Ein neues Buch zur Blutbeschuldigung: Magda Teter. Blood Libel: On the Trail of an Antisemitic Myth. Cambridge, MA: Harvard University Press, 2020. 560 Seiten, EUR 37, ISBN 978-0-674-24093-3
Universität Zürich
Die Beschuldigung des Ritualmords durch die Juden hat seit langem eine Fülle von mehreren hundert wissenschaftlichen Untersuchungen ausgelöst, die zum Teil auch in Sammelbänden zum Thema reediert wurden. Die meisten betreffen einzelne Vorkommnisse, aber auch einige Versuche der Gesamtdarstellung sind schon unternommen worden, die den jeweiligen Forschungsstand wiedergeben und zugleich eigene Gesichtspunkte einbringen. Das neue Buch von Magda Teter eröffnet mit der Fokussierung auf Wege der Verbreitung und unterschiedliche Rezeptionen von Texten und Bildern eine neue, eigene Perspektive.
In der Einleitung betont Teter die Aktualität ihres Themas anhand einer abstrusen Aktion weisser Suprematisten in England 2015 zu Ehren des angeblichen Ritualmordopfers Hugh of Lincoln (1255). Darin offenbare sich die auch aktuell fortdauernde Kraft und Attraktivität judenfeindlicher Elemente der mittelalterlichen Geschichte. Ritualmord und Blutbeschuldigung entfalteten im 20. Jahrhundert insbesondere durch Nationalsozialismus und Faschismus eine enorme Breitenwirkung. Im mittleren Osten werden sie im muslimischen Kampf gegen Israel instrumentalisiert.
Den Beginn der Legende setzt Teter mit dem hagiographischen Bericht des Thomas of Monmouth über den 1144 angeblich durch die Juden ermordeten William of Norwich an. In den frühesten Ausprägungen der Beschuldigung des Ritualmords oder der rituellen Kreuzigung sei der Nachvollzug des Leidens und des Todes Christi zentral gewesen. Im 13. Jahrhundert sei als neues Motiv die Anschuldigung hinzugetreten, die Juden töteten christliche Kinder, um ihr Blut zu gewinnen. Dadurch sei der Ritualmord zur Blutbeschuldigung und zum rituellen Kannibalismus mutiert. Diese Differenzierung der Begriffe ist wesentlich. Es klingt hier die lange in der Forschung völlig dominierende, 1984 publizierte These von Gavin Langmuir an, der in Thomas von Monmouth den unabhängigen Schöpfer der Verbindung von Nachvollzug der Kreuzigung und neuer Blutbeschuldigung gesehen hat. In England habe man keine Kenntnis früherer ähnlicher Vorgänge gehabt. Er hat damit eine fundamentale Wende verbunden vom nicht rationalen Antijudaismus, der gegen Juden als Feinde oder Schurken gerichtet war, zum irrationalen Antisemitismus, der den Juden völlig unreales Verhalten wie das Gewinnen von Blut zu rituellen Zwecken unterstellt. Unter dem Eindruck der Relativierung des Ursprungs in neueren Studien und der geringen Verbreitung der Hagiographie von Thomas of Monmouth hält auch Teter die Einschätzung von Langmuir für überzogen. Sie will vom Ursprung ausgehend die Datenspur (paper trail), die Wanderung der Blutbeschuldigung im mittelalterlichen und neuzeitlichen Europa unter chronologischer und geographischer Ausweitung des Blicks auf Quellen Englands, Frankreichs, Deutschlands und Polens verfolgen und dabei auch ein kulturell und politisch wesentlich vernetzteres Europa erkennbar machen als bisher bekannt. Ein zweiter fundamentaler Umbruch sei mit dem Prozess um das angebliche Ritualmordopfer Simon von Trient 1475 anzusetzen. Die zuvor klare Haltung der Päpste, welche die Anklagen als Erfindungen bekämpften, sei durch die Ambivalenz Sixtus’ IV. unterminiert worden, der nach heftigem Sträuben und unter Druck den Trienter Prozess gegen die Juden als rechtmässig anerkannte. Bereits Gavin Langmuir hat mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass die päpstlichen Abmahnungen indessen immer nur die Blutbeschuldigung betroffen hatten, nicht auch die Fabel des Ritualmords und der Kreuzigung. Gerade diese beiden Ritualmorde, welche Teter als Wendepunkte (turning points) heraushebt, sind unter den mittelalterlichen auch diejenigen, über welche die umfangreichsten Quellen vorliegen und über die am intensivsten geforscht worden ist.
Das erste Kapitel From Medieval Tales to the Challenge of Trent verfolgt in raschem Durchgang von nur 30 Seiten Ritualmorde von Norwich 1144 bis zum Prozess von Trient 1475, welche Anfang und Ende der mittelalterlichen Beschuldigungen darstellten (bookends of the medieval accusations). Zum Bericht des Thomas of Monmouth über William, der seit 1896 im Druck, seit 2014 auch in einer englischen Übersetzung von Miri Rubin vorliegt, wird der Zusammenhang der hagiographischen Ausrichtung mit neuen Entwicklungen der christlichen Frömmigkeit unter Betonung des Leidens Christi und der marianischen Thematik skizziert. Auf die liturgisch geprägte Sprache des Textes hat kürzlich auch Heather Blurton hingewiesen. William wurde nach Thomas als Ersatz (stand-in) für Christus gekreuzigt und dadurch zum Märtyrer. Es geht Thomas um die Problematik der Heiligkeit von Kindern, die eigentlich keine der klassischen Erfordernisse erfüllen. Sie sind weder Märtyrer, die für den Glauben sterben, noch Bekenner, die in Verfolgung standhaft in ihrem Glauben bleiben, aber nicht hingerichtet werden; ihre Heiligkeit begründet sich allein aus ihrem ungerechten gewaltsamen Tod. Lokale Verehrung, bischöfliche Billigung der Translation und gewirkte Wunder sind zeitgenössisch und damit auch in der Schrift von Thomas, der sich nach Teters Vermutung vielleicht an die Canones des Decretum Gratiani angelehnt hat, als Kriterien für die lokale Kanonisation zentral. Indessen wurde die päpstliche Kanonisation seit dem 12. Jahrhundert zur Konkurrentin der bischöflichen, die von Thomas hier doch noch deutlich vertreten wird. Seine Hagiographie entfaltete aber wenig Ausstrahlung. Erst nach dem angeblichen Ritualmord an Hugo von Lincoln 1255 setzte eine von Teter nicht im Einzelnen verfolgte Reihe weiterer Fälle ein, die England zu einer Brutstätte (hotbed) für Ritualmordfabeln gemacht habe. Die Ausweisung der Juden aus England 1290 beendete diese Reihe.
Auf dem Kontinent erfolgte die erste Erwähnung Williams of Norwich noch ehe Thomas seine Hagiographie verfasst hatte, ein gewichtiges Argument gegen die These von Langmuir. Teter streift kurz Richard von Pontoise, dessen Kreuzigung nach chronikalischen Quellen 1182 zur Ausweisung der Juden aus Frankreich durch Philipp August geführt haben soll. Tiefen Eindruck auf die Zeitgenossen machte das Massaker von Blois 1171, bei dem 31 Juden und Jüdinnen aufgrund der Anklage, einen Knaben gekreuzigt zu haben, verbrannt wurden. Robert Chazan hat in der eindringlichsten Untersuchung der recht umfangreichen hebräischen Quellen auch hier eine bedeutende Wende angesetzt hin zu einem erstmals von einer zuständigen weltlichen Herrschaftsautorität anerkannten Verfahren, erstmals ohne Leiche eines Opfers, das erstmals mit dem Feuertod der Beklagten endete. Teter resümiert den Ablauf wie Chazan nach mehreren hebräischen Briefen, geht aber auf Chazans Zuspitzung nur in der Wendung von Susan Einbinder ein: erstmals erscheinen hier Juden als Opfer gerichtlicher Gewalt. Dass die Juden die im Feuer Umgekommenen als Brandopfer für die eigenen Sünden ehrten, habe die Reaktion auf antijüdische Anklagen durch das Martyrium zur Heiligung des Gottesnamens – kiddush ha-shem – für Jahrhunderte geprägt, eine These, die auch schon mit dem Verhalten der Juden und Jüdinnen viel früher bei den Verfolgungen des ersten Kreuzzugs 1096 verbunden worden ist. Die Korrektur des ungerechten Verfahrens und Urteils durch König Louis VII. habe das Vertrauen der Juden in den Schutz durch die christliche Herrschaft wieder hergestellt. Diese Interpretation geht im Wesentlichen davon aus, dass die Briefe kurz nach den Ereignissen verfasst wurden, was indessen, wie Teter ausführt, in der neueren Literatur bestritten wird. Sie übernimmt dennoch die These von Chazan, dass in den Briefen ein Vorbild für weitreichendes kommunikatives Zusammenwirken jüdischer Gemeinden und diplomatischer Initiativen bei Angriffen für die Zukunft entworfen werde. Mit dem Gedenken an Blois beginne in der Geschichte des Ritualmords die Fährte der Erinnerung (memory trail), mit Valréas und Fulda die Fährte des Rechts (legal trail).
