Noah Hacham und Tal Ilan (Hrsg.), Corpus Papyrorum Judaicarum, Bd. 4. Berlin: De Gruyter Oldenbourg, 2020. xxxvii, 335 Seiten, EUR 129.95, ISBN 978-3-11-067450-7

Daniel Schumann  
Universität Tübingen
daniel.schumann@uni-tuebingen.de

Aufbauend auf der Arbeit des Papyrologen Itzhak Fikhman stellt der von Noah Hacham und Tal Ilan (fortan Hgg.) unter Mitarbeit von Meron M. Piotrkowski und Zsuzsanna Szántó herausgegebene vierte Band des Corpus Papyrorum Judaicarum (fortan N[ew].CPJ) eine Weiterführung der von Victor A. Tcherikover (1894–1958) begründeten und von Alexander Fuks und Menahme Stern weitergeführten ersten drei Bände (1957–1964; fortan O[ld].CPJ) dar. Erwartungsgemäß schließt damit auch die Zählung der Papyri und Ostraka lückenlos an den im Jahr 1964 veröffentlichten Band CPJ III an (CPJ IV, S. 17–19). Ebenso wie O.CPJ enthält auch N.CPJ einen Appendix mit jüdischen Inschriften aus ptolemäischer Zeit (CPJ IV 157–170, S. 285–300). Deren Zählung schließt aber nicht an die von CPJ III 1539 (S. 166), sondern an die Neuzählung der 1992 von William Horbury und David Noy herausgegebenen Edition Jewish Inscriptions of Graeco-Roman Egypt an.

Die Hgg. beabsichtigen keine Neuveröffentlichung der im O.CPJ edierten Papyri und Ostraka und intendieren mit der Weiterführung nicht, O.CPJ zu ersetzen oder die Reihe als obsolet erscheinen zu lassen (1). Was als Würdigung des O.CPJ gedacht eine durchaus verständliche Entscheidung ist, wird man angesichts der schon seit Jahrzehnten vergriffenen ersten drei Bände, die für neue Generationen an Forschenden nur in Bibliotheken oder nur als maßlos überteuerte Antiquariatsexemplare zugänglich sind, bedauern müssen. Eine Neuveröffentlichung hätte mit entsprechenden Verweisen auf editorische Entscheidungen und Erläuterungen des O.CPJ die herausragende Leistung der Erstherausgeber hervorheben und mit aktualisierten Angaben zur Sekundärliteratur den gegenwärtigen Stand der Forschung abbilden können.

Die bereits zuvor im O.CPJ gewählte Gliederung der papyrologischen Zeugnisse in drei Epochen wird auch im N.CPJ beibehalten und nach dem hier zu besprechenden CPJ IV mit Papyri aus der ptolemäischen Epoche noch die Herausgabe von CPJ V zur frührömischen Epoche und CPJ VI zur spätrömischen und byzantinischen Epoche bedeuten. CPJ IV enthält mit dem politeuma-Papyrus CPJ IV 577 und dem Hausbewohnerregister CPJ IV 606 zwei noch unveröffentlichte Papyri und mit dem Ostrakon CPJ IV 555 eine noch nicht publizierte Namensliste aus ptolemäischer Zeit.

Hinzu kommen noch eine ganze Reihe von Papyri, die bereits vor der Herausgabe des CPJ I ihre Erstveröffentlichung erfahren hatten, aber aufgrund anders gelagerter Auswahlkriterien der Herausgeber des O.CPJ dort noch keine Aufnahme fanden. Hierzu zählen unter anderem Papyri und Ostraka in aramäischer und demotischer Sprache, literarische Papyri (CPJ IV 609–615), magische Texte und samaritanische Papyri, die nun berechtigterweise im CPJ IV Eingang gefunden haben. Was nun aber die übergeordneten Auswahlkriterien anbelangt, die für einen Bezug der Quellen zum ägyptischen Diasporajudentum sprechen, so haben sich die bereits von Tcherikover (CPJ I, S. xvii) dargelegten Kriterien auch als maßgeblich für die Hgg. erwiesen (CPJ IV, S. 6–13). Demnach darf ein diasporajüdischer Bezug dort als gesichert gelten, wo der Begriff Ioudaios, traditionell jüdische Namen oder „events or technical terms that point to Jews or Judaism“ (CPJ I, S. xvii) identifiziert werden können. Einzig das Kriterium der örtlichen Nähe zu anderen jüdischen Artefakten bei gleichzeitiger Ermangelung eindeutiger diasporajüdischer Bezüge wurden von den Hgg. als unzulänglich abgewiesen, da dies eine strikte Siedlungsabgrenzung voraussetze, die man wie im Fall der Stadt Edfu gerade nicht zweifelsfrei annehmen dürfe (S. 9). Als ergänzendes Kriterium tritt für die Hgg. schließlich noch der Gebrauch des Aramäischen als „ethnic language“ des ägyptischen Diasporajudentums hinzu (CPJ IV, S. 28).

