Die 2016 verteidigte und nun in Buchform erschienene Promotionsschrift von Rebekka
Denz ist mehr als nur eine weibliche Organisationsgeschichte des Centralvereins (C.V.).
Dies zeigt sich besonders mit Blick auf dessen publizistische Arbeit. Untersucht wird
einerseits die Rolle der Frauen im deutschen Zeitungswesen der Weimarer Republik,
andererseits – und hier erfüllt die Autorin ein Forschungsdesiderat – werden die Schwierigkeiten
der deutschjüdischen Presse der Vorkriegszeit beleuchtet. Während das jüdische Zeitungswesen
mit immer stärkeren Restriktionen, Vertriebsverboten und inhaltlichen Beschränkungen
konfrontiert war, änderten sich die Arbeitsbedingungen der Journalistinnen und Journalisten,
aber auch die Themen, die in den einzelnen Artikeln verhandelt wurden. Denz illustriert
diesen Prozess anhand der sich wandelnden weiblichen Handlungsräume und Geschlechternormen,
welche die C.V.-Presseorgane im Untersuchungszeitraum bezeugen. Der Untersuchungszeitraum,
das sind die zwanzig Jahre zwischen der Einführung des aktiven und passiven Frauenwahlrechts
und der Zwangsauflösung des C.V. Gerade für die Journalistinnen, die während dieser
Zeit für die jüdische Presse tätig waren, musste es sich um eine äusserst unstete,
bewegte Phase handeln: Nachdem sie endlich über die Möglichkeit zur politischen Mitbestimmung
verfügten, wurden ihre zentralen Bürgerrechte innerhalb weniger Jahre wiederum drastisch
beschnitten.
Ursprünglich war der Hauptzweck des C.V. – dies führt Denz an mehreren Stellen aus
– die Bekämpfung des Antisemitismus. Der Verein, in dem sich „liberale, deutsch-patriotische
Bürgerliche“ (46) organisierten, sah seine Aufgabe darin, die deutschen Jüdinnen und
Juden gegen aussen zu vertreten. Mit seiner Pressetätigkeit wollte er auch die christliche
Leserschaft ansprechen und aufklären. Dieses Ziel konnte der C.V. allerdings nicht
erreichen, denn die Zeitungen wurden durch das nichtjüdische Publikum kaum rezipiert.
Der Kampf gegen den Antisemitismus bildete aber dennoch den Antrieb für die Herausbildung
dieser publizistischen Zeugnisse (und letztlich des gesamten jüdischen Pressewesens
der Vorkriegszeit). Die Aufklärungs- und Bildungsarbeit wich aber allmählich Beiträgen,
welche die jüdische Selbstfindung und Identität vor dem Hintergrund zunehmender Judenfeindlichkeit
thematisierten. Die Presseerzeugnisse des Zentralvereins spiegelten das Bedürfnis
wider, sich in dieser prekären Lage neu zu positionieren und sich der eigenen (religiösen,
kulturellen) Identität zu versichern.
Denz untermauert ihre Analyse mit umfangreichen Grundlagenkapiteln, etwa zur Organisationsgeschichte
des C.V. oder zur Stellung der Frau im aschkenasischen Judentum. An dieser Stelle
formuliert die Autorin eine bemerkenswerte These: Im Gegensatz zur allgemeinen Frauen-
und Geschlechterforschung erachtet sie eine Trennung zwischen öffentlicher und privater
Sphäre bei weiblich-jüdischen Lebenswelten nur als begrenzt sinnvoll. Dies liegt am
hohen Stellenwert der privaten, häuslichen Religionsausübung im traditionellen Judentum.
Weil der Haushalt und die Familie elementare Fundamente des religiösen, aber auch
des traditionellen jüdischen Lebens bilden, kommt Frauen bei der Pflege und Überlieferung
der jüdischen Kultur und Religionsausübung eine zentrale Rolle zu. Im 20. Jahrhundert
erfuhren jüdische Frauen zudem eine Aufwertung ihrer Rollen und Tätigkeiten im öffentlichen
Bereich. Da sie öfter erwerbstätig waren als ihre nichtjüdischen Zeitgenossinnen,
verfügten sie über „andere, zuweilen umfangreichere Handlungsräume“ (53). Dass die
Dichotomie Öffentlichkeit/Privatheit bei jüdischen Frauen neu gedacht werden muss
und nicht der gewöhnlichen Trennung entspricht, die in der allgemeinen Geschlechterforschung
vollzogen wird, ist eine zentrale Erkenntnis dieser Untersuchung: Werden Handlungsräume
von Frauen des beginnenden 20. Jahrhunderts untersucht, gilt es, zwischen den Wirkungsmöglichkeiten
jüdischer und christlicher Frauen zu unterscheiden.
