Wirtschaftlicher Strukturwandel und religiöse Minderheit: Die Rolle der jüdischen Uhrenfabrikanten in der Industrialisierung der schweizerischen Uhrmacherei.

Stefanie Mahrer  
Universität Bern
stefanie.mahrer@unibe.ch

Abstract

Towards the end of the 19th century, the previously thriving Swiss watchmaking sector found itself in a deep economic crisis. The fact that the economic sector found its way out of this plight was largely due to Jewish watchmakers and dealers, who brought about structural change through openness and innovative strength. It is therefore necessary to ask why it was necessary for this immigrant minority group to modernize a branch of production that was central to Swiss export trade. After a brief introduction to the economic history of Switzerland and the process of industrialization, as well as some general explanations of the history of watch production, this article deals with the Jewish contribution to the industrialization of Swiss watchmaking. In addition to an economic-historical perspective, cultural, religious, and social-historical aspects are also examined. Finally, based on the example of the Jewish watch manufacturers, the question will be pursued as to what contribution microhistory can make to the understanding of large processes, or to put it another way: what can the peripheral case of Jewish watchmakers in the Neuchâtel Jura contribute to the history of industrialization?

1 Einleitung

In den 1770er- und 1780er-Jahren setzte in Großbritannien die industrielle Revolution ein und transformierte innerhalb kürzester Zeit die dortige Wirtschaft und Gesellschaft. Für den kontinentaleuropäischen Markt hatte dies, solange die Kontinentalsperre andauerte, kaum Auswirkungen. Als jedoch 1813 die Sperre zusammenbrach, wurde die Konkurrenz der englischen Industrie für die kontinentalen Produktionsgebiete kaum mehr tragbar. Die vergleichbar hohen Produktionskosten in Europa mussten auf die Endabnehmer abgewälzt werden, die jedoch nun die Möglichkeit hatten, die sehr viel günstigeren Produkte aus England zu kaufen. Diese Situation war eine große Gefahr für die zentraleuropäischen Produktionsgebiete und Märkte, gab aber gleichzeitig wichtige Impulse für die Entwicklung in Europa.1 Mitte des 19. Jahrhunderts war England, so David Landes, „das Idealmodell industrieller Leistungsfähigkeit: für einige ein Schrittmacher, den es zu kopieren und zu übertreffen galt, für andere eine überlegene Wirtschaftsmacht […].“2 Die Schweiz zeigte sich, wie die übrigen Länder des sogenannten Kerneuropas3, den industriellen Impulsen Englands gegenüber offen.

Die Uhrenfabrikation, die neben der Textilindustrie zu den wichtigsten exportorientierten Wirtschaftszweigen der Schweiz gehörte, industrialisierte sich jedoch erst im letzten Quartal des 19. Jahrhunderts, und dies unter besonderen Umständen. Es waren vor allem jüdische Uhrenhändler und Uhrmacher, die maschinelle und serielle Produktionsweisen einführten. Die jüdischen Akteure migrierten im Laufe des Jahrhunderts vor allem aus dem Elsass in den Neuenburger Jura, wo sie sich in die lokale Wirtschaft und Eliten integrierten.4 Während andere Wirtschaftszweige in der Schweiz sich der Einführung von industriellen Produktionsweisen gegenüber offen zeigten, was zu einem Strukturwandel führte, verschlossen sich die Uhrmacher vorerst gegenüber den industriellen Fertigungsmöglichkeiten.

In diesem Beitrag soll es um die jüdischen Uhrenunternehmer gehen, die die Industrialisierung der schweizerischen Uhrenindustrie angeregt haben. Die schweizerische Uhrenproduktion befand sich ab den 1870er-Jahren in einer tiefen Krise, hätten die vornehmlich jungen jüdischen Uhrmacher, die alle aus Migrantenfamilien stammten, den Strukturwandel in der Produktion nicht angestoßen. Ohne diesen Wandel wäre die Neuenburger Uhrenindustrie wohl gegen Ende des 19. Jahrhunderts eingegangen. Es gilt daher zu fragen, warum es dieser zugewanderten Minorität5 bedurfte, einen für den Schweizer Exporthandel zentralen Produktionszweig zu modernisieren.

Nach einer kurzen Einführung in die Wirtschaftsgeschichte der Schweiz und den Prozess der Industrialisierung sowie einigen allgemeinen Darlegungen zur Geschichte der Uhrenproduktion wird der Hauptteil des Aufsatzes den Beitrag der Juden zur Industrialisierung der schweizerischen Uhrmacherei behandeln. Dabei werden neben einer wirtschaftshistorischen Perspektive auch kultur-, religions- und gesellschaftshistorische Aspekte beleuchtet, da ein Erklärungsansatz für unsere Fragestellung nur mit einem methodisch integrativen Zugang erarbeitet werden kann. Abschließend soll anhand des hier behandelten Beispiels der jüdischen Uhrenfabrikanten der Frage nachgegangen werden, welchen Beitrag die Mikrogeschichte für das Verständnis großer Prozesse leisten kann, oder anders gefragt: Was vermag der periphere Fall der jüdischen Uhrmacher im Neuenburger Jura, zur Geschichte der Industrialisierung beizutragen?

2 Der Strukturwandel in der Schweizer Uhrmacherei im Kontext der Industrialisierung

Die Schweiz industrialisierte sich vergleichsweise früh. Zwar lebten im 18. Jahrhundert noch 90 Prozent der Einwohner*innen von der Landwirtschaft, der größere Teil der Landbevölkerung betätigte sich jedoch gleichzeitig gewerblich. Das Ackerland und die klimatischen Bedingungen erschwerten vor allem in den Berggebieten die Landwirtschaft, da die Böden karg und die Winter lang waren. Die Einschätzung der Bedeutung dieser Gewerbetätigkeit geht in der Forschung jedoch weit auseinander. Während François de Capitani die auf dem Land eingeführte Industrie im Ancien Régime als „komplementär zum Ackerbau“ bezeichnet, die immer nur an zweiter Stelle stand,6 geht Christoph Buchheim davon aus, dass im 18. Jahrhundert zwei Drittel der Landbevölkerung „wesentlich von gewerblicher Betätigung“ lebten.7 Unbestritten ist jedoch, dass die Protoindustrie für die spätere Industrialisierung wichtige Grundlagen schaffte.

Dass sich protoindustrielle Zentren in der Schweiz vornehmlich auf dem Land entwickelten, war dem Umstand geschuldet, dass das städtische Gewerbe noch wie im Mittelalter in Zünften organisiert war, auf dem Land das strenge Zunftrecht jedoch nicht galt. Zwar entstanden im Laufe des 16. Jahrhunderts in den Landschaften der Nord-, Ost- und Mittelschweiz Landzünfte, neben den organisierten Landmeistern gab es jedoch auch ausgebildete, aber nicht organisierte Gesellen und angelernte oder autodidaktische „Stümper“.8 Während in den Städten nur zünftisch organisierte Handwerker geduldet wurden, fand sich auf dem Land ein Nebeneinander von organisierten und nicht organisierten Handwerkern, die in aller Regel einer landwirtschaftlichen Haupt- oder Nebenerwerbstätigkeit nachgingen. Für die Geschichte der Industrialisierung und der Uhrmacherei sind vor allem die ungelernten Handwerker, also die Stümper, von Bedeutung. Ab dem 16. Jahrhundert wurde, um die strengen Vorschriften der Zünfte zu umgehen, die gewerbliche Produktion aufs Land verlegt. Die zünftisch organisierten Unternehmer stellten den ländlichen Arbeitern das Rohmaterial zur Verfügung, ließen es von ihnen verarbeiten und verkauften die fertigen Produkte. Das Verlagssystem prägte ab dem 16. Jahrhundert die gewerbliche Produktion der Schweiz, aber nicht nur im Uhrensektor.

Die Schweiz verfügt weder über Rohstoffe, noch hat sie direkten Zugang zu den günstigen Handelswegen der Seeschifffahrt. Jean-François Bergier sieht diese Faktoren als eigentliche Grundlage der Schweizer Wirtschaftsgeschichte, denn die Schweiz war unter diesen Umständen gezwungen, „diese Mängel durch den zusätzlichen Wert hochspezialisierter Arbeit, durch den Erfindungsgeist der Hersteller und eine immer größere Rationalisierung der Organisation wettzumachen.“9 Die Herstellung von Luxusgütern sollte dann auch die Schweizer Exportwirtschaft prägen. Mitte des 16. Jahrhunderts wurden die ersten Seidenwebereien in Genf, Zürich und Basel gegründet. Eingeführt wurden sie durch protestantische, meist calvinistische Glaubensflüchtlinge aus Frankreich und Italien.10 Genf, die einst wichtigste Bankmetropole der oberitalienischen Banken nördlich der Alpen, war Mitte des Jahrhunderts gänzlich verarmt, erlebte nun aber, ausgelöst durch die protestantischen Flüchtlinge, einen wirtschaftlichen Aufschwung und wurde reicher als je zuvor. Denn die calvinistischen Flüchtlinge brachten neben ihrem technischen Wissen auch ihr Vermögen und ihre Geschäftsverbindungen mit. Sie verbanden das Textilgeschäft mit Geldgeschäften und bildeten dadurch bald die neue städtische Wirtschaftselite. Der zweite Wirtschaftszweig, der durch den Einfluss der protestantischen Flüchtlinge entstand, war die Uhrmacherkunst, weil technisch versierte und gleichzeitig vermögende Immigranten aus Flandern, Lyon, Lothringen und Paris die ersten Uhrmachergeschäfte gründeten. Um die Zünfte zu umgehen und Kosten zu sparen, begannen Ende des 16. Jahrhunderts die in der Rhone-Stadt ansässigen Uhrmacher, im Neuenburger Jura ein Verlagssystem aufzubauen. Auch Zürich und Basel profitierten von den protestantischen Glaubensflüchtlingen, die auch dort Seidenwebereien einführten und mit ihren Handelsnetzwerken für den Absatz der Waren sorgten.

