Erich Fromm und Das Freie Jüdische Lehrhaus in Frankfurt

Ronen Pinkas 
Universität Potsdam
pinkas@uni-potsdam.de

Abstract

This article examines Erich Fromm (1900–1980) within the context of the so-called „renaissance of Jewish religious thought“ in Germany during the early 20th century. It is well known that Fromm was a member of the Institute for Social Research, later called the Frankfurt School. The focus of this study, however, is on what has received little attention in research, namely Fromm’s involvement in founding the Freies jüdisches Lehrhaus (the Jewish House of Free Study) in Frankfurt. Fromm participated in the founding of the Lehrhaus as a student and later as a lecturer. During this time, Fromm also wrote his dissertation on Judaism at Heidelberg University. Methodologically, this paper intertwines the historical-biographical axis, which deals with Fromm’s connections to several thinkers: Rabbi Nehemia Nobel, Rabbi Georg Salzberger, Baruch Salman Rabinkow, Franz Rosenzweig, Ernest Simon and others, and the philosophical axis, which focuses on his dissertation, The Jewish Law.

The Freies jüdisches Lehrhaus in Frankfurt is primarily associated with Franz Rosenzweig and other thinkers who worked there, such as Gershom Scholem, Ernest Simon, Leo Löwenthal and Martin Buber, who wrote Ich und Du during the years he taught there. With the exception of Buber, the Lehrhaus was their first official teaching venue. The Lehrhaus was characterized by its dialogical atmosphere, and symmetrical relationships between teachers and students, which softened some of the rigidity that was the norm at German educational frameworks at the time. This atmosphere continued to influence Fromm in his adult life, in terms of his attitude towards religion, questioning of authority and his understanding of human nature. Finally, it later played a role in his departure from Freudian libido theory.

This study presents some key ideas from his dissertation, including his position on religious dogma, particularly concerning the Karaite sect, a subject that he later taught as a lecturer at the Lehrhaus. Fromm’s dissertation expresses his preoccupation with his Jewish identity and his examination of the complex theopolitical reality in which the Jews of Germany found themselves at the beginning of the 20th century, including the debates between Orthodox Jews and reformers, and between Zionists and anti-Zionists. This article supports the claim that Fromm’s position that religious factors play a central role in the historical process, which he held throughout his life, was formed in these early years. The article strengthens the scholarly position that Fromm’s Jewish background is relevant to understanding his thought in general.

Erich Pinchas Fromm (1900–1980) ist einer der wichtigsten und einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts. Seine Philosophie umfasst viele Bereiche des Denkens: Sozialwissenschaften, Psychoanalyse und Persönlichkeitsforschung, humanistische Wissenschaften, Bildung, Kultur und Religionskritik, Bibelwissenschaft, Komparative Theologie, Mystik und Zen-Buddhismus. In den letzten Jahren hat Fromm in den Sozial- und Geisteswissenschaften erneute Aufmerksamkeit erhalten. Seine bekannten Bücher werden in neuen Ausgaben veröffentlicht, seine frühen Schriften werden übersetzt1 und eine Reihe biographischer Studien wurden veröffentlicht.2 Forscher behaupten, Fromms Denken könne nicht verstanden werden, ohne seinen jüdischen Hintergrund zu berücksichtigen. Jüdisches Denken trete in fast allen seinen Büchern hervor.3 Dies ist ein interessantes Argument, insbesondere angesichts der Tatsache, dass Fromm nicht als „jüdischer Denker“ anerkannt wird,4 obwohl er es durchaus verdient, als solcher bezeichnet zu werden. Das erste Drittel seines Lebens ist ganz dem Judentum und dem jüdischen Denken gewidmet und einige seiner späteren Schriften befassen sich explizit damit. Fromm war der einzige, der bei der Gründung des Freien Jüdischen Lehrhauses in Frankfurt und am Institut für Sozialforschung beteiligt war.5 Forscher, die sich mit seiner Beteiligung am jüdisch-intellektuellen Leben in Deutschland im frühen 20. Jahrhundert auseinandersetzen, beschäftigen sich hauptsächlich mit seinem Beitrag im zweiten Institut.6

Nach der Gründung des Freien Jüdischen Lehrhauses in Frankfurt im Jahr 1920 war Fromm dort Student und im Jahr 1923 lehrte er an diesem Institut. Ich möchte die Beteiligung Fromms im Lehrhaus untersuchen, sowohl seine Beziehungen zu Ernst Simon, Nehemia Anton Nobel, Georg Salzberger, Zalman Baruch Rabinkow und Franz Rosenzweig als auch seine Haltung gegenüber dem Judentum. Seine Dissertation, die er 1922 abschloss, ist eine zentrale Quelle, um seine Gedanken zu wichtigen Themen dieser Zeit nachzuvollziehen. Der Aufsatz hat einen historisch-konzeptuellen Ansatz, um Fromms Beitrag zum modernen jüdischen Denken zu erhellen. Er dreht sich um zwei Achsen. Die biographische Achse, die Fromms Beziehungen zu anderen Persönlichkeiten zeigt, und die ideologische Achse, die eine Untersuchung seiner früheren Schriften bietet und seine Haltung gegenüber dem Judentum zum Gegenstand hat.

Abbildung 1Bekanntmachung im Frankfurter israelitischen Familienblatt, 4.4.1913, 6. „Barmizwoh. – Erich Fromm, Liebigstr. 27, in der Synagoge Unterlindau 23.“

Am 4. April 1913 erschien im Frankfurter Israelitischen Familienblatt eine kleine Notiz über Erich Fromms Bar-Mitzwah in der Synagoge Unterlindauer 23 (Abb. 1). Erich, wohnhaft in der Liebigstraße 27, wurde als einziger Sohn einer orthodoxen Familie geboren. Sowohl Vater als auch Mutter waren stolz darauf, einer Linie von Rabbinern und Talmudgelehrten anzugehören. Seine Großmutter mütterlicherseits stammte aus der Linie des großen Bibelkommentators und Talmudgelehrten des 12. Jahrhunderts, Raschi (Rabbi Schlomo Jizchaki). Sein Großvater väterlicherseits, Rabbi Seligman Be’er Bamberger, war ein bekannter jüdischer Gelehrter, der in Würzburg eine jüdische Bildungseinrichtung gegründet hatte und dort lehrte.7

Erich zufolge schämte sich sein Vater, dass er ein Geschäftsmann war und sein Leben nicht dem Judentum widmete. Naftali Fromm war jedoch in der jüdischen Gemeinde in Frankfurt aktiv, 1919 Mitbegründer der „Hermann Cohen Loge“ in Frankfurt und von 1924 bis 1925 deren Präsident. Erich Fromms Onkel mütterlicherseits, Ludwig Krause, war Erichs erster Talmudlehrer. Als Jugendlicher wollte Erich Talmudlehrer werden.8

1 Die Errichtung des Lehrhauses in Frankfurt

In Fromms Biographie bemerkt Rainer Funk: „Georg Salzberger […], hatte die Idee zum ‚Freien Jüdischen Lehrhaus‘, der ersten jüdischen Volkshochschule, an deren Gründung der junge Erich Fromm maßgeblich beteiligt war.“9 Das Freie Jüdische Lehrhaus in Frankfurt ist in erster Linie mit dem bedeutenden Philosophen Franz Rosenzweig (1886–1929) verbunden, dem „Sage of Frankfurt“, wie er später genannt wurde.10

Fast alle Studien zeigen, dass Rosenzweig die Einrichtung gegründet, geleitet und in ihr gelehrt hat, bis er aufgrund seiner Krankheit daran gehindert wurde. Rosenzweig investierte viel in die jüdische Erziehung. Er gab seine akademische Karriere dafür auf. 1917 formulierte er mit Hermann Cohen die Grundzüge eines zukünftigen Bildungsplans. Beide beabsichtigten, eine jüdische Bildungseinrichtung in Berlin zu eröffnen. Anfang 1918 besuchte Rosenzweig Cohen, um mit ihm darüber zu sprechen, aber im April des Jahres starb Cohen. Zwar wurde in Berlin eine wissenschaftliche Einrichtung für jüdische Studien eröffnet, aber nicht auf der Grundlage von Rosenzweigs Bildungsforschungsprogramm. Ein Jahr später lud Rabbi Georg Salzberger, ein liberaler Rabbiner aus Frankfurt, Rosenzweig in die Einrichtung der Erwachsenenbildung nach Frankfurt ein.

Salzbergers Entscheidung, Rosenzweig um die Leitung der Institution zu bitten, mag zwei Gründe haben: Erstens veröffentlichte Rosenzweig 1918 in den Neuen Jüdischen Monatsheften seinen Aufsatz „Zeit ists“, den er während seines Militärdienstes im Ersten Weltkrieg geschrieben hatte. In ihm skizzierte er den Plan für die Erneuerung des jüdischen Bildungssystems und betonte die Verantwortung des jüdischen Gelehrten gegenüber der Gemeinschaft, sein Wissen zu teilen und am jüdischen Leben teilzunehmen. 11

Zweitens war Rosenzweig bereits in die jüdische intellektuelle Gemeinschaft in Frankfurt involviert und aktiv. Nachdem er Der Stern der Erlösung beendet hatte, referierte Rosenzweig vor der Gemeinde in Kassel über Judentum, woraufhin ihn Dr. Joseph Prager, ein Psychiater und Talmudwissenschaftler, mit Nehemia Nobel bekannt machte. 1919 hörte Rosenzweig zum ersten Mal eine der beeindruckenden Predigten von Nobel und trat seiner Klasse in Frankfurt bei.12

Die meisten Studenten von Nobel waren damals Mitglieder der zionistischen Jugendorganisation Blau-Weiß.13 Unter den Nobel-Studenten traf Rosenzweig Erich Fromm, Ernst Simon, Leo Löwenthal, Nahum Glatzer und andere. Fromm hatte schon drei Jahre zuvor bei Nobel studiert und als Salzberger mit Fromm über die Idee sprach, Judentum für Erwachsene zu lehren, war es nur natürlich, dass ihm Rosenzweig in den Sinn kam. Salzberger kannte vermutlich „Zeit ists“ und wusste von Rosenzweigs Wunsch, sich an einer neuen jüdischen Erziehung zu beteiligen. Es ist wahrscheinlich, dass der junge Fromm aufgrund seiner Bekanntschaften mit Nobels Studenten bereits einen positiven Eindruck von Rosenzweig hatte.

Georg Salzberger (1882–1975) diente während des Ersten Weltkrieges als Feldrabbiner für jüdische Soldaten der 5. Armee und war überrascht, wie ignorant und unwissend die Soldaten gegenüber jüdischer Geschichte und Religion waren. Er entwickelte die Idee, eine Bildungsinstitution für Erwachsene zu gründen, die das Judentum studieren wollten.

