Ritual und Ritus in österreichischen Einbandfragmenten – ein Forschungseinblick in das Projekt ‚Hebräische Fragmente in österreichischen Bibliotheken‘

Neri Yeshayahu Ariel 
Institut für jüdische Geschichte Österreichs; Ben-Gurion University of the Negev
neri.ariel@mail.huji.ac.il

Abstract

On several occasions, scholars have pointed out that parts of halakhic literature have survived only in a rather scattered way and that, consequently, the history of Jewish life and culture must be reconstructed from dispersed literary remnants. The Jewish elite across Europe, from the Ashkenazi Middle Ages and, with some interruptions in the early modern period, into the last generation before the Second World War, were constantly producing, consulting, collecting, and preserving Jewish literature of many kinds. The Hebräische Fragmente in Österreich data project (https://hebraica.at) was founded in 1991, and since 2008 has been directed by PD Dr. Martha Keil, senior scientist at the Institute of Austrian Historical Research at the University of Vienna and director of the Institute for Jewish History in Austria, St. Pölten. This project has provided online access to all the Austrian Hebrew fragments that have been preserved in book bindings. In this essay, I would like to report some of the achievements of this project and outline its future objectives and prospects.

1 Quellen und Fundorte

Zahlreiche Handschriften und Frühdrucke, die sich in österreichischen Bibliotheken, Klöstern und Archiven befinden, enthalten hebräische Fragmente. Die meisten dieser Funde sind mittelalterlich – aus der Zeit vor der Wiener Gezera (der Vertreibung und Verbrennung der Juden, 1421) bzw. der Vertreibung aus Steiermark, Kärnten und Krain 14961. Andere stammen aus der Frühen Neuzeit. In der Regel wurden solche Schriften auf Pergament aber manchmal auch auf Papier ohne Bezug zum Inhalt des Buches als Recyclingmaterial für den Umschlag oder für die Einbandverstärkung verwendet.2 Darunter befinden sich auch rituelle Texte, die für das Verstehen des mittelalterlichen Judentums bedeutsam sind.

Das Projekt Hebräische Fragmente in österreichischen Bibliotheken ist bestrebt, den gesamten Bestand österreichischer mittelalterlicher Funde, die hebräische Texte beinhalten und noch in Bucheinbänden zu finden sind oder bereits früher abgelöst wurden, online zugänglich zu machen, zu identifizieren und nach literarischen Gattungen zu sortieren. Texte, deren Inhalt nirgendwo sonst zu finden und deren Bedeutung für die Forschung von speziellem Interesse ist, sollen bearbeitet und in wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht werden.3 Das Forschungsteam recherchiert die in den österreichischen Bibliotheken vorhandenen Materialien und setzt sich zum Ziel, diese für die weitere Forschung in der Datenbank verfügbar zu machen. Die Projektwebseite richtet sich derzeit noch vor allem an ein deutschsprachiges Zielpublikum, doch sind die hebräischen Identifizierungen für alle vorgebildeten Interessierten nützlich.4 Diese Hebraica-Datenbank bietet eine Infrastruktur für die bessere Erforschung der religiösen Identität, der Gelehrsamkeit und der Textproduktion des aschkenasischen Judentums im Allgemeinen und in den mittelalterlichen jüdischen Gemeinden in Österreich im Besonderen. Das österreichische kooperiert mit dem europaweiten Projekt Books within books, dessen Schwerpunkt ebenso die Digitalisierung und Identifizierung von Einbandfragmenten in Bibliotheken und Archiven europäischer Länder ist.5 Da Hebräische Fragmente in österreichischen Bibliotheken, gegründet 1991, das erste Vorhaben seiner Art in Europa war und bereits im Jahr 1998 eine eigene Website erstellte, ist es in Books within Books zwar verlinkt, stellt aber seine Funde weiterhin eigenständig online. Die Onlinepräsenz enthält nicht nur eine Liste der Bibliotheken, Archive und Signaturen, sondern ermöglicht auch eine Suche nach Textgattungen, die zum Auffinden eines bestimmten Fragmentes oder ganzer Textgruppen nützlich ist. Gegenwärtig (am 21.12.2022) enthält die Webseite 1311 Fragmente, größtenteils mit Scans in guter Auflösung, die der Forschung zur Verfügung stehen.