Den einführenden Kapiteln folgen Kurzbiografien zu elf Journalistinnen, die im Untersuchungszeitraum
für den C.V. gearbeitet hatten. Bei diesen handelt es sich ausnahmslos um Frauen aus
dem Bildungsbürgertum, die zum überwiegenden Teil auch berufstätige Mütter waren.
Auf den biografischen Werdegang und die publizistische Tätigkeit dieser Frauen stützt
sich Denz, um ihre Fragestellungen zu beantworten. Ihr Erkenntnisinteresse bezieht
sich auf die Frauenrollen und -bilder, die in der Presse des C.V. expliziert werden,
auf Handlungsräume und konkrete Arbeitsfelder von Frauen im Verein und darauf, wie
sich weibliche Geschlechternormen in der C.V.-Presse während des Untersuchungszeitraums
wandelten. „C.V.-Presse“ wird dabei von Denz als subsumierender Begriff für unterschiedliche
Publikationen verwendet, die vom oder aus dem Umkreis der Organisation entstanden
sind. Als Beispiele sind die Monatsschrift Im deutschen Reich, die Wochen- und Monatsausgabe der C.V.-Zeitung oder das Monatsheft Der Morgen zu nennen.
Der C.V. verfügte zudem über einen eigenen Verlag sowie ein Vereinsarchiv der Hauptgeschäftsstellen.
Als Quellengrundlage greift die Autorin deshalb auf das „sehr reichhaltige Presse-
und Publikationswesen“ (45) zurück, welches von Journalistinnen, Vereinsmitgliedern
und Geschäftsführern publiziert wurde. Einzelne Dokumente aus den Nachlässen dreier
C.V.-Akteurinnen runden das Quellenkorpus ab.
Denz unterzieht diese Texte einer quantitativen und qualitativen Analyse, wobei das
quantitative Verfahren die einzige Schwachstelle dieser Arbeit ist: Denz etabliert
hierfür die Analysekategorien ‚Frauenbezug‘ und ‚Frauenfrage‘ – diese werden aber
nur marginal in einer Fussnote (128, Anm. 153) definiert: „Bei Texten in der schwächeren
Kategorie mit ‚Frauenbezug‘ wird an zumindest einer Stelle eine Frau oder ein ‚Frauenthema‘
erwähnt. Artikel in der stärkeren Kategorie ‚Frauenfrage‘ behandeln Themen wie die
Staatsbürgerschaft der Frau, die Frauenbewegung, die C.V. Frauenarbeit, soziale Themen
o. Ä.” Für die quantitative Auswertung, die im Wesentlichen auf diesen beiden Begriffen
beruht und einen grossen Teil der Analyse ausmacht, sollten diese zentralen Begriffe
stärker umrissen werden; es stellt sich zudem die Frage, was mit dem Verfahren, die
Beiträge nach ‚Frauenbezug‘ und ‚Frauenfrage‘ zu quantifizieren, gewonnen wird. Dass
die Texte systematisch nach diesen Themen abgesucht und ausgewertet werden, steht
bis zu einem gewissen Grad dem Anspruch auf eine Darstellung „gemischtgeschlechtlicher
jüdischer Geschichte“ (14) entgegen, den Denz in ihrem Einleitungskapitel formuliert.
Das Ziel, keine dezidiert weibliche jüdische Geschichte zu schreiben, sondern diese
als Teil einer heterogenen Geschichte zu begreifen, lässt sich anhand der exkludierenden
Begriffe ‚Frauenbezug‘ und ‚Frauenfrage‘ nicht realisieren. Vielmehr wird so der Sonderstatus
der jüdischen Frauen – in Abgrenzung zu den jüdischen Männern – zementiert, deren
Publikationen sich durch eigene, frauenspezifische Themen auszuzeichnen scheinen.
Ein gemischtgeschlechtlicher Zugang hätte vielleicht eher nach den Schlagworten ‚Rollenbild
’, ‚Handlungsraum‘ oder ‚Geschlechternorm‘ gefragt. Die Schwachstelle dieser quantitativen
Analyse wird durch die nachfolgenden qualitativen Ausführungen jedoch kompensiert,
indem Denz einige wichtige Erkenntnisse zum Frauenbild in der C.V.-Presse formuliert.
