewissen „Chrestus“ ständig Unruhe stiftete. Laut Meier kann man davon ausgehen, dass der entsprechende Begriff dort entstanden sei, da sich das Christentum in den ersten Jahrzehnten hauptsächlich im römischen Osten verbreitete, zunächst in griechischer, dann in lateinischer Sprache. Dieser politisch aufgeladene neue Begriff entstand dort, wo die neue Bewegung mit den römischen Behörden konfrontiert war und eine Bezeichnung benötigt wurde, um sie zu beschreiben (196). Nach Meiers Vermutung erscheint plausibel, dass Claudius’ Absicht, die Aktivitäten der Chrestus-Anhänger zu untersuchen, aus dem Kreis von Philons Delegation oder vielleicht sogar von Philon selbst stammte. Seine Gesandtschaft habe sowohl ein religiöses als auch ein politisches Interesse an einem solchen Bericht gehabt (203). Wenn man davon absieht, dass es keine eindeutigen Beweise für die Faktizität dieser These gibt, so ist sie gleichwohl interessant und lässt die Aktivitäten des Kreises um Philon in einem anderen Licht erscheinen.
Der zweite Abschnitt stellt Philon im Kontext der neutestamentlichen Schriften dar und untersucht verschiedene Vergleichsmethoden. Loveday Alexanders Aufsatz „Sailing to Caesar: Philo’s Embassy and Luke’s Paul in Rome“ (211-234) argumentiert, dass die weithin bezeugte Praxis des „Segelns zu Caesar“ einen aufschlussreichen Rahmen für das Verständnis sowohl von Philons Gesandtschaft zu Gaius als auch von Lukas’ Bericht über die Prozesse und die Reise des Paulus nach Rom bietet. Der vielseitige Vergleich erfolgt in erster Linie auf literarischer Ebene, wobei Alexander Philons Legatio und die Gesandtschaft des Paulus nach Rom (wie sie im Neuen Testament im Buch der Apostelgeschichte beschrieben wird) nebeneinander stellt. Die Autorin bietet eine detaillierte literarische Analyse von Passagen aus Philon, Josephus und Lukas, um die dynamische Wechselwirkung zwischen Literatur und Politik im gemeinsamen kulturellen Umfeld des Römischen Reiches zu untersuchen. Sie betont die Auswirkung der Werke auf die gesamte jüdische Gemeinschaft (227). Es ist gewiss nicht überraschend, dass Alexander einige starke Übereinstimmungen zwischen den beiden Darstellungen entdeckt hat, aber auch einige erhebliche Unterschiede. Nicht sonderlich originell scheint mir der Befund, Philon habe sowohl für die jüdische Gemeinde in Rom als auch für das römische Publikum geschrieben (230). Die Autorin stellt zutreffend klar, dass es keine wesentlichen Ähnlichkeiten mit den Gesandtschaften der griechischen autonomen Stadtstaaten des fünften Jahrhunderts gebe (213). Lukas habe die Reise des Paulus nach Rom als eine hervorragende Gelegenheit gesehen, das Evangelium vor dem kaiserlichen Tribunal zu vertreten (231). Es wäre wünschenswert darzustellen, ob die Unterschiede ausschließlich die „Realia“ und die „erkennbare politische Struktur“ (222) betreffen, oder auch die Intentionen der Gesandtschaften. Meines Erachtens sind die beiden Texte nicht gleichermaßen von demselben agonistischem Charakter und denselben zugrunde liegenden Realitäten des politischen Lebens im Reich geprägt (227). Indessen bin ich nicht völlig davon überzeugt, dass Philon wie Paulus auf die biblische Tradition der Erzählungen über Widerstand unter heidnischen Imperien zurückgriff. Der Philosoph hingegen bietet eine Übersicht über das jüdische Leben im Imperium mit einem lokalen Fokus auf Alexandria und gestaltet seinen Bericht aus einer anderen historiographischen Perspektive und mit unterschiedlichem stilistischen Idiom.