Rosenzweig hatte Ähnliches während seines Militärdienstes erlebt. Seine Kriegserlebnisse beeinflussten die Entwicklung seines existenziellen Denkens.14

Salzberger traf die Entscheidung, ein jüdisches Lehrhaus zu gründen, aus Sicht eines Rabbiners und Nahum Glatzer formulierte das Motiv später: „The Jew’s ‘true’ life has been reduced, obscured, if not destroyed by the over-zealous philosophy of enlightenment and by the misuse of science and art as substitutes for religion“.15 In einem Radiointerview in den 1970ern sagte Salzberger:

Ich beriet mich mit meinem jungen Freunde Erich Fromm… der, obwohl aus orthodoxen Hause stammend, meine Interessen teilte. Wir begründeten gemeinsam gegen Ende 1919 die „Vereinigung“ oder wie sie später hieß, die „Gesellschaft für jüdische Volksbildung in Frankfurt am Main“. […] Der eigentliche Vorlesungsbetrieb wurde am 22. Februar 1920 mit einer Feier eröffnet, bei der Rabbiner Nobel über ein Kapital aus der Geschichte der Kabbala sprach.16

Erich Fromm war damals neunzehn Jahre alt, Salzberger selbst siebenunddreißig.

Salzbergers Programm bestand darin, jüdische Erwachsenenbildung in Form von Volksvorträgen und Besuchen von jüdischen Stätten und Institutionen anzubieten. Er und Fromm, damals aktives Mitglied der Zionistischen Studentenvereinigung (1919–1923), beschlossen, den zweiunddreißigjährigen Rosenzweig aus Kassel einzuladen, am Institut mitzuwirken. Im Sommer 1920 wurde Rosenzweig zum Direktor des Instituts ernannt und am 17. Oktober desselben Jahres das Lehrhaus eröffnet. Rosenzweig hatte die Einladung angenommen, vorausgesetzt, er habe freie Hand, über die Art des Lehrplans zu entscheiden. Seine Eingriffe in das ursprüngliche Konzept waren groß. Er führte eine Reform der Erwachsenenbildung ein.17

2 Das Wesen des Lehrhauses

Rosenzweigs erster Schritt bestand darin, die Bezeichnung „Gesellschaft für jüdische Volksbildung“ in „Freies Lehrhaus“ umzubenennen. Erstens stammte der Begriff „Volksbildung“ aus der deutschen Kultur, während der Begriff „Lehrhaus“ (Beit Midrash) aus jüdischen Quellen stammte. Zweitens bedeutete das Wort „frei“, dass die Einrichtung für alle Personen ohne Aufnahmeprüfungen offenstehen und im Lehrhaus „Untersuchungsfreiheit“ herrschen sollte. Ein freier Raum für Kritik und Diskussion. Das Lehrhaus würde jedem offenstehen, egal, ob orthodox oder liberal, atheistisch oder zionistisch oder nicht. Niemand sollte seine politischen oder religiösen Ansichten aufgeben müssen. In seinem Essay „Neues Lernen“, ein Entwurf für die Eröffnungsrede des Lehrhauses, forderte Rosenzweig die Erneuerung des Studiums des Judentums. „Neues Lernen“ bedeutete aus seiner Sicht, aus dem Leben heraus die Tora zu studieren und nicht, dem traditionellen Anspruch folgend, von der Tora aus zum Leben zu finden.18 Eine Studie „von außen nach innen“. Die existenzielle Erfahrung geht der Tora-Studie voraus.19 Im Gegensatz zu anderen jüdischen Einrichtungen der Erwachsenenbildung betonte Rosenzweig die Form des Lernens von Arbeitsgemeinschaften in Kleingruppen. Das Lehrhaus sollte zu Diskussionen anregen und das Studium auf Fragen und Dialogen aufgebaut werden, anders als in akademischen Institutionen mit üblichen Frontal-Vorträgen.20 Mit Ausnahme von Nobel und Martin Buber waren alle Dozenten des Lehrhauses noch nicht als Redner oder Denker ihrer Zeit bekannt. Für einige wichtige Denker, darunter Gershom Scholem, Ernst Simon, Leo Löwenthal und Erich Fromm, war das Lehrhaus der erste offizielle Ort, an dem sie lehrten. Rosenzweig betonte eine der Neuerungen am Lehrhaus: „er [der Lehrer] muß viel mehr sein und viel weniger: ein Meister zugleich und zugleich ein Schüler.“ 21 Fromms Lebensfreund Ernst Simon stellte fest, „das erste Mal in der Geschichte des Judentums saß der Raw auf der gleichen Bank mit dem Am-Haarez („Volk der Erde“)“.22

In diesen Jahren arbeitete Buber an seinem Ich und Du, 1923 erschienen, das den Geist des Lehrhauses widerspiegelt.23 Das Studium ist ein lebhafter Dialog zwischen Lehrer und Schüler. Zwischen beiden besteht trotz kategorialen Unterschieden (in Bezug auf den sozialen Status) eine vollständige Interdependenz. Jede Seite ist einzigartig, und ihre Einzigartigkeit wird im Kontext eines völlig anderen Wesens und ohne Angleichung impliziert. Ein fundamentales methodologisches Konzept in Cohens Philosophie: Es drückt sich im Begriff der „Korrelation“ aus. Die Korrelation, die das Individuum in seiner Einzigartigkeit offenbart, ist Cohens Änderung der allgemeinen Ethik von Kant, in der jedes Individuum die gesamte Menschheit ausdrückt und sich daher in das Ganze einfügt. Der radikale Aspekt der Korrelation ist die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Mensch und Gott. Die Existenz des einen hängt von der Existenz des anderen ab, gleichermaßen und zweiseitig. Aus diesen wechselseitigen Beziehungen ist die Formel für menschliche Beziehungen impliziert. Nach Cohen: „Es ist ja auch die Frage, die bisher noch gar nicht gestellt ist: ob ich selbst überhaupt schon vorhanden bin, bevor der Mitmensch entdeckt ist.“24 Cohens Konzept der Korrelation ist ein grundlegendes Konzept für das Verständnis der dialogischen Philosophie, der „Ich und Du“-Beziehung, die Rosenzweig und Buber später entwickelten.25 Dieser philosophische Ansatz stellte die theoretische Grundlage für das Wesen des Lehrhauses dar. Im Lehrhaus war die Bildung nicht hierarchisch, wie es in der deutschen Bildungskultur allgemein akzeptiert wurde.

Fromm wurde durch den korrelativ-dialogischen Ansatz beeinflusst, der im Lehrhaus herrschte und einzigartig war. Dieser Einfluss drückte sich in seiner Abneigung gegen jeden nicht-humanistischen Ansatz aus, der auf irrationaler Autorität beruht und zeigte sich in seinen späteren Schriften. Fromm schätzte Cohens Philosophie, sowohl durch das Studium der Religion der Vernunft als auch durch die Annahme von Cohens Ideen in der Vermittlung durch Nobel.26 Es ist nicht bekannt, ob Fromm Cohen persönlich traf. Cohens Begriff der „Korrelation“ drückt sich in Fromms Menschenbegriff aus27 und wird auch in seinem klinischen Ansatz explizit artikuliert [1960]:

Der Analytiker muß zum Patienten werden und doch er selbst bleiben. Er muß vergessen, daß er Arzt ist, und muß sich dessen doch bewußt bleiben. Nur wenn er dieses Paradoxon akzeptiert, kann er „Interpretationen“ geben, die Autorität besitzen, weil sie ihre Wurzeln in seinem eigenen Empfinden haben. Der Analytiker analysiert den Patienten, aber der Patient analysiert den Analytiker ebenfalls, weil der Analytiker, wenn er das Unbewußte seines Patienten teilt, nicht umhin kann, sein eigenes Unbewußtes zu klären.28

3 Vom Studenten zum Dozenten im Lehrhaus

Von der Gründung des Lehrhauses 1920 an war Fromm Begründer und bis 1922 auch Student. 1923 unterrichtete er dort.29 Zu den Dozenten am Institut gehörten Franz Rosenzweig, Nehemia Nobel, Martin Buber, Eduard Strauß, Richard Koch, Gershom Scholem, Georg Salzberger, Zalman Rabinkow, Samuel Yosef Agnon (Nobelpreisträger für Literatur 1966), Ernst Simon, Leo Löwenthal und andere. Leo Baeck und Abraham Joshua Heschel waren Gastdozenten. In seiner Autobiographie erzählt Gershom Scholem, dass Fromm in seinen Kursen unter seinen Schülern saß. Scholem unterrichtete Midrasch-Neelam im Sohar über Ruth, was ein gewisses Maß an Kenntnis in Hebräisch erforderte. „Meine Schüler waren da unter anderem Schlomo Dov Goitein, Nahum Glatzer, Ernst Simon und Erich Fromm, der noch gesetzestreuer Zionist und Mitglied der Zionistischen Studentenvereinigung war“.30 Der plötzliche Tod von Nobel (im Alter von einundfünfzig Jahren) am 24. Januar 1922 war ein schwerer Schlag für Rosenzweig und alle anderen Menschen im Lehrhaus. In einem Brief an Buber, ein Tag nach Nobels Tod, beschrieb Rosenzweig die Ungeheuerlichkeit des Verlustes: „Mir ist ein Stück Lebensbasis unter den Füßen weggezogen….“.31 Eine Woche nach Nobels Tod wurde Rosenzweigs Krankheit diagnostiziert.32 In derselben Woche veröffentlichte Die Frankfurter Neue Jüdische Presse einen Nachruf von Fromm unter dem Titel „Rabbi Nobel als Führer der Jugend“. Fromms Bewunderung für Nobel war offensichtlich.

