Rebekka Denz. Bürgerlich, jüdisch, weiblich: Frauen im Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (1918–1938). Jüdische Kulturgeschichte in der Moderne 16. Berlin: Neofelis Verlag, 2021. 392 Seiten, EUR 32, ISBN 978-3-95808-159-8

Sharon Rom  
Universität Basel
sharon.rom@unibas.ch

Die 2016 verteidigte und nun in Buchform erschienene Promotionsschrift von Rebekka Denz ist mehr als nur eine weibliche Organisationsgeschichte des Centralvereins (C.V.). Dies zeigt sich besonders mit Blick auf dessen publizistische Arbeit. Untersucht wird einerseits die Rolle der Frauen im deutschen Zeitungswesen der Weimarer Republik, andererseits – und hier erfüllt die Autorin ein Forschungsdesiderat – werden die Schwierigkeiten der deutschjüdischen Presse der Vorkriegszeit beleuchtet. Während das jüdische Zeitungswesen mit immer stärkeren Restriktionen, Vertriebsverboten und inhaltlichen Beschränkungen konfrontiert war, änderten sich die Arbeitsbedingungen der Journalistinnen und Journalisten, aber auch die Themen, die in den einzelnen Artikeln verhandelt wurden. Denz illustriert diesen Prozess anhand der sich wandelnden weiblichen Handlungsräume und Geschlechternormen, welche die C.V.-Presseorgane im Untersuchungszeitraum bezeugen. Der Untersuchungszeitraum, das sind die zwanzig Jahre zwischen der Einführung des aktiven und passiven Frauenwahlrechts und der Zwangsauflösung des C.V. Gerade für die Journalistinnen, die während dieser Zeit für die jüdische Presse tätig waren, musste es sich um eine äusserst unstete, bewegte Phase handeln: Nachdem sie endlich über die Möglichkeit zur politischen Mitbestimmung verfügten, wurden ihre zentralen Bürgerrechte innerhalb weniger Jahre wiederum drastisch beschnitten.

Ursprünglich war der Hauptzweck des C.V. – dies führt Denz an mehreren Stellen aus – die Bekämpfung des Antisemitismus. Der Verein, in dem sich „liberale, deutsch-patriotische Bürgerliche“ (46) organisierten, sah seine Aufgabe darin, die deutschen Jüdinnen und Juden gegen aussen zu vertreten. Mit seiner Pressetätigkeit wollte er auch die christliche Leserschaft ansprechen und aufklären. Dieses Ziel konnte der C.V. allerdings nicht erreichen, denn die Zeitungen wurden durch das nichtjüdische Publikum kaum rezipiert. Der Kampf gegen den Antisemitismus bildete aber dennoch den Antrieb für die Herausbildung dieser publizistischen Zeugnisse (und letztlich des gesamten jüdischen Pressewesens der Vorkriegszeit). Die Aufklärungs- und Bildungsarbeit wich aber allmählich Beiträgen, welche die jüdische Selbstfindung und Identität vor dem Hintergrund zunehmender Judenfeindlichkeit thematisierten. Die Presseerzeugnisse des Zentralvereins spiegelten das Bedürfnis wider, sich in dieser prekären Lage neu zu positionieren und sich der eigenen (religiösen, kulturellen) Identität zu versichern.

Denz untermauert ihre Analyse mit umfangreichen Grundlagenkapiteln, etwa zur Organisationsgeschichte des C.V. oder zur Stellung der Frau im aschkenasischen Judentum. An dieser Stelle formuliert die Autorin eine bemerkenswerte These: Im Gegensatz zur allgemeinen Frauen- und Geschlechterforschung erachtet sie eine Trennung zwischen öffentlicher und privater Sphäre bei weiblich-jüdischen Lebenswelten nur als begrenzt sinnvoll. Dies liegt am hohen Stellenwert der privaten, häuslichen Religionsausübung im traditionellen Judentum. Weil der Haushalt und die Familie elementare Fundamente des religiösen, aber auch des traditionellen jüdischen Lebens bilden, kommt Frauen bei der Pflege und Überlieferung der jüdischen Kultur und Religionsausübung eine zentrale Rolle zu. Im 20. Jahrhundert erfuhren jüdische Frauen zudem eine Aufwertung ihrer Rollen und Tätigkeiten im öffentlichen Bereich. Da sie öfter erwerbstätig waren als ihre nichtjüdischen Zeitgenossinnen, verfügten sie über „andere, zuweilen umfangreichere Handlungsräume“ (53). Dass die Dichotomie Öffentlichkeit/Privatheit bei jüdischen Frauen neu gedacht werden muss und nicht der gewöhnlichen Trennung entspricht, die in der allgemeinen Geschlechterforschung vollzogen wird, ist eine zentrale Erkenntnis dieser Untersuchung: Werden Handlungsräume von Frauen des beginnenden 20. Jahrhunderts untersucht, gilt es, zwischen den Wirkungsmöglichkeiten jüdischer und christlicher Frauen zu unterscheiden.