Eine zweite Einwanderungswelle von hugenottischen Flüchtlingen, also ebenfalls Calvinisten, ausgelöst durch die Aufhebung des Ediktes von Nantes durch König Ludwig XIV. im Jahr 1685, führte zum großen Aufschwung der schweizerischen Baumwollverarbeitung im 18. Jahrhundert. Aber auch die Uhrmacherei erlebte im 17. Jahrhundert einen wirtschaftlichen Aufschwung sondergleichen. In Genf, wo bereits französische und flämische Uhrmacher ansässig waren, brachten die neuen Flüchtlinge weiteres technisches Wissen sowie Kapital mit. Dass die Zünfte in Genf weniger regulierend oder, wie es Bergier nennt, „antikapitalistischer“11 auftraten als in Zürich, Basel und St. Gallen, ermöglichte das rasante Wachstum. 1601 schlossen sich die Genfer Uhrmacher zwar zu einer eigenen Zunft zusammen, sie erlaubten aber eine Arbeitsteilung zwischen den kaufmännisch tätigen Uhrmachermeistern und den einfachen Handwerkern. Die Meister stellten das Kapital zur Verfügung und sorgten für den Export, während die spezialisierten Arbeiter sowie die ungelernten Hilfskräfte für die Produktion verantwortlich waren.12 Dieses sehr kleinteilige Verlagssystem der Genfer Uhrmacherei hatte über zweihundert Jahre lang Bestand und ist unter dem Begriff der Etablissage bekannt.

Der Aufschwung in der Uhren- und Textilbranche, ausgelöst durch den Zufluss von neuem Kapital und Wissen, war für die Entwicklung der Schweizer Wirtschaft entscheidend und führte sie in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts an den Rand der Industrialisierung. Das Verlagssystem dehnte sich auf Kosten der Zünfte, die immer mehr als Hemmnis für Wachstum wirkten, aus. Gleichzeitig konzentrierte sich das Kapital auf wenige Familien, deren Einfluss stetig anwuchs. In der Textilbranche entstanden die ersten Fabriken, in denen die Arbeiter nicht mehr verstreut zu Hause, sondern unter einem Dach produzierten, als eigentliche Weiterentwicklung des Verlagssystems, das langsam an seine Grenzen stieß. Mit der Helvetik (12. April 1789 bis 10. März 1803) wurde kurz vor der Jahrhundertwende zudem, zumindest für kurze Zeit, die Gewerbefreiheit eingeführt, die jedoch in Basel, Zürich, Schaffhausen und Solothurn bereits 1803 mit der Wiedereinsetzung der Zünfte wieder aufgehoben wurde. In der Süd- und Westschweiz jedoch, also dem Zentrum der schweizerischen Uhrmacherei, hielt sich die Gewerbefreiheit gänzlich.

Die gewerbliche Tradition im Land, ein technisch hohes Niveau, eine Vertrautheit mit den zu bearbeitenden Rohstoffen, das reichliche Vorhandensein von günstiger Antriebskraft durch Wasser, das Netz der Geschäftsverbindungen nach Europa, in den vorderen Orient und nach Übersee sowie das Bevölkerungswachstum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren ideale Voraussetzungen für die industrielle Revolution in der Schweiz, die zeitlich eng an die englische anschloss.13 Zu Beginn beschränkte sich der industrielle Wandel nur auf die Baumwollspinnerei, parallel dazu standen die vorindustriellen, jedoch nicht weniger mächtigen und kommerziell modern geführten Branchen des Seiden- und Uhrengewerbes. Im Sektor der Uhrenherstellung setzte die Industrialisierung, angeregt durch jüdische Immigranten, erst Ende des 19. Jahrhunderts ein. Diese Entwicklungen sollen nun im Detail beleuchtet werden.

3 Vom Uhrenhändler zum Unternehmer – der Beitrag der Juden zur Industrialisierung der schweizerischen Uhrmacherei

England war im 18. Jahrhundert die führende Nation der Uhrmacherei. Dank des hohen Grades an Arbeitsteilung und unübertroffenem technischem Können vermochten die dortigen Produzenten pro Jahr an die 100 000 Uhren zu bauen. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts begannen jedoch einige englische Produzenten, Uhren anderer Hersteller unter ihrem Namen zu handeln. Im Zuge dieser Entwicklungen wurde die Produktion teilweise ins Ausland verlagert, u. a. in Gebiete der heutigen Schweiz. Mit der Auslagerung der Produktion wurden aber nicht nur erhebliche Produktionskosten eingespart – die Löhne für ungelernte Heimarbeiter*innen lagen bis zu zwei Drittel unter den Ansätzen der gelernten Uhrmacher in England –, sondern es gelangte auch technisches Wissen auf den Kontinent.14

Die historische Forschung hat bis heute nicht genau rekonstruieren können, warum und auf welchem Weg die Uhrmacherei in die Täler des Neuenburger und Berner Juras, des späteren Zentrums der Schweizer Uhrmacherei, gelangte. Hans Rudolf Egli und Peter Röthlisberger machen zwei Zentren fest, von denen sich die Uhrenindustrie ausgebreitet hat: erstens von Genf aus in den Waadtländer Jura und zweitens von La Chaux-de-Fonds und Le Locle ins Erguel und von dort aus weiter nach Biel.15

Die ersten Uhren oder Uhrenbestandteile wurden wohl in den letzten zwei Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts in Le Locle oder La Chaux-de-Fonds gefertigt. David S. Landes verweist auf die hugenottischen Flüchtlinge aus dem katholischen Frankreich, die Uhrmacherwissen mit sich über die Grenze trugen.16 Viele hugenottische Uhrmacher ließen sich, wie bereits oben deutlich wurde, in der Folge in Genf nieder, wo die ansässigen Uhrmacher, die bekanntlich ebenfalls aus protestantischen Flüchtlingen hervorgingen, vom neuen Wissen und den gelernten Arbeitskräften profitierten.17 Sowohl Landes wie auch Adolf Pfleghart verweisen darauf, dass infolge der Hugenottenvertreibungen hugenottische und Genfer Uhrmacher in die Hügel des heutigen Kantons Neuenburg migrierten18 und dort gemeinsam mit lokalen Autodidakten die erste Generation von Uhrmachern bildeten.19

Abbildung 1Carte pour le pays de l’horlogerie / Fabrique d’horlogerie Seeland

Die jurassischen Uhrmacher profitierten in erster Linie von den strengen Zunftgesetzen der Stadt Genf. Diese Regulierungen schützten einerseits, wie auch in Basel, die ansässige Oberschicht der Handwerker, andererseits bremsten sie den sich im Wachstum befindenden Industriezweig.20 Die Etablissage, das Verlagssystem der vorindustriellen Uhrenmanufaktur, kam der Bevölkerung des Jurabogens sehr gelegen. Lange und sehr kalte Winter sowie magere Böden zwangen die Bevölkerung zu zusätzlicher Heimarbeit, um das Auskommen der Familien zu sichern. Insbesondere wenn eine dicke Schneeschicht die Hügel von Oktober bis April zudeckte und der Zugang zum Tal oft wochen-, wenn nicht gar monatelang abgeschnitten war, wurde in den bäuerlichen Stuben gesponnen, gewoben und vor allem Spitze hergestellt. Diese Handarbeiten wurden aber innerhalb kurzer Zeit komplett von der Fertigung von Uhrenteilen abgelöst. Dank des hohen Grades an Arbeitsteilung in der Uhrenproduktion war es ein Leichtes, die nötigen Fertigkeiten rasch zu erlernen, und so verrichteten schlecht bezahlte Frauen und Kinder die Arbeit, die in England nur teuren Facharbeitern vorbehalten war. Nur die komplexesten Arbeitsgänge wurden von ausgebildeten Uhrmachern verrichtet. Zu Beginn wurden im Jura hauptsächlich französische und Genfer Uhren kopiert, später auch englische. Im Gegensatz zu Genf und vor allem zu England fertigten die Uhrmacher des Juras günstige Uhren und waren offen gegenüber technischen Erneuerungen. Insbesondere die in Frankreich entwickelte Zylinderuhr trug zum Erfolg der jurassischen Uhrenindustrie bei, denn sie war um einiges dünner als die bis zu zwei Zentimeter dicken englischen Uhren. Wiederum waren es die Schweizer und die Neuenburger, die den Trend aus Frankreich aufgriffen, ihn weiterentwickelten und bald flache und elegante Uhren zu niedrigen Preisen anboten.21

Tabelle 1: Entwicklung der jüdischen Bevölkerung in La Chaux-de-Fonds und deren Anteil an der Gesamtbevölkerung

Jahr Gesamtbevölkerung Jüdische Bevölkerung %
1796 Ca. 3407 4 0,12
1844 Ca. 11 114 65 0,58
1850 13 268 231 1,74
1860 16 915 283 1,67
1880 22 376 541 2,42
1888 Ca. 26 264 608 2,31
1900 27 236 914 3,35
1910 35 971 900 2,50
1920 37 915 800 2,11

Anhand der anwachsenden Bevölkerungszahlen (siehe Tabelle 1) in La Chaux-de-Fonds lässt sich gut ablesen, wie schnell die Uhrenbranche Fuß fasste und Erfolg nach außen abstrahlte: Zahlreiche gelernte Uhrmacher wie auch ungelernte Arbeiterfamilien zog es in die unwirtlichen Höhen des Neuenburger Juras. Das Dorf verzeichnete aber nicht nur ein demografisches Wachstum, sondern bald auch ein wirtschaftliches. In der Literatur wird von La Chaux-de-Fonds als fabrique collective gesprochen, was bedeutet, dass La Chaux-de-Fonds aus zahlreichen Ateliers und comptoirs bestand, die untereinander in mehrschichtigen Abhängigkeiten standen. Mit dem Erfolg der zwei Uhrmacherorte Le Locle und La Chaux-de-Fonds begannen diese, wie zuvor Genf, zu expandieren und billigere Arbeitskräfte außerhalb der städtischen Siedlungen zu finden. Die Établisseure Le Locles bewegten sich in Richtung Val de Travers, während diejenigen aus La Chaux-de-Fonds in den heutigen Berner Jura auswichen.22 Ab dem zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts waren die Schweizer und dabei vor allem die Neuenburger Uhrmacher weltweit führend in der Uhrenproduktion. England hatte die technischen Erneuerungen verpasst und konnte auf dem Markt nicht länger überzeugen. Landes fasst diesen Ablösungsprozess an der Weltspitze lakonisch zusammen: „In short, the Swiss made watches to please the customers; the British made watches to please themselves.“23