Er [Nobel] ließ uns die Seele des Judentums schauen und ihre Verknüpftheit mit der Form, dem historisch-national Gegebenen; er ließ Propheten und Tanaim vor unserem Auge erstehen […] Er führte uns in den Talmud hinein und ließ ihn uns sehen als Ausdruck der Seele unseres Volkes […] er lebte, was er sagte, und nur sagte, was er lebte.33

Vierundvierzig Jahre später, im Vorwort zu You Shall be as Gods [1966], nannte er ihn einen seiner wichtigsten Lehrer der jüdischen Tradition, der Bibel und des Talmuds. Er schrieb: „Nobel war ein ganz von der jüdischen Mystik und den Ideen des westlichen Humanismus durchdrungener Mystiker“.34

In einem Brief vom 6. Oktober 1922, als die Krankheit seine Bewegungen bereits eingeschränkt hatte, schrieb Rosenzweig an Joseph Prager, dass Ernst Simon in seiner Wohnung einen Minyan (Gebetsgemeinschaft von mindestens zehn Männern) für Yom Kippur organisiert hatte. „Erich Fromm, Fritz Goitein und einer, den du nicht kennst, als Vorbeter, – überhaupt nur feine Jungens, keiner den ich nicht kannte…“.35 Vor seinem Tod hatte Nobel nur wenige Seminare im Lehrhaus über Goethe und dessen Haltung gegenüber Religion gegeben, aber seine Abwesenheit war nicht nur im Wissensbereich der Lehre spürbar. Rosenzweig befürchtete, dass er Nobel weder als Talmud-Lehrer noch als spirituellen Führer ersetzen konnte. In einem Brief an Rudolf Hallo, dem Nachfolger von Rosenzweig am Lehrhaus, schrieb er, dass Salman Baruch Rabinkow die richtige Person sei, um Nobel zu ersetzen:36 „Ich weiß nicht, bei wem du die talmudische Bildung […] bekommen kannst… Vielleicht wird es das Richtigste sein, wenn […] du dich dort an Rabinkow anschließt, den ich zwar selber nicht kenne, der aber nach den Schilderungen seiner Schüler… wohl der einzig Lebende in der hiesigen Gegend ist, der in seiner Weise etwas ähnlich Bedeutendes ist wie Nobel.“ 37

Tatsächlich kam Rabinkow 1923–1924 aus Heidelberg, um Talmud im Lehrhaus zu unterrichten. Rabbi Dr. Salman Baruch Rabinkow (1882–1941) war vermutlich einer der einflussreichsten und vergessenen Lehrer des deutschen Judentums zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Er war aus Sosnyzja (Ukraine) nach Deutschland ausgewandert und verdiente seinen Lebensunterhalt mit Privatunterricht als Experte für den Talmud, den er nach der Chabad-Tradition verstand. Seine Schüler waren Fromm, Simon, Glatzer, Scholem und andere.38 Scholem beschreibt ihn als

ein fünfunddreißigjähriger Gelehrter, der zurückgezogen lebte und von den wenigen, die ein lebendiges jüdisches Wort suchten, in seinem bescheidenen Zimmer mit Eifer aufgesucht wurde. […] und eine unvergeßliche Gestalt blieb. Rabinkow war die vollkommene Verkörperung eines Vertreters der mündlichen Lehre. Er schrieb keine Bücher oder Artikel und hinterließ der Nachwelt keine Werke – alles bei ihm war mündlich. […] Ein Meister des Talmuds aus chassidischer Familie, der das System des Baal Schem-Tov mit dem System Hermann Cohens, seines philosophischen Helden, im Inneren zusammenbrachte, gewann er die Herzen. Er beachtete streng die Gebote, besaß einen freien Geist und ein offenes Herz – die Gestalt eines großen Lehrers.39

Für Fromm war Rabinkow sein wichtigster Talmudlehrer und spiritueller Mentor.40 Er studierte in den Jahren 1919–1925 täglich bei ihm und machte Ernst Simon mit ihm bekannt. Sie studierten zusammen Talmud, Maimonides, die Tanya (ein zentrales Buch für Chabad) und Fragen der Philosophie und Soziologie des jüdischen Rechts. Fromm wies darauf hin, dass Rabinkow ihm bei seiner Doktorarbeit sehr geholfen habe und ihn mehr als alle anderen beeinflusste.41 Fromm bekannte in seinen 1971 verfassten Erinnerungen an Rabinkow freimütig: „Rabinkow beeinflusste mein Leben mehr als vielleicht irgendein anderer Mensch und seine Ideen sind in mir – wenn auch in anderen Formen und Begriffen – lebendig geblieben.“42

Rabinkow betonte wie Cohen die universellen und humanistischen Aspekte des Judentums. Für Fromm war Rabinkows Einzigartigkeit sein Erfolg bei der Verbindung der orthodoxen jüdischen Tradition (Osteuropäer) mit der modernen Kultur. „Ich erinnere mich an viele Passagen aus dem Talmud, mit denen mich Rabinkow beeindruckt hat, von denen er glaubte, dass sie die Prinzipien des Geistes des Judentums verkörpern.“43

Unter Rabinkows Einfluss und trotz seiner Bewunderung für Nobel, der den Zionismus mit seinen Predigten verband, verließ Fromm 1923 die zionistische Jugendbewegung und nahm seitdem, während seines ganzen Lebens, eine kritische Haltung gegenüber Zionismus und Nationalismus im Allgemeinen ein.44

Laut Fromm war es seine Persönlichkeit, die Rabinkow daran hinderte, zu schreiben und zu veröffentlichen, offenbar aus „gewissen Zweifeln in ihm“. Er hinterließ den Eindruck seiner Persönlichkeit bei seinen Schülern. Scholem meinte, dass Rabinkow keine Stelle an der Hebräischen Universität erhielt, weil er nicht veröffentlichte.45 In seinem einzigen Artikel „Individuum und Gemeinschaft im Judentum“,46 stellte Rabinkow das Judentum als universellen Humanismus vor. Die Dimension der sozialen Erlösung des Judentums hinge von der Verwirklichung des moralischen Selbst des Individuums ab. Rabinkows Interesse am Gesetz des Judentums und an der Beziehung zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft bilden in Fromms Doktorarbeit ein ideologisches Zentrum. Funk zufolge ist Rabinkows Abneigung gegen die Neo-Orthodoxie und seine Neigung hin zum Chassidismus in Fromms Dissertation deutlich zu spüren:

Vieles von dem, was Rabinkow über den jüdischen Menschen aussagt, findet sich später auch in Fromms humanistischem Credo wieder – etwa Fromms „Glaube“ an die Fähigkeit des Menschen zur Biophilie, zur Autonomie, zur produktiven Orientierung, zur Selbstvervollkommnung oder zur Nächstenliebe aufgrund von Selbstliebe.47

4 Doktorarbeit über das jüdische Gesetz in der Diaspora

Fromm promovierte 1922 an der Universität Heidelberg. Er schrieb seine Arbeit unter Leitung des renommierten Soziologen Alfred Weber. 1923/1924 unterrichtete Fromm im Lehrhaus und möglicherweise war er auch am Lehrplan beteiligt.48 Fromm und Ernst Simon waren erst Studenten und danach Dozenten im Lehrhaus und verwirklichten somit Rosenzweigs Absicht, das Lehrhaus zu einem Ort zu machen, an dem ein Dialogprozess des Lernens stattfand, der nicht auf sozialem Status basierte. Fromm gab zwei Kurse: Einen über die Karäer und einen Fortgeschrittenenkurs über Raschis Kommentar zum Exodus.49

In einem Brief an Joseph Prager vom 30. Mai 1923 schrieb Rosenzweig:

… Auch das Lehrhaus hat diesen Sommer eine wichtige Entwicklung erfahren […] Ich lege dir ein Programm bei, aus dem du siehst, was geplant war; zustandegekommen ist ein Einführungskurs in Raschi zum Wochenabschnitt (Ernst Simon mit zwölf Teilnehmern) kursorische Raschilektüre zum Exodus (Erich Fromm mit fünf Teilnehmern). Sohar chadasch (sieben Wochenstunden, zehn Teilnehmer), den hält Scholem, der über den Sommer hier ist, und machts, wie immer mit unflätigem Benehmen, aber, ebenfalls wie immer, glänzend. Er liest mit den Teilnehmern außerdem auch Daniel, und mit einigen natürlich Agnon. Ich bin sehr zufrieden, daß dieser andre Pol des Lehrhauses jetzt auch sichtbar geworden ist….50

Wir wissen nicht viel über den Inhalt der Lektionen, die Fromm im Lehrhaus unterrichtet hat. Vermutlich war sein Ausgangspunkt soziologisch-religiös. Fromm war damals eine religiöse Person und behielt die orthodox jüdische Praxis bei. Was den Kurs über die Karäer anbelangt, so ist es wahrscheinlich, dass vieles, was er unterrichtete, auf seiner Dissertation beruhte. Was das Seminar „Raschi über Exodus“ anbelangt, ist sein Motiv weniger klar. Vielleicht beruhte seine Wahl für Raschi zum Teil auf biographischem Interesse. Fromm stammte mütterlicherseits von Raschi ab. Der Fokus auf Exodus beruhte offenbar auf dem Interesse, das Fromm am Sinai in Bezug auf das Gesetz und das System der Mitzwot gefunden hatte. Es ist möglich, dass die Entscheidung, Exodus, z. B. die Episode vom goldenen Kalb, zu unterrichten, auch auf Fromms Interesse am Götzendienst zurückzuführen ist. Dieses Thema, Idole und Entfremdung, spielt jedoch in seiner Promotion keine Rolle, obwohl es in seinen späteren Büchern einen zentralen Platz einnimmt.51

Ab 1919 studierte Fromm in Heidelberg Soziologie, Psychologie und Philosophie. Zu seinen Lehrern gehörten Karl Jaspers und Heinrich Rickert. Der Titel von Fromms Dissertation (1989 veröffentlicht)52 lautet Das jüdische Gesetz: Zur Soziologie des Diaspora-Judentums [1922]. Diese Arbeit ist eine wegweisende Studie des Diaspora-Judentums als Forschungsobjekt der anthropologischen Soziologie. Der Zweck von Fromms Arbeit war, eine Analyse der Akzeptanz des Gesetzes im Judentum von drei jüdischen Gemeinschaften in der Diaspora zu präsentieren: Den Karäern, den Reformjuden und den Chassidim. Fromm verwendete eine soziologische Methode und eine theo-politische historische Analyse, um die Beziehung zum Gesetz zu untersuchen und zu analysieren, wie das Gesetz den sozialen Zusammenhalt und die Kontinuität der jüdischen Gemeinschaft in der Diaspora bewahrt. Die Dissertation ist von Zitaten aus der Thora und dem Talmud, aus jüdisch philosophischen und historischen Quellen und soziologischen Studien durchdrungen. Fromm benutzte Cohens Religion der Vernunft, Bubers Schriften über den Chassidismus (Die Geschichten des Rabbi Nachman, 1906; Die Legende des Baalschem, 1907), Schriften von Simon Dubnow über die Geschichte des osteuropäischen Judentums, Schriften von Heinrich Zvi Graetz und Schriften des Historikers Julius Fürst über die Karäer. Seine Methodologie und Terminologie war beeinflusst von den Soziologen Max Weber und seinem Bruder Alfred Weber, der Fromms Dissertationsmoderator war.53 Ich stimme der Aussage Funks zu, dass Fromms Dissertation eine Thematisierung der Logik religiöser Erfahrung ist.54