Die Blutbeschuldigung von Fulda führte zu einer von Friedrich II. angeordneten Untersuchung durch zum Christentum konvertierte Juden, welche das strikte Verbot des den Juden vorgeworfenen Blutgenusses durch Bibel und Talmud hervorhoben. Der Kaiser sprach 1236 die Juden vom Vorwurf frei und verbot, solche Anklagen gegen sie zu erheben. Obwohl der Erfolg der kaiserlichen Entscheidung nicht durchschlagend war, die Fabel weiter kolportiert wurde, beginne hier die rechtliche Fährte der Verteidigung gegen die Blutbeschuldigung. Der von Juden aus dem Reich (Alemannia) angerufene Papst Innozenz IV. stellte 1247 seinerseits klar, dass Juden für rituelle Zwecke kein Blut verwendeten; wer dies künftig behaupte, verfalle der Exkommunikation. Zwei Bullen zum Ritualmord von Valréas 1247 nennen aber nur die Anklage der Kreuzigung, nicht auch der Blutbeschuldigung. In Valréas wurden nach dem Fund der Leiche eines zweijährigen Mädchens verdächtigte Juden gefoltert. Ein Jude soll ausgesagt haben, sie hätten dem Mädchen Blut abgenommen, um es am Sabbat zu geniessen. Juden täten dies jedes Jahr. Nach anderen diente das Blut als Sakrament zum Besprengen, wie einst der Oberpriester den Platz vor dem Tempel mit Blut eines Bockes besprengte, oder es sei ein Opfer anstelle des Tempelopfers, oder das Mädchen sollte statt Jesus gekreuzigt werden, um dessentwillen die Juden in Gefangenschaft (des Exils) seien. Teter sieht in dieser Ausprägung der Blutbeschuldigung eine Projektion des Glaubens an die Eucharistie und der eucharistischen Praxis auf die Juden: das Blut werde wie die Eucharistie genossen. Das Opfer werde wie Jesus zu einem Pessach-Widder. Die Vermutung, kurz nach dem Talmudprozess von 1240 könnte die Kenntnis der Tempelrituale aus dem ersten Testament und der Mischna auf das Narrativ eingewirkt haben, erscheint sehr spekulativ. In Anlehnung an Forschungen von Ephraim Shoham-Steiner und Caroline Bynum wird auch auf den Glauben an die heilende Kraft des Blutes, besonders bei Lepra, hingewiesen, der von Juden und Christen geteilt wurde. Christliche Blutfrömmigkeit und Blutbeschuldigungen gegen Juden treten in denselben Gegenden auf. Teter weist weiter darauf hin, erstmals liege hier eine detaillierte Quelle zum Verlauf einer Blutbeschuldigung vor und erstmals werde der Tod eines Christenkindes mit dem mosaischen Gesetz verbunden. Erstaunlich erscheint aber wohl auch, dass erstmals ein Mädchen gekreuzigt werden sollte. Papst Innozenz IV. nannte als Motiv der Christen die Gier nach dem Besitz der Juden, verurteilte das unrechtmässig geführte Verfahren und das von ihm in äusserst drastischen Einzelheiten beschriebene grausame Vorgehen scharf. Das Wort des Papstes, dass keiner Bestrafung verdiene, wenn er zuvor kein Verbrechen begangen habe, noch dass jemand für die Verbrechen eines anderen bestraft werden solle, sei auch bei späteren Blutbeschuldigungen immer wieder vorgebracht worden.
Der Ritualmord und die Blutbeschuldigung im Fall von Hugh of Lincoln 1255 werden nicht näher erläutert, was deshalb etwas erstaunt, weil Gavin Langmuir hier eine ganz entscheidende Wende angesetzt hat: hier habe der König Henry III. unter persönlicher Kenntnisnahme der Nachforschungen einen Juden sofort und 18 weitere später exekutieren lassen. Damit habe er unter dem Einfluss der Untersuchung durch John of Lexington der Fantasie vom Ritualmord den Segen königlicher Autorität erteilt (the blessing of royal authority).
Die Ereignisse um die Ritualmordfabel über Werner von Oberwesel 1287, die weit verbreitet Judenverfolgungen befeuerte, ist gut dokumentiert durch eine erhaltene Enquête 1428–1429 für einen – erfolglos – bei Papst Martin V. angesuchten Kanonisationsprozess. André Vauchez hat die Entstehung und das Nachleben der Fabel eindringlich dargestellt, weshalb Teter sie nur kurz behandelt. Trotz scharfer Abmahnung durch König Rudolf von Habsburg (er war übrigens nicht Rudolf II. und er war nie Kaiser/Emperor, wie Teter schreibt, sondern 1273–1291 König), an den sich die Juden gewandt hatten, und dem Durchgreifen des Erzbischofs von Mainz, der sogar angeordnet haben soll, den Leichnam Werners zu verbrennen und die Asche zu verstreuen, war der volkstümliche Kult nicht zu unterbinden. Er hat, gefördert durch hohe Geistliche und auch durch weltliche Grosse, weite Verbreitung gefunden, sogar – unter Verflüchtigung des judenfeindlichen Kontextes – als Weinbauheiliger in Frankreich. Teter streift diesen Fall nur und erwähnt nicht, dass schon in den Annalen von Niederaltaich den Juden als Motiv für den angebliche Mord die Beschaffung von Blut für medizinische Zwecke unterstellt wurde und dass in Legenden des 14. Jahrhunderts eine versuchte Hostienschändung in die Fabel eingebracht wurde: Werner sei, als er von der Kommunion kam, angegriffen und aufgehängt worden, damit er die Hostie ausspeie. Da er dies nicht tat, sei er gefoltert und ihm das Blut abgelassen worden. Dieser Fall erlaubt es, über einen langen Zeitraum bis ins 19. Jahrhundert die Peripetien der Verehrung eines angeblichen Ritualmordopfers zu verfolgen. Teter vertritt die Meinung, dies habe keinen bedeutenden Einfluss in der Geschichte antijüdischer Anschuldigungen gehabt. Auf den angeblichen Ritualmord von Endingen 1462 geht Teter nicht ein. Dieser führte 1470 zu einem Verfahren, in dem gefolterte Juden gestanden, das Blut zweier Kinder zur Verwendung bei Beschneidungen in ein Glas abgelassen zu haben. Die Juden wurden verbrannt. Im Zusammenhang scheint nicht unwichtig, dass der Promotor des Prozesses 1475 um Simon von Trient, Bischof Johannes Hinderbach, diesen nur fünf Jahre zurückliegenden Vorgang gekannt hat und wohl davon beeinflusst worden ist, denn er versuchte, sich Texte von Zeugenaussagen zu beschaffen.
Mit den folgenden beiden Kapiteln The Death of Little Simon and the Trial of Jews in Trent und Echoes of Simon of Trent in European Culture, die den angeblichen Ritualmord an Simon von Trient und sein Nachleben in Texten und Bildern behandeln, beginnt erst die zentrale Thematik des Buches. Es ist dies der wohl bekannteste und am eingehendsten untersuchte Fall. Drei neuere Monographien sind darüber in kurzer Zeit erschienen. Ronnie Po-chia Hsias Untersuchung von 1992 stützte sich nur auf einen Teil der überreichlichen archivalischen Quellen. Das Buch von Wolfgang Treue von 1996 beruhte bereits auf einer breiteren Quellengrundlage. Schon zuvor wurde 1990 ein erster Band der lateinischen Quellen zu den Prozessen von Anna Esposito und Diego Quaglioni vorbildlich ediert, 2008 folgte ein zweiter Band. Gewaltigen Wirbel hat das Buch Pasqua di sangue von Ariel Toaff von 2007 ausgelöst, das aufgrund scharfer Reaktionen zunächst zurückgezogen, 2008 aber erneut publiziert wurde. Ins Englische übersetzt ist es zuletzt 2020 als Taschenbuch erschienen und findet bei den Kunden von Amazon derzeit höchste Bewertungen. Toaff hält einzelne Teile der unter Folter erpressten Geständnisse über die Verwendung von Blut durch aschkenasische Juden als glaubwürdig, was von der Forschung übereinstimmend mit guten Begründungen abgelehnt worden ist und bei Teter zurecht keine Erörterung findet. Inspiriert wohl vom Trienter Prozess ist übrigens sogar ein Roman Il rogo della Repubblica von Andrea Molesini 2021 erschienen.