Die aufstrebende Uhrenindustrie in Neuenburg zog nicht nur Uhrmacher und Arbeitskräfte nach La Chaux-de-Fonds und Le Locle, sondern vermehrt auch Händler, die für das Wachstum der Uhrmacherei ebenso relevant waren wie die Fachleute und die Arbeiter. In dieser wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung ließen sich die ersten jüdischen Händler nieder, die ihrerseits über gut gefestigte Handelsbeziehungen nach Basel und nach Frankreich verfügten. So sorgten sie für den Absatz von Uhren und importierten gleichzeitig als Edelmetallhändler einen Teil der benötigten Rohstoffe. Es ist davon auszugehen, dass jüdische Viehhändler24 schon früher Handelsbeziehungen in den Jura pflegten, denn die jurassische Agrarwirtschaft lebte von der Viehmast.25 Erst als Uhrenhändler aber legten sie den Grundstein für die späteren jüdischen Gemeinden im Arc du Jura.

Abbildung 2Jüdische Bevölkerung La Chaux-de-Fonds’

Nicht ohne Grund ließen sich die ersten jüdischen Händler Ende des 18. Jahrhunderts im Neuenburger Jura nieder, denn die Zeit der Helvetik bedeutete für die Juden auf dem Gebiet der späteren Schweiz eine Zeit relativer Rechtssicherheit. Bis dahin war ihnen, mit Ausnahme der zwei sogenannten Judendörfer Endigungen und Lengnau in der Grafschaft Baden (späterer Kanton Aargau), die Niederlassung versagt. Die Möglichkeit zur freien Niederlassung kam jedoch mit dem Zusammenbruch des napoleonischen Systems im Jahr 1813 zu einem schnellen Ende. In Neuenburg verloren damit die Jüdinnen und Juden bis zur Gewährung der kantonalen Niederlassungsfreiheit im Jahr 1857 jegliche Rechtssicherheit.26

Niederlassungswillige Jüdinnen und Juden mussten Anträge zur Duldung stellen und auf den guten Willen der Behörden hoffen. Bis in die 1850er-Jahre kam es immer wieder zu Anträgen, die ansässigen Juden auszuweisen. Die Vertreibung der ansässigen jüdischen Familien wäre, so sind sich die Historiker*innen einig, unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten keineswegs sinnvoll gewesen, da ihre Handelsbeziehungen für den Absatz der lokal gefertigten Produkte von großer Bedeutung waren.27 Im Dezember 1818 setzten sich christliche Établisseure von Le Locle und La Chaux-de-Fonds aus wirtschaftlichen Überlegungen für den Verbleib der jüdischen Händler ein, scheiterten zunächst jedoch mit ihrem Antrag. Erst zu Beginn des Jahres 1819 revidierte der Neuenburger Rat, nach einer Intervention des französischen Geschäftsträgers Talleyrand und des preußischen Ministers Fürst von Hardenberg, den gültigen Ausweisungsbeschluss.28 Das Niederlassungsrecht für die jüdischen Familien musste jedoch jährlich erneuert werden.29 Die Meldung des Maire von La Chaux-de-Fonds im Jahr 1839, dass in seiner Stadt 36 Juden – Frauen und Kinder nicht mitgezählt – lebten, die einen äußerst schlechten Einfluss auf den Handel hätten, blieb im Staatsrat ohne Folgen.30 Auf gesetzlicher Ebene kann die Rechtslage bis zur Gewährung der freien Niederlassung durch den Kantonsrat im Jahr 1857 nicht als gesichert betrachtet werden; in der Praxis schienen Vertreibungen jedoch nicht mehr möglich zu sein, wobei es La Chaux-de-Fonds wiederholt zu verhindern wusste, jüdischen Immigranten eine Aufenthaltsbewilligung zu gewähren.

In der Retrospektive sehen wir eine seit dem 18. Jahrhundert kontinuierlich anwachsende jüdische Gemeinschaft im Neuenburger Jura (siehe Abbildung 2), für die Betroffenen war diese Kontinuität wohl nur schwer vorhersehbar. Einerseits konnten die Händler und somit auch deren Familien auf die Unterstützung von christlichen Uhrmachern und Établisseuren zählen, andererseits waren sie der Willkür der Regierung ausgesetzt, der es freistand, die Juden von ihrem Hoheitsgebiet zu vertreiben. Die Emanzipation der französischen Juden bedeutete jedoch bis zu einem gewissen Grad eine Sicherheit gegen Vertreibung, da sich Frankreich bis 1826 (Ausschluss jüdischer französischer Staatsbürger von einem Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und Frankreich) in mehreren Fällen gegen die Diskriminierung französischer Staatsbürger einsetzte.31

Für die jüdische Bevölkerung ging die Willkür zwar mit großen Unsicherheiten einher, dennoch versuchte aber eine immer größer werdende Zahl an jüdischen Elsässer*innen, in den Uhrmacherort zu migrieren. Trotz der restriktiven Niederlassungspolitik wuchs die jüdische Bevölkerung La Chaux-de-Fonds’ in den Jahren 1844 bis 1860 von 65 auf 283 Personen an. Diejenigen, die abgewiesen wurden, ließen sich nicht selten in einem der Nachbarorte nieder. Trotz der ablehnenden Haltung gegenüber Juden blieb La Chaux-de-Fonds weiterhin ein attraktives Migrationsziel, da das wirtschaftliche Wachstum in der Stadt eine Möglichkeit zum ökonomischen und gesellschaftlichen Aufstieg bot.

Eines der ersten jüdischen Handelshäuser für Uhren (comptoir d’horlogerie) wurde dann auch nicht in La Chaux-de-Fonds gegründet, sondern in St. Imier, einem kleinen Dorf, etwas über drei Fußstunden von La Chaux-de-Fonds entfernt, im Kanton Bern gelegen. 1850 gründeten die aus Hegenheim stammenden Brüder Marc und Emmanuel Didisheim, weil ihnen eine Niederlassung in La Chaux-de-Fonds verwehrt wurde, ihr Geschäft in St. Imier. In drei Publikationen zum hundertjährigen Bestehen des Hauses Marvin, so nannte sich die Firma ab dem Jahr 190832, und in einem Artikel in der Revue internationale de l’horlogérie von 1912, werden die zwei Brüder als Gründer des Comptoirs, aber auch als Besitzer eines Ateliers33 und als Förderer und Weiterentwickler der mechanischen Uhrenherstellung bezeichnet.34 Was waren Marc und Emmanuel aber wirklich? Waren sie nun Uhrenhändler oder Uhrmacher? Wie bei vielen anderen lässt die Quellenlage eine abschließende Beantwortung der Frage nicht zu. Es ist möglich, dass einer oder gar beide Brüder an der eigentlichen Produktion von Uhren beteiligt waren. Es ist aber auch denkbar, dass sich ihre Funktion auf die Organisation der Produktion und auf die Distribution von Uhrenteilen und ganzen Uhren beschränkte. Mit Bestimmtheit lässt sich nur sagen, dass die zwei Zuwanderer als Händler tätig waren und dass dank ihres Erfolges ihr Geschäft schnell wuchs. Die Saint-Immer Didisheim-Brüder gehörten zur zweiten Generation der jüdischen Uhrenhändler und Uhrenproduzenten. Diese legten das Fundament für die später erfolgreichen und teilweise sehr bekannten jüdischen Vertreter in der Uhrenindustrie.

Abbildung 3Netzwerk der Etablissage in der jurassischen Uhrenproduktion

Diese zweite Generation von Uhrenhändlern und Uhrenproduzenten unterscheidet sich in mehreren Punkten von den zuvor schon ansässigen jüdischen Händlern. Augenfällig ist die Spezialisierung des Sortiments auf Uhren und Uhrenbestandteile. Der Handel mit Produkten der Uhrenindustrie war für die elsässischen Juden im Jura zwar schon zuvor von großer Bedeutung – es war gerade diese Branche, welche die Region für Immigranten attraktiv machte. Man kann aber nur in den seltensten Fällen davon ausgehen, dass eben jene Händler exklusiv mit Uhrenprodukten handelten. Die Vertreter der ersten Migrationswelle waren vielmehr Händler, die auch mit Uhren handelten, deren Handelsware aber stark marktabhängig war. Die jüdischen Händler sorgten nicht nur dafür, dass die Uhrenprodukte zu Zwischenhändlern oder Endabnehmern außerhalb des Juras gelangten, sondern auch dafür, dass die Uhrenzentren mit Edelmetallen sowie mit Gegenständen des alltäglichen Lebens versorgt wurden.35 Es waren Kleinhändler, die für die lokale Wirtschaft zwar nicht unbedeutend waren, die aber als Zwischenhändler in den Markt selbst nicht formend eingriffen. Es wurde mit Produkten gehandelt, die der Markt verlangte; die Produktpalette an sich wurde nur beschränkt von den jüdischen Händlern beeinflusst. Erst die Eröffnung von eigenen Geschäften und Comptoirs mit nur noch einem Produktsegment änderte die Positionierung der Händler. Ein Ladenbesitzer bestimmt stärker als ein mobiler Zwischenhändler seine Position in den wirtschaftlichen und urbanen Strukturen.