Es sollte hinzugefügt werden, dass die Dissertation eine existenzielle paradoxe Erfahrung ausdrückt. Sie drückt indirekt Fromms Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Judentum und Zionismus aus. In diesen Jahren befand sich der junge Fromm im Zentrum der stürmischen Debatte über den Zionismus. Bereits 1916 gab es eine offene Diskussion zwischen Martin Buber und Hermann Cohen, die Cohen auch mit Nobel geführt hatte. Obwohl Nobel im Verständnis des Judentums von Cohens Religion der Vernunft beeinflusst wurde, akzeptierte er Cohens antizionistische Ansichten nicht. Der Zionismus war für Nobel ein Ausdruck der Erneuerung des jüdischen Lebens in Deutschland. Von 1916 bis 1921 studierte Fromm bei Nobel. Von Nobel beeinflusst, trat er der zionistischen Jugendbewegung Blau-Weiß bei, die 1913 gegründet wurde, als erste zionistische Jugendbewegung Deutschlands. Fromm war in der Bewegung 1919 bis 1923 aktiv. Er spielte auch eine wichtige Rolle bei der Gründung des Kartells Jüdischer Verbindungen (KJV) in Frankfurt. Ziel dieser Gruppe war es, ihre Mitglieder in der Zionistenbewegung zu unterstützen. Unter den Mitgliedern machte ein Reim die Runde: „Mach mich wie den Erich Fromm, daß ich in den Himmel komm!“.55 Er wurde zu einer Art Hymne des Kartells. Laut Simon war Fromm trotz ihrer Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des Zionismus und des Staates Israel seit vielen Jahren „sein geliebtester Freund“.56

Ab 1919 lernte Fromm täglich mit Rabinkow aus dem Talmud, und seine Ansichten über den Zionismus standen denen Cohens nahe. Das heißt, er entwickelte Kritik am modernen Zionismus als partikularem jüdischen Nationalismus. Diese Jahre waren komplex und für den jungen Fromm verwirrend. Er studierte dem Wunsch seiner Lehrer nach verschiedene Themen des Judentums und hörte von ihnen unterschiedliche und widersprüchliche Ansichten zum Thema Zionismus. Das lese ich aus seiner Dissertation heraus und auch daraus, wie er sich in dieser Kontroverse entschied.57 Auf intellektuelle Weise erklärte sich Fromm selbst, was es bedeutet, Jude in der Diaspora zu sein. Die Dissertation befasst sich mit dem Diaspora-Judentum und erstreckt sich historisch von Palästina im Jahr 200 v. Chr. bis nach Europa Ende des 19. Jahrhunderts. Obwohl es sich um drei historische jüdische Gemeinschaften handelt, die er vergleichend heranzieht, drückt er indirekt eine tiefgreifende Konfrontation mit der komplexen theologisch-politischen Realität aus, in der sich die Frankfurter Juden in den frühen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts befanden. Die tiefe akademische Beschäftigung mit dem Diaspora-Judentum, das Aufblühen des Zionismus unter Jugendlichen in Deutschland und die Tätigkeit Fromms in der Zionistischen Jugendorganisation zeigen meiner Meinung nach seine Ambivalenzen zu diesen Themen. Im Gegensatz zu seinem Freund Ernst Simon, der 1928 nach Israel auswanderte, entschied sich Fromm 1923, die Zionistische Jugendorganisation zu verlassen. Die zentrale These der Dissertation weist bereits auf seine spätere Entscheidung hin.

Das jüdische Gesetz ist der verbindende Faktor im Judentum. Das Diaspora-Judentum hat seit dem Exil aus dem Land Israel nach der Zerstörung des Zweiten Tempels bis zum 19. Jahrhundert den sozialen Zusammenhalt aufrechterhalten, obwohl es sich nicht auf einen Staat, eine Souveränität über ein Territorium und eine gemeinsame weltliche Sprache stützen konnte.

Fromm behauptete, dass der Chassidismus, der sich im 18. Jahrhundert in Russland und Polen entwickelte, der historische Ausdruck des „authentischen Judentums“ in der Diaspora sei, im Gegensatz zu den Karäern oder dem Reformjudentum. Es muss an dieser Stelle daran erinnert werden, dass sich Rabinkow der chassidischen Chabad-Bewegung zugehörig fühlte.

Es gibt zwei wichtige Prämissen, die nicht ausdrücklich genannt werden, aber in Fromms Arbeit implizit sind: Erstens spielen religiöse Faktoren eine zentrale Rolle im historischen Prozess. Basierend auf der Gleichung Hermann Cohens, dass zwischen Religion und Moral ein Zusammenhang besteht, muss Geschichte unter den religiösen Begriffen der Verwirklichung der Moral verstanden werden und nicht als Manifestation von „Macht“ bei der Bestimmung der historischen Entwicklung.58 Die zweite Prämisse in Fromms Doktorarbeit (und in späteren Schriften) ist, dass das authentische Judentum nicht mit dem Geist des Kapitalismus in Einklang gebracht werden kann. Religion ist ein Schutzschild gegen historische sozioökonomische Veränderungen.

Dies ist die philosophisch-religiöse Grundlage für Fromms Kritik an den Karäern und dem Reformjudentum, die ihre Theologie entsprechend den sozioökonomischen Veränderungen anpassten. Der Chassidismus dagegen hat sich mit den historischen Veränderungen kreativ auseinandergesetzt, ohne sich vom Wesen des Judentums zu distanzieren. Diese Position in Bezug auf den Begriff der Geschichte hat sich Fromms ganzes Leben lang nicht verändert und ist auch in seinen späteren Schriften in einer anderen Formulierung vertreten, die sich in seiner Kritik an der Gesellschaft und seinem messianisch-humanistischen Ansatz äußert. In den letzten zwei Dritteln seines Lebens, als Fromm nicht länger einen religiösen Lebensstil pflegte, betrachtete er die religiöse Erfahrung immer noch als eine spirituelle Erfahrung, die der menschlichen Existenz einen Sinn gibt.

Die Dissertation beginnt mit einer Einführung in die Bedeutung des jüdischen Gesetzes. Der Titel der Arbeit „Das jüdische Gesetz“ im Singular weist darauf hin, dass es ein wesentliches Element gibt, das den verschiedenen Geboten und Gesetzen des Judentums gemeinsam ist: ein rationalistisches und moralisches Ethos.

Fromms Grundannahme ist, dass die Diskussion über das Judentum tatsächlich eine Diskussion über das jüdische Gesetz ist. Die Doktorarbeit drückt die Ansicht aus, dass das Verständnis der historischen Kontinuität des Judentums nur vom Aspekt der Halacha aus verstanden werden kann. Es entsteht ein historisches Konzept des Judentums, das auf diesem Wirkungsbereich basiert. Dies steht im Gegensatz zu Bubers Ansatz, der der Mythologie einen zentralen Platz einräumt, oder dem Scholems, der den Einfluss der Kabbalah auf das historische Judentum betont.

Fromms Konzept des Judentums betont „das Gesetz“ als einen wesentlichen Faktor. Dennoch bezeichnet Fromm das Judentum nicht wie etwa Spinoza oder Mendelssohn als „Gesetzesreligion“.59 Er ist dem Begriff der „Religion der Vernunft“ von Cohen näher. Tatsächlich wies Fromm zu Beginn der Dissertation darauf hin, dass Cohens Religion der Vernunft einen fruchtbaren Ansatz für ihn dargestellt hätte.60 Wie Cohen sah Fromm in den Worten der Propheten das Wesen des moralischen und fundamentalen Monotheismus für die messianisch-moralische Mission des Judentums zu allen Zeiten.61

Die Schlüsselideen Cohens sind in der Tat die Prämissen der soziologisch-historischen Studie von Fromm. Die messianische Hoffnung auf einen universellen Frieden, wie sie von den Propheten vorgetragen wird, ist seiner Ansicht nach der religiöse Inhalt des Gesetzes, während der Talmud die Autorität des Gesetzes darstellt. Fromms Ausgangspunkt ist ein Hinweis auf das historische Judentum und seine Art, mit dem Gesetz umzugehen. Laut Fromm ist das Gesetz der religiöse und moralische Kodex des Volkes und die religiöse Idee ist die Grundlage des Gesetzes. Seiner Ansicht nach gibt es im jüdischen Gesetz eine „Seele“, die eine moralisch-ethische Einheit schafft.62

Das Gesetz sei laut Fromm jedoch nicht dogmatisch und erfordere keinen blinden Gehorsam oder Glauben. Es drücke aus, wie die religiöse Idee das Gesellschaftsleben gestalte.63 Der kollektive Inhalt des Gesetzes sei ausreichend flexibel, um es Einzelnen zu ermöglichen, die Forderungen zu interpretieren und anzuwenden. Das Gesetz ist gelebtes Ethos der Gemeinschaft. Es schaffe einen Zusammenhang zwischen dem Volk und den religiösen Vorstellungen, zwischen dem Physischen und dem Metaphysischen.64

Nach Fromms Ansicht verspricht das Ethos, das Gesetz zu schützen, eine einzigartige Überzeugung und Kultur, die den sozialen Zusammenhalt der jüdischen Körperschaft in der Diaspora aufrecht erhielt. Es ermöglichte dem Judentum, während seiner jahrtausendealten Existenz in der Diaspora seinen autonomen politischen Status im historischen Epos zu bewahren, trotz des Einflusses fremder Kulturen.

Der äußere Ausdruck des Gesetzes liegt im Diktat der Lebensweise, während das Gesetz im inneren Aspekt eine bewusste Geisteshaltung ausdrückt, die gemeinsame psychologische Grundlagen schafft. Daher heißt das Gesetz Halacha, abgeleitet von dem Wort Haloch, was gehen bedeutet. Das Gesetz weist den Weg und ist selbst der Weg. Die Tatsache, dass das Gesetz jeden Menschen gleich behandelt, zeigt den demokratischen Charakter des authentischen Judentums. Es gibt den Menschen die Möglichkeit, ein Ziel zu erreichen, aber es ist kein Selbstzweck.65 Fromm wies darauf hin, dass das Gesetz im Judentum Handlungen fordert oder verbietet, aber nicht den Glauben. Da die jüdische Gesellschaft in der Diaspora das Gesetz hat, braucht sie weder Beispiele noch die Kirche, um den Zusammenhalt zu gewährleisten.