Bei den abgelösten Einbandfragmenten kann man üblicherweise nicht mehr erkennen, woher jedes einzelne Stück stammt, denn meistens haben sie den Bezug zu ihren Trägerhandschriften absolut verloren. In manchen Fällen lässt sich der Ursprung doch verfolgen; beispielsweise, wenn ein Besitzvermerk vorhanden ist oder man die Geschichte des Trägerbandes und andere Hinweise zu den Einbandfragmenten aus externen Quellen kennt. Hier ist die von Beginn an bestehende enge Verknüpfung des Projekts mit dem Online-Handschriftenkatalog Manuscripta – Mittelalterliche Handschriften in Österreich von großem Nutzen.6 Jedes hebräische Fragment, das sich noch in einem Codex befindet bzw. dessen ursprüngliche Trägerhandschrift bekannt ist, wird auf der Onlinepräsenz von Hebräische Fragmente in österreichischen Bibliotheken mit dem entsprechenden Eintrag auf der Manuscripta-Website verlinkt.

2 Texte zu Ritus und Ritual

Rituelle Texte der jüdischen Religion wurden und werden nicht nur in Synagogen, sondern auch bei verschiedenen Anlässen des Alltags verwendet. Diese Bücher waren zum Teil als Folge weitverbreiteter Gewalt gegen jüdische Gemeinschaften und der Beschlagnahmung ihrer Bücher leicht für die sekundäre Verwendung durch Buchbinder verfügbar. Der Grund für die Zweitverwendung des Materials ist jedoch nicht immer eindeutig: Manchmal hatten die historischen Umstände mit Judenfeindschaft und Gewalt zu tun, jedoch kann es sich in einigen Fällen durchaus auch schlicht um die Wiederverwendung von für religiöse Zwecke nutzlos gewordenem Material in einem nicht-religiösen Kontext handeln. Auch für jenen Teil der jüdischen Bevölkerung, der die hebräischen Schriften aus dem tagtäglichen Kontext der intensiven Verwendung – hauptsächlich rituell – verstanden hat, war deren Wiederverwendung für Einbände bzw. Umschläge nicht unüblich.7

Obwohl die Herkunft der Handschriften oft nicht erkennbar ist, können wir davon ausgehen, dass manche Bestände ursprünglich im Besitz von Privatgelehrten waren. Verlorene Teile der aschkenasischen mittelalterlichen Bibliotheken könnten daher sowohl aus Privatsammlungen wie auch aus Kollektivbesitzen rekonstruiert und nach Gattungen sortiert werden.

Im Folgenden soll darüber nachgedacht werden, welche neuen Erkenntnisse aus den facettenreichen Funden, die in den letzten Jahren in Bucheinbänden in Österreich entdeckt worden sind, bezüglich ihrer Eigenschaften und Qualitäten abgeleitet werden könnten. Aus den diversen Befunden erkennt man zwei Hauptkomponenten des Ritus, zwei miteinander harmonisierende Aspekte, nämlich Tefilah und Torah.8

2.1 Das Gebet (Tefilah)

Ein großer Teil der Fragmente sind abgelöste Seiten, die ursprünglich aus diversen Gebetsbüchern stammen, etwa aus solchen für den alltäglichen Ritus (Siddur), für die Hohen Feiertage (Jamim Noraim: Neujahr und Versöhnungstag) oder für die Wallfahrtsfeste (Maḥzor, Shalosh Regalim). Darunter finden sich verschiedene liturgische Gattungen: Piyyutim (religiöse Dichtung),9 Auslegungen und Interpretationen der Liturgie (Perushej haPiyyutim), Seliḥot, Qinot und andere literarische Gattungen, die zum rituellen Jahreskreis gehören.10

2.2 Torah: Lernen der Gottesworte

Die hohe Präsenz von biblischen Handschriften in Einbänden ist wenig überraschend, wegen ihrer weitverbreiteten Verwendung finden sich darunter Torah-Rollen. Fragmente aus den Prophetenschriften stammen höchstwahrscheinlich aus Haftarot-Büchern bzw. aus vollständigen Bibeln, die in der Regel auch für rituelle Zwecke zur Verfügung der Gemeinde standen, und Schriften (Ketuwim), die zu besonderen Gelegenheiten gelesen werden (insbesondere Estherrollen zu Purim). Die Torah spielt eine zentrale Rolle innerhalb des Rituals an den Wochentagen, am Schabbat, bei besonderen Gelegenheiten und zu den Hohen Feiertagen. Dabei wird sie als integraler Bestandteil der Gebete öffentlich vorgelesen. Auch das Verstehen und die Interpretation der Torah nach der rabbinischen Tradition galten als ein wesentlicher Teil des Rituals. So sind unter den Handschriften auch etliche Übersetzungen zu finden (z. B. Targum Onkelos, Aramäischer Targum Pseudo-Jonathan / Targum Yerushalmi11) und Bibelkommentare aus dem klassisch-aschkenasischen Milieu, beispielsweise von Raschi.12