In der Uhrenbrache, wie in anderen protoindustriellen Wirtschaftsbereichen auch, vermischen sich die Grenzen zwischen Produktion und Distribution. Der Etablisseur bewegt sich genau auf dieser Schnittstelle – er ist weder ein eigentlicher Händler noch ein Produzent. Er bestellt in einem engen Netz von Zulieferern und Einzelteilproduzenten die Bestandteile einer Uhr und lässt diese in seinem Atelier oder Comptoir zusammenstellen (siehe Abbildung 3). Manche übernahmen das Zusammenbauen und Kontrollieren der Zeitmesser auch selbst.36 Aus diesem Grund lässt sich auch nicht mehr eruieren, ob die Brüder Didisheim bloße Händler oder aber Händler und Produzenten zugleich waren.

Die zwei Jahrzehnte von 1840 bis 1860 sind, so lässt sich zusammenfassend sagen, die Jahrzehnte der unternehmerischen Anfänge der jüdischen Zuwanderer. Mit der Gründung von Geschäften und in gewissen Fällen wohl schon Ateliers schufen sie aber nicht nur die nötigen wirtschaftlichen Strukturen, um in die regional führende Branche der Uhrmacherei als Entscheidungsträger einzusteigen, sondern auch den Zugang zu einem neuen Berufsfeld – der Uhrmacherei.

Die Etablierung der jüdischen Uhrmacher fiel in die Zeit der ersten großen Wirtschaftskrisen in der Schweizer Uhrenbranche und des daraus hervorgehenden Strukturwandels, an dem die jüdischen Produzenten maßgeblich beteiligt waren. Im Jahr 1872 exportierte die Schweiz Uhren und Uhrenteile im Wert von 18,3 Millionen Franken in die Vereinigten Staaten. Ein Jahr später betrug die Exportsumme noch 13,1 Millionen und 1876 nur noch einen Bruchteil davon, nämlich 4,8 Millionen Franken. Die amerikanischen Firmen produzierten bereits in den 1870er-Jahren ein Mehrfaches der Produktion der größten Schweizer Uhrenhersteller. Während die durchschnittliche Arbeitsleistung eines Uhrmachers in der Schweiz, gemessen an der Zahl gefertigter Uhren Mitte der 1870er-Jahre, 40 betrug, lag sie nur wenig später in den USA bei 150.37 Die Diskrepanz zwischen den zwei Zahlen liegt in den unterschiedlichen Produktionsweisen in den USA und in der Schweiz. Sie illustrieren die problematische Lage der Schweizer Uhrenproduktion.

Der Uhrenmarkt hatte sich verändert, denn die serielle und maschinelle Produktion von Uhren in den USA begann, den Weltmarkt zu bestimmen.38 Die schweizerische Uhrenindustrie kam in starke Bedrängnis und insbesondere die Uhrenregion im Neuenburger und Berner Jura um die Stadt La Chaux-de-Fonds herum war vom Einbruch des Absatzes in den USA stark betroffen. Die Region lebte fast ausschließlich von der Uhrenindustrie. Uhrenhistoriker sind sich jedoch einig, dass die Uhrenkrise der 1870er-Jahre in der Schweiz größtenteils selbst verschuldet war.39

Das Problem lag nicht in der Qualität der Schweizer Uhren, sondern in der Tatsache, dass man sich im Arc Jurassien technischen Innovationen gegenüber zu lange verschloss.40 Ein idealisiertes Bild des unabhängigen Uhrmachers sowie der Glaube an die Überlegenheit der Handwerkskunst gegenüber der fabrikmäßigen Produktion von Uhren waren die Gründe für die Innovationsstarre.41 Die Ablehnung ging vorerst von der Uhrmacherelite aus und wurde später von den Arbeitern aufgenommen.42 Die Uhrmacher führten an, dass eine derart filigrane und präzise Arbeit, wie sie die Uhrmacherei verlangte, nur von Menschen geleistet werden könne, während Maschinen die feinen Uhrenteile nur ungenügend herzustellen vermögen.43

An der Weltausstellung in Philadelphia im Jahr 1876 mussten die schweizerischen Produzenten jedoch einsehen, dass die amerikanischen Zeitmesser den schweizerischen in ihrer Präzision überlegen waren. Die Weltausstellung in Philadelphia wird in der Forschung gemeinhin als Moment des Schreckens für die Uhrmacher in der Schweiz und gleichzeitig als Wendepunkt betrachtet. Die offiziellen Delegierten der Schweiz, Edouard Favre-Perret und Thédore Gribi, und ein Abgesandter des regionalen Wirtschaftsverbandes, Jacques David, plädierten nach ihrer Rückkehr in zahlreichen Berichten für eine Modernisierung der Werkzeuge und Maschinen und für eine strukturelle Veränderung der Produktionsweise.44

Die Weltausstellung löste nicht nur ein Nachdenken über eine mögliche Modernisierung aus, sondern auch eine Dynamik in der nationalen und internationalen Vernetzung der Uhrenproduzenten. Eine Reihe von Artikeln, Umfragen und größeren Publikationen zur Uhrenkrise erschien nach der Weltausstellung.45 Die Branche schien aufgerüttelt und sensibilisiert worden zu sein und machte sich daran, Lösungen zu diskutieren. Zwar verharrten insbesondere in La Chaux-de-Fonds Uhrmacher mit einer langen familiären Tradition in diesem Gewerbe in einer Defensivhaltung, dennoch kam Bewegung in das erstarrte System der Etablissage.

Sowohl Donzé wie auch Landes weisen darauf hin, dass der Prozess der Industrialisierung langsam angegangen wurde. Die Modernisierung der schweizerischen Uhrenindustrie hatte bis nach der Jahrhundertwende keine umfassende Industrialisierung zur Folge. Vielmehr etablierte sich eine Mischform zwischen mechanischer Produktion und Handarbeit.46 Landes sieht in dieser „hybriden Form“47 den späteren Erfolg der schweizerischen und insbesondere der jurassischen Uhrenindustrie angelegt. Kleinere Produktionseinheiten förderten die Forschung und Entwicklung von Neuerungen wie zum Beispiel komplizierten Laufwerken. Auch im Sektor der speziell verzierten Uhren und Gehäuse brachte die Handarbeit die besten Resultate. Die in der Schweiz entwickelten und verwendeten Maschinen waren präziser und flexibler im Gebrauch, verlangten aber gut ausgebildete Fachkräfte in der Bedienung. Daneben wurden einfachere, aber genaue Uhren in Massenproduktion von ungelernten Arbeitern, Frauen und Kindern hergestellt. So fasst Landes die Entwicklung gar etwas positiv, aber wohl nicht unbedingt falsch zusammen, indem er sagt: „In the 1870s the Swiss had learnt from America; a generation later they were taking lead in mechanical innovation, to a point where, even in matters mechanical, the United States watch industry became a Swiss dependent.“48

Die 1870er-Jahre waren erst der Beginn der langsamen Modernisierung der schweizerischen und jurassischen Uhrenproduktion. In den Anfangsjahren, und dann vor allem bei der Gründung der ersten Fabriken, waren jüdische Akteure aktiv am Modernisierungsprozess beteiligt, wenn nicht gar die eigentlichen treibenden Kräfte dahinter. Der wirkliche Großerfolg der jüdischen Patrons stellte sich ab den 1880er-Jahren ein. Unter den ersten Fabrikbesitzern in der Uhrenbranche befand sich in der Tat eine überwältigende Anzahl jüdischer Firmenbesitzer. In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass sich von den 17 unter kantonalem Gesetz49 als „Fabriken“ geführten Firmen, also Wirtschaftseinheiten mit mehr als 20 angestellten Arbeiter*innen, acht im Besitz jüdischer Familien50 befanden.51 Gegründet wurde die Mehrheit von ihnen in den 1850er- und 1860er-Jahren als kleine Comptoirs, die unter Leitung der Nachkommen in größere Produktionseinheiten überführt wurden.

Wie lässt es sich nun erklären, dass die jüdischen Akteure die Krise einigermaßen unbeschadet überlebten und schließlich gestärkt daraus hervorgingen? Donzé bezeichnet die jüdischen Patrons als „Initianten“ der Industrialisierung der Uhrmacherei in La Chaux-de-Fonds.52 Der Erfolg der jüdischen Patrons lag im wohlwollenden Aufnehmen der neuen, von Amerika kommenden Produktionsweisen. Die christlichen Etablisseure und die ausgebildeten Arbeiter sträubten sich gegen eine Industrialisierung, weil sie am meisten Macht und Prestige zu verlieren fürchteten. Die jüdischen fabricants d’horlogerie waren im historischen Vergleich Novizen in der Branche. Zwar hatten einige Comptoirs seit Ende der 1840er-Jahre Bestand und deren Gründer und Besitzer waren in das lokale Netzwerk integriert, dennoch war die emotionale Verbundenheit mit Produktionstraditionen nicht so stark wie jene der länger etablierten Uhrmacherelite La Chaux-de-Fonds’. Zudem waren die Juden weniger als christliche Uhrmacher von einem Prestigeverlust betroffen. Denn obwohl sie in das lokale Wirtschaftssystem integriert waren und sich auch die Eingliederung in die Gesellschaft verbesserte, standen sie, wie alle Immigrant*innen, in der Außenwahrnehmung außerhalb des über lange Zeit gewachsenen Systems von Abhängigkeiten und Prestige. Anders als für die seit mehreren Generationen in der Uhrmacherei tätigen nichtjüdischen Familien gab es für die jüdischen wenig zu verlieren. Die ansässigen Uhrmacherfamilien hielten wohl aber auch aus Gründen der Tradition an den bisherigen Produktionsweisen, die ursprünglich ja auch den Erfolg der jurassischen Uhrmacherei begründet hatten, fest. Die Tradition und die Verbundenheit mit der Uhrmacherei wirkten sich unter neuen Vorzeichen nun aber als Bremsklotz für eine Weiterentwicklung aus. Und so fand, als die Ära der Etablissage zu Ende ging, auch die Vormachtstellung der während fast 200 Jahren prägenden La Chaux-de-Fonner Familien ein Ende. Die alte Elite wurde in der Folge durch die neuen Fabrikanten abgelöst – die neue Elite des Uhrmacherortes setzte sich aus jüdischen Patrons und aus self-made-men zusammen. In den Jahren 1880 bis 1914 wurden in La Chaux-de-Fonds acht von 17 Uhrenfabriken von Juden gegründet. Zudem übernahmen die zwei Häuser Schwob Frères et Cie. und Schwob et Cie. aus La Chaux-de-Fonds gemeinsam mit Henri Sandoz im Jahr 1895 die Tavannes Watch Co. SA im Berner Jura – die Fabrik wuchs schnell zu einer der größten in der Schweiz an.53

Trotz der Uhrenkrise nahm also die Zuwanderung von Jüdinnen und Juden und die Neugründung von Uhrmacherbetrieben nicht ab. Vielmehr expandierten einige Firmen, sie bezogen größere Produktionsräume und gründeten Dependancen in europäischen Großstädten wie Paris, Mailand und Berlin. Zudem tauchten unter den Spezialisten der Uhrenhandwerker die ersten jüdischen Namen auf. Der Erfolg der jüdischen Uhrmacherelite basierte also einerseits auf der Gründung erster Fabriken, andererseits auf der handwerklichen Ausbildung und Diversifizierung.