So stellt die Autorin beispielsweise fest, dass das Thema der berufstätigen Frau in
den publizistischen Beiträgen stark vertreten ist. Dies verwundert nicht, gingen doch
auch die elf untersuchten Journalistinnen einem Broterwerb nach und entstammten dem
liberalen, bildungsbürgerlichen Judentum. Frauen wurden aus diesem Grund nicht mehr
als passive Zielgruppe dargestellt, sondern als politisch interessierte, aktive Mitkämpferinnen
gegen den Antisemitismus, als handelnde Wohltäterinnen und Sozialarbeiterinnen. Die
wohl zentrale Erkenntnis dieser Untersuchung ist jedoch, dass in der C.V.-Presse während
der Jahre 1918–1938 eine „grosse Heterogenität an Frauenbildern“ (196) herrschte.
Progressive, moderne Auffassungen koexistierten mit einer traditionellen Vorstellung
von Weiblichkeit. Die C.V.-Presse zeichnete sich während der Weimarer Republik dadurch
aus, dass verschiedene Frauenrollen und -normen nebeneinander existierten – und diese
„hybride Geschlechteridentität“ (196) entsprach wohl der damaligen Lebensrealität.
Besonders interessant ist eine weitere Tendenz, welche die Autorin in Bezug auf das
Frauenbild feststellt: In der Frauenbeilage des C.V. wird, parallel zum zunehmenden
Einfluss der Nationalsozialisten, das Bild der religiösen jüdischen Frau propagiert.
Denz erklärt diese Entwicklung als Reaktion auf die immer stärker werdende Bedrohung
durch die Nazis: Durch die „(Rück-)Besinnung auf jüdisch-religiöse Traditionen“ (179)
wurde ein Gegengewicht zu den unberechenbaren Ausgrenzungen und Bedrängnissen geschaffen,
die vom Nationalsozialismus ausgingen. Die Frau wurde in diesem Zusammenhang als ‚Hüterin
der Tradition‘ stilisiert, die durch ihr häusliches Wirken einen sicheren Rückzugsort
schuf.
Als letzte Punkte thematisiert Denz die C.V.-Frauenarbeit sowie den Jüdischen Frauenbund.
Letzterer stand zwar in Konkurrenz zum C.V., doch rückten die beiden Organisationen
– vor dem Hintergrund der externen Bedrohungen und Einschränkungen – zwangsläufig
näher zusammen. Die Frauenarbeit, ein wichtiger Wirkungsort von Frauen im C.V., bestand
vorwiegend in der Durchführung von Veranstaltungen: Lesungen und Vorträgen zur Kindererziehung,
zur Religionsausübung oder zum eigenen beruflichen Fortkommen. Vor allem aber zielte
die Bildungsarbeit darauf, über Antisemitismus aufzuklären und die Frauen im Kampf
gegen ihn zu unterstützen. Für nachfolgende Forschungsarbeiten wäre es lohnend, sich
ausführlicher mit diesen Schulungen in Selbstverteidigung und Resilienz zu beschäftigen.
Zumal die Fragen, die im Anschluss gestellt werden könnten, äusserst interessant sind:
Existierten im Dritten Reich dezidiert weibliche Strategien im Umgang mit Antisemitismus?
Wie gingen (insbesondere gebildete) jüdische Frauen mit der zunehmenden Ausgrenzung
und Diskriminierung durch die Nationalsozialisten um? Dies sind Fragen, die zwar weit
über die Presseorgane und die Organisationsgeschichte des C.V. hinausweisen, in ihrem
Kern sind sie in Denz’ Monografie aber bereits angelegt. Die Autorin interpretiert
die Frauenbiografien sowie die heterogenen Rollenbilder als Indikatoren für die Wandlungsfähigkeit
des Vereins. Doch sie sind wohl mehr als das: Die berufstätigen, gebildeten Journalistinnen
vermittelten in ihren Beiträgen das Bild der aktiven, politischen aber zugleich traditionsbewussten
Frau. Hiermit spiegelten sie einerseits die Lebensrealitäten, andererseits das Wunschdenken
ihrer Zeit. Die Heterogenität der Frauenbilder war ein Ausdruck der unterschiedlichen
Strategien, die Frauen im Kampf gegen den Antisemitismus hätten anwenden sollen und
zum Teil auch tatsächlich anwendeten: Als Berufsfrau mit neugewonnenen politischen
Mitbestimmungsrechten, um aktiv gegen die Diskriminierung vorzugehen, aber auch als
‚Hüterin der Tradition‘, um sich und ihre Familie in der häuslichen Sphäre vor ihr
zu schützen.