Teter betont, wie sehr der Prozess und die Quellen dazu von Bischof Johannes Hinderbach von Trient und seinem Kreis manipuliert worden sind. Es sei zu einem eigentlichen Kampf um Akten und um Erinnerung gekommen. Über den Prozess, der kurz resümiert wird, kam es zu einer scharfen Kontroverse mit Papst Sixtus IV. Zuerst hatte Herzog Sigismund von Tirol die Rechtmässigkeit des Prozessverfahrens bestritten, dann – bei weitem gewichtiger – auch der Papst. Die Manipulationen der Akten und die diplomatischen Initiativen des Bischofs zur Durchsetzung seiner Version der Vorgänge werden von Teter nachgezeichnet. Der Prozess wurde vom Papst suspendiert, der Dominikaner Battista de’Giudici von ihm mit der Untersuchung des Verfahrens beauftragt. Die Trienter sabotierten diese mit allen Mitteln. Vertreter der Juden ersuchten de’Giudici vergeblich um Abschriften der Prozessakten. Authentizität und Verlässlichkeit der Akten seien während der gesamten Auseinandersetzung und weit darüber hinaus von Bedeutung gewesen, so Teter. Anweisungen des Papstes leisteten die Trienter keinerlei Folge mit der Begründung, die Kompetenz der Untersuchung liege beim Kaiser, nicht beim Papst. Im weiteren Verlauf wurde auf die Zuständigkeit des Podestà Giovanni de Salis für die Trienter Juden gepocht. Ein anonymer Jurist – vielleicht Antonio Capodilista von Padua – wies alle Blutbeschuldigungen und die angeblichen Verwendungen des Blutes in der Pessach-Matze, zum jüdischen Seelenheil, zur Beseitigung des jüdischen Gestanks (foetor judaicus) oder bei Beschneidungen als unsinnig zurück. Teter sieht darin eine „italienische“ Sicht, die mit dem weitverbreiteten Glauben an die Blutbeschuldigung nördlich der Alpen kollidiert sei. Sie betont die Kluft zwischen Deutschen („Germans“) und Italienern (Italians), die sich nach der Reformation schärfer ausgeprägt habe. Eine Bulle Papst Sixtus’ IV. vom 20. Juni 1478 erklärte den Prozess dann für rechtmässig durchgeführt. Die Tötung des Knaben durch die Juden hielt der Papst aber gemäss seiner vorsichtigen Formulierung wohl nicht für erwiesen und die Blutbeschuldigung, die schon von mehreren Päpsten seit dem 13. Jahrhundert zurückgewiesen worden war, erwähnte er gar nicht. Die Juden waren nicht passive Opfer, aber in den Quellen ist ihre Stimme nur schwach hörbar und in der jüdischen Kultur hat der Trienter Prozess gemäss Teter nur minimalen Eindruck hinterlassen. Für die Christen sei er hingegen zentral gewesen.
Die politische und chronologische Grenzlage des Trienter Prozesses habe dramatische Folgen für die Handhabung und Erinnerung antijüdischer Anklagen für Jahrhunderte in Italien wie in Nord- und Osteuropa gehabt. Frühere Ritualmordprozesse hätten nur lokale Auswirkungen gehabt, was etwas erstaunt, da der Kult Werners von Oberwesel, den im 15. Jahrhundert auch hohe italienische Prälaten entscheidend förderten, nach Flandern, ja nach Ungarn und in slawische Länder ausstrahlte. Teile der Enquête von 1428–1429 wurden in die Acta Sanctorum aufgenommen. Teters Gewichtung, dass der Trienter Prozess grössere Breitenwirkung entfaltet habe, trifft aber sicher zu. Der neu erfundene Buchdruck trug dazu entscheidend bei. Schon der Prozess wurde begleitet von gedruckten Pamphleten, eines derselben von Giovanni Mattia Tiberino fand schliesslich Eingang in die Acta Sanctorum. Bischof Hinderbach befeuerte die literarische und ikonographische Propagandakampagne für Simon und seinen Kult gegen alle Einwände des Herzogs von Tirol und vor allem des Papstes, der zwar die rechtmässige Abwicklung des Prozesses bestätigte, aber sich scharf gegen jede Beförderung des Kultes wandte. Stephen Bowd hat 2015 aufgrund ausgedehnter Archivforschungen den Austausch und die Verbindungen zwischen den beteiligten italienischen Autoren der Renaissance dargestellt und Gewicht auf deren bisher kaum wahrgenommene Judenfeindschaft gelegt. Nach Hinderbachs Tod verringerte sich die Publizistik dramatisch. Erst 1571 nahm der deutsche Kartäuser Laurentius Surius (Laurenz Sauer) als erster Simon in eine Sammlung von Heiligenleben auf. Die Verbreitung dieses „Bestsellers“ (sic!) habe Simon einen dauerhaften Platz in der Geschichte des Christentums gesichert. Die Auseinandersetzung um die Heiligkeit Simons fiel in die spätmittelalterliche Regulierung des Kanonisationsverfahrens. Das ökumenische Konzil von Trient mag zur Bekanntheit Simons beigetragen haben. Bei der von Gregor XIII. beauftragten Überarbeitung wurde Simon ins Martyrologium Romanum aufgenommen. In der Folge anerkannte Sixtus V. 1588 ein Officium für ihn, aber nicht eine formelle Kanonisation.
In Italien wurde die Rezeption der Trienter Vorgänge dazu benutzt, in vulgärsprachlichen Pamphleten antijüdische Stimmung zu verbreiten, die traditionelle Toleranz (?) zu unterminieren und die Forderung der Vertreibung der Juden aus den Städten und allen christlichen Gebieten zu erheben. Dazu wäre anzumerken, dass die Vertreibung der Juden in dieser Zeit auch besonders die Franziskaner anstrebten, darunter der mit Trient verbundene Bernardino da Feltre, die den jüdischen Kredit oder Wucher durch Montes pietatis und damit auch die Juden entbehrlich machen wollten. Es kam zu Nachahmer-Anschuldigungen. 1479 wurde in Pavia ein Knabe Tuturu angeblich für jüdische Riten entführt und gekreuzigt; er tauchte aber bald wieder ungeschädigt auf. Die Regentin Bona von Savoyen wandte sich mit vielfältigen Argumenten energisch gegen absurde Anschuldigungen des Mordes und Blutgenusses der Juden. Der Herzog von Mailand ordnete an, solche Verfahren seien nach Mailand zu transferieren. 1480 wurden Juden aus Portobuffolè in Venedig hingerichtet aufgrund der Beschuldigungen der Ermordung des Knaben Sebastiano Novello, dessen Leiche nie gefunden wurde. 1482 wurde die Tötung des Giovannino in Volpedo untersucht. Der angeblich 1485 ermordete Lorenzino (Sossio) da Morastica erhielt im 17. Jahrhundert (oder eher wohl 1867) einen eigenen Kult.
An ein junges Publikum wandte sich ein anonymer Traktat Ristretto della vita e martirio di S. Simone, der gegenüber Tiberinos weiter dominanten Version neue Akzente setzte. Dem in Trient angeblich massgebenden Juden Moses wurde die Lehre unterstellt, wie in Ägypten die Türpfosten der Juden mit Blut von Lämmern markiert und dadurch die Juden gerettet worden seien, so sollten die Häuser der Juden mit dem Blut eines Christenkindes besprengt und Blut dem ungesäuerten Brot beigemengt werden. Zwei deutsche Juden hätten auf die Absurdität hingewiesen und auf das Verbot von Mord und Blutgenuss insistiert. Völlig neu war es laut Teter, dass hier die Anschuldigungen auf einige wenige Juden beschränkt wurden und nicht die gesamte Judenheit betrafen. Nach der Anerkennung des Officiums für Simon durch Sixtus V. verstummten kritische Stimmen. Tiberinos Darstellung blieb dominant.
Neue biblische Themen und Motive führte Il glorioso infante S. Simone von Michelangelo Mariani ein. Dabei stand die Parallelisierung Simons mit Christus im Vordergrund. Dazu kam als Beweis der Schuld aus dem volkskulturellen Umfeld die sogenannte Bahrprobe (ius cruentationis) hinzu, ein Ordal, bei dem der Leichnam bei Anwesenheit des Mörders zu bluten beginnt. Teter nennt einen Fall in Pforzheim 1271 (sie datiert offenbar nach Georgius Colvernius, Duaci 1627; Aronius datierte wohl richtig 1267 nach dem noch vorhandenen Grabstein in der Schlosskirche), wo Juden ein Mädchen getötet haben sollen. Da die inzwischen zahlreicheren christlichen Hebraisten keine jüdischen Texte zum Ritualmord finden konnten, behauptete Mariani eine rein orale Tradition. Augustins Toleranzthese der Juden als Zeugen der Richtigkeit des christlichen Glaubens, deutete er um: Juden seien als Feinde notwendig, um den Sieg der Kirche zu beweisen. Mariani erklärte Simon als verehrungswürdiger als die ermordeten Innocenti zu Bethlehem.
