„… ich liebte Gomer“ – Elazar Benyoëtz und Silja Walter. Solothurn 2003 – davor und danach

Abstract

This paper deals with the encounter between the German-writing, Israeli author Elazar Benyoëtz and the Swiss author and Roman-Catholic nun Silja Walter in connection with their poetry reading at the Solothurner Literaturtage (St. Ursen Cathedral, 2003). The article explores their working process, their correspondence, and their dialogue about Silja Walter’s interpretation of the biblical woman Gomer in the Book of Hosea.

[…] am Kanal die Lilien / das Mohnfeld / der Tulpenbaum /
und alle Welt sonst noch / auf Erden dreht sich /
getragen geschoben / gerissen / auch wenn sie nicht will /
mit Gomer in Gottes Kommen hinein.

Silja Walter, Der Tanz der Welt1

Am frühen Abend des 1. Juni 2003 kam es in Solothurn zu einem einzigartigen Zusammenwirken von Elazar Benyoëtz und Silja Walter, der Schweizer Dichterin und Benediktinerin im Kloster Fahr mit dem Ordensnamen Sr. Maria Hedwig OSB. Gemeinsam gestalteten sie mit ihren Texten eine „moderne Vesper“ in der katholischen St. Ursen-Kathedrale als „krönenden Abschluss“2 der 25. Solothurner Literaturtage.3

„Finden macht das Suchen leichter“ ist ihre Lesung überschrieben und gefunden hat Benyoëtz Silja Walter schon lange vor dem Ereignis in Solothurn: Bereits vierzig Jahre zuvor hatte er zwei Gedichte von Silja Walter in der Anthologie Widerspiel. Deutsche Lyrik seit 1945 (Darmstadt 1961) gelesen, die der Herausgeber Hans Bender ihm während Benyoëtz’ Deutschlandaufenthalt 1963 geschenkt hatte.4 Die „entscheidende Begegnung mit Silja Walters Lyrik“ war jedoch, so Benyoëtz, als er von Hilde Schultz-Baltensperger, Kirchenrätin aus dem Thurgau, eine Ausgabe von Silja Walters Gesammelte Gedichte (Zürich, neue, ergänzte Auflage 1972) erhielt. Benyoëtz weiß noch den Ort und das Datum der Gabe der „Gedichte, die ich liebte“5: „Weinfelden, 25.3.82“6. Ein Gedicht aus der Sammlung hatte sich ihm nachhaltig eingeprägt, vielmehr die letzte Strophe von Silja Walters Gedicht „Im Regen“: „Wie reiten tief die Vögel! / Sie lassen vom Winde sich drehn. / Der Regen zerschlägt die Segel, / Mich lässt er stehn.“7 Er zeigt sich fasziniert vom überraschenden Bild der reitenden Vögel und von der ambivalenten Schlusszeile, von den Naturgewalten verschont bzw. nicht beachtet zu werden: „‚Die Vögel reiten tief‘ – sie, Silja Walter, wird die Vögel reiten“8, schreibt Benyoëtz in der Festgabe zu Silja Walters 90. Geburtstag und umschreibt damit, in ähnlich kühner Sprache wie die Autorin, anerkennend deren Sprachmacht und dichterische Souveränität, Metaphern und sprachliche Mehrdeutigkeit zu kreieren.

1 Die Vorgeschichte

Wie kam es zur Lesung der beiden in der Solothurner St. Ursen-Kathedrale? Die Vorbereitung dazu reicht in das Jahr 1999: Paul Rutz, gerade zum Stadtpfarrer an der Kathedrale berufen, lud Elazar Benyoëtz zu einem Leseabend ein, musikalisch begleitet von den Dom-Singknaben. Rutz hatte während seines dreimonatigen Gast-Aufenthalts in der Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg in Jerusalem Benyoëtz kurz zuvor kennengelernt – bei einem ihn sehr beeindruckenden Lese-Event mit Texten aus Benyoëtz’ Buch Variationen über ein verlorenes Thema (1997). Studierende des „Theologischen Studienjahres“ 1998/1999 trugen in der Abtei-Kirche der Hagia Maria Sion Textabschnitte daraus vor. Elazar Benyoëtz berichtet:

Die Studierenden sprachen je nach Wahl und Temperament ihr Credo aus dem Buch, begleitet von allen Instrumenten, die über die ganze Kirche, unten und oben verteilt waren, endend mit einer Gesangsstimme. Die Lesung wurde zu einem musikalisch-religiösen Ereignis.9

Es muss eine geradezu mystische Stimmung gewesen sein. Benyoëtz las seinen Text über Abraham.10 Paul Rutz hatte am selben Tag an einer Exkursion nach Tel Dan teilgenommen, wo Archäologen ein Stadttor aus der Zeit Abrahams gefunden hatten. Die Konstellation mit Benyoëtz’ „Abraham“-Text berührte ihn: „Diese Lesung prägte sich mir als Schlüsseltext ein“11, schrieb Rutz noch Jahre später. Er wünschte sich, Ähnliches auch in der St. Ursen-Kathedrale mit Benyoëtz zu verwirklichen. So überraschte er den Autor eines Abends mit einem Anruf und Lesungsangebot. „Wir haben uns schnell geeinigt, doch hatte auch ich einen Wunsch“12, erinnert sich Benyoëtz an dieses Telefonat:

Ich mochte nicht allein in der Kirche auftreten, die Stimme Jakobs nimmt sich nicht gut aus in der Kirche, geschweige denn in einem Dom; sie käme auch leicht um ihre Wirkung, weil alle Erwartungen, zumal die falschen, schon im Raum stünden, der nicht gewohnt ist, einem Juden ohne christliche Erwartungen zuzuhören. Um ihm folgen zu können, muss man den Kirchenraum verlassen, sich auf einen neutralen, nicht elektrisierten Boden begeben. Damit ich wortgetreu gehört werde, brauche ich keine Lautverstärker, sondern eine zweite, mir nicht fremde, sich deutlich artikulierende Dichterstimme. Ich dachte an Silja Walter, und mein Wunsch ging dahin, mit ihr den Abend in Solothurn zu bestreiten.13

Wusste Elazar Benyoëtz zu diesem Zeitpunkt, dass Silja Walter, die in der Schweiz sehr bekannte christliche Dichterin, inzwischen achtzigjährig als Sr. M. Hedwig im Kloster Fahr am Rande von Zürich lebte, als er seinen Wunsch nach einer Duo-Lesung mit ihr aussprach? Pfarrer Rutz jedenfalls machte sich von Solothurn aus auf den Weg zum Benediktinerinnenkloster Fahr, denn auch er war, so Benyoëtz, von der Duo-Idee „angetan“14. Ob er Benyoëtz’ Vorbehalte nachvollziehen konnte oder nicht – die Begegnung eines Juden aus Israel und einer katholischen Nonne im (biblischen) Wort und im Raum einer Kathedrale muss auch für Paul Rutz ein faszinierender Gedanke gewesen sein. Nur Silja Walter, um die es ging, spielte nicht mit: Paul Rutz konnte sie nicht davon überzeugen, sich auf dieses Projekt der Zusammenarbeit und gemeinsamen Lesung mit einem für sie unbekannten Juden und Autor aus Israel einzulassen.

Wie die Situation auf Seiten von Sr. Hedwig im Kloster Fahr aussah, erfahren wir in ihrer Glaubensbiographie Das dreifarbene Meer (Freiburg/Schweiz 2009), die sie in ihrem 90. Lebensjahr schrieb. Daraus wird ersichtlich: Die Anfrage von Rutz ist nur eine unter vielen, er ist einer von vielen Menschen, die auf die Dichterin Silja Walter zukommen, im Sprechzimmer des Klosters auf sie warten, einen Film mit ihr drehen (wollen), ihre Aufmerksamkeit fordern, ihre Zeit. „Öffentlichkeit“, schreibt die Benediktinerin, sei nicht das, was sie suche. Dafür sei sie nicht in ein geschlossenes Kloster gegangen:

Ich weiß, Bücher schreiben, die gelesen werden, heißt auch, in der Öffentlichkeit erscheinen. Aber dann erscheint eben das Buch und nicht ich. Die Bücher können sie haben, mich nicht. Das hab ich so in mir, wie ein sich von selbst gefällter Entschluss.15

Im Jahr 2000 reist Elazar Benyoëtz also erst einmal ohne Silja Walter nach Solothurn, um auf Einladung von Paul Rutz eine Lesung in der St. Ursen-Kathedrale zu halten. Benyoëtz’ Frau Renée Koppel reist ebenfalls mit und präsentiert unter ihrem Künstlerinnennamen Metavel in der Solothurner Kathedrale ihre kalligraphischen Miniaturmalereien zu biblischen Texten und Themen.16 Außerdem liest Benyoëtz gemeinsam mit jungen Menschen eines Gymnasiums seine Aphorismen, so, wie mit den Studierenden in der Dormitio-Abteikirche auf dem Jerusalemer Zionsberg.

Elazar Benyoëtz musste also auf die Erfüllung seines Herzenswunsches noch warten und Pfarrer Rutz gab seinerseits nicht auf, bei Silja Walter um eine gemeinsame Lesung in Solothurn zu werben. Die Gunst der Stunde kam in Gestalt einer Einladung der Solothurner Literaturtage an die christlichen Kirchen, sich an dem 25. Jubiläum im Jahr 2003 zu beteiligen. Die Lesung in der Kathedrale sollte der Schlussstein des Festereignisses sein. Diesmal willigte Silja Walter ein, im Rahmen der Solothurner Literaturtage, der wichtigsten Literaturveranstaltung der Schweiz, die noch dazu 1978 von ihrem verstorbenen Bruder Otto F. Walter (1928–1994) mitgegründet worden war, gemeinsam mit Elazar Benyoëtz zu lesen – wie hätte sie sich auch dieser Anfrage entziehen können? Und doch, Paul Rutz berichtet rückblickend:

Es brauchte viel Überzeugungsarbeit, sie zum Mitwirken zu bewegen. Mit Hilfe von Frau Dr. Ulrike Wolitz, der Herausgeberin des Gesamtwerkes von Silja Walter, gelang es zu guter Letzt. Silja Walter wünschte jedoch, dass eine geübte Sprecherin zum Vortragen ihrer Texte eingeladen werde, da sie nicht alles selber sprechen wolle. Der Name der bekannten Schauspielerin Maria Becker fiel. Sie wurde eingeladen und sagte zu.17

Eine dritte Stimme in der Lesung – Elazar Benyoëtz hatte zunächst Bedenken, „stimmte aber freudig zu, es könnte und es sollte ein Gewinn sein“18, wird er später schreiben.

Die Schauspielerin und Rezitatorin Maria Becker, geboren 1920 in Berlin als Spross einer Schauspieler-, Übersetzer- und Schriftstellerfamilie, die mit ihrer jüdischen Mutter 1936 vor der Hitler-Diktatur erst nach Österreich und dann 1938 in die Schweiz fliehen musste – ist sie nicht wie ein Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Herkünften von Silja Walter und Elazar Benyoëtz, wie eine Stimm-Brücke zwischen beiden?