Die Bindung der Gläubigen an den Ritus hat nicht nur emotionale und spirituelle Bedeutung, sondern auch eine intellektuell-kontemplative Ausdruckskraft. Durch das intensive Lernen geheiligter Texte wurde der Tradition zufolge ein göttliches Gebot (Miṣwa) erfüllt. Daraus erklären sich der tiefe Sinn der jüdischen Gelehrsamkeit und die vielfältige literarische Produktion und halachische Kreativität der Rabbiner im Hochmittelalter (Rishonim), hauptsächlich repräsentiert durch den Gelehrtenkreis der Tosafisten (von Tosafot, Hebräisch für: Hinzufügungen bzw. Ergänzungen).13 Das intellektuelle Lernen mit einer tiefen Bindung zum Text, die emotional-rituelle Verbindung und die rechtlich-halachischen Verpflichtungen waren – und sind es auch bis heute – grundlegende Faktoren für die Existenz der Synagoge bzw. des Beit ha-Midrash (Hebräisch für: Haus des Lernens).

Das Phänomen des Lernens ist umfassend und nicht nur die Beschäftigung der intellektuellen Elite, sondern jeder – mit wenigen besonderen Ausnahmen14 auf das männliche Geschlecht bezogen – ist praktisch damit mindestens in seiner Freizeit voll und ganz beschäftigt, zur Erfüllung des Gebots וְהָגִ֤יתָ בּוֹ֙ יוֹמָ֣ם וָלַ֔יְלָה („und du sollst sinnen darüber Tag und Nacht“) aus Josua 1,8. Dieses Gebot hat die aschkenasischen Gelehrten stark geprägt, es wurde von ihnen vollkommen verinnerlicht, sodass sie auch intensiv den Talmud erforschten, um praktische Anweisungen (Pesiqah-Tradition) aus den unterschiedlichen rabbinischen Textstellen zu entnehmen und zu befolgen. Unter diesen sind hier einige bekannte Rabbiner zu erwähnen, die in den österreichischen Funden öfters vorkommen: Eliezer b. Natan (RAAVAN),15 Meir von Rothenburg (MAHARAM), Eliezer b. Rabbi Yoel HaLevi (RAAVIA), Mose b. Jakob aus Coucy (Verfasser des Sefer Mitzwot Gadol, SEMAG), Isaac b. Joseph aus Corbeil (Sefer Mitzwot Katan, SEMAK), Meir HaKohen (Hagahot Maimoniyot über Mishne Torah des Maimonides), unter vielen anderen.

Es gibt Funde, die unter beide Kategorien – Torah und Tefilah (Lernen und Beten) – fallen. Dazu gehört beispielsweise die Pessaḥ-Haggada sowie auch religiöse Kultgegenstände (Tashmishey Kdushah) wie die Mezuza (Plural: Meẓuẓot), die zwar einen biblischen Text enthalten, aber nicht für das traditionelle Lernen des Textes an sich gedacht sind. Vielmehr werden sie als heilige Repräsentationen betrachtet, als materielle Darstellung des religiös-rituellen Lebens. Die Mezuza wird gerollt und am oberen Teil des Türrahmens (normalerweise zu Wohn- und Schlafzimmern) schräg angebracht, damit man sich bei jedem Betreten des Zimmers an Gott erinnert.16 Bisher haben wir in den uns zur Verfügung stehenden Beständen zwei winzig kleine Mezuzot-Rollen gefunden (Abb. 1 und 2). Diese wurden ungebunden gefunden, ohne Hinweis auf den ursprünglichen Einband, aus dem diese Fragmente vielleicht abgelöst worden waren.