Fromms Interesse am Gesetz ist nicht verwunderlich, gab es doch eine zentrale Debatte darüber zwischen Buber und Rosenzweig, die im Lehrhaus diskutiert wurde.66

5 Reformjudentum und die Karäer: Dogmatisierung und Individuation des Gesetzes

In der einleitenden Diskussion befasst sich Fromm mit historischen und soziologischen Ansätzen des Judentums. Er will zum Beispiel das Argument von Max Weber begründen, wonach das rabbinische Judentum ein traditionelles, nichtkapitalistisches Verhältnis zur wirtschaftlichen Realität hat.67 Andererseits ist das Judentum nicht puritanisch und esoterisch, sondern steht der Realität positiv gegenüber. Fromm argumentiert gegen die Behauptung von Werner Sombart in seinem Buch „Die Juden und das wirtschaftliche Leben [1911]“, dass das Judentum vom Geist des Kapitalismus geprägt sei.68 Fromm kritisierte Sombarts Vorgehen, seine Argumente mit Schriften deutscher jüdischer Rabbiner aus dem 19. Jahrhundert zu untermauern, die nicht die jüdische Religion repräsentierten, sondern sich mit der kapitalistischen Kultur identifizierten. Nach der Einleitung folgt Fromms Kritik am Gesetz, wie es von Karäern und Reformern verstanden wurde und präsentiert den Chassidismus in einem positiven Licht.

Im Lehrhaus gab Fromm einen Kurs über die Karäer. Es stellt sich die Frage, warum Fromm sich dafür entschied, obwohl er diese Sekte scharf kritisierte. Wie ich bereits erwähnte, hatte Fromm viel Zeit damit verbracht, die Karäer zu studieren. Rosenzweig hoffte, dass die Lehrer in der neuen jüdischen Ausbildung die Ergebnisse ihrer akademischen Forschungen mit der Gemeinde teilen würden. Das Unterrichten eines Kurses auf der Grundlage einer Dissertation stellte einen Bildungsprozess dar, der der Art des Lehrhauses entsprach. Warum engagierte sich Fromm nicht für das chassidische Denken, das er sehr liebte, oder für die soziologischen Aspekte des Gesetzes im jüdischen Denken? Es sollte beachtet werden, dass Fromm sich im Gegensatz zum Chassidismus oder dem Gesetz im jüdischen Denken, das er in seinen späteren Büchern zu verschiedenen Anlässen aufgriff, später nicht mehr mit den Karäern beschäftigte.69 Dafür gibt es zwei Gründe, einen philosophischen und einen theo-politischen. Philosophisch diente der Karäismus Fromm als Vergleichspunkt für einen Weg, der von dem abzweigte, was er als authentisches Judentum verstand. In dieser Zeit war Fromm immer noch ein orthodox-religiöser Mensch. Sein religiöser Hintergrund und seine Liebe zum orthodoxen Judentum und insbesondere zum Chassidismus begleiteten ihn zum Zeitpunkt seiner Forschung. Die Grenzen des authentischen Geistes des Judentums, das heißt unter Bedingungen, in denen der Geist des Judentums nicht mehr „authentisch“ ist, beschäftigten ihn. So beschreibt er „das Richtige“ und „das Wahre“ methodologisch durch das Aufzeigen des „Unrichtigen und Unwahren“, auch in seiner Sozialkritik. Zum Beispiel stellte er in späteren Schriften die soziale Entfremdung in theologischer Hinsicht dar, die als Götzendienst in ihren verschiedenen Formen in Erscheinung tritt. Er argumentierte, dass wir eine Wissenschaft der Idole – „idolgy“ (Idologie) – bräuchten und nicht eine Theologie.70 In ähnlicher Weise offenbart sich das authentische Judentum genau dann, wenn eine Abweichung davon vorliegt, wie bei den Karäern. Sie akzeptierten die Autorität der mündlichen Überlieferung nicht. Nach Fromm bewahrt das authentische Judentum sein theologisches Wesen auch angesichts historischer Veränderungen. Obwohl im Judentum Änderungen vorgenommen werden, sind diese Änderungen im authentischen Judentum kreative Bewältigungsmethoden, die die zentrale Bedeutung des „Gesetzes“ im jüdischen Leben und die Autorität der Halacha nicht untergraben. Im Gegensatz zu den Karäern, die sich nicht mit den Herausforderungen des historischen Wandels befassten, wird der Chassidismus in Fromms Arbeit als jüdische Bewegung dargestellt, der es gelang, eigene kreative Ideen zu schaffen, ohne das rabbinische Judentum zu schädigen oder zu entfremden. Für Fromm ist der Chassidismus das authentische Judentum und bewahrt den Geist des frühen rabbinischen Judentums.

Der zweite Grund, der theo-politische, beruhte auf Fromms familiärem orthodoxen Hintergrund und dass sich Nobel während dieses Zeitraums einer Reform des Judentums widersetzte. Fromm übernahm die offene Kritik von Nobel am Reformjudentum, die in seiner Dissertation zum Ausdruck kommt. Sowohl die Karäer als auch das Reformjudentum werden stark kritisiert. Beide Bewegungen haben die Autorität des Gesetzes im Judentum aufgrund wirtschaftlicher Umstände geändert.71

Während die Karäer die 24 heiligen Schriften als göttlich und den Talmud als menschlich auffassten, behaupteten die Reformer, diese Unterscheidung nicht zu treffen, obwohl sie die Gesetze änderten und ihre verbindliche Gültigkeit aufgaben. In beiden Fällen gibt es die Individuation der Gesetze, was das Wesen des Judentums von der Autorität des Gesetzes befreit.72 Die Autorität des Gesetzes wurde durch die Dogmatisierung des Glaubens ersetzt (Glaube an Gott, Glaube an die Unsterblichkeit und Glaube an das „Fortschreiten der abgeschiedenen Geister zur Vollkommenheit“).73

Das Reformjudentum versuchte, den Widerspruch zwischen Judentum und Moderne zu verwischen und das Judentum mit der modernen Wirtschaft und Kultur und dem Christentum in Einklang zu bringen.74 Die Autorität des Gesetzes verlor an Wert, da das Gesetz den Eintritt und die Integration in die allgemeine christliche kapitalistische Gesellschaft behinderte. Die Reformen, nach denen sie strebten, wie die Änderung der Speisegesetze, Einschränkung der Gebete, oder die Verlegung des Ruhetages auf den Sonntag, waren ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen motiviert. Letztlich drückt die Reform den Sieg des Geistes des Kapitalismus über den Geist des Judentums aus.75 Fromms Feindseligkeit gegenüber dem Reformjudentum zeigt sich auch darin, dass er feststellte, dass einige Führer, die die Reform vertraten, zum Christentum konvertierten.

Der Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts war für das deutsche Judentum sehr turbulent. Im Jahr 1912 trafen sich 61 liberale Rabbiner in Posen und veröffentlichten die Grundlagen des liberalen Judentums. Die Reaktion der orthodoxen Rabbiner war politisch und schwierig. 111 deutsche orthodoxe Rabbiner, die Kollegen von Nobel, unterzeichneten eine Verurteilung der „Richtlinien“. Nobel behielt jedoch eine tolerante und respektvolle Haltung bei und weigerte sich, die Petition zu unterzeichnen. Nobel strebte nach Einheit und Erneuerung in der jüdischen Welt. Er lehnte die Reformideen ab, aber er lehnte auch den separatistischen Weg der Orthodoxie ab, der die jüdische Welt geteilt hatte. Er veröffentlichte seine Kritik am Reformjudentum in einem Aufsatz, der in jenem Jahr unter demselben Titel erschien. Seine Ideen in diesem Essay bringen den Geist der Erneuerung des jüdischen Lebens in Deutschland zu Beginn des letzten Jahrhunderts zum Ausdruck und spiegeln sich in Fromms Dissertation.76 Nobel akzeptierte beispielsweise nicht die Behauptung der Liberalen, dass das Gesetz im Judentum unter Berücksichtigung historischer Prozesse verstanden werden müsse und sich daher an die Erkenntnisse der Wissenschaft und die Zeitanforderungen anpassen solle. Nobel verstand, dass die Reformer versuchten, die Last des Gesetzes zu lindern, um damit die assimilierten Juden dem Judentum näherzubringen und die Bekehrung zum Christentum zu verhindern. Aus seiner Sicht sollte die jüdische Gemeinschaft das Verständnis des Judentums ändern, nicht aber das Judentum selbst.

Im Zentrum der Debatte standen die Gesetze des Sabbats. Die Reformisten glaubten, dass es Aspekte des Sabbatgesetzes gäbe, die ignoriert werden könnten. Sie wollten nur die moralischen Aspekte des Sabbats schützen und die religiösen Feierlichkeiten.77 Nach Nobels Auffassung, und diese findet sich in Fromms Dissertation,78 drückt der Reformansatz den Geist der Aufklärung aus, der den Sabbat wissenschaftlich verstehen und gleichzeitig seinen praktischen und wirtschaftlichen Wert unterstreichen soll. Seiner Ansicht nach reduziert diese Herangehensweise den Sabbat und drückt protestantisches christliches Bewusstsein aus. Die Reformisten würden nicht verstehen, dass das Gesetz ewig sei und die Einhaltung des Gesetzes im Judentum kein Produkt von Zwang und Heteronomie sei, sondern das Ergebnis eines inneren Freiheitszustands. Nach Nobel kann Religion ohne Moral nicht authentisch sein. Gesetz und Moral stünden nicht im Widerspruch.79

Vor diesem Hintergrund ist es möglich, Fromms Haltung, wie sie in der Dissertation erscheint, besser zu verstehen. Seine Kritik am Reformjudentum ist stärker als die Kritik am Karäismus. Die Methode der Reformer war in seinen Augen verfehlt, weil sie auf dem Auswahlprinzip beruhte und somit gegen das Herz des authentischen Judentums verstieß. Andererseits hegten sie den Wunsch, Teil des rabbinischen Judentums zu bleiben.80

Der Unterschied zwischen Karäern und Reformern ist jedoch klar. Die Karäer gingen aus dem rabbinischen Judentum hervor, lehnten die mündlichen Gesetze und den Talmud ab und entwickelten sich zu einer eigenen Sekte. Obwohl die Karäer in Osteuropa im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert weiterhin demographisch und kulturell existierten, stellten sie zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts keine konkrete Bedrohung mehr für die westeuropäischen Juden dar.81 Demgegenüber hat das Reformjudentum, laut Fromm, aufgrund der historisch-sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen, die für das deutsche Judentum des neunzehnten Jahrhunderts charakteristisch sind, eine gewisse Ähnlichkeit mit den Karäern (Dogmatisierung und Individualisierung). Sie verblieben jedoch im Judentum. Das Reformjudentum mit seinen verschiedenen Bewegungen nach Mendelssohns Zeiten widersprach der Autorität des Talmuds auf theologisch methodologischem Wege nicht und verließ daher auch nicht die Grenzen des rabbinischen Judentums. Aus dem Judentum kommend boten sie so eine Alternative zum rabbinischen Judentum. In der Tat sei, laut Fromm, das Reformjudentum eine einflussreiche Bewegung mit politischen Bestrebungen, um seinen Status in der rabbinischen jüdischen Welt zu etablieren.