Nimmt man die einzelnen Kriterien etwas genauer unter die Lupe, und hier speziell das Kriterium der Identifizierung jüdischer Namen, wofür Ilan als Herausgeberin des Lexicon of Jewish Names in Late Antiquity eine ganz besondere Expertise in das N.CPJ-Projekt einbringen kann, wird deutlich, welche Möglichkeiten aber auch Schwierigkeiten mit der Anwendung dieses Kriteriums verbunden sind. So argumentieren die Hgg. im Anschluss an Sylvie Honigman anhand des in der Tabelle 9 (S. 23) festgehaltenen onomastischen Befundes zum aramäischen Namen Abietei bzw. seiner hellenisierten Form Abietos und Abietes überzeugend für die Siedlungskontinuität diasporajüdischer Gemeinden in Oberägypten von der persischen bis in die hellenistische Epoche (S. 23–24). Wie schwierig sich eine eindeutige, auf Namen basierte Bestimmung jüdischer Herkunft bzw. eine Bezugnahme auf Diasporajuden darstellen kann, wird am Namen Shabtai deutlich. Dieser biblisch in Esra 10,15; Neh 8,7 und 11,16 bezeugte Name wurde auch von Nichtjuden übernommen, was entweder die Identifizierung anderer jüdischer Namen im selben Dokument (vgl. CPJ IV 528) oder eine Kombination des Namenskriteriums mit einem der anderen Kriterien erforderlich macht. Lassen sich weder andere jüdische Namen identifizieren noch eines der anderen Kriterien veranschlagen, fragt sich freilich, ob man auf eine Aufnahme jener Papyri und Ostraka verzichtet, oder diese mit dem Hinweis ihres zweifelhaften jüdischen Bezugs dennoch abbildet. Während die Herausgeber von CPJ III (S. 56) sich noch für deren Integration entschieden, wurden sie im N.CPJ kategorisch ausgeschlossen, wenn ihr Inhalt eher für einen ägyptischen als einen jüdischen Kontext spricht (vgl. CPJ IV Appendix 3, S. 301–302). Aus der Beurteilung, was im 3.–1. Jh. v.u. Z. in der ägyptischen Diaspora als „expected from a Jew“ (S. 11), „not consonant with Jewish living“ oder als Verhalten „in […] non-Jewish ways“ (S. 12) zu gelten habe, ergeben sich allerdings neue Probleme für eine angemessene religionsgeschichtliche Einordnung der Befunde, ohne dabei im Vergleich mit späteren literarischen Zeugnissen aus der Spätzeit des Zweiten Tempels in Anachronismen zu verfallen oder unsachgemäß von einem im jüdischen Kernland und in der Diaspora vorherrschenden „common Judaism“ auszugehen. Dürfen z. B. das (mit Jerusalem konkurrierende) Tempelbauprojekt des Hohenpriesters Onias IV in Leontopolis in ptolemäischer Zeit und die dortige sich zum Kultort haltende Gemeinschaft angesichts des Kultzentralisationsgesetzes von Dtn 12 als „consonant with Jewish living“ verstanden werden? Welchen Einfluss hatte die in ihrer jetzigen Textgestalt auf die Perserzeit zurückgehende und in der ägyptischen Diaspora (Gen 41,45; 47,27 LXX) sicher recht populäre Josefsnovelle auf die Gestaltung jüdischen Lebens? Wird dort doch der Aufstieg in höchste administrative Kreise (Gen 41,41), die Heirat einer ägyptischen Priestertochter (Gen 41,45) und die Übernahme von Normen der dominanten ägyptischen Kultur (Gen 41,42–43.45) geradezu als Zeichen göttlichen Segens interpretiert (Gen 41,51–52 LXX). Es stellt sich damit die grundsätzliche Frage, bis zu welchem Akkulturationsgrad man noch als Jude wahrgenommen werden konnte oder auch wollte. Man muss daher bei einer auf dem Nachweis kultureller Segregation beruhenden Begrenzung der ausgewählten Quellen damit rechnen, der Bestimmung von Ausdrucksformen diasporajüdischer Identität in ihrer kultur- und religionsgeschichtlichen Breite nicht gerecht zu werden. Im konkreten Fall der Heiratsurkunde P.Tor.Botti 22, in der neben drei Personen mit griechischem Namen (Asklas, Neilos und Antiochos) der Zeuge Harmiusis begegnet, der das Patronym Shabtai trägt (S. 11), wird man daher nicht von vornherein ausschließen dürfen, dass ein ägyptischer Ehevertrag nicht auch von einem Diasporajuden bezeugt werden konnte. Dies gilt umso mehr, als aus der bloßen Zeugenfunktion nicht abzulesen ist, in welcher Verbindung Harmiusis und die Zeugen mit griechischem Namen zu den beiden ägyptischen Eheparteien standen.