Den einführenden Kapiteln folgen Kurzbiografien zu elf Journalistinnen, die im Untersuchungszeitraum für den C.V. gearbeitet hatten. Bei diesen handelt es sich ausnahmslos um Frauen aus dem Bildungsbürgertum, die zum überwiegenden Teil auch berufstätige Mütter waren. Auf den biografischen Werdegang und die publizistische Tätigkeit dieser Frauen stützt sich Denz, um ihre Fragestellungen zu beantworten. Ihr Erkenntnisinteresse bezieht sich auf die Frauenrollen und -bilder, die in der Presse des C.V. expliziert werden, auf Handlungsräume und konkrete Arbeitsfelder von Frauen im Verein und darauf, wie sich weibliche Geschlechternormen in der C.V.-Presse während des Untersuchungszeitraums wandelten. „C.V.-Presse“ wird dabei von Denz als subsumierender Begriff für unterschiedliche Publikationen verwendet, die vom oder aus dem Umkreis der Organisation entstanden sind. Als Beispiele sind die Monatsschrift Im deutschen Reich, die Wochen- und Monatsausgabe der C.V.-Zeitung oder das Monatsheft Der Morgen zu nennen.

Der C.V. verfügte zudem über einen eigenen Verlag sowie ein Vereinsarchiv der Hauptgeschäftsstellen. Als Quellengrundlage greift die Autorin deshalb auf das „sehr reichhaltige Presse- und Publikationswesen“ (45) zurück, welches von Journalistinnen, Vereinsmitgliedern und Geschäftsführern publiziert wurde. Einzelne Dokumente aus den Nachlässen dreier C.V.-Akteurinnen runden das Quellenkorpus ab.

Denz unterzieht diese Texte einer quantitativen und qualitativen Analyse, wobei das quantitative Verfahren die einzige Schwachstelle dieser Arbeit ist: Denz etabliert hierfür die Analysekategorien ‚Frauenbezug‘ und ‚Frauenfrage‘ – diese werden aber nur marginal in einer Fussnote (128, Anm. 153) definiert: „Bei Texten in der schwächeren Kategorie mit ‚Frauenbezug‘ wird an zumindest einer Stelle eine Frau oder ein ‚Frauenthema‘ erwähnt. Artikel in der stärkeren Kategorie ‚Frauenfrage‘ behandeln Themen wie die Staatsbürgerschaft der Frau, die Frauenbewegung, die C.V. Frauenarbeit, soziale Themen o. Ä.” Für die quantitative Auswertung, die im Wesentlichen auf diesen beiden Begriffen beruht und einen grossen Teil der Analyse ausmacht, sollten diese zentralen Begriffe stärker umrissen werden; es stellt sich zudem die Frage, was mit dem Verfahren, die Beiträge nach ‚Frauenbezug‘ und ‚Frauenfrage‘ zu quantifizieren, gewonnen wird. Dass die Texte systematisch nach diesen Themen abgesucht und ausgewertet werden, steht bis zu einem gewissen Grad dem Anspruch auf eine Darstellung „gemischtgeschlechtlicher jüdischer Geschichte“ (14) entgegen, den Denz in ihrem Einleitungskapitel formuliert. Das Ziel, keine dezidiert weibliche jüdische Geschichte zu schreiben, sondern diese als Teil einer heterogenen Geschichte zu begreifen, lässt sich anhand der exkludierenden Begriffe ‚Frauenbezug‘ und ‚Frauenfrage‘ nicht realisieren. Vielmehr wird so der Sonderstatus der jüdischen Frauen – in Abgrenzung zu den jüdischen Männern – zementiert, deren Publikationen sich durch eigene, frauenspezifische Themen auszuzeichnen scheinen. Ein gemischtgeschlechtlicher Zugang hätte vielleicht eher nach den Schlagworten ‚Rollenbild ’, ‚Handlungsraum‘ oder ‚Geschlechternorm‘ gefragt. Die Schwachstelle dieser quantitativen Analyse wird durch die nachfolgenden qualitativen Ausführungen jedoch kompensiert, indem Denz einige wichtige Erkenntnisse zum Frauenbild in der C.V.-Presse formuliert. So stellt die Autorin beispielsweise fest, dass das Thema der berufstätigen Frau in den publizistischen Beiträgen stark vertreten ist. Dies verwundert nicht, gingen doch auch die elf untersuchten Journalistinnen einem Broterwerb nach und entstammten dem liberalen, bildungsbürgerlichen Judentum. Frauen wurden aus diesem Grund nicht mehr als passive Zielgruppe dargestellt, sondern als politisch interessierte, aktive Mitkämpferinnen gegen den Antisemitismus, als handelnde Wohltäterinnen und Sozialarbeiterinnen. Die wohl zentrale Erkenntnis dieser Untersuchung ist jedoch, dass in der C.V.-Presse während der Jahre 1918–1938 eine „grosse Heterogenität an Frauenbildern“ (196) herrschte. Progressive, moderne Auffassungen koexistierten mit einer traditionellen Vorstellung von Weiblichkeit. Die C.V.-Presse zeichnete sich während der Weimarer Republik dadurch aus, dass verschiedene Frauenrollen und -normen nebeneinander existierten – und diese „hybride Geschlechteridentität“ (196) entsprach wohl der damaligen Lebensrealität. Besonders interessant ist eine weitere Tendenz, welche die Autorin in Bezug auf das Frauenbild feststellt: In der Frauenbeilage des C.V. wird, parallel zum zunehmenden Einfluss der Nationalsozialisten, das Bild der religiösen jüdischen Frau propagiert. Denz erklärt diese Entwicklung als Reaktion auf die immer stärker werdende Bedrohung durch die Nazis: Durch die „(Rück-)Besinnung auf jüdisch-religiöse Traditionen“ (179) wurde ein Gegengewicht zu den unberechenbaren Ausgrenzungen und Bedrängnissen geschaffen, die vom Nationalsozialismus ausgingen. Die Frau wurde in diesem Zusammenhang als ‚Hüterin der Tradition‘ stilisiert, die durch ihr häusliches Wirken einen sicheren Rückzugsort schuf.

