„Jüdische Warenhäuser“ haben sich als Vorstellung tief in das Bewusstsein der städtischen
Gesellschaft Europas eingeprägt. Als der Autor dieser Rezension in den 1990er Jahren
in Berlin lebte, wurde er regelmässig auf eine mögliche Verwandtschaft mit dem Kaufhauspionier
Hermann Gerson angesprochen, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Hauptstadt
Preussens das erste „mondäne“ Modehaus gegründet hatte. Noch Jahrzehnte nachdem das
Kaufhaus 1936 „arisiert“ worden war und Hermann Gersons Nachkommen aus Deutschland
fliehen mussten, war die Erinnerung an diesen Konsumtempel im Zentrum der deutschen
Hauptstadt vielfach bei Berlinerinnen und Berlinern präsent, obwohl diese die Firma
nicht mehr persönlich gekannt haben dürften.
Während in Deutschland und in den meisten anderen mitteleuropäischen Staaten die Verfolgung
durch das „Dritte Reich“ die Existenz „jüdischer“ Warenhäuser radikal beendete, gab
es diese gewaltsame Zäsur in der Schweiz nicht– auch wenn, wie Angela Bhend prägnant
aufzeigen kann, die Bedrohung durch das nationalsozialistische Deutsche Reich auch
markante Auswirkungen auf die jüdischen Besitzerfamilien von Kaufhäusern in der Schweiz
hatte. Die judenfeindliche Hetze gegen die „jüdischen“ Warenhäuser in der Schweiz
führte 1933 sogar zu einem nur leicht verbrämten, aber in der Intention antisemitischen
Verbot von Warenhausneugründungen.
Doch ist es wohl dem Umstand zu verdanken, dass die Schweiz und ihre jüdische Minderheit
von den destruktiven Folgen einer deutschen Besatzung verschont blieben, dass Angela
Bhend ihre Forschungsarbeit auf umfangreiche Dokumentationen gerade auch aus Familienbesitz
abstützen konnte. Dank diesem vielfältigen Archiv- und Fotomaterial ist aus einer
sozialwissenschaftlichen Dissertation ein reich bebildertes Buch entstanden, das dem
Leser sehr anschaulich mehr als 100 Jahre schweizerisch-jüdische Kaufhausgeschichte
präsentieren kann.
Angela Bhend ist sich bewusst, dass eine Forschungsarbeit zur prominenten Rolle von
Juden im Schweizer Wirtschaftsleben darauf achten muss, dass zwischen der wirtschaftlichen
Tätigkeit der dargestellten Protagonisten und ihrer jüdischen Herkunft keine essentialistische
Kausalität konstruiert wird. Zugleich muss jedoch auch die Frage diskutiert werden,
weshalb Vertreter einer so kleinen Minderheit in diesem Wirtschaftszweig offensichtlich
eine so herausragende Rolle spielen konnten.
Für eine Analyse dieser komplexen Fragestellung müssen Forschende nicht nur über historische
und kulturanthropologische Instrumentarien verfügen, sondern auch über ein spezifisches
Wissen über die Entwicklung und die Mechanismen des Konsumverhaltens sowie der Volkswirtschaft.
Ein Standardwerk zur Verbindung von Wirtschaft- und jüdischer Familiengeschichte stellt
Niall Ferguson Die Geschichte der Rothschilds: Propheten des Geldes (deutsch, München 2002) dar, dem es in vorbildlicher Weise gelingt, das so erfolgreiche
Wirken der legendären Bankiersdynastie Rothschild im Kontext ihrer jüdischen Herkunft
und Familienstruktur sowie ökonomischer Fragestellungen zu analysieren. Angela Bhend
löst diese analytischen Herausforderungen zwischen Wirtschafts- und Familiengeschichte
in der Weise, als dass sie ihre Publikation in zwei Teile gliedert. Im ersten Teil
unter dem Titel „Migration, Kultur und Wirtschaft in transnationaler Perspektive“
wird die Entstehung und Entwicklung des modernen Schweizer Warenhauses in der Mitte
des 19.Jahrhunderts auch im internationalen Vergleich dargestellt. Der zweite Teil,
„Familien- und Unternehmensbiografien“, richtet den Fokus verstärkt auf das Zusammenspiel
von jüdischen Heiratsstrategien und ökonomischem Handeln.
Es ist bemerkenswert, dass die jüdischen Kaufhausdynastien in der Schweiz nicht aus
den beiden „Judendörfern“ im Aargauer Surbtal, Endingen und Lengnau, stammen, sondern
aus dem benachbarten Ausland, meist dem Elsass oder Süddeutschland. Im Falle von Julius
Brann führt ihn seine Karriere aus der preussischen Provinz Posen in die Schweiz.
Auch war die Schweiz nicht das alleinige Betätigungsfeld dieser Pioniere. Die Familien
Loeb und Knopf waren zunächst stark auch im Deutschen Reich engagiert und Maus sowie
Nordmann besassen in Frankreich Geschäfte.
Es wird in Angela Bhends Monographie, nicht zuletzt dank der reichhaltigen Bilddokumentation,
sehr anschaulich aufgezeigt, wie aus relativ bescheidenden Handelsgeschäften durch
die Fähigkeit wirtschaftliche Trends und Veränderungen des Konsumverhaltens frühzeitig
wahrzunehmen, innerhalb weniger Jahrzehnten moderne Kaufhäuser entstehen konnten.
Ein grosser familiärer Zusammenhalt, verstärkt durch die im Judentum lange Zeit gängigen
Ehen zwischen Cousins und Cousinen oder durch die Heirat mit einer wohlhabenden Erbin,
ermöglichte es Kapital zu generieren, das in die Erweiterung und Modernisierung der
Kaufhäuser investiert werden konnte. Die in der Wissenschaft postulierte These, dass
das aufstrebende jüdische Bürgertum generell innovativer war, weil es weniger durch
Vorbehalte bezüglich moderner Geldwirtschaft als die christliche Bourgeoisie gebremst
wurde, lässt sich ebenfalls im Kontext der jüdischen Kaufhauspioniere diskutieren.
Das Beispiel der nichtjüdischen Familie Jelmoli, die aus dem Piemont stammt, und das
von Angela Bhend ebenfalls in ihre Darstellung integriert wurde, zeigt aber auch auf,
dass nichtjüdische Kaufleute ebenfalls erfolgreich in dieser Sparte tätig sein konnten.
Im ersten Teil ihrer Arbeit gelingt es der Autorin überzeugend Familien- und Wirtschaftsgeschichte
zu verbinden. Der zweite, biographische Teil ist eine wahre Fundgrube an interessanten
Details zur schweizerisch-jüdischen Sozialgeschichte. Dabei geht manchmal die begriffliche
Präzision etwas verloren. So wird der Begründer der Kaufhausdynastie Loeb auf einem
Foto als „Urvater Loeb“ bezeichnet. Auch finden sich noch ein paar weitere sprachliche
Ungenauigkeiten, die den Lesefluss gelegentlich hemmen.
Insgesamt ist jedoch mit dieser Monographie ein sehr plastisches Panorama des „Triumphs
der Moderne“ in der Schweiz anhand ihrer Kaufhäuser und der dafür verantwortlich zeichnenden
jüdischen Handelsdynastien geschaffen worden. Dank seiner reichen und gut ausgewählten
Illustrationen ist die Lektüre auch ein Fest fürs Auge.