2 Der Prozess der Vorbereitung im/als Briefwechsel

Elazar Benyoëtz schreibt über die Zeit der Vorbereitung in seinem Festbeitrag aus Anlass von Silja Walters 90. Geburtstag ganz offen:

Nun begann die Arbeit – eine Kette von Verunsicherungen. Es wollte nicht bald eine Zusammenarbeit werden, es war eher die Arbeit von zweien, die lieber das Aneinander-vorbei [sic] übten. Ich sah mich harten Prüfungen ausgesetzt, hatte mir aber vorgenommen, nicht aufzugeben, weil mir Silja Walter teuer war, und ich bildete mir nur zu gern ein, sie zu neuen Gedichten „älteren Schlags“ anregen zu können.19

Paul Rutz und Elazar Benyoëtz sind beide in die Vorbereitung der „modernen Vesper“ involviert – in verschiedenen Rollen: Paul Rutz ist Gastgeber (und Hausherr) in der Kathedrale, Benyoëtz und Silja Walter sind die Eingeladenen, auf die es ankommen wird. In einem Brief vom 29. November 2002 schreibt Benyoëtz an Rutz, dieser solle „den Ton angeben (Sie haben das milde und mildernde Wort)“20 – Rutz hatte ihm seine Gedanken zur Vesper gesandt –, die „Regie“ möchte er, Benyoëtz, selbst übernehmen. Er schreibt an Rutz:

Ich will die Worte kosten und auch auf ihre Tragfähigkeit prüfen können. Es muss mit Herz (Sympathie und Übereinstimmung) und Kopf (Kontrast) komponiert werden – im Angesicht Gottes, also nicht zu fromm und nicht zu weich. Eine moderne Vesper eben. Wir müssen von etwas reden, worüber andere (und wir selbst als andere) lieber schweigen. Es darf uns nicht leicht über die Lippen gehen. Schwester Hedwig kennt Silja Walter besser als ich, für mich sind beide in dem einen Wort vereinigt: „Tanzen heißt / auferstehen.“ Ich habe alle Sympathie für sie, ich könnte sogar von Liebe sprechen.21

Jetzt, wo sein Wunsch nach einer gemeinsamen Lesung mit Silja Walter in der St. Ursen-Kathedrale in Erfüllung gehen kann, scheint Benyoëtz mit ambivalenten Gefühlen bzw. Befürchtungen zu kämpfen: Dass der Ort der Lesung und seine katholische Lesungs-Partnerin, natürlich in ihrem Ordenskleid mit Schleier, die Veranstaltung auf eine Weise prägen könnten, dass es von seiner Seite einer Gegensteuerung, eines „Kontrastes“ bedürfe, der nur durch die Auswahl der Texte erreicht werden kann: „nicht zu fromm und nicht zu weich“. In Silja Walters Gedichtzeilen „Tanzen heißt / auferstehen“22 wird von ‚Letzten Dingen‘ mit Leichtigkeit und anschaulich-lebendig gesprochen – authentisch, in einer anderen als der sonst gewohnten Glaubenssprache. Dem zollt Benyoëtz seine Anerkennung.

In einem weiteren Brief an Paul Rutz vom 4. Dezember 2002 geht Benyoëtz noch ausführlicher auf die Herausforderungen von „katholisches Gotteshaus“ und „gemeinsame Dichterlesung eines Juden und einer Nonne“ ein. Zunächst reagiert er auf eine Frage bzw. Befürchtung seiner Lesungs-Partnerin, die nicht näher benannt wird: „Dass für Silja Walter das Wort Person ist, weiß ich, es bliebe auch keinem verborgen, wer diese Person ist. Sie ist katholisch und lebt im Kloster. Ihr Wort ist in jedem Fall Person, es drückt sie aus, färbt auf sie ab; sie steht im Wort.“23 Es ist „das Wort, das Fleisch geworden ist“, von dem der Johannes-Prolog spricht, auf das Benyoëtz hier anspielt – das Wort, das Jude geworden ist.

Elazar Benyoëtz ringt mit seiner Rolle. Und findet seinen Standpunkt. Er schreibt an Paul Rutz:

Mir stellt sich die Frage so: Ist die Kirche der Rahmen – oder sinds [sic] die Solothurner Literaturtage.

Sinds [sic] die Literaturtage, dann müssen meine Texte nicht Theologie sein; es genügt, wenn sie – und gerade im Kirchenraum – beunruhigen oder bewegen. Vielleicht kommt auch Gott dann kurz vorbei, weil er sich denkt, die Kirche ist groß, das Wort aber ohne Aufheben. Wie schwer ist es doch, mit Worten, die nicht Psalmen sind, Gott zu gefallen. Und wie oft kommt es schon vor, dass Gott zur Predigt erscheint. Der Zusammenklang – er muss erst erzeugt werden. Ich hielt es für möglich, wollte mich vor allem aber auch gern überraschen lassen. Ich verlasse mich darauf, darum verlasse ich das mir Vertraute. Ich bin in der Kirche Gast, aber das werden auch andere sein, die nur darum kämen, weil sie dem Dichterwort noch einmal in einem sakralen Raum die Chance geben wollten.24

Der „Zusammenklang“ muss erst erzeugt werden – diese Aufgabe nimmt Benyoëtz sehr ernst und er ist sich des Risikos bewusst, vertraute Pfade bei der Vorbereitung zu verlassen. Er hat das Plus, dass er den Ort der Veranstaltung bereits kennengelernt hat und in Paul Rutz einen verlässlichen Mitstreiter für das Gelingen der Lesung zur Seite hat, der auch immer wieder die Brücke der Kommunikation zu Silja Walter baut.