Joan Taylor führt uns mit ihrem spannenden Essay über einen tatsächlich „neuen Blick auf das Logos-Konzept bei Philon und im Johannesevangelium“ nach Ephesos und zu Kerinth, einem christlichen Juden des ersten Jahrhunderts. Kerinth wurde in Ägypten ausgebildet und vertrat die Christologie einer vorübergehenden Inkarnation göttlicher Kraft bei Jesus (263-286). Das Logos-Konzept im Johannesevangelium und seine Beziehung zu Philons Logos-Konzept seien bereits ausführlich untersucht worden. Das Ziel der Autorin ist, eine neue Sichtweise auf die Beziehung zwischen Philon und Johannes zu entwickeln. Taylor untersucht, ob es eine intermediäre philonische christliche Position gab, gegen die Johannes reagierte. Das Johannesevangelium sei speziell geschrieben worden, um die christologischen Vorstellungen eines frühen „falschen Apostels“, Kerinth, zu korrigieren, der offenbar selbst das Konzept des Logos verwendet hatte. Alexandria und Ephesos seien durch einen intellektuellen Kontakt miteinander verbunden gewesen und es sei wahrscheinlich, dass Philon in Ephesos gelesen wurde. Die Autorin stellt fest, das Johannesevangelium habe einen frühen Lesekontext innerhalb Alexandrias gehabt. Die spärlichen Details über Kerinths Gedanken, die Irenäus und Hippolytus liefern, ließen sich verstehen, wenn wir Philon als Interpretationshilfe heranziehen. Taylor versucht, die Leserschaft davon zu überzeugen, dass viele Übereinstimmungen zwischen Philon und Kerinth erkennbar seien, wie zum Beispiel die Anerkennung des Logos als Licht und spirituelle Erleuchtung (276). Philon helfe uns, Kerinths Gedanken besser zu verstehen, weil die philonische Rezeption von Kerinth deutlicher sei als die, die wir im Johannesevangelium finden. Laut Taylor könne die Distanz zwischen dem philonischen Logos-Konzept und dem Christus-Logos-Konzept verringert werden, wenn man Kerinth mit ins Spiel brächte. Philon könne Licht auf Kerinth über das Konzept des Schöpfers werfen, das mit der schöpferischen Macht korreliert. Das Johannesevangelium argumentiere gegen Kerinth und gegen die früheren Macht- und Logos-Konzepte von Philon. Diese These ist plausibel, bleibt jedoch eine Vermutung. Außerdem werden die Betonungen der griechischen Wörter leider teilweise fehlerhaft angegeben (269, 270, 271, 272, 273).
Der dritte und letzte Teil widmet sich der griechischen Literatur und Philosophie als Kontext für die Interpretation von Philon. Jason König untersucht die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt in der Vita von Moses und Flaccus (321-339), um deren Bedeutung für eine öko-kritische Betrachtung der späthellenistischen, imperialen und spätantiken griechischen Literatur zu erforschen. Sowohl die Über- als auch die Unterlegenheit der Menschen gegenüber den Naturkräften kommen in Buch 1 des Leben des Moses viel deutlicher zum Ausdruck als in der Septuaginta-Version der Exodus-Geschichte. Philons Faszination für Umweltthemen sei ein Bestandteil seiner Verbundenheit mit den Konventionen der griechischen biografischen und philosophischen Literatur (321). Königs Artikel gliedert sich wie folgt: Die Juden in Ägypten, die Plagen, die Wüste, das Leben Moses (das zweite Buch) und schließlich das Werk In Flaccum. Im Abschnitt über die Juden in Ägypten stellt der Autor fest, dass Philon die Metapher des Hirten der Völker verwendet, um die Persönlichkeit Moses zu beschreiben. Es handele sich um einen Ausdruck, der angeblich in den homerischen Epen vorkomme, und der Moses in eine Reihe heroischer Führer der griechischen und römischen Literatur stelle (326). Hier sind Klarstellungen erwünscht, auf welche Autoren, Dichter oder Historiker sich der Autor bezieht, so wie König dies korrekterweise über philonische Assoziationen mit Kallimachos oder Plutarch macht (327). Was die Immunität der Eliten gegenüber Umweltkatastrophen betrifft – während einfache Schichten des Volkes darunter litten –, möchte ich Vorbehalte gegenüber der Einschätzung äußern, dies sei angeblich