Ein Novum gegenüber O.CPJ (vgl. CPJ I, S. xx) stellt die Aufnahme literarischer Papyri dar, die biblische und jüdisch-hellenistische Texte enthalten (CPJ IV 609–615). Was die Septuaginta-Papyri aus der Zeit nach dem jüdischen Diaspora-Aufstand (117 CE) betrifft, halten die Hgg. eine Entstehung und Zirkulation in jüdischen Kreisen weiterhin für möglich und widersprechen damit der weitläufig vertretenen Ansicht, dass diese allein aus dem Milieu christlicher Gruppen stammen können (S. 3).

Was nun den Aufbau der insgesamt 122 Einträge zu 101 nichtliterarischen Papyri (CPJ IV 521–608.616–619), 7 literarischen Papyri (CPJ IV 609–615) und 14 Inschriften (CPJ IV 157–170) betrifft, so werden zu Beginn jeweils Einleitungsfragen zur Bestimmung des Fundorts, Maße, Datierung, bibliographische Angaben zur Erstveröffentlichung und bereits dazu publizierte Sekundärliteratur verhandelt. Daran schließt sich eine detaillierte Beschreibung des Inhalts der Dokumente und eine Prüfung der Indizien an, die für ihre jüdische Identität sprechen. Den dann folgenden edierten Texten in aramäischer, griechischer und demotischer Sprache ist eine Übersetzung und eine Kommentierung beigegeben, die durchweg an einer gattungskritischen, philologischen und onomastischen Analyse orientiert ist.

Der Band schließt mit einer Reihe wichtiger Sachregister zu literarischen wie nichtliterarischen Quellen, jüdischen Namen, geographischen Orten und Maßeinheiten, die den Zugang zur weiteren Erforschung und historischen Einordnung der Papyri immens vereinfachen.

Den Hgg. ist es in ihren Analysen der literarischen und nichtliterarischen Zeugnisse des ägyptischen Diasporajudentums in ptolemäischer Zeit auf beeindruckende Weise gelungen, Einblicke in Kultur, Alltag und Lebenswelt der Menschen hinter den Dokumenten zu eröffnen. N.CPJ leistet zudem einen unschätzbaren Beitrag zur Erforschung jüdischer Gemeindeorganisation und Integration in die Verwaltungsorgane des Ptolemäerreiches. Besondere Beachtung ist dabei der Besprechung der 21 politeuma-Papyri CPJ IV 557–577 zu schenken, die für die Stadt Herakleopolis einen landsmannschaftlichen Zusammenschluss der dort ansässigen Juden mit teilautonomer Verwaltung und Gerichtsbarkeit bezeugen. Diese Papyri beenden eine in der Erforschung des antiken Diasporajudentums lange Zeit ausgetragene Kontroverse über die Existenz eines solchen jüdischen Organisationsorgans, das bis dato nur in literarischen Quellen des antiken Judentums (vgl. Aristeasbrief 310) belegt war. Zusammen mit CPJ I muss CPJ IV mit seinen informativen Einleitungskapiteln, luziden Analysen und umfangreichen Indizes zu den literarischen und nichtliterarischen Zeugnissen des Diasporajudentums in ptolemäischer Zeit als Referenzwerk für alle Forschenden gelten, die seine Literatur, Alltagswelt sowie seine Identitätsbildungsprozesse und Akkulturationsformen zum Gegenstand ihrer wissenschaftlichen Arbeit gemacht haben.