Am 9. Dezember 2002 wendet sich Elazar Benyoëtz mit herzlichen Worten der Anerkennung an Silja Walter:

Wichtig ist: Ihr Dasein, Dabeisein, Sprechen: für den Glauben, für sich, mit mir. Damit haben wir jetzt begonnen und müssen uns weiter keine Gedanken machen. Wir haben Zeit: wir sprechen miteinander. Zu Ihrer Erfahrung, auch der als Nonne. Die tiefste steht in Ihren Gedichten.

Sie sind kostbar, weil sie schmerzlich beschwingt vom Glück sprechen. Das ist alles und kann alles „mehr“ entbehren, umso leichter: wenn Sie das, was unvermindert in die Welt hinaus will, Wort für Wort entbinden und in den Raum entlassen. Alles andere – oder weitere – ob Sie es wollen oder nicht – ist Wirkung. Das Wort, an das sie glauben, soll’s bewirken. Es wäre mehr als Lebensgeschichte. Diese Wirkung wünsche ich Ihnen, auch mir, auch uns.

Und nun wünsche ich Ihnen heitere Tage, bei froh bleibender Botschaft, und neue Strophen für Ihr hohes Lied.25

Der Brief klingt zuversichtlich und ermutigend, doch Ende Dezember 2002 schreibt Benyoëtz in einem Brief an René Dausner, der beim Bonner Theologie-Professor Josef Wohlmuth eine Dissertation über Benyoëtz’ Werk vorbereitet:

Kennen Sie, kennt Josef Wohlmuth die katholische Dichterin Silja Walter (Schwester Hedwig im Kloster Fahr bei Zürich)? Ich soll mit ihr zusammen den Gipfel der bevorstehenden Solothurner Literaturwochen bilden – in der dortigen Kathedrale – ich war bereit und freute mich (in Erinnerung an ihr Frühwerk), nun bekomme ich Texte zugeschickt, die mir die Sache (jenseits von Gut und Böse) erschweren.26

Welche Texte er konkret meint, schreibt Elazar Benyoëtz nicht. Es wird aber klar, dass sein Versuch, an sein prägendes Erlebnis mit Silja Walters früher Dichtung anzuknüpfen, unrealistisch ist. Benyoëtz seinerseits schickt eigene Texte: Mit ihnen will er sich Silja Walter „vorstellen, sie ermutigen oder warnen – in ihr Vertrauen erwecken, sie zu einem Gespräch ermuntern und – das mir wichtigste – sie womöglich zu neuen Texten anregen“27, so Benyoëtz in einem Brief an Paul Rutz vom 7. Januar 2003. Dass Silja Walter eine dichtende Nonne in einem klausurierten Kloster ist, beschäftigt ihn. Er denkt dabei auch an die Jüdin Edith Stein – „die absolute Ausnahme“28 –, die zum Katholizismus konvertierte und mit dem Ordensnamen Teresia Benedicta a Cruce in den Karmel eintrat, 1942 aus einem niederländischen Kloster deportiert und in Auschwitz-Birkenau ermordet wurde. Auch sie schrieb, neben philosophischen Abhandlungen und Vorträgen, Gedichte, Gebete, kleine Stücke und ihre unvollendete Familienbiographie Aus dem Leben einer jüdischen Familie.

Benyoëtz betont in seinem Brief an Rutz Silja Walters dichterische Berufung, noch vor deren eigener Entscheidung, ihre religiöse Berufung als Ordensfrau zu leben: „Sie hat ihre Rolle im Kloster, ihren Platz in der Poesie. / Ins Kloster wollte sie gehen, zur Poesie hat sie Gott selbst gerufen.“29 Nach Benyoëtz ist die von Gott gegebene dichterische Berufung ein Dienst am Wort, sie darf weder eifernd noch ehrgeizig ausgeübt werden: Benyoëtz’ Postulat, „keine Lanze für IHN brechen“30 aus seinem Brief an Rutz, deute ich im Sinne dieser Selbstrücknahme des Schreibenden, der seine Sprach-Begabung als (göttliche) Berufung annimmt, jedoch nicht als Auftrag zu reiner Bekenntnisliteratur ausübt. Überzeugen soll nicht das Bekenntnis, sondern muss die Literatur selbst:

Wir bedürfen keiner Erklärung und keines Schutzes, keiner Krücke und keines Zauberstabs: wir haben das Wort oder wir haben es nicht; und haben wir’s auch, so haben wir das Sagen doch nicht.

Und das ist von Bedeutung. Wir sind Verräter am Wort, sobald wir meinen, das Sagen zu haben. Was nicht zündet, leuchtet nicht ein.31

Benyoëtz bietet in seinem Brief Rutz abermals an, für das Programm der Lesung die Regie zu übernehmen, für seinen Part möchte er aus seinem „Abraham“-Text lesen und bittet um die Konzentration auf eine Duo-Lesung, begleitet von Orgelspiel und mit keinen weiteren Akteuren. Er wünscht sich einen „dichterischen Austausch“: „Wenn Silja Walter Neues schreibt, steckt es mich vielleicht an. In jedem Fall sollte sie die schönsten Gedichte aus ihrem ‚ewigen Vorrat‘ in Solothurn lesen, darauf käme es an.“32 Benyoëtz will für sich und Silja Walter aus der Ferne einen Begegnungsraum schaffen, in dem sich zwei sehr unterschiedliche Menschen als Schreibende begegnen und mit Hilfe ihrer Literatur annähern. Dabei geht Benyoëtz mit eigenen Texten in Vorleistung.