Jean-Marc Barrelet nennt die gut ausgebildeten Spezialisten des Uhrmacherhandwerkes nicht ohne Grund die „Aristokratie der Arbeiter“.54 Das Fertigen von Gehäusen oder Zifferblättern war ein eigentliches Kunsthandwerk und so gab es für viele Uhrenbestandteile Spezialisten, die stetig an Leistungsverbesserung und Präzisierung der Uhr arbeiteten. Nur wenige Uhrmacher konnte man zu den sogenannten Horlogers complets zählen, der kleinen Elite, die ein komplettes Uhrwerk mit all seinen Einzelteilen zu bauen wusste. Dies waren hervorragende Einzelpersonen, die untereinander an Wettbewerben und mit Patenten international konkurrierten. Die Uhrmacherschulen, die Mitte der 1860er-Jahre gegründet wurden, waren ihrerseits ein Gegenpol zu den Uhrmacherlehren, die ein Abbild der starken Arbeitsteilung in der Uhrmacherei waren. An den Schulen wollte man dieser Tendenz entgegenwirken, indem man eben ‚komplette Uhrmacher‘ ausbildete.55 Die Ausbildungsstätten wurden von den führenden Uhrmachern eingerichtet, um ihrem Nachwuchs die nötigen theoretischen und praktischen Fähigkeiten mitzugeben, die diesen zur Führung eines Geschäftes befähigten. Die Ausbildung an der Schule dauerte insgesamt drei Jahre bei einem Schulgeld von fast 500 Franken pro Jahr. Nur wenige konnten sich das Schulgeld leisten, daher wurden in La Chaux-de-Fonds bereits 1868 Stipendien eingeführt, um besonders Begabten, deren Familien die finanziellen Mittel nicht aufbringen konnten, die Ausbildung zu ermöglichen. Trotzdem blieb die Schule einem kleinen Kreis vorbehalten.56

Leider sind die Schülerlisten der Uhrmacherschule La Chaux-de-Fonds’ erst ab dem Jahr 1879 archiviert, sodass nicht mehr eruierbar ist, ab wann an der Schule jüdische Schüler eingetragen waren. Der Indicateur Davoine führt aber ab 1865 G. Braunschweig unter der Rubrik Graveur, ein Jahr später J. Ségal als Graveur et Guillocheur. Da in den Steuerakten schon Ende der 1850er-Jahre Juden als spezialisierte Handwerker geführt sind57, kann angenommen werden, dass seit der Gründung der Schule jüdische Knaben dort das Handwerk des Uhrmachers erlernten oder bei Uhrmachern eine spezialisierte Lehre absolvierten. Über die Jahre kamen weitere Spezialisten dazu, darunter Vergolder oder Hersteller von Gehäusefedern. Auch wenn der größte Teil der in der Uhrenbranche tätigen Juden weiterhin als Fabricants d’horlogerie ihr Leben bestritt, zeichnete sich in den Jahren 1860 bis 1880 eine breitere Diversifizierung ab.

In der Periode von 1880 bis 1914 ließen sich 36 junge jüdische Männer an der Ecole d’Horlogerie in La Chaux-de-Fonds ausbilden, zusätzlich absolvierten zahlreiche weitere eine Lehre, davon lernten 30 Prozent den Beruf des Uhrmachers (horloger complet), 20 Prozent wurden Mitarbeiter, 20 Prozent Remonteure, 11 Prozent Regleure und 8 Prozent Gehäusemacher.58 Die Bevölkerungserhebungen wie auch die Steuerakten zeigen, dass auch die sogenannten kleineren, also weniger Prestige versprechenden Handwerksberufe wie Zeigermacher, Glassetzer und ähnliche unter den jüdischen Uhrmachern vertreten waren, diese machten aber eindeutig eine Minderheit aus.59

Die stabilen Zahlen im Bereich der Uhrmacherei wie auch die erfassten Lehrlinge weisen auf eine generationenübergreifende Kontinuität in der wirtschaftlichen Betätigung und im Unternehmertum in der jüdischen Bevölkerung hin. Firmengründungen wurden fast ausschließlich im Familienverband getätigt. Aber auch die kleineren Wirtschaftseinheiten, die sogenannten maisons d’horlogerie, waren Familienbetriebe, was nicht ausschließt, dass Arbeiter und Spezialisten von außerhalb eingestellt wurden. Diese mittelgroßen Unternehmen machten gesamthaft betrachtet die Mehrheit der Uhrmacherbetriebe aus. 1887 wurden von insgesamt 180 Maisons d’horlogerie 19 von jüdischen Uhrmachern geführt, also ungefähr zehn Prozent. Diese Zahl wuchs bis zum Jahr 1912 auf 30 Prozent an (von insgesamt 190 waren 55 jüdische Häuser).60 Wenn man nun den Anteil am kollektiven Erfolg der jüdischen Bevölkerung La Chaux-de-Fonds’ betrachtet, war derjenige der maisons d’horlogerie mit weniger als 20 Angestellten wohl ebenso groß wie jener der großen und ausstrahlungsstarken Firmen wie Movado, Vulcain oder Ebel.

Tabelle 2: Jüdische Firmen 1890 bis 1914

Unternehmen Besitzer Angestellte Niederlassung
Fabrique du Parc Maurice Blum 45 ChdF61
Fabrique Movado Familie Ditesheim 24 ChdF
Cie des Montres Invar Familie Hirsch 30 ChdF
Fabrique Election Familie Braunschweig 22 ChdF
Grumbach & Cie Jules und René Grumbach 22 ChdF
Invicta SA Familie Picard 26 ChdF
Paul Ditisheim SA Paul Ditisheim 21 ChdF
Ebel Eugène und Alice Blum 23 ChdF
Tavannes Watch Co SA Schwob, Schwob und Sandoz 609 Tavannes

Eine der ersten modernen Fabriken in La Chaux-de-Fonds wurde von den Brüdern Ditesheim gegründet. Léopold, Achilles und Isidore schlossen sich 1892 zur L. A. & I. Ditesheim, Fabricants zusammen.62 Bereits ab 1894 waren die Brüder auch als Entwickler tätig und ließen ihre Inventionen patentieren.63 Das Unternehmen produzierte einerseits Uhren, andererseits wurde bereits vor der Jahrhundertwende an eigenen Erfindungen und technischen Verbesserungen gearbeitet. Dass alle drei in der Geschäftsleitung tätigen Brüder über spezialisiertes Uhrmacherwissen verfügten, verschaffte der Firma große Vorteile, denn das kumulierte Wissen konnte gewinnbringend eingesetzt werden. Die Vielzahl von registrierten Marken mit illustren Namen wie Ultra, Noblesse oder Belgravia, nach dem Londoner Edelviertel, illustriert die Schaffenskraft der Firma, die sich in moderner Technik und luxuriösem Design ausdrückte.64 Die Anzahl der Angestellten schnellte in die Höhe; laut von Osterhausen zählte die Firma im Jahr 1897 bereits über 80 Angestellte.65 Die Größe der Firma, die unterschiedlichen Marken, die unter dem Dach L. A. & I. Ditesheim zusammengefasst waren, sowie das Spezialistenwissen der Brüder erlaubten, ein breites Programm an Uhren zu fertigen.

Abbildung 4Werbeanzeige für Fabrique Movado, 1907

Neben Pendülen und Taschenuhren für Herren und Damen, wie sie in La Chaux-de-Fonds von vielen Uhrmacherbetrieben gefertigt wurden, stellten die Brüder in Neuenburg und in Saint-Imier66 geprüfte Chronometer her. Innovativ war die Firma auch in der Entwicklung von Armbanduhren, die die Uhrmacher vor technische Probleme stellte, präzise, aber sehr kleine Uhrwerke zu bauen. Die Firma brachte noch vor der Jahrhundertwende die ersten Damenarmbanduhren auf den Markt.67 Es waren aber die Taschenuhren, die den Ditesheim-Brüdern an internationalen Ausstellungen Medaillen einbrachten.68 Die gewonnenen Preise waren nicht nur eine Genugtuung und Anerkennung für die erbrachten Leistungen, sondern auch ein wichtiger Aspekt in der Werbung für Produkte und Firmen.