verso/innen

recto/außen

Abbildung 1Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift, Fragm. 133, https://hebraica.at/?ID=24

recto/innen

verso/außen

Abbildung 2Wien, ÖNB Fragm. hebr. E 1, https://hebraica.at/?ID=1890

Bezüglich dieser Fragmente möchte ich ein halachisches Phänomen kommentieren, weil dies doch mit der Gelehrsamkeit des aschkenasischen Judentums zu tun hat. Auf der äußeren Seite der Mezuza stehen die Buchstaben כוז״ו במוכס״ז כוז״ו, die sich auch bis heute in den Mezuzot der meisten Bräuche (Minhagim) befinden. Diese Buchstaben kommen alphabetisch nach den Buchstaben יהו״ה אלהינ״ו יהו״ה. Sie stehen auf der äußeren Seite der Mezuza immer genau dort, wo auf der Innenseite die Buchstaben יהו״ה אלהינ״ו יהו״ה des Shma Israel stehen. In der kabbalistischen Tradition gilt auch כוז״ו במוכס״ז כוז״ו als heiliger Name und dient zur Bewahrung vor möglichen Gefahren und bösen Geistern. Neben dieser Form existierten im Übrigen noch zahlreiche weitere Namen, die auf die Recto-Seite (!) der Mezuza, also auf die Seite des Shma Israel, geschrieben wurden – ein Phänomen, das bereits aus der Zeit der Hassidei Aschkenas bekannt ist.17

Fragmente aus Estherrollen und aus der Pessach-Haggada sind wegen ihres Bildschmucks folkloristisch besonders interessant, aber auch emotional berührend, weil sich diese bekannten Texte inhaltlich mit der Rettung vor der Vernichtung der Juden in der Diaspora beschäftigen. Absurderweise wurden gerade solche Bücher manchmal verkauft und für nicht-religiöse Zwecke sowie auch als Recyclingmaterial genützt, etwa um andere Bucheinbände zu verstärken. Wenn diese Teile dann später aber wieder abgelöst wurden, verliert sich ihre Provenienz und Geschichte meist vollständig.

Abbildung 3Sankt Pölten, Niederösterreichisches Landesarchiv, Kreisgerichtsarchiv (Krems 58/3: https://hebraica.at/?ID=1566

Beim in Abbildung 3 gezeigten Fragment handelt es sich um ein Überbleibsel einer Estherrolle,18 das als Buchumschlag verwendet wurde. Es hat in gutem Erhaltungszustand mit wenigen Notizen des 15. Jahrhunderts überlebt. Ironischerweise blieb diese Rolle mit der jüdischen Rettungsgeschichte bzw. Rettungsethos nur dank der lateinischen Trägerhandschrift erhalten.19

In ähnlicher Weise lassen sich der Inhalt und das tragische Schicksal dieser Handschriften auch in Bezug auf Qinot (Trauerlieder) in Zusammenhang bringen. Qinot beschreiben Tragödien wie die Zerstörung des Tempels, Pogrome, Gewalt und Vernichtung. Oft sind sie nur dank der Zerstörung der Handschriften und deren Weiterverwendung in Einbänden erhalten.20

3 Fazit

Die hebräischen Fragmente in Buchbindungen stellen eine bedeutsame Quelle dar, sowohl für den Forschungskontext der Jüdischen Studien, hier insbesondere zur Gelehrsamkeit des aschkenasischen Judentums, als auch für die Buchwissenschaft. Die Fragmente aus Österreich reflektieren die gesamte aschkenasische Tradition des Lernens und der Gelehrsamkeit. Denn so sind hauptsächlich Kommentare zum Talmud und zur Halacha zu finden, die von ihren zeitgenössischen Benutzern selbstverständlich nicht nur als verpflichtende Gewohnheiten bzw. Gewohnheitsrechte (Minhag) gesehen wurden, sondern als autoritative Gesetzbücher, die für die ganze Diaspora gelten sollten. Darunter konnten einige Talmud-Kommentare sowie auch bisher unbekannte Tosafot zum Talmud identifiziert werden.21 Logischerweise finden sich in Österreich relativ wenige Materialien aus Spanien und aus anderen Diaspora-Ländern, daher sind beispielsweise die Hilchot Alfas zu Rabbi Issac al-Fassi und die Mischne Torah des Maimonides viel weniger präsent als Raschi-Kommentare, die Tosafisten oder andere aschkenasische Materialien aus der geographisch-historischen Umgebung. Spanische Talmud-Kommentare wie Rabbi Moshe ben Nachman (Nachmanides, RaMBaN), Rabbi Shlomo b. Avraham Adret (RaShBA), Rabbi Yom-Tov Alsevilli (RITVA) und Rabbenu Nissim (RaN) sind entsprechend hier kaum zu finden. Deutlich häufiger sind Fragmente aus Werken von Rabbi Ya’akob b. Asher, der 1283 in Köln geboren wurde und 1340 in Toledo starb, jedoch voll und ganz als Aschkenase galt.