Silja Walter antwortet am 8. Januar 2003 auf Benyoëtz’ Schreiben an Rutz, das dieser ihr offensichtlich per Fax weitergeleitet hatte, in einem gemeinsam adressierten Brief an beide. Es ist interessant, wie sie auf die Äußerungen von Benyoëtz über ihre religiöse und dichterische Berufung eingeht und sie mit einer Selbstaussage korrigiert:

Ich denke[,] ich habe keine Rolle und keinen Platz. Mich hat die Gottes-Frage von Kind auf so eingeholt, dass es für mich jetzt in meinem Alter nichts mehr anderes gibt, worauf ich zulebe. Wenn noch schreiben, dann aus dieser Gefangen-Befangenheit. Ob ankommt, wo ankommt, wann ankommt, dafür bin ich zu sehr darin. Leben und Schreiben ist eins.33

Silja Walter greift das Anliegen von Benyoëtz, vor der Lesung in Solothurn mit ihr im Kontakt zu sein, positiv auf: „Ja, es wäre schön und notwendig, dass Herr E und ich miteinander sprechen könnten. Am besten im Fax-Austausch.“34 Am Ende ihres Briefes richtet sie explizit einige Zeilen an Benyoëtz. Sein Name ist noch zu fremd, als dass sie ihn sich hätte merken können. Sie nennt ihn „Eleazae Benyoiez“35: „Ich danke und wünsche Ihnen Freude am Projekt, in das wir hineingeholt werden.“36 Sie unterschreibt als „Silja Walter“ und nicht mit ihrem Ordensnamen – auf Augenhöhe mit dem Dichter in Jerusalem, der ihr Frühwerk schätzt.

Der Anfang ist gemacht, der direkte Kontakt zu Silja Walter geknüpft: Elazar Benyoëtz ist erleichtert und froh und das äußert er auch ‚postwendend‘ in seiner Antwort an Silja Walter vom 9. Januar 2003: „Freude und ‚Abraham‘, damit Sie sich besser angenommen und gut aufgehoben fühlen.“37 Er würde „auch herzlich gerne auf jede Wort-Philosophie“38 verzichten. Dem Brief fügt er einen Text über Abraham bei, in dem Abraham seine Berufung durch Gott mit (dem hebräischen Wort) „Hinneni“ – „Hierbinich“ beantwortet.39

Am 13. Februar 2003 folgt ein weiteres Schreiben an Silja Walter. Diesmal geht Benyoëtz konkret auf die Planung der „modernen Vesper“ ein. Ihre Idee, ihren Lesungsteil unter den Titel „Exodus“ zu stellen, gefalle ihm.40 Im Brief ist von Silja Walters Prosatext „Mein Weg unter der Wolke“41 als weiteren Bestandteil zu lesen. Benyoëtz macht Vorschläge für eine Gedichtauswahl aus dem im Jahr 1999 erschienenen Silja-Walter-Lesebuch Die Fähre legt sich hin am Strand. Was er auswählt, sind eindrucksvolle, leidenschaftliche Gedichte aus dem Band Die Feuertaube, den Silja Walter 1985 ihrem einzigen Bruder Otto F. Walter widmete, und die in gewisser Weise bereits eine Art ‚Dialog-Dichtung‘ (mit dem Bruder) sind42: „Dein Feuer spann“ (S. 184); „Die Treppe hinab“ (S. 185); „Vom frühen Morgen an / lief ich / durch alle Türen / auf einen armen / Juden / zu / und fiel / als die Nacht kam / in die Sonne“ (S. 190) – Benyoëtz nennt dieses Gedicht „sowieso großartig“ – und als Abschluss das Gedicht „Ite missa est“ (S. 97–98) aus dem Zyklus „Keine Messgebete“ (S. 77–98). Es endet mit „Amen“ und würde damit dem Auch-Gebets-Charakter ihrer modernen Vesper entsprechen. Benyoëtz hält für seinen Lesungsteil nach wie vor an seinem „Abraham“-Text fest. „Aus den Minuten, die uns noch blieben, wollen wir eine Perlenschnur machen“43, schreibt Benyoëtz. Er macht zwei Vorschläge zur Struktur der Lesungsauswahl, zum einen im Leitwortstil: Silja Walters Gedicht „Dein Name ist das / Sabbatschiff“ (S. 200) könnte er beispielsweise seinen Text über den Schabbat oder über die Tage der Schöpfung zur Seite stellen. Oder sie wählen jeweils eigene Texte aus einem Themenkreis „(Gott, Liebe, Poesie, Sprache, ‚Zeit und Ewigkeit‘ …)“44 aus:

Auf diese Weise könnten wir miteinander, zueinander, ineinander sprechen, und die Zeit wäre ein ausgedehnter Augenblick. Mir wär’s lieb, wenn nur die Poesie spräche. In jedem Fall ist es schön und gut, wenn wir zusammen den Abend einleiten und ausklingen lassen, jeder mit einem – seinem – Gebet, oder mit einem Wort ins Kommende. […]

Mir liegt daran, daß Sie Ihren Text ohne Störung, ohne Ablenkung und Nebenerwartung schreiben können, bis zur letzten Zufriedenheit.

