Angela Bhend. Triumph der Moderne: Jüdische Gründer von Warenhäusern in der Schweiz, 1890-1945. Beiträge zur Geschichte und Kultur der Juden in der Schweiz 19. Zürich: Chronos, 2021. 352 Seiten, 125 Abbildungen, CHF 58.00, EUR 58.00, ISBN 978-3-0340-1585-1, Open Access: https://doi.org/10.33057/chronos.1585

Daniel Gerson 
Universität Bern
daniel.gerson@unibe.ch

„Jüdische Warenhäuser“ haben sich als Vorstellung tief in das Bewusstsein der städtischen Gesellschaft Europas eingeprägt. Als der Autor dieser Rezension in den 1990er Jahren in Berlin lebte, wurde er regelmässig auf eine mögliche Verwandtschaft mit dem Kaufhauspionier Hermann Gerson angesprochen, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Hauptstadt Preussens das erste „mondäne“ Modehaus gegründet hatte. Noch Jahrzehnte nachdem das Kaufhaus 1936 „arisiert“ worden war und Hermann Gersons Nachkommen aus Deutschland fliehen mussten, war die Erinnerung an diesen Konsumtempel im Zentrum der deutschen Hauptstadt vielfach bei Berlinerinnen und Berlinern präsent, obwohl diese die Firma nicht mehr persönlich gekannt haben dürften.

Während in Deutschland und in den meisten anderen mitteleuropäischen Staaten die Verfolgung durch das „Dritte Reich“ die Existenz „jüdischer“ Warenhäuser radikal beendete, gab es diese gewaltsame Zäsur in der Schweiz nicht– auch wenn, wie Angela Bhend prägnant aufzeigen kann, die Bedrohung durch das nationalsozialistische Deutsche Reich auch markante Auswirkungen auf die jüdischen Besitzerfamilien von Kaufhäusern in der Schweiz hatte. Die judenfeindliche Hetze gegen die „jüdischen“ Warenhäuser in der Schweiz führte 1933 sogar zu einem nur leicht verbrämten, aber in der Intention antisemitischen Verbot von Warenhausneugründungen.

Doch ist es wohl dem Umstand zu verdanken, dass die Schweiz und ihre jüdische Minderheit von den destruktiven Folgen einer deutschen Besatzung verschont blieben, dass Angela Bhend ihre Forschungsarbeit auf umfangreiche Dokumentationen gerade auch aus Familienbesitz abstützen konnte. Dank diesem vielfältigen Archiv- und Fotomaterial ist aus einer sozialwissenschaftlichen Dissertation ein reich bebildertes Buch entstanden, das dem Leser sehr anschaulich mehr als 100 Jahre schweizerisch-jüdische Kaufhausgeschichte präsentieren kann.

Angela Bhend ist sich bewusst, dass eine Forschungsarbeit zur prominenten Rolle von Juden im Schweizer Wirtschaftsleben darauf achten muss, dass zwischen der wirtschaftlichen Tätigkeit der dargestellten Protagonisten und ihrer jüdischen Herkunft keine essentialistische Kausalität konstruiert wird. Zugleich muss jedoch auch die Frage diskutiert werden, weshalb Vertreter einer so kleinen Minderheit in diesem Wirtschaftszweig offensichtlich eine so herausragende Rolle spielen konnten.