In der Bulle Beatus Andreas Benedikts XIV. wurden die Innocenti dann als wesentliches Argument für die Heiligkeit von Kinder-Märtyrern aufgeführt. Teter rechnet Mariani einer neuen epistemologischen Ära zu, weil er auch Archivquellen beizog. Die Entstehung des Kultes von Andreas von Rinn, der nach der Legende 1462 von Juden ermordet worden war, hängt eng mit Simon zusammen. Hippolytus Guarinonus, der den Leichnam Simons zum wiederholten Mal neu einbalsamiert hatte, verfasste 1620 einen Bericht über Andreas und befeuerte damit einen lokalen Kult. Benedikt XIV. (1740–58) erkannte diesen Kult an (lehnte aber die Kanonisation ab) und damit den zweiten, von der Kirche formell bestätigten Ritualmord.
Die reichhaltige ikonographische Propaganda, schon von Hinderbach energisch gefördert, schuf gemäss Teter ein ikonographisches Vokabular (iconographic vocabulary) des Ritualmords. Ein 1475 in Trient gedrucktes Volksbuch des lokalen Malers Albert Kunne setzt Teter als Ausgangpunkt. Es enthält eine Reihe von Holzschnitten, die erstmals den Text direkt illustrieren. Gegen die aufreizende Bildpropaganda wandten sich 1475 Sixtus IV., der Doge Pietro Mocenigo und der Podestà von Brescia. Teter unterstreicht die Differenz der Entwicklung hin zur drastischen Ausgestaltung der jüdischen Brutalität im Norden und der Darstellung des Simon triumphans in Italien. Offenbar erst nach der Mitte des 16. Jahrhunderts wurde in Trient eine Prozession mit den Reliquien Simons eingerichtet. Der Pilgerstrom schwoll an. Die Pilger trugen zur Verbreitung der Geschichte und des Kults Simons nach Frankreich, Flandern und Polen bei.
Polen-Litauen bildet einen Schwerpunkt des Buches. Hier kann Teter auch auf eine Reihe detaillierter eigener Forschungen zurückgreifen. In Polen war der Kanoniker Stefan Zuchowski vor und nach seinem Aufenthalt in Trier 1699 in Prozesse gegen Juden unter Anschuldigung des Ritualmords in Sadomierz involviert, gefolgt von Bilder-Propaganda, hier mit klarem Bezug zur Trienter Ikonographie. Auch ein Ritualmord am Knaben Stefan in Markowa Wolica 1753 wurde mit ikonographischem Bezug zu Trient illustriert. Die polnische Ikonographie unterstrich im Gegensatz zur italienischen die jüdische Grausamkeit. Während christliche Hebraisten in Italien und auch im deutschen Reich mit einiger Kenntnis jüdischer Religion, religiöser Praxis und Literatur die Anschuldigung der Juden abschwächten, wurde das Bild der Juden in Polen durch volkssprachliche, explizit antijüdische Werke von Verfassern geprägt, die keine jüdischen Texte kannten.
Das Kapitel Blood Libels and Cultures of Knowledge in Early Modern Europe will aufzeigen, wie die Geschichte Simons nach der Reformation in der konfessionellen Polemik genutzt wurde. Teter exemplifiziert dies mit der Kontroverse zwischen dem – übrigens sehr gemässigten – Protestanten Johannes Sleidanus und dem Katholiken Laurentius Surius. Die Blutbeschuldigung spielte in der katholischen Polemik gegen die Reformierten theologisch keine Rolle, wohl aber die Hostienschändung. Ob dabei die unterschiedliche Auffassung des Abendmahls bei lutherischen und zwinglianischen Protestanten erkennbar ist, wird von Teter nicht angesprochen. Die Quintessenz des katholischen Standpunktes sieht sie in den Annales ecclesiastici des Baronius und seiner Fortsetzer, welche mittelalterliche Chroniken als Quellen beizogen, darunter die Publikationen von Johannes Trithemius und des Basler Protestanten Christian Wurstisen (nicht Wurtisen), und diese mit diplomatischen Quellen kombinierten, welche die judenfeindliche Tendenz der Chroniken ohne längerfristige Wirkung abmilderten. Selbst der beschlagene Hebraist Sebastian Münster benützte in seiner Cosmographia judenfeindliche Geschichten und Illustrationen – auch über Blutbeschuldigungen – zur populären Rechtfertigung von Verfolgungen unter Billigung der Bestrafung der Juden. Nach Teters Einschätzung verlieh die Aufnahme der Chroniken mit ihrem negativen Bild der Juden in die MGH im 19. Jahrhundert diesen den Status von Primärquellen, eine in ihrem Gewicht etwas problematische Aussage angesichts der seit dem 18. Jahrhundert voranschreitenden historisch-kritischen Methode. Man mag für die Zeit gerade vor und nach der Reformation eine Auseinandersetzung zur Blutbeschuldigung in der Pamphlet-Literatur, den Fastnachtsspielen, den Dramen und überhaupt der zeitgenössischen deutschen Dichtung vermissen, die sich doch ganz direkt und breit propagandistisch auswirkten und zum trail der Erinnerung beigetragen haben.
Mit Po-Chia Hsia konstatiert Teter eine bereits vor der Reformation einsetzende Verschiebung von Theologie und Doktrin zu Lebensweisen und jüdischer kultureller Praxis, zu der mehr als siebzig Werke überwiegend im deutschen Reich erschienen sind. Diese ethnographische Polemik war eine deutsche Entwicklung. Von jüdischer Seite entsprach dem die aschkenasische Minhagim-Literatur, d. h. Schriften zu den Gebräuchen und Regeln in den Gemeinden. Jüdische Konvertiten wie Johannes Pfefferkorn und Antonius Margarita (1530) oder christliche Hebraisten wie Johannes Buxtorf der Jüngere (1622) erklärten, oft ablehnend, jüdische religiöse Praktiken. Bei den Texten über Pessach-Rituale wird die Blutbeschuldigung nicht erwähnt oder dann zurückgewiesen, vehement etwa vom jüdischen Konvertiten Friedrich Albrecht Christiany (1713). Jüdische Zeremonien wurden in Text und Bild nicht mehr als geheim und damit gefährlich dargestellt. In Italien waren Werke über jüdische Religionspraxis hingegen selten. Teter sieht die Ursache für diesen Unterschied in den Angriffen der Protestanten gegen katholische Gebräuche, in den häufigen Vertreibungen von Juden aus den deutschen Städten und in der Befürchtung vereinzelter Hebraisten, die Kenntnis jüdischer Bräuche könnte verloren gehen.
Die italienischen Hebraisten benutzten talmudische Texte als Quellen zu katholischen Wahrheiten. Sie unterstützten die päpstlichen Bemühungen zur Zensurierung hebräischer Texte und die Konversionspolitik. Die antijüdische Polemik blieb hier theologisch. Pietro Galatinos De arcanis catholicae veritatis war von prägendem Einfluss nicht nur in Italien. Der Talmud, der nicht nur Lügen und Irrtümer, sondern auch Wahrheiten enthalte, die indessen von den blinden Juden nicht erkannt würden, wurde mit päpstlicher Zustimmung übersetzt und gedruckt. Francesco Carboni behandelte den meist unerwähnten Widerspruch, dass trotz Verbot des Blutgenusses die Christen das Blut Christi trinken. Da die Juden nicht anerkennten, dass das Verbot durch Christus aufgehoben sei, sondern sich obstinat weiter daran hielten, sei es unsinnig ihnen zu unterstellen, sie würden Christen zum Blutgewinn ermorden oder Hostien zum Bluten bringen. Es gab aber auch Italiener, die den Vorwurf von Ritualmord und Hostienschändung, auch Brunnenvergiftung für zutreffend hielten, etwa Giovanni Piero Pinamonti in La sinagoga disingannata 1694. Die Blutbeschuldigung lehnte er aber ab.