Wenn dann unser Abend gekommen ist, haben wir ein Kleingroßes vollbracht.45

Benyoëtz’ Vorschläge zur Auswahl der Lesungstexte Silja Walters wirken wohldurchdacht und stimmig – die ganze Arbeit der Vorbereitung scheint gemacht – aber wie wird Silja Walter darauf reagieren? In seinem Brief geht er sehr auf seine Lesungs-Partnerin ein, schildert ihr den Zeitrahmen (40 Minuten Lesezeit plus Einführungstext und Orgelmusik), will sie den Ton angeben und Silja Walters Präsenz als Ordensfrau zur Wirkung kommen lassen („ihre Worte folgen aus ihrer Erscheinung“), während Benyoëtz seinen Lebensweg (als Jude, Israeli, Hebräisch und Deutsch schreibender Dichter) nicht zur Sprache bringen will; „ausschalten“ nennt er diese Zurücknahme sogar. Doch auch Elazar Benyoëtz wird durch sein äußeres Erscheinungsbild Präsenz und Wirkung haben – gerade in einer Kathedrale – ist ihm das selbst nicht bewusst?

Elazar Benyoëtz wirbt durch sein einfühlsames, aber auch direktives Vorgehen für die Lesung als „gemeinsame Sache“ und nicht als „Doppellesung“.46 Aber wird geschehen, was die Voraussetzung für eine „gemeinsame Sache“ wäre: „daß wir aufeinander zu- und eingingen“? Benyoëtz wirbt aktiv um Silja Walter und ihr Mit-Tun, er hofft sogar auf neue dichterische Produktionen von ihr für die gemeinsame Lesung. Erwartet er zu viel von den Kapazitäten einer bereits 84-jährigen Ordensfrau in klösterlicher Observanz?47 Kann Sr. Hedwig sich darauf einlassen? Dass Elazar Benyoëtz es dennoch versucht und dabei ‚am Ball bleibt‘, ist jenes „Ringen“, mit dem er später den Prozess der Vorbereitung immer wieder umschreibt.

Seinem Brief fügt Benyoëtz einen langen Text über Schabbat und Schöpfung und ein Gedicht an, das eigens für „Schwester Hedwig, Kloster Fahr / Jerusalem, den 13.2.03“ (so die Überschrift) geschrieben zu sein scheint:

Sechsmal hintereinander
kam die Schöpfung an den Tag;
Sechs Tage traten ihr Licht
an den siebenten ab,
in dem der Schöpfer,
bewegt, nichts mehr bewegend, einzog
und alles ins Dasein Gerufene segnete
und sein ließ

Schabbat,
die lichtumflossene
Gelassenheit Gottes48

Benyoëtz’ ausführlicher Brief zeigt Wirkung: Bereits einen Tag später antwortet ihm Silja Walter:

Verehrter, lieber Herr Eleazar Benjoetz [sic!],

Ihr großer Fax-Brief beruhigt und freut mich. Ich werde ihn noch mehrmals lesen.

Schön, tief, durch die Rinde des Welthaften herauf.

Schreiben Sie mir vorerst, welche meiner Gedichte Sie sich im ganzen Projekt vorstellen.

Zusammenfügen, wie bunte Steine an die Kette, die ja wohl Sie drehen sollen, oder wir beide, sobald wir den ganzen Schmuck geordnet vor uns liegen haben.

Ich erwarte Ihre Antwort auf diese erst kurzen Überlegungen auf Grund Ihrer sympathischen Fax-Studie.

Mit herzlichem Dank und Gruß

Ihre Sr. Hedwig/Silja Walter49

Konnte dieser Brief Elazar Benyoëtz zufriedenstellen? Die Gedichte, die er sich von ihr wünschte, hatte er ja bereits aufgezählt. Dass sie ankündigt, seinen ausführlichen Fax-Brief mehrmals lesen zu wollen, zeigt, dass es bei ihrem Brief um eine erste Reaktion geht, die Wertschätzung zum Ausdruck bringen soll – inhaltlich äußert sie sich nicht zu seinen konkreten Vorschlägen, spielt vielmehr den Ball an ihren Duo-Partner zurück.

Benyoëtz reagiert am 17. Februar 2003. Er bezieht sich dabei auf ein Telefonat mit Silja Walter: „Wollten Sie nicht auf das Judentum in eigener Besinnung, aus spiritueller Erfahrung zurückkommen? So habe ich Sie am Telefon verstanden.“50 Außerdem spornt er sie dazu an, zu ihrem „Exodus“ „etwas Neues hinzuzudichten“51 und vor allem, ihr Manuskript ‚jetzt‘ fertigzustellen, um am Ende zu fühlen, „dass Sie das Ihnen Wichtigste gesagt haben.“52

Benyoëtz fügt einen Text mit seinen Gedanken zur biblischen Sintflut an und verflicht danach eigene Textzeilen mit Zeilen aus Silja Walters – sprachlich sehr ausdrucksstarkem – Gedicht „Geweihte Asche“ (S. 186) aus dem Band Die Feuertaube. Er kommentiert dieses Verfahren so: „Das sind alles Andeutungen und Beispiele, unsere Möglichkeiten sind unerschöpflich, wenn die Freude uns packt. Und Sie haben mehr Texte als ich von Ihnen kenne. / Wir beide betrachten die Steine dann und drehen die Kette.“53

So einfach sollte es sich jedoch nicht gestalten. Wie kann ein „Mit-“, gar „In-Einander“ zweier Dichter, die sich persönlich unbekannt sind, aus der Ferne funktionieren? Benyoëtz hoffte auf die Möglichkeit gegenseitiger schöpferischer Anregung in einem intensiven Austausch. Der Brief, den Benyoëtz am 7. März 2003 an Silja Walter schreibt, zeigt, dass er seinen Wunsch nach einem „Miteinander“ zugunsten einer Duo-Lesung aufgeben musste. Denn inzwischen liegt ihm, vermittelt durch Paul Rutz, ein Text Silja Walters vor (diese Textfassung wird nicht überliefert). Benyoëtz zitiert daraus ihren Satz: „Ich möchte dabei bleiben.“54 Nach dem Lob ihrer Auswahl – „sie wird gefallen“55 – macht er sich Gedanken darüber, wie sie mit ihrem Text „die stärkste Wirkung“56 erzielen könnte:

Mein erster Eindruck ist, dass eine Verteilung des allerdings zusammengesetzten Textes über den ganzen Abend hin, bzw. eine Vermischung Ihrer und meiner Worte, eine Abschwächung wäre. Alle Teile ergeben doch eine Einheit und ein ganzes, schönes Bild, das durch Ihre Erscheinung abgerundet und „beglaubigt“ wäre.57

Inzwischen befürwortet Benyoëtz sehr eine dritte Sprecherin beim Lesungsabend und er beruhigt Silja Walter dahingehend, dass ihr eingereichter Text keineswegs eines „theologischen Fadens58 bedarf. Seinen „Abraham“-Text sieht Benyoëtz in diesem Zusammenhang als eine Ergänzung, zusammen mit weiteren Aphorismen und einem „Schlussgebet“. Erst am Ende des Briefes rückt Benyoëtz mit seiner Frage heraus:

Ob Sie bereit wären, Ihren neuen Text noch einmal auf seinen poetischen Kern zu betrachten und evtl. zu überarbeiten? Ich habe den Eindruck, dass die Insel leicht zerfließt. Der Ihnen persönlich wichtige Text scheint von Ihnen noch etwas zu erwarten. Er will zur Welt kommen, nicht gebracht werden. Dichter überzeugen nicht, sie müssen überzeugend sein. Das können wir noch, müssen aber nicht mehr besprechen. Für mich gilt, was Sie Herrn Pfarrer Rutz schreiben: „Ich möchte dabei bleiben.“59

Am gleichen Tag schreibt Benyoëtz an Paul Rutz und bittet ihn nachdrücklich um seine Unterstützung, Silja Walter von der Überarbeitung ihres Lesungstextes zu überzeugen. Er hatte sich ja neue Texte von ihr gewünscht, aber bedauerlicherweise sei es „der schwächste Text“60: „Ich wäre glücklich – für sie vor allem, aber auch für den Abend – wenn sie ihn überarbeitete. Er müsste auf seinen Kern hin gestrafft werden, immer mehr.“61

Im Prozess der Vorbereitung ist ein kritischer Punkt erreicht: Elazar Benyoëtz ist Silja Walter gegenüber in die Rolle eines Lektors geraten – und hatte sich doch lange als ihren Text-Dialog-Partner gesehen. Jetzt beschäftigen ihn eigene Sorgen: der aktuelle Nahostkonflikt im eigenen Land (mit Terroranschlägen der Hamas) und dringende Arbeiten an einem Buchprojekt.

Wie wird Silja Walter auf Benyoëtz’ Überarbeitungswunsch reagieren? Ihre Antwort vom 12. März 2003 lautet: „Die Seiten aus dem Insel-Tagebuch lasse ich weg“ – vermutlich der Text, den Benyoëtz kritisiert hatte. Stattdessen legt sie eine neue Gedichtauswahl vor (aus dem Lesebuch Die Fähre legt sich hin am Strand): „Ich geh in einen tiefen / Wald“ (S. 181); „Oration“ (S. 83); „Und ich singe sing / im Gehen“ (S. 202); „Ite missa est“ (S. 97–98) – und als erster Text ein neues Gedicht:

Die Nonne
– läuft
auf ihrer Stundentreppe
wie auf Eis
jeden Tag in die Nacht

sieht
wie sie über die
Herrlichkeit
läuft
Im Abgrund,
tief unten
– weiß
sie wird bald einbrechen62

Ein auf den ersten Blick unheimliches Gedicht – aber sie schreibt, ganz bei sich, zum Abschluss: „Über Herrn Pfr. Rutz sende ich Ihnen dieses neue Fax – ist doch Neutrum? – und erwarte gerne Ihr Einverständnis. Herzlich / dankbar, Ihre Sr. Hedwig.“63 Silja Walter hat diesmal nicht mitunterschrieben.

Elazar Benyoëtz bereitet unterdessen nicht nur die Solothurner Lesung, sondern auch die zeitgleiche Ausstellung seiner Frau Renée in Solothurn mit vor. In zwei Briefen an Paul Rutz vom 14. und 21. März 200364 gibt er dazu Anweisungen; er liefert Ideen für den Titel der Lesung und lässt Rutz seine Textauswahl zukommen: „Hier mein erster Text-Vorschlag; er könnte auch der letzte sein […].“65 Dazu schreibt er:

Beten ist ein zentrales „Nebenthema“, heißt die Veranstaltung im Untertitel doch „Vesper“. Es ist wichtig, dass Beten als Problem, das es ist, in den Raum gestellt wird: nicht gesprochen aber auch nicht breitgedichtet. Daher mein Vorschlag, zum Programm: Silja Walter soll den Abend – tonangebend – mit ihrem Gedicht Oration (Die Fähre, S. 83) eröffnen, dann Orgel, die große Einstimmung in den Abend; dann Ihre Begrüßung mit dem Anschlagen der Themen Exodus und Hinwendung, oder Verlassen und Verlass, worauf Maria Becker das erste Walter-Gedicht lesen soll. […] Das wäre meine Sicht, Sie sind Initiator und Gastgeber, Sie haben das letzte Wort. Vor allem erwarte ich Ihre Stellungnahme zu meiner Textauswahl.66

Elazar Benyoëtz bittet Rutz seine herzlichen Grüße an Silja Walter auszurichten, er selbst mag sie „in ihrer schöpferischen Phase nicht unterbrechen“.67

Silja Walter reagiert auf die Lesungstexte von Benyoëtz, die ihr vermutlich Paul Rutz zukommen ließ, am 24. März 2003 in einem Brief an Elazar Benyoëtz. Sie bringt darin zum Ausdruck, dass sie sich Gedanken darüber macht, wie sie neben ihrem Lesungs-Partner in Solothurn bestehen kann – und schreibt dabei erstmals seinen Künstlernamen richtig:

Sehr verehrter, lieber Herr Elazar Benyoëtz,

Nachdem ich Ihr Konzept angeschaut, hineingeschaut, angelesen und durchgelesen habe, stand ich erst einmal still vor mir selber. Ich maß Sie mit mir, und maß uns beide in der Kathedrale.