Der vorliegende Beitrag stellt lediglich einen Forschungseinblick und eine erste Einschätzung des Themenfelds Ritual im Kontext von hebräischen Einbandfragmenten österreichischer Provenienz dar. In absehbarer Zeit wird ein Großteil der österreichischen Bestände identifiziert sein, was eine systematische Untersuchung der Fragmente überhaupt erst ermöglichen wird.

Anmerkungen

Mit der großzügigen Unterstützung des Menczer Research Fellowship zum Thema ‚Religious Identity, Erudition and Text Production in the Medieval Jewish Community of Vienna (ca 1300–1421)‘ plane ich, einige besondere Fragmente der Tosafisten zu veröffentlichen (Mss. ÖNB A-58 und 59). Nur dank dieser großzügigen Unterstützung der Familie Menczer, des Austrian-Forums an der Hebräischen Universität, der Österreichischen Gesellschaft der Freunde der Hebräischen Universität und der Alfred-Ebenbauer-Stiftung an der Universität Wien konnte diese Forschung stattfinden. Auch bedanke ich mich bei meinen Kollegen Dr. Ernst Aichinger und Dipl.-Ing. Emanuel Wenger, welche vorhergehende Versionen dieses Forschungsbericht gelesen und diesen mit wertvollen Korrekturen und Kommentaren verbessert haben. Insbesondere bedanke ich mich bei der Leiterin des Projekts PD Dr. Martha Keil für ihre wertvolle und kontinuierliche Begleitung dieser Forschungsarbeiten.

  1. Siehe dazu Krauss, Wiener Geserah; Brugger, Juden in Österreich, 221–227.

  2. Über dieses europaweite Phänomen wurde bereits viel publiziert, siehe jüngst Olszowy-Schlanger, „The European Project Books-within-Books (BwB)“.

  3. https://www.hebraica.at. – Das Projekt ist eine Kooperation zwischen dem Institut für jüdische Geschichte Österreichs (INJOEST), dem Institut für Mittelalterforschung, Abteilung Schrift- und Buchwesen an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung an der Universität Wien (IÖG), der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) sowie dem Kooperationspartner European Forum an der Hebräischen Universität Jerusalem. Für frühere Berichte siehe Landesmann, „Europäische Genisah“; Oesch und Haidinger, „Genizat Austria“; Laufer, „Überlegungen“; Keil, „Gelehrsamkeit und Zerstörung“. – Zu einzelnen österreichischen Fragmenten siehe beispielsweise Emanuel, „First Autograph“.

  4. Die Webseite Ktiv der Israelischen Nationalbibliothek enthält ebenfalls österreichisches Material, das zur Zeit der Abfassung dieses Beitrags, wie es scheint, noch mehrheitlich mit englischen bzw. hebräischen Beschreibungen versehen ist, die aus dem Katalog von Schwarz, Die hebräischen Handschriften der Nationalbibliothek Wien übernommenen wurden.

  5. http://www.hebrewmanuscript.com.

  6. https://www.manuscripta.at. – Der Online-Handschriftenkatalog Manuscripta – Mittelalterliche Handschriften in Österreich ist an der Abteilung Schrift- und Buchwesen des Instituts für Mittelalterforschung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften angesiedelt.

  7. Emanuel, Hidden Treasures, 19–25. Keil, „Zeugen von Gewalt“, 13–36.

  8. Es ist anzumerken, dass die österreichischen Materialien, wie auch andere europäische Einbandfragmente, Texte enthalten, die nichts mit Ritual oder mit dem religiösen Leben der Juden zu tun hatten, s. Keil, „nicht nur“, 66–72; Keil, „Fragments as Objects“, 322–326. Weltliches Urkundenmaterial wird am INJOEST im Projekt „Regesten“ erfasst (s. Bibliographie). Manche Texte sind zwar rituell und religiös, haben jedoch auch zivil-juristische Bedeutung, so z. B. Dokumente wie die Ketuba aus Candia (Kreta) in Rein, Zisterzienserstift Cod. 2: https://hebraica.at/?ID=1270.