In Polen begegneten sich Christen und Juden im Alltag häufiger. Hier wurde 1536 die sogenannte Epistola Rabbi Samuelis Maroccani oder de Fez aus dem 14. Jahrhundert gedruckt, schon längst „A Best-Seller in the World of polemics“ (Ora Limor). Polens theologische Polemik richtete sich in antijüdischem Gewand oft gegen Protestanten. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts änderte sich dies. Schmähungen der Juden, Erzählungen ihrer Verbrechen und Grausamkeiten suchten christlich-jüdische Kontakte zu vergiften. Den Wendepunkt sieht Teter in Przeclaw Mojeckis einflussreichem volkssprachlichen Buch von 1598 über den jüdischen Aberglauben, die Grausamkeit der Juden und deren Morde. Mojecki führte das Privileg des Königs Kasimirs III. von 1334, in dem u. a. die Blutbeschuldigung untersagt wurde, auf dessen Affäre mit der Jüdin Esther zurück, unter Anspielung auf Ahasver. Die päpstliche Bulle gegen die Blutbeschuldigung sei in Unkenntnis von Tatsachen gegeben worden und damit ungültig. Er berichtet über 34 Morde, darunter denjenigen an Simon von Trient. Die Juden hätten ihre eigenen Kinder kanaanitischen Idolen geopfert, weshalb sollten sie da christliche verschonen (dies erinnert von fern an eine umstrittene These Israel Yuvals, der die Tötung der eigenen Kinder in den Verfolgungen des ersten Kreuzzugs als Wegbereiter des Ritualmordverdachts erwogen hat). Das Verbot des Blutgenusses der Tora wies Mojecki als Gegenbeweis zurück, da die Juden ja schon immer ihre Gebote übertreten hätten. Juden hielten sich nicht an ihr Gesetz. Während ein erster Ritualmord-Prozess in Polen erst 1547 dokumentiert ist, nahm deren Zahl gegen Ende des Jahrhunderts und danach zu. Die kommentierte Aufzählung von Ritualmordopfern aus einem an Mojecki orientierten 1602 erschienenen Buch von Szymon Hubicki fand den Weg in die Acta Sanctorum. Mojecki und Hubicki initiierten gemäss Teter einen neuen polnischen Übermittlungstrang: die meisten antijüdischen Werke bis durch das 18. Jahrhundert hindurch knüpften hier an. Ein neu ausgeprägtes Gewicht auf ökonomische Probleme zwischen Christen und Juden in Polen legte ein Buch des Bischofs Sebastian Miczynsi 1618, in dem das päpstliche Verbot der Blutbeschuldigung unter Bezug auf Stefano Quarantas Summa bullarii (1608) als Fälschung vehement zurückgewiesen wurde. Beklagt wurde jüdische Dominanz in Handel und Handwerk sowie der Geldverleih. Polnische Autoren begannen, die Blutbeschuldigung zu propagieren. Antijüdische Schriften waren viel geschlossener in ihrer Tendenz als in Deutschland, wo auch gemässigte Stimmen zu hören waren. In Polen fehlte im Gegensatz zu Italien und Deutschland das Interesse für jüdische Texte und für Hebraistik, welche Argumente gegen die Blutbeschuldigung zur Kenntnis brachten.
Von besonderem Interesse ist ein Kapitel Ashkenazi and Sephardic Jews Respond to Blood Libels. In den jüdischen Antworten auf die Beschuldigungen zeichnen sich kulturelle Unterschiede zwischen sefardischen, italienischen und aschkenasischen Juden ab. Sefarden, die nicht Opfer von realen Anklagen wurden, engagierten sich expliziter und zahlreicher nicht nur in hebräischer Sprache, sondern auch in Christen direkt zugänglichen Sprachen. Texte der stark von Beschuldigungen betroffenen Aschkenasi blieben rar, hatten oft die Gestalt von Liedern und bedienten sich des Jiddischen. Betont wurden hier die Leiden und die Glaubensstärke der Opfer. Sefarden und Italiener benützten christliche antijüdische Werke und boten eigene Interpretationen des darin Berichteten. Die Blutbeschuldigung wurde als absurd zurückgewiesen. Joseph Ha-Kohens Interpretation der Trienter Vorgänge um Simon bietet eine selbständige gut informierte Deutung. Unter den sefardischen polemischen Schriften ragt Solomon ibn Vergas Shevet Yehuda (Zuchtrute Judas) heraus. Merkwürdig mag das Argument erscheinen, Juden würden den Genuss von Schweinefleisch vermeiden, da sie nach langer Abstinenz aufgrund Gottes Gebot daran nicht gewohnt seien; sie genössen kein tierisches und somit sicher auch kein menschliches Blut. Wenn Blut des Zahnfleisches auf Brot gelange, dürfe dieses nicht gegessen werden, es sei denn zuvor davon gereinigt. Erst als die als Arme eingewanderten Juden reich geworden seien und besonders reich durch Wucher, als sie den Reichtum zur Schau stellten, seien Blutbeschuldigungen aus Hass erhoben worden, mit dem Ziel, sie zu vertreiben. Ibn Verga hat damit offenbar gemeint, die Juden hätten selbst einen Teil der Schuld an ihrem Unglück. Sein Werk fand grosse Verbreitung nicht nur in hebräischer und jiddischer, sondern auch in lateinischer Sprache. Als William Prynne die Rückkehr von Juden nach England mit einem Pamphlet 1656 bekämpfte, u. a. mit dem Hinweis auf Ritualmorde, entgegnete ihm Menasseh ben Israel unter fast wörtlicher Übernahme von Argumenten Ibn Vergas. Er erinnerte daran, dass gleiche Beschuldigungen in der Antike gegen Christen erhoben worden seien. Eine scharfe Zurückweisung von Ritualmord- und Blutbeschuldigung verband Isaac Cardoso 1679 mit einer Sammlung von Dokumenten der Kirche und weltlicher Fürsten, die auch schon von Richard Simon anlässlich des Ritualmord-Prozesses gegen Raffael Lévy in Metz 1669 benutzt worden waren. Simon und Cardoso formten die jüdischen rechtlichen Strategien für mindestens ein Jahrhundert mit Beiträgen aus Frankreich, Italien und Polen. Seit Ibn Verga wurde in dieser Traditionslinie gegen die Folter argumentiert, die keinen verlässlichen Weg zur Wahrheit darstelle. Aschkenasische jiddische Texte in Polen strichen die Standfestigkeit der Märtyrer im Glauben unter Folter heraus. Sie seien Opfer zur Sühne der Sünden Israels nach dem aschkenasischen Ethos des Martyriums zur Heiligung des Namens – kiddush ha-shem. Während der sefardische Strang die Folter als Weg zur Wahrheit ablehnte, hielten aschkenasische Werke sie für einen zulässigen Teil des Rechts und des juristischen Prozederes. Darin spiegelte sich der christliche Wert des Leidens als Weg zur Wahrheit, zum Seelenheil, zu Gott. Die Konversion hätte den Sieg der Kirche bedeutet; das Martyrium hingegen bestärkte den jüdischen Glauben.
Das Kapitel Who Should One Believe, the Rabbis or the Doctors of the Church beginnt mit der Feststellung, in Polen sei es seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu einem Aufschwung antijüdischer Beschuldigungen und zu Prozessen gekommen, als sie in West- und Nord-Europa zurückgingen. Dies rief in Rückkoppelung neue Werke hervor, welche den Glauben an jüdische Kindermorde befestigten. Zwei Ereignisse erscheinen Teter ausschlaggebend: die Veröffentlichung der Geschichte um Simon von Trient durch Piotr Skarga 1579 und das bereits genannte Buch von Przeclaw Mojecki von 1598. Nach dem Prozess im selben Jahr wegen der angeblichen Tötung des Knaben Wojciech (Albert) bei Swiniarow wurden in Berichte darüber Prozessakten als Beweise für die Blutbeschuldigung aufgenommen. Die gefolterten Juden sagten aus, nur die Rabbis würden das Blut zu Pessach trinken, ein klarer Hinweis auf die Rolle katholischer Priester im Abendmahl. Der Prozess führte zur ersten Verurteilung und Hinrichtung von Juden durch ein Gericht der Krone, einer neuen Instanz, welche die oberste königliche Justiz in Polen-Litauen ersetzte. Dieser rechtliche Präzedenzfall war gemäss Teter ein Wendepunkt. Es war wohl auch der erste Fall, in dem die traditionelle Verteidigung der Juden durch die Vorlage von christlichen Privilegien und Urkunden gegen die Blutbeschuldigung scheiterte. Zugleich mit anderen Reformen war 1580 der Rat der Vier Länder, ein jüdisches Selbstverwaltungsorgan zum Einzug der Steuern geschaffen worden. Es konnte in der Folge die Gelder zur Verteidigung inkriminierter Juden beschaffen. Der Tod Alberts 1598 verwandelte das rechtliche und kulturelle Klima der Blutbeschuldigung und fügte die polnischen Fälle in das Wissen Europas ein. Darunter waren dann auch zwei Verfahren in Lublin 1636.