Die Brüder fielen jedoch nicht nur international mit ihren Produkten auf, sondern auch durch den Bau ihres Fabrikgebäudes, das eines der ersten großen Industriegebäude in La Chaux-de-Fonds war. An der Peripherie der Stadt, an der Rue du Parc 117, wurde 1905 ein Fabrikgebäude für über 150 Angestellte errichtet. Die Revue International de l’Horlogerie et des branches annexes berichtete 1906, dass die Fabrik modernsten Ansprüchen genügte: Die Maschinen wurden aus den USA importiert, Sicherheitsvorkehrungen entsprachen dem neuesten Standard und es herrschten hygienische Zustände und optimale Lichtverhältnisse. Zudem wurde gesondert von den Fabrikationsräumen ein technisches Büro eingerichtet, in dem unter idealen Bedingungen an Entwicklungen und Innovationen gearbeitet werden konnte.69 Im Jahr der Fabrikeinweihung trat Isaac, Léopolds Zwillingsbruder, als vierter Teilhaber in die Firma ein und brachte neben seinem Kapital sein Expertenwissen als Graveur mit. Mit dem aus dem Esperanto stammenden Firmennamen Movado, der ebenfalls ab 1905 geführt wurde, wählten die vier Brüder nicht nur eine wohlklingende Bezeichnung, die in allen Sprachen problemlos verwendet werden konnte, sie drückten damit vielmehr noch ein optimistisches Vorwärtsstreben aus.70

Tabelle 3: Uhrenfirmen mit mind. 50 Angestellten (1922)

Firma Angestellte Besitzerfamilie
Schwob Frères & Cie (1899) 1005 Familie Schwob
Fabrique Movado (1892) 195 Familie Dietesheim
Record Watch Co 174 Familie Perrenoud
Braunschweig Election 108 Familie Braunschweig
Hirsch Fils de A. 102 Familie Hirsch
Marvin Watch SA (1898) 95 Familie Didisheim
Ditisheim Paul SA 94 Paul Ditisheim
Schmidt Vve Léon 70 Familie Bloch
Schild & Co 60 Familie Schild
Picard & Hermann Fils 50 Familien Picard und Hermann

1922 zählte La Chaux-de-Fonds 31 Uhrenfabriken mit mehr als 20 Angestellten, nur 10 davon zählten mehr als 50 Beschäftigte. Movado lag mit 195 Arbeiter*innen nach der Schwob Frères & Cie. an zweiter Stelle (Tabelle 3). Große Fabriken waren in La Chaux-de-Fonds weiterhin nicht sehr zahlreich. Unter den zehn größten Unternehmen waren gerade zwei Gründungen von christlichen La Chaux-de-Fonner Familien. Die Ditesheim‑Brüder gehörten mit den anderen jüdischen Fabrikantenfamilien zur neuen Elite der Stadt. Als spezialisierte Uhrmacher und als Unternehmer prägten sie das Bild der neuen Patrons La Chaux‑de‑Fonds’, die technisches Wissen, Erfindergeist und unternehmerisches Geschick vereinten.

Die Brüder Ditesheim gehörten zu jenen jüdischen Familien, die eine Vorreiterrolle in der Industrialisierung der Uhrmacherei einnahmen. Aber auch die Großfirmen ließen nicht bloß Massenware produzieren, sondern investierten in die Weiterentwicklung der Uhr. Die Gruppe jüdischer Uhrmacher und Uhrenunternehmer ist jedoch auch um die Jahrhundertwende sehr heterogen. Der Weg zum Erfolg führte nicht gezwungenermaßen über den Aufbau einer großen Firma. Trotz der prozentual höheren Zahl an Großfirmen spiegelt sich im Gesamtbild der jüdischen Uhrenproduzenten die strukturelle Zusammensetzung der Uhrenindustrie La Chaux-de-Fonds’ wider. Der weitaus größere Teil führte weiterhin Ateliers und kleinere Produktionsräume, in denen nicht weniger erfolgreich Uhren unterschiedlichster Qualität und Ausführungen produziert wurden.

Die Fabriken, aber auch die kleineren Firmen gingen nun auch vermehrt wirtschaftliche Verbindungen ein (die nicht selten auf Heiraten beruhten) und bildeten dadurch größere Wirtschaftseinheiten. Mit Fusionen konnten Synergien geschaffen und Ressourcen sinnvoller eingesetzt werden. Donzé spricht in Anlehnung an die Bezeichnung „fabrique horloger collective“, die sich für die Uhrenindustrie La Chaux-de-Fonds’ und den gesamten Arc Jurassien für das 19. Jahrhundert eingebürgert hatte, von einer „fabrique horloger collective juif“.71 Dies bedeutete aber keineswegs, dass die jüdischen Akteure unabhängig von ihrem Umfeld in einem parallelen Netzwerk agiert hätten. Im Gegenteil, die jüdischen Fabrikanten waren sehr aktiv in (wirtschafts-)politischen Verbindungen: Die Patrons der größten und wichtigsten Häuser waren in Syndikaten von Produzenten und Händlern vertreten und standen zusammen mit ihren christlichen Berufskollegen für gemeinsame Interessen im Wirtschaftsleben, aber auch gegenüber der Politik ein.72 Familiäre, also jüdische Verbindungen, kamen jedoch,73 so die Quellen, insbesondere bei der Gründung von internationalen Dependancen und Handelsniederlassungen zum Zug. In europäischen, amerikanischen und asiatischen Städten vertraten meist Familienmitglieder die Firma.

Dass viele der jüdischen Akteure der industriellen und maschinellen Fertigung von Uhren gegenüber offener eingestellt waren als ihre christlichen Berufskollegen und daher verstärkt die Integration der einzelnen Arbeitsschritte in einem Unternehmen forcierten, war Teil des wirtschaftlichen und sozialen Aufstieges. Die ungefähr zur gleichen Zeit einsetzende Ausbildung von jungen Juden in den technischen Bereichen der Uhrmacherei an der Uhrmacherschule in La Chaux-de-Fonds und die daher rührende Diversifizierung scheinen nach der Analyse der Quellen eine ebenso große Rolle gespielt zu haben. Beide Tendenzen hatten ihren Ursprung in den 1860er- bis 1880er-Jahren. In den knapp vier Jahrzehnten um die Jahrhundertwende fruchtete diese Strategie. Wissen, unternehmerisches und innovatives Denken sowie starke Netzwerke machten die neue Elite in der Uhrmacherei aus.

In wirtschaftlicher Hinsicht kann man für die Jahre 1880 bis 1914 nicht mehr von Integration sprechen, vielmehr gehörten die jüdischen Fabrikanten zur Avantgarde der Industrialisierung. Gemeinsam mit nichtjüdischen, aber meist ebenfalls neuen Akteuren der Branche wurden sie zur neuen Wirtschaftselite und prägten die La Chaux-de-Fonner Uhrenindustrie mit ihren Firmen, Entwicklungen und Kontakten. Zeitgleich mit dem wirtschaftlichen Aufstieg ging eine soziale Veränderung einher. Angekommen als ärmliche, in sich geschlossene und religiös traditionell orientierte Gruppe, gehörten die jüdischen Familien aus La Chaux-de-Fonds, mit Ausnahme jener, die kurz vor der Jahrhundertwende aus dem östlichen Europa und dem Zarenreich zuwanderten,74 zur bürgerlichen Oberschicht. Die Zugehörigkeit zum Judentum erfuhr im Laufe des Jahrhunderts eine Bedeutungsverschiebung. Anstelle der traditionellen Frömmigkeit des Elsässer Landjudentums, in der die Einhaltung der Religionsgesetze und der Kalender das alltägliche Leben bestimmte, trat ein modernes, bürgerlich orientiertes Religionsverständnis. Die Observanz religiöser Gebote ließ ab der Mitte des Jahrhunderts nach. Der Prozess der Säkularisierung bedeutete aber nicht, dass die Zugehörigkeit zum Judentum in der Bedeutungslosigkeit versank, vielmehr nahm das Jüdische andere und neue Formen und Funktionen an; die Religionsgemeinde und die ihr angeschlossenen Gremien und Gesellschaften wurden um die Jahrhundertwende zu identitätsgebenden Orten der bürgerlichen Oberschicht, so wurden, um nur zwei Beispiele zu nennen, in philanthropischen Gesellschaften und Lesezirkeln in der jüdischen Religion fest verwurzelte Traditionen, die Zedaka 75 resp. das Studium von Texten, in säkularisierter und bürgerlich inspirierter Form weiter gepflegt. Der kontinuierliche wirtschaftliche und soziale Aufstieg der jüdischen Familien in La Chaux-de-Fonds hatte also weitreichende Konsequenzen für die Lebensgestaltung jedes Einzelnen. Dies ist ein Phänomen, das aus der Forschung hinlänglich bekannt ist.76 Es bleibt aber abschließend den Blick nochmals zu weiten und zu fragen, wie der Beitrag der jüdischen Uhrmacher für die Geschichte der Industrialisierung zu werten ist und was der mikrohistorische Blick auf die Peripherie zum Verständnis der Geschichte beitragen kann.

4 Fazit

Die Industrialisierung der Schweiz, ausgelöst durch den Strukturwandel in der Produktion in England, hatte, wie deutlich wurde, mehrere Gründe: reichliche Verfügbarkeit von Fließgewässern, die als Antriebskraft nutzbar gemacht werden konnten, das Vorhandensein einer differenzierten Protoindustrie, ein Überschuss an Arbeitskräften, ein vergleichbar hoher Bildungsstand, das Fehlen von Rohstoffen, ein sehr kleiner Binnenmarkt und dadurch eine starke Orientierung auf veredelte Produkte im Luxussegment für den Export und schließlich das nötige Kapital. Die Textilindustrie, der wichtigste Industriezweig der Schweiz, zeigte sich früh modernen Produktionsformen gegenüber offen, während sich der Uhrensektor, der ungefähr dieselbe Ausgangslage hatte, verschlossen zeigte. Dort lehnte man die neuen technischen Möglichkeiten ab und reagierte auch nach dem drastischen Einbruch der Exportzahlen nur sehr zögerlich. Es waren junge Migranten der zweiten, selten der dritten Generation, die der neuen Produktionstechnik aufgeschlossen gegenübertraten, Maschinen aus den USA importierten, erste Fabriken gründeten und dadurch den nötigen wirtschaftlich-technischen Strukturwandel auslösten. Es gilt nun zu beantworten, worin die Gründe dafür lagen.