Als letzte Punkte thematisiert Denz die C.V.-Frauenarbeit sowie den Jüdischen Frauenbund. Letzterer stand zwar in Konkurrenz zum C.V., doch rückten die beiden Organisationen – vor dem Hintergrund der externen Bedrohungen und Einschränkungen – zwangsläufig näher zusammen. Die Frauenarbeit, ein wichtiger Wirkungsort von Frauen im C.V., bestand vorwiegend in der Durchführung von Veranstaltungen: Lesungen und Vorträgen zur Kindererziehung, zur Religionsausübung oder zum eigenen beruflichen Fortkommen. Vor allem aber zielte die Bildungsarbeit darauf, über Antisemitismus aufzuklären und die Frauen im Kampf gegen ihn zu unterstützen. Für nachfolgende Forschungsarbeiten wäre es lohnend, sich ausführlicher mit diesen Schulungen in Selbstverteidigung und Resilienz zu beschäftigen. Zumal die Fragen, die im Anschluss gestellt werden könnten, äusserst interessant sind: Existierten im Dritten Reich dezidiert weibliche Strategien im Umgang mit Antisemitismus? Wie gingen (insbesondere gebildete) jüdische Frauen mit der zunehmenden Ausgrenzung und Diskriminierung durch die Nationalsozialisten um? Dies sind Fragen, die zwar weit über die Presseorgane und die Organisationsgeschichte des C.V. hinausweisen, in ihrem Kern sind sie in Denz’ Monografie aber bereits angelegt. Die Autorin interpretiert die Frauenbiografien sowie die heterogenen Rollenbilder als Indikatoren für die Wandlungsfähigkeit des Vereins. Doch sie sind wohl mehr als das: Die berufstätigen, gebildeten Journalistinnen vermittelten in ihren Beiträgen das Bild der aktiven, politischen aber zugleich traditionsbewussten Frau. Hiermit spiegelten sie einerseits die Lebensrealitäten, andererseits das Wunschdenken ihrer Zeit. Die Heterogenität der Frauenbilder war ein Ausdruck der unterschiedlichen Strategien, die Frauen im Kampf gegen den Antisemitismus hätten anwenden sollen und zum Teil auch tatsächlich anwendeten: Als Berufsfrau mit neugewonnenen politischen Mitbestimmungsrechten, um aktiv gegen die Diskriminierung vorzugehen, aber auch als ‚Hüterin der Tradition‘, um sich und ihre Familie in der häuslichen Sphäre vor ihr zu schützen.