Ein Prozess im zu Frankreich gehörenden Metz 1669–1670 gegen den Juden Raphael Levy aus Boulay im Herzogtum Lothringen wegen der angeblichen Tötung des dreijährigen Knaben Didier zeigt deutlich die schon in Trier wichtige Frage der Grenzen und zugleich der umstrittenen gerichtlichen Zuständigkeit. In Metz fehlte dem Beklagten aus Lothringen juristischer Beistand. Er beschuldigte die Metzer Juden, ihn in seine Lage gebracht zu haben, obwohl diese zu seinen Gunsten beim für Juden des Reichs zuständigen Kaiser intervenierten. Er wurde hingerichtet. Als auch Metzer Juden involviert wurden, wandten sich diese an den französischen König Ludwig XIV. In Frankreich durften Juden sich nur im Elsass und in Lothringen niederlassen. Sie verfügten nicht wie diejenigen im deutschen Reich, in Italien und Polen über verlässliche Zugänge zum Hof und zu dessen Beeinflussung oder über Netzwerke jüdischer Gemeinden. Es wurde in einem Traktat versucht, den Metzer Fall des Raphael Levy als real darzustellen und damit den König zur Vertreibung der Juden zu motivieren. Darauf antwortete der Theologe und Hebraist Richard Simon mit einer Refutation, in der er die angeblichen historischen Beweise und die Unterstellungen zurückwies und herrschaftliche Dokumente zugunsten der Juden herausstellte. Simon entwickelte eine rechtliche Strategie und die Argumente, die zur Verteidigung der Juden in der Folge benützt wurden. Der gedruckte Traktat war für königliche Amtleute zur Beeinflussung des Hofs bestimmt. Der König intervenierte zugunsten der Juden.
Dieselbe Strategie aus einem ähnlichen, fast zeitgleich in Fürth 1669 erschienenen Traktat wurde im polnischen Prozess 1710–1713 um den Tod des Jerzy Krasnowski in Sadomierz eingesetzt. In dieser Schrift wurde u. a. darauf hingewiesen, dass die Blutbeschuldigung ein europäisches Phänomen sei, das es in Gegenden Asiens und Afrikas, in denen Juden lebten, nicht gebe. Der Priester Stefan Zuchowski hatte sich in einem Verfahren 1698 wegen der angeblichen Tötung eines Mädchens gegen den Juden Berek Alexander vehement eingesetzt, das trotz erfolgreicher Intervention der Juden beim König mit der Hinrichtung Bereks nach einem Urteil des Gerichts der Krone in Lublin endete. Auf einer Reise nach Rom besuchte Zuchowski Trient, sah dort tief beeindruckt die Reliquien und die ikonographischen Vergegenwärtigungen Simons. Als 1710 der Leichnam Jerzys an der Schwelle zum Haus des Rabbis Jakub Herc in Sadomierz aufgefunden wurde, floh dieser mit seinen beiden Söhnen, wurde aber rasch gefangen genommen. Zuchowski griff sofort in die Untersuchung ein und erreichte die Überweisung des Falls an das Gericht in Lublin. Dort forderte er unter Hinweis auf viele Präzedenzfälle die Enteignung der Juden von Sadomierz, ihre Vertreibung und schliesslich die Vertreibung aller Juden aus dem Königreich Polen und dem Erzherzogtum Litauen. Im April 1712 erlangte er ein – nie vollzogenes – Dekret des Königs August II. zur Ausweisung der Juden. Trotz Initiativen der Juden, die päpstliche und kaiserliche Urkunden gegen die Blutbeschuldigung und sogar ein Exemplar des Talmuds und den Traktat aus Fürth vorlegten, und trotz christlicher Stimmen zur Verteidigung, wurden die Juden, welche die Gefangenschaft bis 1713 überlebt hatten, hingerichtet. Offenbar um den Zweifeln an seinem Vorgehen entgegenzutreten, verfasste Zuchowski dazu eine Apologie, die methodisch seine Argumente aus selektiver Benützung der Kirchenväter, kanonischem Recht und historischen Präzedenzfällen herleitete. Sie sollte als Handbuch für künftige Prozesse dienen. Seine detaillierte, oft unzutreffende Zurückweisung der Dokumente, welche die Juden vorgebracht hatten, schuf ein mächtiges neues Instrument für deren Ankläger. In der Folge des Traktats ordnete August II. 1714 eine Untersuchung darüber an, ob die Juden gemäss ihrer Religion oder ihrem Aberglauben christliches Blut benötigten und, um es zu beschaffen, christliche Kinder töteten. Der Bericht, ausgearbeitet durch Gottfried Ollearius, bot eine der umfassendsten Widerlegungen antijüdischer Anklagen gestützt auf eine grosse Zahl von rechtlichen Dokumenten, sowie Werken von Katholiken, Protestanten und Juden. Ollearius konstatierte das Fehlen der Blutbeschuldigung in den ersten dreizehn Jahrhunderten nach Christus, wies dann die überlieferten Geschichten darüber kritisch als absurde Früchte von Ignoranz und Leichtgläubigkeit zurück. Der Bericht entfaltete aber in Polen keine Wirkung.
Die Blutbeschuldigung gegen die Juden von Poznan 1736 suchten diese mit kostspieligen Demarchen am Hof Augusts III., beim Nuntius und sogar in Rom mit Unterstützung der dortigen Gemeinde abzuwehren. Schon seit den 1650er Jahren wandten sich Juden zunehmend um Hilfe nach Rom. 1684 hatte das Sanctum Officium der Inquisition erfolglos den Nuntius in Polen aufgefordert, die Bischöfe zur Publikation eines Verbotes solcher falscher Beschuldigungen aufzurufen. In der Poznan-Affäre kam es nun zu einem Nachrichtenaustausch zwischen Nuntius und Staatssekretär in Rom über den Fortgang des Verfahrens. Nach einem Eid über ihre Unschuld wurden die inhaftierten Juden 1740 freigelassen. Im Nachgang des Verfahrens von Poznan ersuchten die Juden erfolglos um eine Bulle mit der Rückweisung der Blutbeschuldigung speziell für Polen und um Hilfe zur Fristerstreckung der Rückzahlung eingegangener Schulden, zum grössten Teil beim polnischen Klerus. Die Korrespondenz des Nuntius und anderer Informanten erregten das Interesse des Sanctum Officium an den Beziehungen zwischen Christen und Juden in Polen, über die der Italiener Carlo Garani aus Lwow berichtet hatte, sie erhöben 20% Zins auf Darlehen, fälschten Geld, handelten mit gestohlenen sakralen Objekten und entliehen Geld mit Synagogen als Sicherheitspfänder. Selbst Dominikaner und Jesuiten würden den Juden grosse Summen leihen. Der Nuntius informierte Rom, Vertreibungen von Juden würden an vielen Orten zu Verlusten an Einkünften führen; die Duldung der Juden sei ein notwendiges Übel. Nachdem Karl von Parma 1738 die Tochter Augusts III. geheiratet und dann König von Neapel und Sizilien geworden war, befürchtete Rom, er werde Juden im Königreich Neapel ansiedeln. Deshalb forderte Rom den polnischen Nuntius zu Auskünften über die Juden in Polen auf und zur Intervention bei August III., damit dieser seine Tochter dazu veranlasse, die Siedlung von Juden in Neapel zu verhindern.
In Polen markierte 1747 eine erneute Anklage, diesmal in der Stadt Zaslaw mit voller Unterstützung ihres Stadtherrn, den Beginn einer neuen Welle von Beschuldigungen begleitet von brutalen und fragwürdigen rechtlichen Praktiken. Polen-Litauen bewegte sich damit in umgekehrter Richtung als Westeuropa.
Vor italienischen Gerichten würden Juden als unschuldig angesehen, beteuerte Lorenzo Ganganelli vom Sanctum Officium 1759, was sich unterscheidet von den Prozessen in Polen. Nach einer kurzen Welle im Gefolge des Trienter Verfahrens von 1475 gab es in Italien nur noch vereinzelt Anklagen und es kam überall zu Freisprüchen. Prozesse in Verona 1603 und in Viterbo 1705 formten die folgenden Verfahren. In Verona im Kirchenstaat setzten sich die Juden energisch dafür ein, das Verfahren vom städtischen Laiengericht zunächst zum bischöflichen Gericht, dann zum Sanctum Officium zu transferieren. Juden gaben der Inquisition in dieser Zeit den Vorzug, da sie von ihr ein gerechtes Verfahren erhofften. Der Römer Rabbiner Tranquillo Vita Corcos richtete eine ausführliche Petition an die Sacra Consulta, in der er die bekannten Dokumente des 13. Jahrhunderts von Päpsten und Kaiser Friedrich II. gegen die Blutbeschuldigung, dazu eine Reihe von Verurteilungen derselben durch weltliche Herrscher anführte. Er argumentierte auch mit dem biblischen Verbot des Blutgenusses und seiner christliche Interpretation durch Thomas von Aquin sowie der jüdischen Deutung durch Maimonides. Der Traktat von Corcos wurde als von der Kirche gebilligter Text durch die päpstliche Druckerei verbreitet. Das schliesslich zur Sacra Consulta transferierte Verfahren, für das Geldbeiträge nicht nur von den Römer Juden, sondern von weiteren 17 Gemeinden zusammengetragen wurden, führte zur Freilassung der Juden. Die zusammengetragenen Dokumente und Argumente bildeten eine Grundlage der Verteidigung in späteren Verfahren, zunächst in Ancona 1711, dann in Senigalia 1721. Beide endeten aufgrund der Interventionen beim Sanctum Officium mit der Entlastung der Juden.