Für eine Analyse dieser komplexen Fragestellung müssen Forschende nicht nur über historische und kulturanthropologische Instrumentarien verfügen, sondern auch über ein spezifisches Wissen über die Entwicklung und die Mechanismen des Konsumverhaltens sowie der Volkswirtschaft. Ein Standardwerk zur Verbindung von Wirtschaft- und jüdischer Familiengeschichte stellt Niall Ferguson Die Geschichte der Rothschilds: Propheten des Geldes (deutsch, München 2002) dar, dem es in vorbildlicher Weise gelingt, das so erfolgreiche Wirken der legendären Bankiersdynastie Rothschild im Kontext ihrer jüdischen Herkunft und Familienstruktur sowie ökonomischer Fragestellungen zu analysieren. Angela Bhend löst diese analytischen Herausforderungen zwischen Wirtschafts- und Familiengeschichte in der Weise, als dass sie ihre Publikation in zwei Teile gliedert. Im ersten Teil unter dem Titel „Migration, Kultur und Wirtschaft in transnationaler Perspektive“ wird die Entstehung und Entwicklung des modernen Schweizer Warenhauses in der Mitte des 19.Jahrhunderts auch im internationalen Vergleich dargestellt. Der zweite Teil, „Familien- und Unternehmensbiografien“, richtet den Fokus verstärkt auf das Zusammenspiel von jüdischen Heiratsstrategien und ökonomischem Handeln.

Es ist bemerkenswert, dass die jüdischen Kaufhausdynastien in der Schweiz nicht aus den beiden „Judendörfern“ im Aargauer Surbtal, Endingen und Lengnau, stammen, sondern aus dem benachbarten Ausland, meist dem Elsass oder Süddeutschland. Im Falle von Julius Brann führt ihn seine Karriere aus der preussischen Provinz Posen in die Schweiz. Auch war die Schweiz nicht das alleinige Betätigungsfeld dieser Pioniere. Die Familien Loeb und Knopf waren zunächst stark auch im Deutschen Reich engagiert und Maus sowie Nordmann besassen in Frankreich Geschäfte.

Es wird in Angela Bhends Monographie, nicht zuletzt dank der reichhaltigen Bilddokumentation, sehr anschaulich aufgezeigt, wie aus relativ bescheidenden Handelsgeschäften durch die Fähigkeit wirtschaftliche Trends und Veränderungen des Konsumverhaltens frühzeitig wahrzunehmen, innerhalb weniger Jahrzehnten moderne Kaufhäuser entstehen konnten. Ein grosser familiärer Zusammenhalt, verstärkt durch die im Judentum lange Zeit gängigen Ehen zwischen Cousins und Cousinen oder durch die Heirat mit einer wohlhabenden Erbin, ermöglichte es Kapital zu generieren, das in die Erweiterung und Modernisierung der Kaufhäuser investiert werden konnte. Die in der Wissenschaft postulierte These, dass das aufstrebende jüdische Bürgertum generell innovativer war, weil es weniger durch Vorbehalte bezüglich moderner Geldwirtschaft als die christliche Bourgeoisie gebremst wurde, lässt sich ebenfalls im Kontext der jüdischen Kaufhauspioniere diskutieren. Das Beispiel der nichtjüdischen Familie Jelmoli, die aus dem Piemont stammt, und das von Angela Bhend ebenfalls in ihre Darstellung integriert wurde, zeigt aber auch auf, dass nichtjüdische Kaufleute ebenfalls erfolgreich in dieser Sparte tätig sein konnten.

Im ersten Teil ihrer Arbeit gelingt es der Autorin überzeugend Familien- und Wirtschaftsgeschichte zu verbinden. Der zweite, biographische Teil ist eine wahre Fundgrube an interessanten Details zur schweizerisch-jüdischen Sozialgeschichte. Dabei geht manchmal die begriffliche Präzision etwas verloren. So wird der Begründer der Kaufhausdynastie Loeb auf einem Foto als „Urvater Loeb“ bezeichnet. Auch finden sich noch ein paar weitere sprachliche Ungenauigkeiten, die den Lesefluss gelegentlich hemmen.

Insgesamt ist jedoch mit dieser Monographie ein sehr plastisches Panorama des „Triumphs der Moderne“ in der Schweiz anhand ihrer Kaufhäuser und der dafür verantwortlich zeichnenden jüdischen Handelsdynastien geschaffen worden. Dank seiner reichen und gut ausgewählten Illustrationen ist die Lektüre auch ein Fest fürs Auge.