  9. Einige Piyyutim von Rabbi Elazar Birabbi Qallir sind in unterschiedlichen österreichischen Bibliotheken zu finden: Wien, Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB) Fragm. hebr. A 76, https://hebraica.at/?ID=1666; Wien, Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB) Fragm. hebr. A 71, https://hebraica.at/?ID=1661; Wien, Schottenstift (Benediktiner), Bibliothek Fragm. hebr. 1C [Cod. 249 (Hübl 222), HDS, Nr. 3], https://hebraica.at/?ID=1253 (vom selben Einband stammt das Fragment Wien, Schottenstift (Benediktiner), Bibliothek Fragm. hebr. 7C [Cod. 249 (Hübl 222), VDS, Nr. 3] https://hebraica.at/?ID=1248). Hier finden sich auch einige Subgenres wie Siluqim, Shiwatot, Kerovot und man kann sie über die Suchfunktion der Webseite recherchieren (Zugriffe am 05.12.2019).

  10. Auch Fragmente kabbalistischer Relevanz sind unter den österreichischen Funden. Bisher wurde ein einzelnes Fragment aus einem kabbalistischen Siddur identifiziert: Linz, Oberösterr. Landesarchiv, Buchdeckelfunde, Schachtel 3, II/3g, f.1: https://hebraica.at/?ID=1448. Ein weiteres Fragment aus Sankt Paul im Lavanttal, Benediktinerstift Cod. 165/4, HDS enthält mystisch-kabbalistische Elemente und wurde vom Autor des vorliegenden Beitrags als Teil des Werks (?) Ruaḥ ḥen von Jehudah Ibn Tibbon identifiziert: https://hebraica.at/?ID=772.

  11. Beispielsweise Zwettl, Zisterzienserstift, Fragm. unidentifiziert. Teil 1 und 2. https://hebraica.at/?ID=1901, https://hebraica.at/?ID=1902. Jedoch sind die Textstellen identifizierbar. Es handelt sich um TY Sam. II, 19:37–42 und TY Sam. II, 19:25–29.

  12. Vor einiger Zeit erhielt der Autor des vorliegenden Beitrags Kenntnis über das Fragment eines Raschi-Kommentars in der ÖNB, Cod. 668 VD: https://hebraica.at/?ID=1889. Es war weder katalogisiert, identifiziert noch dokumentiert. Solche unbekannten Fragmente erscheinen in österreichischen Bibliotheken öfter, siehe dazu: Ariel, „Newly Discovered“.

  13. Zu den Tosafisten und ihren literarischen Beiträgen siehe Urbach, The Tosafists, 165–226; Ta-Shma, Talmudic Commentary, Bd. 1. ab S. 33; Emanuel, Fragments of the Tablets, 1–48.

  14. Im Leket Joscher (eine halachische Kompilation aus dem 15. Jhd. von Rabbiner Jospha Österreicher), 2. Teil, S. 37 wird berichtet, dass Rabbi Israel Isserleins Schwiegertochter Redel in Wiener Neustadt bei einem gewissen Judel Sofer gelernt hat, allerdings war der Mann um einiges älter als sie und die beiden hielten sich in einem zentralen, gut einsehbaren Raum des Hauses auf, was ausdrücklich betont wird. Vgl. Keil, „Man setze Kinderlehrer“, 138.

  15. Außer den Fragmenten, die von der National Library of Israel (INL) veröffentlicht wurden, hat Almut Laufer bereits Dinim und Minhagim aus Even ha-Ezer in Salzburg, Universitätsbibliothek Fragm. M II 293 [Ink. W III 178, 1r-2v] identifiziert: https://hebraica.at/?ID=476. Auf der Webseite wird auch auf die bisher bekannten Fragmente aus demselben Codex Discissus hingewiesen. Vom Autor des vorliegenden Beitrags wurden kürzlich auch Ra’avan Fragmente identifiziert, siehe Wien, Österreichische Nationalbibliothek Fragm. hebr. A 64: https://hebraica.at/?ID=1653.