Dass die italienischen Gerichte die Juden für unschuldig erklärten, wie Ganganelli später schrieb, lag nicht daran, dass Geschichten über jüdische Ritualmorde hier inakzeptabel waren. Tommaso Caliò hat die These vertreten, die Verfolgungen von Juden seien in Italien zurückgebunden worden, weil sie die Konversionspolitik der Kirche beeinträchtigt hätten. Teter hält diese Erklärung für unzureichend. Vielmehr sei dafür das Ethos des Rechtssystems mit den Werten des buon governo und der buona giustizia bestimmend gewesen. Allmählich habe man sich vom Geständnis als Hauptbeweis der Schuld gelöst zu anderen Beweismitteln. Dass es den Klerikern verboten war, Todesurteile zu fällen, könnte nach Teter in Italien eher mildernd gewirkt haben als nördlich der Alpen. In Polen waren durch die Kombination von Unkenntnis jüdischer Gebräuche und einem schwachen Rechtssystem die Verfahren für Juden oft tödlich. In Italien beschützten das Rechtssystem und das Verbot der Todesstrafe durch Kleriker im kanonischen Recht die Juden. Dieser Unterschied müsste aber angesichts des Alters und der Verbreitung dieses frühchristlichen Verbots (ecclesia non sitit sanguinem) wohl noch eingehend erforscht werden. Die Umgehung, dass das Urteil bzw. die Vollstreckung dem bracchium saeculare überlassen wurde, war längst in Übung.
Dem Pontifikat von Benedikt XIV. (1740–1758), der in der Geschichtsschreibung oft als (immerhin ambivalenter – so Burson und Lehner) Aufklärer gewertet worden ist, schreibt Teter im Einklang mit der Forschung, die sogar von einer Wende von relativer Toleranz hin zu Intoleranz gesprochen hat, eine neue päpstlichen Haltung zu den Beschuldigungen der Juden zu. In Polen kam es damals zu einer Welle von Anklagen, aber die dringenden Anträge der Juden um eine offizielle Stellungnahme Roms blieben erfolglos. Vielmehr erlaubte der Papst mit der (sehr ausführlichen) Bulle Beatus Andreas von 1755 erstmals seit Sixtus V., den er explizit als Vorläufer durch den Präzedenzfall Simons von Trient erwähnt, ein Offizium, hier für Andreas von Rinn, den er schon im Eingangswort Beatus nennt, ihm aber keine kanonische Seligsprechung, sondern bloss eine widerrufbare beatificatio aequipollens … per viam cultus zubilligt. Diese päpstliche Approbation beflügelte den Kult des Andreas. In der Bulle referierte der Papst immer wieder sein monumentales Werk zur Kanonisation, das er noch als Prospero Lambertini verfasst hatte und in dem er die Frage der Kanonisation von noch nicht zu Verständnis gekommenen, aus Hass auf Christus und den Glauben getöteten Kindern ausführlich und ablehnend behandelte. Er bekräftigte aber die Anklagen gegen Juden wegen Ritualmord an Kindern aus Hass auf Christus.
In Lambertinis Zeit fiel 1694 der Tod des Simon Abeles in Prag, eines jüdischen Kindes das angeblich wegen seiner Absicht der Konversion zum Christentum von seinem Vater ermordet worden war, eine Cause célèbre, die in ganz Europa kommentiert wurde. Ein jiddisches Lied pries die hingerichteten Juden, den Vater auch dafür, dass er den Sohn getötet und von seiner Häresie abgehalten habe.
Die Beschuldigung der Juden, ein Mädchen 1699 bei Sulzbach getötet zu haben, rief eine anonyme Schrift gegen die Blutbeschuldigung hervor, die vielleicht von Johann Christoph Wagenseil verfasst war. In seinem Werk Benachrichtigungen Wegen einiger die Judenschafft angehenden wichtigen Sachen 1705 hat er sehr ähnlich argumentiert. Ihm ging es darum, dass die Verunglimpfung der Juden deren Konversion zum Christentum behindere (ein Argument, das er übrigens auf Martin Luther zurückführte, bei dessen allmählicher Zuwendung zum Antisemitismus es eine entscheidende Rolle gespielt hat). Die hitzige Diskussion in den Schriften dieser Zeit erreichten Italien, wo eine Übersetzung der Schrift von Johannes Eder über Simon Abeles, sowie ein erfolgreicher antijüdischer Traktat des Konvertiten Paolo Medici erschienen und die Ritualmord-Beschuldigung in Viterbo erhoben wurde. In diesem Umfeld begann der junge Lambertini seine Geschichte der Kanonisation. Wagenseils Ausführungen gegen die These des Ritualmords an Simon von Trient wurde dann durch eine Schrift Benedetto Bonellis 1747 gekontert, der behauptete, die Abmahnung des Papstes Innozenz IV. gegen die Anschuldigungen von Juden sei nicht grundsätzlich gemeint, sondern beziehe sich bloss auf falsche Bezichtigungen.
Aufgrund von Nachrichten über die ungebührliche Stellung der Juden in Polen, wandte sich Benedikt XIV. 1751 mit der Enzyklika A quo primum an die Bischöfe mit der auf historische Präzedenzen gestützten Folgerung, die Juden seien nicht anzugreifen, ausser sie gehorchten dem christlichen Recht ihrer Unterordnung nicht. Dann seien sie zu bestrafen durch Enteignung oder durch Vertreibung. Dies schätzt Teter als die erste, etwas verschleierte päpstliche Ermutigung zur Vertreibung der Juden aus Polen ein. In der Folge klagten die Juden über Belästigungen. Es kam zu einer neuen Ritualmordanklage nach der Auffindung der Leiche von Stefan Studinski 1753 bei Markowa Wolica. In einem von Bischof von Kiev Kajetan Soltyk vorangetriebenen Prozess, den ein säkulares Gericht in Zytomierz weiterführte, wurden 13 Juden zum Tod verurteilt. Führende polnische Juden suchten nun eine breite und grundsätzliche Gegenwehr gegen die Blutbeschuldigung anzustossen. Die Abklärungen des Nuntius ergaben indessen, dass es in dem korrekten Verfahren gar nicht darum, sondern allein um den Kindsmord aus Hass der Christgläubigen gegangen sei.
Nach weiteren Ritualmordbeschuldigungen, zuletzt in Jampol (1756), wandten sich die Juden wiederum nach Rom. Das Sanctum Officium liess sich nun 1758 auf eine durch Eliyakim Zelig betriebene Supplik ein und ordnete die Untersuchung der beiden Beschuldigungen von Jampol und Zytomierz an mit dem Fokus auf die Frage der Verwendung von menschlichem Blut für Pessach Matzen. Kardinal Lorenzo Ganganelli verfasste einen Bericht, der 1760 von Papst Clemens XIII., dem Nachfolger Benedikts XIV. gebilligt wurde. Gemäss Teter ist der Text bis ins 19. Jahrhundert unbekannt geblieben. Eine italienische Version aus dem Archiv der jüdischen Gemeinde Roms wurde erst 1888 durch Abraham Berliner in deutscher Sprache publizierte. Eine Datierung dieser Version habe ich weder bei Teter, noch in den verschiedenen weiteren Publikationen gefunden. Teter hält dafür, dass die Juden zeitgenössisch keine Kopie des Textes erhielten. Sie nennt Kopien in Rom und Mantua. Nur als Vermutung äussert sie, dass der Text vielleicht unter den durch Napoleon konfiszierten Dokumenten war. Moritz Stern hat für seine Edition von 1893 neben der römischen auch die Kopie aus dem Archiv der Gemeinde von Mantua beigezogen; diese sei im 18. Jahrhundert, bald nach der Ausstellung des Originals, angefertigt worden. Auch in den Gemeindearchiven von Reggio d’Emilia und Modena befanden sich laut Stern Abschriften des 18. Jahrhunderts. Wann sind diese Abschriften in die jüdischen Archive gekommen? Das Sanctum Officium behauptete im Jahr 1900, die Papiere seien in der Revolutionszeit verschwunden. Aufgrund eines im Archiv der Congregatio pro Doctrina Fidei aufgefundenen Dokuments von März 1758 verfolgt Teter den Weg bis zur Abfassung eines Vorberichts, dann der in Polen eingeforderten weiteren Auskünfte. Den in den Prozessen gegen die Juden involvierten Bischöfen von Luck und Kiev ging es dabei um die Rechtfertigung ihres Vorgehens als wohlbegründet angesichts der Missetaten der Juden. In diese Zeit fiel die Behauptung der jüdischen Sekte polnischer Frankisten, in dem von ihnen abgelehnten Talmud werde der Bedarf christlichen Blutes für jüdische Rituale bestätigt. (Es war wohl Jacob Frank selbst, der sich in einem Disput in Kamieniec Podolski 1757 so geäussert hat.) Die Frankisten versprachen Konversion und Unterordnung unter das Papsttum, wünschten aber eine erneute Disputation mit den Talmudisten und publizierten eine Agenda dafür, in der auch behauptet wurde, der Talmud lehre den Bedarf christlichen Blutes; wer an den Talmud glaube, müsse es gebrauchen. Damit hatte eine jüdische Gruppe die Blutbeschuldigung bestätigt. Es folgten viele Konversionen zum Katholizismus.