Wie ist nun also zu erklären, dass Vertreter einer religiösen Minderheit den nötigen Strukturwandel in der Schweizer Uhrenindustrie herbeiführten? Sind Religiosität oder Säkularisierung Kategorien, die dabei beachtet werden müssen? Sind die Ursachen im Jüdischen zu suchen, oder sind vielmehr soziale und wirtschaftliche Gründe anzuführen? Die Gründe ausschließlich in der Religions- resp. Volkszugehörigkeit zu suchen implizierte, dass im Judentum und seiner Geschichte eine übermäßige Affinität zum wirtschaftlichen Erfolg angelegt sei. Dies erinnert stark an Werner Sombart, der in seinem 1911 erschienenen Werk Die Juden und das Wirtschaftsleben die Juden als eigentliche Begründer des Kapitalismus bezeichnet.77 Er sah in der „Rationalisierung des Lebens“ den Puritanismus und das strenggläubige Judentum in naher Verwandtschaft. Das protestantische ora et labora, in dem Max Weber ein halbes Jahrzehnt zuvor die Grundlage des modernen Kapitalismus ausmachte, führte Sombart auf die jüdische Religion zurück.78 Sowohl Webers wie auch Sombarts Thesen sind, trotz ihrer (zeitweilig) hohen Popularität, seither aus unterschiedlichen Gründen kritisiert worden. Sombarts Rassentheorie wie auch seine spätere Nähe zum Nationalsozialismus disqualifizieren das Werk. Webers Thesen wurden durch die moderne Wirtschaftsgeschichte teilweise widerlegt, die aufgrund der besseren Datenlage belegen konnte, dass der Protestantismus zwar sehr wohl einen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung hatte, dies aber in erster Linie wegen der hohen Gewichtung der Bildung. Gerade für die Schweiz waren protestantische Zuwanderer für den wirtschaftlichen Erfolg wichtig, weil sie Wissen und Kapital mit sich brachten.

Werner Plumpe plädiert überzeugend dafür, eine Kombination aus verschiedenen Erklärungen heranzuziehen, und verweist dabei auf David Landes Argument, technische, institutionelle und politische Argumente zu berücksichtigen.79 Mit Blick auf den vorliegenden Fall müssen zudem soziale und, aller Kritik zum Trotz, auch religiös-kulturelle Gründe angefügt werden. Simone Lässig weist nämlich aufgrund ihrer Analysen jüdischer Predigten für das deutsche Judentum des 19. Jahrhunderts nach, dass Fortschrittsbestrebungen, Dynamik und wirtschaftlicher Aufstieg wie auch die Faszination für technische Entwicklungen positiv bewertet werden, während Stillstand negativ konnotiert war. Berufstätigkeit und wirtschaftlicher Erfolg spielten in der jüdischen Sozialethik, anders als zum Beispiel im Katholizismus, eine wichtige Rolle, denn Not und Armut sind in dieser Überzeugung nicht gottgewollt und jeder Einzelne ist befähigt und dazu angehalten, seine Situation zu verbessern.80 Den wirtschaftlichen Erfolg ausschließlich aus kulturell-religiös motivierten Gründen zu erklären würde jedoch zu kurz greifen. Vielmehr war es eine Gemengelage: Durch die Emanzipation und die damit verbundene Rechtssicherheit machte eine langfristige Investition in nicht mobile Geschäfte wirtschaftlich erstmals Sinn. Zuvor drohte, zumindest in Theorie, eine Ausweisung, was eine Planungssicherheit verunmöglichte.

Trotz der Emanzipation und einer schrittweisen Integration in das Feld der Wirtschaft verfügten die jüdischen Exponenten jedoch noch nicht im selben Maß über soziales Kapital, um den Begriff Pierre Bourdieus einzuführen,81 wie die schon über Generationen am Ort ansässigen und in der Uhrmacherei tätigen christlichen Akteure. Dieser soziale Aspekt scheint in diesem Kontext sehr viel gewichtiger als jener der religiösen Prädisposition. Jüdischen Uhrmachern drohte in geringerem Maße ein sozialer Fall, wenn die Geschäftsidee misslang.

Und schließlich müssen die gesamtwirtschaftlichen und technischen Aspekte mitberücksichtigt werden. Die Textilproduktion in der Schweiz hatte sich bereits industrialisiert, der politische Wille war ebenso gegeben wie das technische Wissen im Maschinenbau. Expertenwissen und Geräte waren zudem in den USA bereits vorhanden und konnten weitgehend problemlos importiert werden. Und nicht zuletzt war der globale Markt trotz der erhöhten Produktion in den USA noch keinesfalls übersättigt und das Renommee der Schweizer Uhren war nach wie vor intakt. All diese Bedingungen müssen berücksichtigt werden, will man die Geschichte der Industrialisierung der Schweizer Uhrenindustrie erklären.

Werner Plumpe weist in seiner Kritik am Modellpurismus der neoklassischen Wirtschaftsgeschichtsschreibung deutlich darauf hin, dass ökonomischer Wandel „keinerlei Vorgaben oder formulierbaren Regeln [folgt], sondern historisch singulär [ist].“82 Wenn man „die Entstehung, die Struktur und den Wandel von Institutionen“83 verstehen will, kommt man nicht umhin, Einzelfälle in ihren spezifischen Bedingungen zu erarbeiten. Die Mikrogeschichte macht genau dies: das stellt das Singuläre, das Kleinteilige in das Zentrum ihres Interesses und trägt somit zum Verständnis des Gesamtkomplexes bei.

Anmerkungen

  1. Vgl. Buchheim, Industrielle Revolutionen.

  2. Landes, Der entfesselte Prometheus.

  3. Benelux-Staaten, Frankreich, Schweiz, Deutschland, Norditalien, westliches Habsburgerreich. Siehe dazu: Berend, Economic History, 8–9.

  4. Siehe dazu: Mahrer, „Migration und Verbürgerlichung“.

  5. Es gibt bis heute keine allgemeingültige Definition des Begriffs ‚Minderheit‘. Im vorliegenden Beitrag wird der Terminus im Sinne der Definition von 1977 des UN-Sonderberichterstatters der Kommission für die Verhinderung von Diskriminierung und den Schutz von Minderheiten, Francesco Capotorti, verstanden: „A minority is a group which is numerically inferior to the rest of the population of a State and in a non-dominant position, whose members possess ethic, religious or linguistic characteristics which differ from those of the rest of the population and who, if only implicitly, maintain a sense of solidarity directed towards preserving their culture, traditions, religion or language.“ Study on the Rights of persons belonging to Ethnic, Religious and Linguistic Minorities, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/384/Rev. I (1979), reprinted as UN Pub. E.78.XIV.1 (1979). Die Definition ging anschließend auch in die Wissenschaft ein.

  6. Capitani, „Beharren und Umsturz“, 453.

  7. Buchheim, Industrielle Revolutionen, 93.

  8. Dubler, „Handwerk“, 99–100.

  9. Bergier, Wirtschaftsgeschichte der Schweiz, 129.

  10. Bergier, Wirtschaftsgeschichte der Schweiz, 150.

  11. Bergier, Wirtschaftsgeschichte der Schweiz, 165.

  12. Bergier, Wirtschaftsgeschichte der Schweiz, 165–66.

  13. Bergier, Wirtschaftsgeschichte der Schweiz, 188–201.

  14. Landes, „Watchmaking“, 5–12.

  15. Egli und Röthlisberger, Entwicklung der Uhrenindustrie, 8.

  16. Landes, „Watchmaking“, 17; Landes, Revolution in Time, 259–61.

  17. Pfleghart, Uhrenindustrie, 2–3.

  18. Landes, „Watchmaking“, 15; Pfleghart, Uhrenindustrie, 35.

  19. Landes, „Watchmaking“, 15–16; Landes, Revolution in Time, 278.

  20. Dazu genauer: Landes, Revolution in Time, 216–17.

  21. Landes, Revolution in Time, 279–87.

  22. Landes, Revolution in Time, 291.

  23. Landes, Revolution in Time, 290.

  24. Die Annahme, dass es sich bei den Basler und Straßburger Viehhändlern um elsässische Juden handelte, lässt sich nicht durch Quellen belegen. Da aber ein großer Teil der elsässischen, respektive ‚Basler‘ Viehhändler Juden waren, scheint die Vermutung hier gerechtfertigt.

  25. Landes, Revolution in Time, 216.

  26. Auf dem Gebiet des 1848 gegründeten Schweizer Bundesstaates wurde die Niederlassungsfreiheit noch etwas später, nämlich 1866 gewährt. Die kantonale Gesetzeshoheit erlaubte es den Kantonen, die Niederlassungsfreiheit nach ihrem Ermessen früher zu gewähren. Zum Prozess der Emanzipation in der Schweiz siehe: Mattioli, „Die Schweiz und die jüdische Emanzipation 1798–1874“; Süess, „Emanzipation als ‚sittliche Verbesserung‘“.

  27. Tribolet, Mémoires sur Neuchâtel, 306.

  28. Nordmann, Les juifs, 20.

  29. Eine Ausnahme zu dieser Regelung bildeten die Brüder Weil und Woog, welche in den Genuss von zehnjährigen Aufenthaltsgenehmigungen kamen. Nordmann, Les juifs, 22.

  30. Nordmann, Les juifs, 23–24; Rothschild, „Juden von La Chaux-de-Fonds“.

  31. Siehe zu dieser Problematik im Allgemeinen u. a.: Weldler-Steinberg, Geschichte der Juden, Bd. 2, 48–83; Bennewitz, Basler Juden – Französische Bürger, 195–243.