Das Lehrhaus öffnete allen Menschen seine Türen, ob sie orthodox, liberal, reformiert, assimiliert oder zionistisch waren. Vermutlich war das Lehrhaus ein Ort, an dem über jüdische Angelegenheiten gesprochen werden sollte und konnte, aber kein Ort der politischen Interessen diente. Nobel, der das Reformjudentum kritisierte und in Predigten in der Synagoge am Börneplatz zu diesem Thema Stellung nahm, konzentrierte sich in seinen Studien im Lehrhaus nicht auf dieses Thema. Er referierte über Goethe und dessen Haltung gegenüber der Religion. Meiner Meinung nach entschied sich Fromm für einen Unterricht über Karäismus und nicht über die Reformen, weil er, wie Nobel, direkte Konfrontationen politischer Natur vermied und sich auf jüdische und historische Inhalte konzentrierte. Die Wahl des Unterrichts über das Thema Karäismus ermöglichte es ihm, seine theologische Kritik an der Reform indirekt auszudrücken und zu verfeinern, wobei er sich auf die historisch-soziale Wissenschaft stützte.

6 Das Dogma

Religiöse Dogmen sind zentral in Fromms Religionskritik. In der Einleitung seiner Dissertation verglich Fromm kritisch das Dogma im Christentum mit dem Glauben im Judentum. Dieser Vergleich war die philosophisch-religiöse Grundlage für seine Kritik an der Sekte der Karäer.82 Die kritische Haltung gegenüber religiösen Dogmen kennzeichnet das moderne jüdische Denken seit Moses Mendelssohn. Bekanntlich trat die Kritik am Dogma bei Hermann Cohen, Leo Baeck, Max Brod und anderen im Zusammenhang mit einer apologetischen Polemik jüdisch-christlicher Beziehungen auf.83 Fromm ist keine Ausnahme, wenn er das religiöse Dogma kritisiert, das als Thema im philosophischen Diskurs des Lehrhauses vorherrschte. Er akzeptierte die ethischen Mängel des religiösen Dogmas als Grundlage. Von dort aus behandelte er die soziologisch-ökonomischen Bedingungen, die zu seiner Entstehung geführt hatten.

Fromms Kritikpunkt an den Karäern beinhaltete diesen ersten Fall im Judentum, in dem Dogmen geschaffen wurden. Die Umwandlung religiöser Ideen zu Dogmen war Ergebnis der politisch-wirtschaftlichen Situation.84 Die Karäer betrachten die vierundzwanzig Bücher der Bibel als heilig und lehnen die mündliche Überlieferung des Gesetzes ab. Somit war die Bibel die einzige Autorität des Gesetzes. Anstatt die Gemeinschaft anzuerkennen, die das Gesetz interpretierte und damit seine Einzigartigkeit und ihren Unterschied zur allgemeinen Gesellschaft gestaltete, glaubten die Karäer, dass jeder Einzelne das Gesetz lesen und interpretieren könne, wie es ihm angemessen erscheine. Während das rabbinische Judentum das kollektive Verständnis des Gesetzes und den Individualismus des Glaubens unterstützte, dass „jeder Mann in seinem Glauben leben wird“, unterstützten die Karäer die Individualisierung der Gesetze und einen gemeinsamen Glauben.85 Das Gesetz hörte auf, die Verbindung zwischen dem religiös-moralischen Bewusstsein und dem täglichen Leben auszudrücken. Das Ergebnis war die Abwendung der Karäer vom Judentum. Wenn das Gesetz zum Dogma wird, verliert es laut Fromm seine objektive Gültigkeit. Es hört auf, der Weg zu sein, auf dem sich religiöse Vorstellungen in der Lebensweise verwirklichen. Konkrete Lebensweise im Licht der religiösen Sphäre wird zum gefrorenen Glauben. Ob Fromms sozio-historische Analyse der Karäer im Lehrhaus im Zusammenhang mit seiner theo-politischen Kritik am Reformjudentumm steht, die er in seiner Dissertation darlegt, wissen wir nicht.

Fromm beabsichtigte eine konzeptuelle Verbindung zwischen dem Christentum, dem Karäismus und dem Reformjudentum herzustellen. In allen drei Fällen erfolgte eine Abweichung vom jüdischen Gesetz aufgrund eines politisch-wirtschaftlichen Hintergrunds. Als Ersatz für das Gesetz wurden religiöse Dogmen geschaffen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang Fromms Auseinandersetzung mit dem Offenbarungsbegriff. Er erwähnt, dass der Begriff „Offenbarung“ der hebräischen Sprache fremd ist und zunächst von dem Neo-Orthodoxen Samson Raphael Hirsch aus der christlichen Theologie entlehnt wurde.86

Im Gegensatz zum Begriff „Offenbarung“ in seiner christlichen Wurzel handelt es sich bei „Offenbarung“ im Judentum nicht um ein Glaubensdogma, sondern um den individuellen Bezugspunkt von Nähe und Distanz zu Gott.87 Man müsse Gott, so Fromm, als metaphysische Realität fühlen und anerkennen. Meiner Meinung nach ist diese Behauptung radikaler Natur, weil jüdische Denker (Hermann Cohen, Franz Rosenzweig, Martin Buber und andere) zu Beginn des 20. Jahrhunderts diesen Begriff in ihrer jüdischen Religionsphilosophie weit verbreitet verwendeten, ohne seinen christlichen etymologischen Ursprung zu erwähnen.

Fromms Position zur „jüdischen Offenbarung“ stützte er auf eine philosophische Analyse des Zeitverständnisses in der rabbinischen Literatur. Zum Beispiel: Alle zukünftigen Generationen der Söhne Israels waren am Berg Sinai anwesend (Shemot Rabbah 28:6). Jede Generation erlebt die Realität der Offenbarung neu, als hätten sie Ägypten verlassen (Mischna Pesachim 10:5), Fromm scheibt: „Der Begriff des historischen Zeitpunktes ist dem Judentum völlig fremd“.88

In diesem Zusammenhang steht auch Cohens Kritik an der historischen Perspektive von der „Wissenschaft des Judentums“. „Die Offenbarung ist die Schöpfung der Vernunft“,89 schreibt Cohen, und kein Produkt geschichtlicher Entwicklung. Die Offenbarung am Berg Sinai sei „in das Herz des Menschen verlegt“90 und kein historisch-mythologisches Ereignis. Diese Auffassung spiegelt sich auch in Fromms Dissertation wider und auch in seinen späteren Schriften.91 Interessanterweise hat sich diese Antihistorizismus-Sicht des Judentums, die Cohen, Rosenzweig, Buber und andere im Lehrhause vertraten, sich in Fromms Leben nicht verändert. Cohens Idee, dass die messianische Hoffnung der Propheten der Beginn des historischen Bewusstseins sei und „[d]er Geschichtsbegriff […] eine Schöpfung des Prophetismus“,92 zeigt sich auch in Fromms späteren Arbeiten.93

7 Vom Lehrhaus bis zum „Torapeutikum“

1920 traf Fromm Frieda Reichmann (1889–1957), eine Cousine von Samuel Joseph Agnon und sie kam, wie Fromm, aus einem orthodoxen jüdischen Haus. Die beiden heirateten 1926 und die Ehe dauerte bis 1931.94 Fromms Interesse an der Psychoanalyse entwickelte sich durch Frieda Reichmann, die sich schon 1922 zur freudianischen Psychoanalytikerin ausbilden ließ. Parallel zu ihrer Arbeit in Dresden im Weiser Hirsch-Sanatorium beschlossen beide, ein Sanatorium für jüdische Patienten zu gründen. Ein psychoanalytisches Zentrum, in dem die jüdische Tradition gepflegt und beachtet wurde. Frieda Reichmann kommentiert dies später folgendermaßen:

Wir dachten, wenn es stimmt, daß es Menschen besser geht, wenn ihnen ihr Verdrängtes bewußt wird, und wenn dies für den Einzelnen zutrifft, dann sollte es auch für jüdische Menschen in einer Gruppe richtig sein. Wenn wir also ein Sanatorium eröffnen, in dem wir zuerst die Menschen analysieren und sie dann auf ihre Tradition aufmerksam machen und diese Tradition leben.95

1923 sammelten sie Geld, um ein Haus zu mieten. Es wurde in Heidelberg eröffnet und war 1924–1928 in Betrieb. Diese Einrichtung ist ein weiteres Beispiel für die Wiederbelebung des jüdischen Gemeinschaftsgeistes im frühen 20. Jahrhundert in Deutschland. Das Sanatorium war ursprünglich für Juden aus einer zionistischen Gruppe bestimmt, an der Frieda beteiligt war. Es war eine Art jüdisch-psychoanalytisches Pensionat und Hotel.96 Die Biographin Frieda Reichmanns, Gail Hornstein, schrieb: „Frieda’s decision to create a sanitarium blending Jewish practice with psychoanalytic theory both paralleled and extended Rosenzweig’s philosophy. […] By literally making her clinical work her religious practice, Frieda linked psychoanalysis and Judaism in a way that was considered truly radical“.97 Der Rhythmus des jüdischen Lebens in der Einrichtung war ein wesentlicher Bestandteil der spirituellen Atmosphäre. Die Mahlzeiten waren koscher, Gebete wurden abgehalten, der Sabbat und die Feiertage gefeiert,98 und Fromm und Rabinkow gaben Unterricht über das Judentum. Friedman schrieb: „Both [Erich und Frieda] were friends with Martin Buber, and, as did Buber, they conceived of therapy as a close interpersonal „I-Thou“ relationship as well as a method to alleviate deep psychic repression.“99 Das Institut wurde „Torapeutikum“ genannt.100 Alle Mitglieder des Instituts, darunter Rabinkow, Ernst Simon, Leo Löwental und andere, einschließlich der Angestellten, des Kochs und der verschiedenen Logistiker, wurden von Frieda analysiert. In dem großen Haus in der Mönchhofstraße 15 lebten mindestens zwölf Menschen zusammen und täglich kamen viele Menschen zum Essen und zur Therapie.101 Unter Friedas Einfluss entstand Fromms Interesse an der Psychoanalyse.