Als Ganganelli seinen Bericht fertigstellte, waren Nachrichten davon in Rom völlig neu. Dennoch bezeichnet Teter sein Schweigen darüber als ohrenbetäubend (deafening), obwohl sie auch Anspielungen darauf im Bericht erwähnt. Die Darstellung der Bischöfe von Luck und Kiev lehnte Ganganelli ab, da diese entweder selbst getäuscht worden seien oder zu ihrer Rechtfertigung Rom täuschen wollten. Mit historischen Rückgriffen bis ins 12. Jahrhundert und unter Betonung der päpstlichen Äusserungen als höchster Autorität wies er die Blutbeschuldigung und die dafür vorgebrachten angeblichen Beweise entschieden zurück, ging aber nur zögernd auf die beiden Fällen von Simon von Trient und Andreas von Rinn ein, sicher deshalb, weil ihr Kult durch Päpste gebilligt worden war. Die Faktizität als Kindermorde akzeptierte er aufgrund der lange danach erfolgten Sanktion durch die Päpste als zwei isolierte Fälle. Die Blutbeschuldigungen seien ein Vergehen gegen Gott und sie erschwerten die Konversion der Juden. Die Konversionspolitik erschien in Rom damals vordringlich. Teter sieht darin nach der Repressionspolitik seit Paul IV. eine Rückkehr zur mittelalterlichen (?) Tradition. Eine formelle Verurteilung der Beschuldigungen durch den Papst erfolgte nach der Annahme des Berichts nicht. Daraus, dass der Bericht nicht lateinisch, sondern italienisch verfasst war, schliesst Teter, es habe sich nicht um ein offizielles, sondern um ein internes Dokument des Sanctum Officium gehandelt. Es ist nie offiziell gedruckt worden und Rom wandte sich dagegen, es den Juden bekannt zu machen.
Zu einem Prozess gegen Juden von Wojslavice 1761 trugen dagegen wohl Ausführungen von Gaudenty Pikulski zu den Frankisten in einem umfangreichen Werk bei, einer eigentlichen „Encyclopedia of Antisemitism“ (Stanisław Zakrzewski). Der Nuntius Antonio Eugenio Visconti setzte sich auf Ersuchen des Rates der Vier Länder und mit Unterstützung des Sanctum Officium mit vielen Initiativen für die Juden und gegen die Blutbeschuldigung ein, letztlich erfolglos. Die Gegner der Juden beriefen sich auf die Bulle Beatus Andreas Benedikts XIV. Gegen die Thesen der Frankisten wandte sich entschieden eine nach Polen gesandte Stellungnahme des französischen Hebraisten Jean-Baptiste Ladvocat, die noch weit schärfer formulierte als Ganganelli. Visconti leitete den Text nach Rom weiter. Die Reaktion Roms teilte ihm Kardinal Andrea Corsini mit. Dessen Brief war, so Teter, die wohl ausdrücklichste Formulierung (the most explicit articulation) der mangelnden Bereitschaft Roms, offen gegen die in Polen populären antijüdischen Anschuldigungen zu intervenieren. Und weiter: Wojslavice sei das Beispiel par excellence der Wirkungslosigkeit von Viscontis Eingreifen gewesen. Die Juden versuchten dann 1763 die kirchlichen Verurteilungen der Blutbeschuldigung durch die Publikation einschlägiger Dokumente in die Öffentlichkeit zu tragen. Weitere Prozesse gegen Juden in Kalisz und in Tyczyn zeigten die Wirkungslosigkeit. Nach dem Tod Augusts III. trat für Rom die Furcht vor den unter dem neuen König angestossenen Reformen und ihren für die katholische Kirche nachteiligen Folgen in den Vordergrund.
1774 kam es erneut zum Prozess über eine Blutbeschuldigung in Grabie. Die Juden wandten sich an den König und an den neuen Nuntius Giuseppe Garampi mit dem Argument, nur in Polen würden in Unkenntnis hebräischer Texte noch solche Anklagen erhoben. Durch Folter würden falsche Geständnisse erpresst. Dies distanzierte sich von der Einschätzung, Folter sei ein Weg zum Martyrium und bildete damit eine neue Strategie der Verteidigung. Vertreter der Juden wiesen auf die Unzulässigkeit des Rückgriffs auf angebliche historische Präzedenzfälle als Beweise hin. Dieses Argument war eine überraschende Abkehr (striking departure) von einem fast dreihundertjährigen Vertrauen in die in Büchern und Chroniken beschriebenen „Fakten“ als prozessualen Beweisen. Der Brief des Kardinals Corsini wurde als förmliches Verdikt der Blutbeschuldigung durch Rom angeführt, was auch die Dokumente der Publikation von 1763 belegten.
Die Frage der Funktion der Folter im Prozessverfahren und damit falscher Geständnisse wurde im Rahmen der Justizreform auch grundsätzlich aufgeworfen. Erforderlich wurden materielle Beweise. Auch die Todesstrafe geriet in Polen unter Druck. Da viele Adlige in die Entführung des Königs Stanislaw II. August Poniatowski 1771 verwickelt und damit von der Todesstrafe wegen Verrats bedroht waren, wandten sie sich prinzipiell dagegen.
Nicht kirchliche Interventionen, insbesondere nicht päpstliche Stellungnahmen oder Ganganellis Bericht, sondern politische Entwicklungen, Bürgerkrieg, erste Teilung Polens und Rechtsreformen, führten zum Abflauen der Beschuldigungen. Zwischen den Ideen der Aufklärung und dem Volksglauben öffnete sich ein Graben. Erst nach der Damaskus-Affäre 1840 und einem neuen Aufflammen von Beschuldigungen in Europa wurde im Rahmen der erneuten Verteidigung gegen die Blutbeschuldigung auch der Ganganelli-Bericht zuerst in Mantua und dann in Rom entdeckt. Er gewann erst jetzt Bedeutung für die späteren Verfahren. In einem kurzen Epilog rekapituliert Teter die bedeutendsten Stationen der geschilderten Entwicklungen und erinnert an die Instrumentalisierung durch die Nationalsozialisten.
Die hier vorgelegte ausführliche Besprechung versucht, die Ergebnisse der Untersuchung differenziert darzustellen, da ihre Vielfalt nur schwer auf wenige Aussagen konzentriert werden kann. Beeindruckend ist die Fülle der behandelten Quellen, wobei sowohl bei den archivalischen wie bei den literarisch-wissenschaftlichen bzw. polemischen Texten solche aus Italien und Polen-Litauen, den schwergewichtig behandelten Gebieten, dominieren. Die Gegenüberstellung der sehr unterschiedlichen Entwicklungen in diesen beiden Gebieten ist das zentrale Thema des Buches. Die deutschen Gebiete fallen dagegen etwas zurück. Vor allem popularisierende deutschsprachige Texte sind eher selten. Zählt man die zehn benutzten Ausgaben von Sebastian Münsters Cosmografia und die acht Ausgaben von Werner Rolevincks Fasciculum temporum, in Basel 1481 deutsch erschienen, je nur einmal, so beschränken sich deutschsprachige Quellen auf weniger als zwanzig. Der Beizug mehrerer Ausgaben rechtfertigt sich aufgrund des Interesses an der unterschiedlichen Ikonographie. Von Rolevincks Fasciculum sind übrigens mindestens 15 unterschiedliche Inkunabeldrucke als Digitalisate im Netz verfügbar. Frankreich begegnet eher am Rand und oft mit Bezug auf Polen. Dass das nachmittelalterliche England praktisch ausfällt, lässt sich mit dem Fernhalten der Juden seit 1290 begründen. Leider fehlt ein Verzeichnis der Sekundärliteratur, welches aber wohl diese unterschiedliche Gewichtung bestätigen würde.