  32. Indicateur Davoine, 1908. Die Indicateurs suisses d’horlogerie, meist einfach nach dem Verlagshaus Indicateur Davoine benannt, waren Anzeiger für die Uhren- und Bijouteriebranche, die ab 1851, mit wenigen Ausnahmen, jährlich in Neuenburg erschienen. Darin waren alle Adressen von Uhrenfabrikanten und -händlern, von spezialisierten Handwerkern und Ateliers, aber auch allgemeine Angaben zu Ortschaften, Zollverordnungen, Straßenverzeichnisse etc. aufgeführt. Die Quelle gibt nicht nur Adressen und Spezialisierungen an, sondern auch die Namen der Besitzer und Handwerker, also nicht nur Firmenbezeichnungen. Es sind darin Mutationen, Adresswechsel, Neugründungen etc. abzulesen. Zum Indicateur Davoine als Quelle siehe: Linder, De l’atelier à l’usine, 65–72.

  33. Die Bezeichnungen Comptoir und Atelier werden meist synonym verwendet und verweisen damit auf die Nähe von Distribution und Fabrikation von Uhren im Etablissagesystem. Siehe dazu weiter unten und Donzé, Les patrons, 19.

  34. Le centenaire de la Fabrique Marvin, 1950; Compagne des montres Marvin S.A. (Hg.): Marvin 1850–1950; Les cent ans de la Marvin, 1850–1950, in: Archiv des Musée international d’horlogerie La Chaux-de-Fonds D171. „Monographie industrielle“.

  35. Vgl. dazu Fallet-Scheurer, Uhrmacherkunst, 277–84.

  36. Vgl. Donzé, Les patrons, 19.

  37. U.S. Departement of Commerce, „Commercial Relations,“ vol. 1, (1882– 1883), 497, hier zit. n. Landes, Revolution in Time, 420.

  38. Eine kurze und gut lesbare Einführung in die Problematik und Entwicklung der mechanischen Uhrenfabrikation findet sich bei Landes, Revolution in Time, 326–46.

  39. Landes, Revolution in Time, 345; Donzé, L’industrie horlogère suisse, 40–44.

  40. Barrelet und Ramseyer, „Les résistances“, 395.

  41. Barrelet und Ramseyer, „Les résistances“, 403–405; Donzé, L’industrie horlogère suisse, 44; Donzé, Les patrons, 84–85.

  42. Die Uhrenarbeiterschaft in La Chaux-de-Fonds und der umliegenden Region war gut organisiert und sehr aktiv. Deren Aktivitäten und ihr Kampf für angemessene Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen fanden selbsterklärend erst im Zuge der eigentlichen Industrialisierung statt und werden daher an dieser Stelle nicht genauer betrachtet.

  43. Catalogue officiel, XLIII. Jules-Frédéric Jürgensen, selbst Uhrenfabrikant, äußerte sich an anderer Stelle in ähnlicher Weise: Jürgensen, L’horlogerie neuchâteloise et suisse en 1881.

  44. Favre-Perret, Rapport; Brief Théodore Gribi an Messieurs les exposants suisses, Philadelphia, Juli 1876. David, Jacques: Rapport à la société intercantonale des Industries du Jura sur la fabrication de l’horlogerie aux Etats-Unis, in Schweizerisches Bundesarchiv, Bern, E 14/20.

  45. Das Journal suisse d’horlogerie (JSH) eröffnete noch im Gründungsjahr eine Rubrik mit dem Titel crise horlogère. Auch die Direktion des Innern des Kantons Bern befasste sich im Jahr 1876 mit der Krise und finanzierte mit 500 Franken eine Studie mit festgelegten Fragen, an der sich mit der Materie bekannte Personen und Institutionen beteiligen sollten. Zum JSH siehe: Vivas, L’ancre et la plume.

  46. Donzé, Les patrons, 45; Landes, Revolution in Time, 347–50.

  47. Donzé, L’industrie horlogère suisse, 45.

  48. Landes, Revolution in Time, 360.

  49. Les Archives de l’Etat de Neuchâtel, Akten IND 361–386, département de l’industrie, contrôle des fabriques.

  50. Es waren die Fabrique du Parc (Maurice Blum); Fabrique Movado (Familie Ditesheim); Cie des Montres Invar (Familie Hirsch); Fabrique Election (Familie Braunschweig); Grumbach & Cie. (Jules und René Grumbach); Invicta SA (Familie Picard); Paul Ditisheim SA (Paul Ditisheim) und Ebel (Eugène und Alice Blum). Mahrer, Handwerk der Moderne, 164.

  51. Donzé, Les patrons, 89. Archiv des Musée international d’horlogerie La Chaux-de-Fonds, CSH, Monatliche Statistik mit Nennung der Beschäftigtenzahl, keine Signatur. Den Hinweis auf diese Quelle habe ich dem eben zitierten Werk von Pierre-Yves Donzé entnommen.

  52. „Les fabricants juifs sont les principaux promoteurs de l’industrie de l’horlogerie à La Chaux-de-Fonds.“ Donzé, Les patrons, 89.

  53. Zur Geschichte der Tavannes Watch Co. siehe: Gagnebin-Diacon, La fabrique. Die Dissertation von Christine Gagnebin-Diacon steht für eine moderne Unternehmensgeschichte: Ihr Interesse gilt dem Verhältnis zwischen Arbeitern und der Konzernleitung sowie zwischen dem Unternehmen und dem Dorfleben.

  54. Barrelet und Ramseyer, „Les résistance“, 401.

  55. Die Uhrmacherschule La Chaux-de-Fonds’ nahm mit ihrer Ausrichtung klar Stellung gegen eine Industrialisierung der Uhrmacherei ein.

  56. Zu den Uhrmacherschulen siehe: Fallet und Simonin, Dix écoles; Guye und Ecole d’horlogerie, Histoire.

  57. Archives de la ville de La Chaux-de-Fonds, registre des impôts municipaux, 1859/60.

  58. Meffre, Formation.

  59. Archives de la ville de La Chaux-de-Fonds, registres des impôts municipaux, 1859–1910.

  60. Perrenoud, „Problèmes“.

  61. La Chaux-de-Fonds.

  62. Movado wird erstmals 1902 als Markenname und ab 1905 als Fabrikname geführt.

  63. Das Patent ist in einer Broschüre von 1948 abgedruckt: Movado, Fabriques Movado. Eine Aufstellung aller Patente der Firma (L. A. & I. Ditesheim; Movado) bis 1969 findet sich mit einigen Illustrationen bei Osterhausen, Movado History, 225–27.

  64. Ende des 19. Jahrhunderts begannen Firmen Markennamen zwecks besserer Erkennbarkeit auf dem Markt zu kreieren und diese durch Registration zu schützen.

  65. Osterhausen, Movado History, 18.

  66. In Neuenburg befand sich eine der wichtigsten Chronometer- und Uhrenprüfstellen der Schweiz. Diejenige in Saint-Imier war weniger bedeutend.

  67. Osterhausen, Movado History, 20.

  68. Sie gewannen u. a. 1900 eine Silbermedaille in Paris, 1905 eine Goldmedaille mit Diplom in Liège und fünf Jahre später den ‚Grand Prix‘ in Brüssel. Vgl. Osterhausen, Movado History, 20.

  69. Zit. n. Osterhausen, Movado History, 22.

  70. Movado bedeutet „immer in Bewegung“.

  71. Donzé, Les patrons, 96.

  72. Donzé, Les patrons, 98.

  73. Familiäre Verbindungen zwischen Juden und Christen blieben auch um die Jahrhundertwende eine Seltenheit. Nur gerade vier interreligiöse Ehen bestanden in diesem Zeitraum (vgl. Meffre, Formation). Heirat und Familiengründung blieben der Bereich, in dem kaum Kontakte stattfanden, denn das Heiraten innerhalb der eigenen Konfessions- respektive Religionsgemeinschaft blieb in der Schweiz bis Mitte des 20. Jahrhunderts die Norm.

  74. Siehe dazu: Mahrer, „Les russes“.

  75. Religiöses Gebot zur Wohltätigkeit im Judentum.

  76. Siehe dazu zum Beispiel die groß angelegte Untersuchung von Simone Lässig zum deutsch-jüdischen Bürgertum: Lässig, Jüdische Wege.

  77. Sombart, Die Juden, 8; 198.

  78. Sombart, Die Juden, 226; 293. Zu Sombarts Kritik an Weber siehe auch: Schluchter, Max Webers späte Soziologie, 163–75.

  79. Landes, Prometheus; Plumpe, „Ökonomisches Denken“. Plumpe kritisiert dann aber wiederum die „neoklassische Anthropologie“, auf die sich Landes in seiner Analyse bezieht. Siehe: Plumpe, „Ökonomisches Denken“, 39.

  80. Lässig, Jüdische Wege, 308–11.

  81. Bourdieu, Mechanismen der Macht, 49–79.

  82. Plumpe, „Ökonomisches Denken“, 37.

  83. Plumpe, „Ökonomisches Denken“, 28.

Literatur- und Quellennachweis

Abbildungen und Tabellen

Abbildung 1: Carte pour le pays de l’horlogerie / Fabrique d’horlogerie Seeland. Quelle: Schweizerisches Wirtschaftsarchiv, Volkswirtschaft H XII 12b, Dossier zum Thema Uhrenindustrie.

Abbildung 2: Jüdische Bevölkerung La Chaux-de-Fonds’. Qualle: Mahrer, Handwerk der Moderne, 243.

Abbildung 3: Netzwerk der Etablissage in der jurassischen Uhrenproduktion. Quelle: Donzé, Les patrons, 21 (im Original französisch).

Abbildung 4: Werbeanzeige für Fabrique Movado, 1907. Quelle: https://www.vintagewatchstraps.com/movado.php

Tabelle 1: Entwicklung der jüdischen Bevölkerung in La Chaux-de-Fonds und deren Anteil an der Gesamtbevölkerung; beruhend auf Hinweisen in Archiven sowie den publizierten statistischen Daten der eidgenössischen Volkszählungen (ab 1850).

Tabelle 2: Jüdische Firmen 1890 bis 1914. Quelle: Mahrer, Handwerk der Moderne, 196.

Tabelle 3: Uhrenfirmen mit mind. 50 Angestellten (1922). Quelle: Mahrer, Handwerk der Moderne, 200.

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