1926 beschlossen beide, ihre Tätigkeit am Sanatorium zu beenden. „I felt I had to give it up because the rabbis came because they could eat kosher food, they didn’t want to be analyzed.“102 Mit der Schließung des Sanatoriums entschieden sich Frieda und Erich, das Leben der religiösen Achtung zu verlassen. Ironischerweise wählten sie das Passahfest, den Feiertag der Freiheit, als offiziellen Tag, an dem sie die Ketten der Tradition sprengten und begingen eine private Zeremonie in einem Heidelberger Park. Sie aßen Brot, was am Passahfest verboten ist.103 Für das Paar war es eine große Veränderung, denn bis dahin hatten sie nach koscheren Gesetzen gelebt. Frieda und Erich hatten bereits 1927 jeweils einen Artikel in der psychoanalytischen Zeitschrift Imago veröffentlicht. Frieda über jüdische Speiserituale und Erich über den Sabbat. Es war Fromms erste Publikation zur Psychoanalyse. 1930 schloss er sein Studium als Psychoanalytiker ab. Scholem meinte, die Psychoanalyse habe dazu geführt, dass Erich und Frieda die an der jüdischen Orthodoxie orientierte religiöse Praxis aufgaben.104 Leo Löwenthal, der Studienfreund Fromms, lehnte Scholems Behauptung ab: „The speculation of Scholem about the dissolution of adherence to Jewishness by the climate of the Heidelberg institution, are in my opinion sheer nonsense. The move away from Jewish conservatism to which Fromm, of course, was more dedicated than I, occurred gradually in the early twenties, and speaking for myself but perhaps also for Fromm was motivated politically much more than by inner religious psychological considerations.“105 Auch Funk meint, dass die Psychoanalyse nicht der alleinige Grund war, warum Fromm das Leben der Einhaltung religiöser Gesetze aufgab, auch der Einfluss von Rabinkow, habe dazu beigetragen.106 Rabinkow lebte nach den religiösen Gesetzen, aber er ließ sich nicht auf eine bestimmte religiöse Strömung festlegen.

8 Fazit

Wir wissen um das Engagement von Erich Fromm im Freien Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt. Er war von Anfang an an der Gründung des Lehrhaus beteiligt. Seine persönlichen Beziehungen zu Georg Salzberger, Nehemia Nobel, Ernst Simon und Franz Rosenzweig zeigen, dass er zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine aktive und bedeutende Rolle im jüdischen intellektuellen Leben in Frankfurt spielte. Zuerst kam Fromm als Student zum Lehrhaus und später unterrichtete er einen Kurs über Raschi und die Karäer. Fromms Wahl, einen Kurs über die Karäer zu unterrichten, hatte sowohl mit seiner Promotion als auch mit den aktuellen Fragen seiner Zeit zu tun. Dazu gehörte die Spannung zwischen Reformjudentum und Orthodoxie und der ideologische Sturm zwischen einer universellen Konzeption des Judentums und dem Zionismus. In dieser Zeit wurde Fromm von Hermann Cohen und Zalman Rabinkow beeinflusst und beschloss, seine Aktivitäten in der zionistischen Jugendbewegung zu beenden. Dies spiegelte sich in seiner tiefgründigen Forschung zum Diaspora-Judentum und in der Behauptung wider, dass das rabbinische Gesetz mit seinen interpretativen und moralischen Merkmalen und der Verneinung des Dogmas das Wesen und die Einheit der jüdischen Gemeinschaft ist. Fromm fühlte sich in dieser Zeit seines Lebens dem orthodoxen Ansatz, dem Einfluss der häuslichen Erziehung und seinem Freund und Lehrer Nehemia Nobel nahe. Er passte sich dem dialogischen und Forschungscharakter des Lehrhaus an, so dass er seine Kritik an dem Reformjudentum, die sich tatsächlich in der historischen und theologischen Analyse der Sekte der Karäer offenbart, versteckte.

Fromms Mitwirkung am Lehrhaus, die Gründung des Torapeutikums und seine Doktorarbeit spiegeln sein großes Interesse an der jüdischen Existenz in dieser Zeit teilzuhaben. In seinem späteren Leben konzentrierte sich Fromm weniger auf die jüdische Existenz und mehr auf jüdische Ideen. Seine Wahrnehmung des authentischen Judentums, basierend auf den Worten der Propheten, wie sie auch im frühen Chassidismus präsent sind, ist in den sozialen, politischen, wirtschaftlichen Bewegungen unserer Zeit als spiritueller Orientierungspunkt für den Einzelnen in vielen seiner Schriften vorhanden.

Anmerkungen

Herzlichen Dank an Rainer Funk für seine wichtigen Anmerkungen zu diesem Artikel.

  1. Übersetzungen Fromms bekanntester Bücher sind in vielen Sprachen verfügbar. Einige seiner frühen Werke wurden jedoch noch nicht übersetzt. Eine englische Übersetzung von Fromms Doktorarbeit ist erst 2022 erschienen und kürzlich habe ich seine frühen Arbeiten über den Sabbat ins Hebräische übersetzt.

  2. Friedman, The Lives of Erich Fromm; Funk, Erich Fromm – Liebe zum Leben; Hardeck, Erich Fromm; Burston, The Legacy of Erich Fromm; Funk, Erich Fromm mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Vgl. McLaughlin, „Erich Fromm’s Critical Theory“.

  3. Akrap, Erich Fromm – ein jüdischer Denker, 136: „… grundlegend zum Verständnis des Frommschen Denken ist: Es sind fast alles Juden.“ Vgl. Durkin, The Radical Humanism, 41–70; Hardeck, Vernunft und Liebe.

  4. Mit dem Begriff „jüdischer Denker“ meine ich Menschen, deren jüdisches Bewusstsein sowie „jüdische Angelegenheiten“ in ihren Werken zum Ausdruck kommen. Meiner Meinung nach ist Fromm ein jüdischer Denker, denn auch in seinen Schriften, die sich nicht explizit mit Judentum und Religion befassen, findet man „jüdische Angelegenheiten“.

  5. Anzumerken ist, dass auch Leo Löwenthal in beiden Institutionen aktiv war. Tatsächlich war Fromm jedoch an der Gründung des Lehrhauses in Frankfurt beteiligt.

  6. Vgl. Jacobs, The Frankfurt School; Kamau, „On Erich Fromm“; Khandizaji, Baudrillard and the Culture Industry, 33–40; Kellner, Critical Theory; Bronner, Of Critical Theory and its Theorists; und vgl. McLaughlin, „How to Become a Forgotten Intellectual“; McLaughlin, „Origin Myths in the Social Sciences“.

  7. Funk, Erich Fromm – Liebe zum Leben, 18–19.

  8. Erich wollte Talmud in Litauen studieren, aber als einziges Kind seine Eltern nicht mit Reisen in die ferne Einrichtung belasten.

  9. Funk, Erich Fromm – Liebe zum Leben, 40.

  10. Glatzer, Franz Rosenzweig, 86.

  11. Rosenzweig, „Zeit ists“.

  12. Rosenzweig, „Briefe“, 627; Simon, „What Does Franz Rosenzweig Tell us Today?“, 86.

  13. Mendes-Flohr, „Knowledge as Service“, 27.

  14. Gordon, Rosenzweig and Heidegger, 166; Horwitz, Franz Rosenzweig: The Star and The Man, 44–48; Volkmann, Eine andere Frankfurter Schul’, 13.

  15. Glatzer, „The Frankfurt Lehrhaus“, 120.

  16. Salzberger, „Das Freie Jüdische Lehrhaus“; Salzberger, „Die Gesellschaft für jüdische Volksbildung“, 80–88.

  17. Mendes-Flohr, „The ‘Freies Jüdisches Lehrhaus’ of Frankfurt“, 217–229.

  18. Rosenzweig, Gesammelte Schriften III, 507–508. Vgl. Glatzer, „The Frankfurt Lehrhaus“, 107. und sieh: Bühler, „Erziehung zu Tradition und geistigem Widerstehen“, 12–32; Volkmann, Eine andere Frankfurter Schul’; Meir, The Rosenzweig Lehrhaus; Schulz-Grave, Lernen im Freien Jüdischen Lehrhaus.

  19. Glatzer, „The Frankfurt Lehrhaus“, 108.

  20. Rosenzweig, Gesammelte Schriften I, 861; Horwitz, „Franz Rosenzweig on Jewish Education“, 27–28.

  21. Rosenzweig, Gesammelte Schriften III, 505–510. Vgl. Kern-Ulmer, „Franz Rosenzweig’s Jüdisches Lehrhaus in Frankfurt“, 207.

  22. Simon, „Franz Rosenzweig und das jüdische Bildungsproblem“, 7.

  23. Glatzer, „The Frankfurt Lehrhaus“, 112. Vgl. Reinert von Carlsburg und Wehr, „Martin Buber und Erich Fromm“, 30–65.

  24. Cohen, Religion der Vernunft, 165; Palmer, „Judaism as a ‘Method’“, 61.

  25. Dvorkin, „From Correlation to Gestalt“, 97–106; Vgl. Batnitzky, „Dialogue as Judgment“, 523–544. Die Entstehung von Martin Bubers״Ich und Du״ mit seinen Erfahrungen am Lehrhaus zu verbinden, kann angezweifelt werden, hat doch Buber seine Wende zum Dialogischen bereits in den letzten Weltkriegsjahren vollzogen und um 1916 erste Skizzen zu״Ich und Du״ verfasst. Siehe Losch, „Ich, Du und ER“, 19–35.

  26. Ab 1910 bestand eine enge Freundschaft zwischen Cohen und Nobel. Nach Cohens Tod pries Nobel ihn und schrieb sein Epitaph. Nobel bot auch einige Änderungen an Cohens Religion der Vernunft an, was von Cohen akzeptiert wurde. Zu Nobels Ideen vgl. Ellenson, „Gemeindeorthodoxie in Weimar Germany“, 36–44; Nobel, Hagut Vehalachah.

  27. Pinkas, „Reflections on Erich Fromm’s“, 126–142.

  28. Fromm, Suzuki und de Martino, Zen-Buddhismus und Psychoanalyse, 144.

  29. Meir schreibt: „Erich Fromm and Nahum Glatzer are excellent examples of students who transformed themselves into teachers.“ Ernst Simon war auch zuerst Schüler und später Lehrer am Lehrhaus. Meir, The Rosenzweig Lehrhaus, 45.

  30. Scholem, Von Berlin nach Jerusalem, 194.

  31. Rosenzweig, Gesammelte Schriften III, 745.

  32. Glatzer, Franz Rosenzweig, 111.

  33. Fromm, „Rabbiner Nobel“, 3.

  34. Fromm, Ihr werdet sein wie Gott, 15.

  35. Rosenzweig, Gesammelte Schriften I, 834.

  36. Vielleicht wurde der Name des jungen Fromm angeführt, als sich die Frage stellte, wer Rosenzweig bei der Verwaltung des Lehrhauses ersetzen könnte, wenn sich sein Zustand nicht bessern würde. Rudolf Hallo wurde der Leiter.