  16. Deut 6:4; 11:13; BT Men. 31b–34a; siehe auch Higger, Seven Minor Treatises. Viel wurde über die Bedeutung der Mezuza in der kabbalistischen und chassidischen Literatur geschrieben, siehe beispielsweise Alexander, „Ritual on the Threshold“; Gordon, „Mezuzah“.

  17. Siehe z. B. die Diskussion in Länge bei Luria, לתולדות; Aviezer, המזוזה. Maimonides und andere Gelehrte haben diese Methode streng kritisiert, weil jeder Zusatz die koschere Gültigkeit der Mezuzah wertlos macht (פוסל). Daher schreibt man die Namen nur noch auf die Verso/Rückseite der Mezuzah. Es wurden auch Tefilin (Gebetsriemen) in europäischen Genisot gefunden, die man eventuell auch für andere unbekannte Zwecke verwendet hat (S. Simcha Emanuel, Hidden Treasures, 33). Viele solche Gegenstände sind noch unbearbeitet. Im Rahmen des Workshops „Vom mittelalterlichen Kairo ins neuzeitliche Veitshöchheim. Jüdisch-religiöse Praktiken im Spiegel von Genisaquellen“ (Bamberg und Erfurt, 25.–27. März 2019) wurden die Bestände der neu entdeckten Geniza aus Veitshöchheim beobachtet und diskutiert. Vgl. auch Uličná, „Zur Unheil abwendenden Funktion der Genisa“.

  18. Demgegenüber findet man auch vollständige Rollen, s. die Esther Rolle aus Admont, Benediktinerstift, https://hebraica.at/?ID=1283. Auch in Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift Cod. 1456 findet sich eine vollständige Megilah (https://hebraica.at/?ID=16).

  19. Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift, Archiv, BD 9 (1460) Dienstbuch über Grafenwörth, 1460. Dem Hs.-Titel auf 1r zufolge 1460 angelegt. Tit.: Registrum parrochie in Gravenberd. Incipit tabula in registrum censuum anniversariorum et aliorum redditum parrochie in Gravenberd monasterio sancte Marie in Tyrnstain incorporate. Scripta per m. Leonardum kolomanni (?) de Lengenfeld eiusdem monastery professum necnon iam dicte parrochie rectorem sive administratorem. Actum anno domini etc. (14)lx° (https://hebraica.at/?ID=150).

  20. Beispielsweise die Qinot-Fragmente Seder ha-ḳinot le-tishʿah be-av (Ritual der Trauergesänge am Fasttage des neunten Av), in Buchbindungen, Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB). Fragm. hebr. A 77: https://hebraica.at/?ID=1667.

  21. Beispielsweise Wien, (ÖNB) Fragm. hebr. A 58 [Cod. 3879]: https://hebraica.at/?ID=1647. Hier sind unbekannte Tosafot bzw. ein halachischer Talmudkommentar zu Yevamot 102 enthalten, die ich aktuell für die Publikation vorbereite. Ein anderes Fragment aus Wilhering, Zisterzienserkloster Archiv, Fragm. (Sammlung ohne Signatur) enthält Tosafot HaRaShba (Samson b. Abraham aus Sens), Bava Batra 46b–47a: https://hebraica.at/?ID=1476. S. Emanuel, Hidden Treasures, 2:244–251; Ariel, „Newly Discovered“, 164–165.

Literatur

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Ariel, Neri Y. „Newly Discovered Hebrew Binding Fragments from the Austrian ‚Genizah‘: Progress report in the Project: https://hebraica.at“. In European Genizah Newly Discovered Hebrew Binding Fragments in Context – (Proceedings of the Conference European Genizah, in Mainz, May 2nd-3rd 2017), herausgegeben von Andreas Lehnardt, 157–167. Brill: Leiden, 2020.

Aviezer, Hillel. המזוזה בין מצווה לקמיע. Ma’aliot 19 (1997): 217–236, https://asif.co.il/?wpfb_dl=413.

Brugger, Eveline. „Von der Ansiedlung bis zur Vertreibung. Juden in Österreich im Mittelalter“. In Geschichte der Juden in Österreich, herausgegeben von Eveline Brugger, Martha Keil, Christoph Lind, Albert Lichtblau und Barbara Staudinger, 123–227. 2. Aufl. Wien: Carl Ueberreuter, 2013.

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