ein Standardbild des antiken und modernen Denkens gewesen (331). In der Geschichtsschreibung der klassischen Zeit existiert kein Hinweis auf eine solche Feststellung, denn die Beschreibungen der Ausbreitung von Epidemien und Katastrophen in der natürlichen Umwelt lassen nichts dergleichen für die Eliten der Gesellschaften vermuten. Im Folgenden formuliert der Autor zutreffend, dass einige Verweise auf physis in Buch 2 des Leben des Moses Philons Überlegungen zum Gegensatz zwischen jüdischer Harmonie und ägyptischer Disharmonie mit der natürlichen Welt weiterführen (334). Jenseits jeder allegorischen Interpretation sei dies Teil eines Versuchs, „die Natürlichkeit der jüdischen Religion und ihre Auswirkung auf die jüdische Identität zu erforschen“. Es erscheint mir sinnvoll, an dieser Stelle mögliche Parallelen zur „Natürlichkeit“ anderer Religionen oder sozialer Gruppen der klassischen Antike oder der Spätantike aufzuzeigen. König bietet eine innovative Interpretation des letzten Satzes der Beschreibung der Hinrichtung im Werk In Flaccus 191 (S. 337). Es wäre lohnend, zum Vergleich die Beschreibung von Hinrichtungen anderer Persönlichkeiten in der antiken Geschichtsschreibung heranzuziehen, beispielsweise die der athenischen Feldherrn Nikias und Demosthenes in Sizilien. Es handelt sich wahrscheinlich um eine gängige Technik der Autoren, die diesen Satz nach der Hinrichtung von Anführern als Schlussfolgerung verwendeten, um ihre Erzählung zu dramatisieren. Die Darstellung des menschlichen Kampfes mit Umweltkräften und die öko-kritischen Anklänge an zwei Werke von Philon und die biblische Erzählung vom Exodus werden überzeugend dargestellt. Allerdings wird der „Kontext der ungleichen Ausübung imperialer Macht“ nicht besonders hervorgehoben.
Der insgesamt lesenswerte Sammelband bietet originelle und vielschichtige Analysen des Einflusses von Philon auf Philosophie, Literatur und Geschichte. Viele Aufsätze befassen sich mit Themen, die bisher in der Forschung noch nicht behandelt wurden. Ein Band wie der vorliegende, der einen langen Zeitraum und Gebiete von großer geografischer Ausdehnung im gesamten Mittelmeerraum abdeckt, sollte allerdings detailliertere Register enthalten. Von den drei Themenbereichen bietet der erste Teil mit sieben Aufsätzen ein umfassendes Bild der Verhältnisse unter der Herrschaft des Römischen Reiches. Weniger erschöpfend erscheint mir der dritte Teil, in dem der Versuch unternommen wird, Verbindungen Philons zur griechischen Literatur und Philosophie aufzuzeigen. Dieser zu knapp gehaltene Teil überzeugt weniger und steht in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den beiden anderen Teilen des Bandes. Darüber hinaus meine ich, dass die Verbindungen zur griechischen Literatur, wie sie in den beiden Artikeln des dritten Teils dargestellt werden, nicht völlig überzeugend sind. König befasst sich mit Plutarch und der Beitrag von Volker Henning Drecoll handelt von dem alexandrinischen Platoniker Severus. Angebracht wäre zudem, den Titel des dritten Teils zu präzisieren: „Griechische Literatur zur Zeit des Römischen Reiches“. Der Zweck dieses Abschnitts war möglicherweise, das Interesse des Publikums zu wecken. Immerhin könnte damit ein Anstoß für neue Forschungen gegeben sein. Dieser Sammelband schließt an die Monografie der Herausgeberin Maren Niehoff über die intellektuelle Biografie Philons an und ist über weite Strecken eine Art Fortsetzung. Beide Werke sind miteinander verknüpft. Der jetzt vorliegende Band trägt zum tieferen Verständnis vieler Passagen der intellektuellen Biografie bei. Andererseits bereitete die intellektuelle Biografie darauf vor, den Einfluss Philons auf andere Bereiche und Epochen zu erforschen. Das Buch erweitert den thematischen, zeitlichen und geographischen Horizont des jüdischen Philosophen aus dem kosmopolitischen Alexandria. Als authentischer Teil des jüdischen und hellenistischen Kosmos nahm er viele Einflüsse auf, gab aber noch mehr Impulse zurück.