  37. Rosenzweig, Gesammelte Schriften I, 869. In einem Brief an Ernst Simon vom 13.11.1924 bittet Rosenzweig, der bereits krank und eingeschränkt in seiner Bewegung war, Simon, zu ihm nach Hause zu kommen und mit ihm beim gemeinsamen Studium des Talmuds zu teilen, was er von Rabinkow gelernt hatte. Rosenzweig, Gesammelte Schriften I, 1000.

  38. Rabinkows Schüler: Zalman Shazar, Israels Präsident (1963–1973), Aron Barth, Gouverneur der „Bank of Israel“, Nahum Goldmann, Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Moses Smoira, Präsident des Obersten Gerichtshofs in Israel (1948–1954). Vgl. Rafa’el, Sefer Aviad, 56–60, 89–91. Und vgl. Schacter, „Reminiscences of Shlomo Barukh Rabinkow“, 93–132.

  39. Scholem, Von Berlin nach Jerusalem, 80.

  40. Schacter, „Reminiscences of Shlomo Barukh Rabinkow“, 101. Laut Friedman kannte Fromm Rabinkow schon 1912. Friedman, The Lives of Erich Fromm, 14; Funk, „Erich Fromms Wertschätzung des Chassidismus“, 46–50.

  41. Auch Isaak Steinberg und Marcus Cohn wiesen ausdrücklich auf die Förderung ihrer Arbeiten durch Rabinkow hin. Zum Heidelberger Zirkel um Rabinkow vgl. Honigmann, „Jüdische Studenten“, 85–96.

  42. Schacter, „Reminiscences of Shlomo Barukh Rabinkow“, 99–105. Zitiert aus: Funk, Erich Fromm – Liebe zum Leben, 54. In seinen späteren Schriften sah Fromm auch keinen Widerspruch zwischen individueller Befreiung und sozialer Befreiung. Diese Idee wurde in Rabinkows Ansatz betont, etwa dass der Mensch weit von der religiösen Erfahrung entfernt sei und daher rationale ökonomische Ansätze verfolge und bereit sei, sein Schicksal als Instrument der Wirtschaftsgesellschaft zu akzeptieren. Es besteht ein klarer konzeptueller Zusammenhang zwischen der Kritik des Kapitalismus in der Dissertation und der Sozialkritik in Haben oder Sein, Stuttgart 1976.

  43. Funk, Erich Fromm – Liebe zum Leben, 54.

  44. Seine Position zum Zionismus äußerte er auch in Briefen an Ernst Simon. Der Briefwechsel hielt fast ihr ganzes Leben über an. Ich beabsichtige, zukünftige Forschungen diesem Thema zu widmen.

  45. Scholem, Von Berlin nach Jerusalem, 80–81.

  46. Rabinkow, „Individuum und Gemeinschaft“, 799–824.

  47. Funk, „Erich Fromms Wertschätzung des Chassidismus“, 48.

  48. Vgl. Rosenzweigs Korrespondenz mit Buber über den Lehrplan. Dort erwähnte Rosenzweig Dinge, die Fromm ihm zu diesem Thema geschrieben hatte. Rosenzweig, Gesammelte Schriften I, 920.

  49. Glatzer, „The Frankfurt Lehrhaus“, 114. „Neben anderen Kursen erwähnen wir die Vorträge über die Karäer von Dr. Erich Fromm, der damals Soziologe und Student des Judentums war. […] war ein Einführungskurs für Raschi von Ernst Simon […] und ein Fortgeschrittenenkurs für Raschi im Exodus Buch von Erich Fromm, an dem fünf Studenten teilnahmen.“

  50. Rosenzweig, Gesammelte Schriften I, 906–907.

  51. Vgl. Lundgren, Fight Against Idols, 136–142.

  52. Fromm, Das jüdische Gesetz.

  53. Funk, Erich Fromm – Liebe zum Leben, 52. Fromm: „Ich hatte nur einen nicht-jüdischen Lehrer, den ich wirklich verehrte und der mich tief beeinflußte: Alfred Weber, den Bruder von Max Weber. Er war auch Soziologe, aber im Unterschied zu ihm kein Nationalist, sondern ein Humanist, ein ungewöhnlich mutiger und überzeugender Mensch“.

  54. Funk, „The Jewish Roots“, 4.

  55. Scholem, Walter Benjamin, 50.

  56. Simon, Sechzig Jahre gegen den Strom, 22.

  57. Ziege zufolge ist Fromms Dissertation ein Teil der Literatur, die den Antisemitismus verteidigt. Der Chassidismus ist ein Beispiel des antikapitalistischen Judentums und spiegelt den Geist des wahren Judentums wider. Ziege, „Die politische Theologie“, 180.

  58. Pinkas, „Reason and the Future“, 149–161.

  59. Vgl. Lazaroff, „The Concept of Judaism“, 81–86.

  60. Fromm, Das jüdische Gesetz, 18.

  61. Fromm, Das jüdische Gesetz, 24–25.

  62. Fromm, Das jüdische Gesetz, 20.

  63. Fromm, Das jüdische Gesetz, 131.

  64. Fromm, Das jüdische Gesetz, 20.

  65. Ähnlich wie bei Franz Rosenzweig, der schrieb: „Das Gesetz ist dem Menschen, nicht der Mensch dem Gesetz gegeben.“ Rosenzweig, Der Stern, 15.

  66. Hadad, „Ich Habe Nicht Geantwortet“, 103–132.

  67. Fromm, Das jüdische Gesetz, 47.

  68. Fromm, Das jüdische Gesetz, 53.

  69. Außer einer Fußnote in Fromm, Ihr werdet sein wie Gott, 194n25.

  70. Fromm verwies auch in seinen späteren Schriften auf die negative Theologie des Maimonides, wonach es möglich und angemessen ist, die Göttlichkeit nur über die Negation der göttlichen Attribute zu diskutieren. Fromm, Ihr werdet sein wie Gott, 41. Laut Fromm sind die heutigen Idole Phänomene wie Bürokratie, Patriotismus, Nationalismus, Konsumkultur und materialistischer Lebensstil. Außerdem erwähnt er Idole wie Ehre, Flagge, Staat, Mutter, Familie, Ruhm u. a. Vgl. Funk, „Ihr werdet sein wie Gott“, 206–211.

  71. Über den Chassidismus schrieb Fromm später, er sei die originellste „Entwicklung der nachmittelalterlichen jüdischen Geschichte“. Fromm, Ihr werdet sein wie Gott, 120–121. Vgl. Lundgren, Fight Against Idols, 90.

  72. Fromm, Das jüdische Gesetz, 127–131, 139.

  73. Fromm, Das jüdische Gesetz, 128, 150–149.

  74. Fromm, Das jüdische Gesetz, 134.

  75. Fromm, Das jüdische Gesetz, 189.

  76. Fromm, Das jüdische Gesetz, 130, 133.

  77. Vgl. Ellenson, „Gemeindeorthodoxie in Weimar Germany“, 40.

  78. Fromm, Das jüdische Gesetz, 121.

  79. Nobel, Die Richtlinien, 3–16.

  80. Fromm, Das jüdische Gesetz, 150–151.

  81. Fromm, Das jüdische Gesetz, 70. Die Karäer stellten keine Bedrohung für das rabbinische Judentum dar. Erstens, weil es im zwanzigsten Jahrhundert wenig Karäer gab. 1932 gab es schätzungsweise weltweit 12.000 Karäer. Zweitens, weil sie sich nicht mit dem rabbinischen Judentum verbanden. Die Karäer in Deutschland unter dem NS-Regime galten nicht als Juden und wurden daher nicht verfolgt. Vgl. Shur, The History of the Karaite, 151–153, 186–191.

  82. Fromms Interesse an religiösen Dogmen wuchs. Als Psychoanalytiker ausgebildet, widmete er sich seit 1930 diesem Thema in seinem ersten Buch Die Entwicklung des Christusdogmas, 305–373. Das Buch hat Fromms Position in der Frankfurter Schule als Sozial-Psychoanalytiker definiert. Vgl. Hardeck, Vernunft und Liebe, 28–38.

  83. Vgl. Rosenzweig, Gesammelte Schriften III, 677–686.

  84. Max Webers Ansatz, der die Bedeutung der Beziehung zwischen sozioökonomischen Variablen und religiösen Doktrinen lobte, hatte großen Einfluss auf Fromms Methodologie in seiner Dissertation.

  85. Fromm, Das jüdische Gesetz, 83–96.

  86. Fromm, Das jüdische Gesetz, 57–58.

  87. Fromm, Das jüdische Gesetz, 58; vgl. Cohen, Religion der Vernunft, Kapitel IV, Absatz 11 sowie Kapitel IX, Absatz 34.

  88. Fromm, Das jüdische Gesetz, 58.

  89. Cohen, Religion der Vernunft, 84.

  90. Cohen, Religion der Vernunft, 98.

  91. Vgl. Pinkas, „Reason and the Future“, 157.

  92. Cohen, Religion der Vernunft, 305, 308.

  93. Fromm, The Revolution of Hope, 20–21; Fromm, „The Relevance of the Prophets“, 134–139; Fromm, „Die Aktualität der prophetischen Schriften“, 163–169.

  94. Über Frieda Fromm-Reichman vgl. Hornstein, To Redeem One Person; Fromm-Reichmann, Psychoanalysis and Psychotherapy; Hoffmann, „Notes on Frieda Fromm-Reichmann“, 24–30; Kottek, „Frieda Fromm-Reichmann“.

  95. Fromm-Reichmann, Autobiographical Interview. Einige Sätze wurden von Funk übersetzt, andere von mir. Vgl. Funk, Erich Fromm – Liebe zum Leben, 59.

  96. Funk, Erich Fromm, 49–50; Hornstein, To Redeem One Person, 53–73.

  97. Hornstein, To Redeem One Person, 63–64.

  98. Fromm erzählte gern chassidische Geschichten und sang sein ganzes Leben lang chassidische Lieder. Vgl. Funk, „Erich Fromms Wertschätzung des Chassidismus“, 46–50; Lundgren, Fight Against Idols, 88–92.

  99. Friedman, The Lives of Erich Fromm, 20.

  100. Scholem, Von Berlin nach Jerusalem, 195.

  101. Funk, „Was geschah im Heidelberger Therapeutikum?“.

  102. Fromm-Reichmann, Autobiographical Interview.

  103. Löwenthal, Mitmachen wollte ich nie, 67; Hornstein, To Redeem One Person, 66.

  104. Scholem, Von Berlin nach Jerusalem, 195.

  105. Jacob, The Frankfurt School, 30; Löwenthal, Mitmachen wollte ich nie, 19, 27; Löwenthal, An Unmastered Past, 26.

  106. Funk, Erich Fromm, 44; vgl. Braune, Erich Fromm’s Revolutionary Hope, 15.

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