Wie geht es zusammen?

Herr Elazar, wir müssen ein kleines Haus bauen; ein gut durchdachtes Gesprächshaus aus Ihren Texten und meinen Texten, und vielleicht bedarf es einer Treppe, die das Erdgeschoss SW mit den oberen Stockwerken EB verbindet.68

Silja Walter schickt nun ihrerseits ein Lesungs-Konzept, den, wie sie es nennt, „Grundriss“ dieses „Gesprächshauses“.69

Warum ist dieser Brief ein Wendepunkt im Prozess der Vorbereitung? Silja Walter scheint sich erstmals ernsthaft und intensiv mit Elazar Benyoëtz’ Texten und der nahenden Lesung in der St. Ursen-Kathedrale auseinandergesetzt zu haben. Sie versetzt sich gedanklich an den Ort des Ereignisses, liefert nun ein eigenes Konzept, verteilt auf drei Stimmen. Elazar Benyoëtz hat sie überzeugt. Silja Walter nimmt die Unterschiede zwischen ihnen wahr und die Herausforderung zur Ebenbürtigkeit an, statt sich im Vergleich zum israelischen Dichter „inferior“ zu fühlen. Denn die von ihr im Brief verwendeten räumlichen Kategorien von ‚unten‘ und ‚oben‘ sind keine des Ranges oder der Qualität, sondern sie beschreiben je unterschiedliche Weisen des Schreibens: näher am Leben und der eigenen religiösen Erfahrung (SW) bzw. vom biblischen Text mehr abstrahierend ins allgemein Menschliche und hin zur Gottesfrage (EB). Deshalb kann Silja Walter am Ende des Briefes an ihren Duo-Partner ganz entspannt die Worte richten:

Schreiben Sie mir doch in einem Brief, was Sie davon halten, der Grundriss ist hier auf dem Blatt skizziert.

Ihre Texte, meine Texte, gibt das nicht ein schönes Haus voll Musik?

Herzlich und voll Vertrauen grüsst Sie Ihre

Schwester Hedwig Silja Walter70

Elazar Benyoëtz’ Antwortbrief vom 1. April 2003 klingt dementsprechend gelassener als die Briefe zuvor und nimmt zustimmend das Bild vom gemeinsamen Haus der Lesung auf: „Dank für Fax, Vertrauen und Vorschlag. / Vor allem freut es mich, dass nun alles Wort und Stimme wird; alle Stimmen werden wortbetaut, das Haus, das Sie für uns bauen, kommt selbst zum Klingen.“71

Dennoch scheint das Konzept der Lesung für ihn doch noch nicht endgültig zu sein, wenn er am Ende schreibt: „Noch ist alles offen, bis Ende des Monats muss das Haus stehen und die eine Stunde sich dem Glockenschlag unterstellen.“72 Die neue Leichtigkeit äußert sich in zwei Texten, die er am 1. und 3. April für Silja Walter aufschreibt. Er nennt sie beide Male „Morgengruß für Schwester Hedwig“. Der erste „Morgengruß“ beginnt mit den Worten: „Das aufsteigende Frühlicht / betet mir vor // Ich wachse mit dem Beten / ins Gebet“; der zweite mit den Zeilen: „Die Schlüssel sind dir gegeben, / Die Tore muss du selber finden“73.

Schwester Hedwig ist von den an sie gerichteten literarischen Texten sehr angetan: „Was für ein Morgengruss!“74, schreibt sie am 3. April 2003 und nennt Benyoëtz’ Gruß „Gebet der Erfahrung“75, ihn selbst, „von Gott begnadet“76. „Werden Sie diese Gebetserfahrungen in unserm Haus in der Kathedrale sprechen?“,77 möchte sie wissen. Diesmal ist sie diejenige, die Benyoëtz’ genauen „Bauplan“ der Lesung erfahren möchte und ihrerseits bereit ist, ihre eigenen Texte dort einzupassen: „Ich bin sehr glücklich über unsere Zusammenarbeit. Sobald ich Ihren Plan habe, werde ich Ihnen schreiben, wie ich das Haus sehe. Natürlich müssen Sie mitbauen, Ich allein doch nicht.“78

Das Bild ihrer Duo-Lesung als ein gemeinsam erbautes und bewohntes Haus in der Kathedrale scheint einen Knoten in der Verständigung von Silja Walter und Elazar Benyoëtz gelöst zu haben. Ihre gemeinsame und ihre je eigene Präsenz wird den Raum schaffen, in dem Dichtung, Stimmen und Orgelmusik polyphon zusammenklingen werden. Das ist jedenfalls die neue Vision, der sich gerade auch Silja Walter freudig anschließen kann.

Ist damit jetzt der Prozess der Vorbereitung in die Schlusskurve gelangt? Von Elazar Benyoëtz kommt am 4. April 2003 ein Brief an Silja Walter, aus dem ersichtlich wird, dass der Endstand der Planung noch nicht erreicht ist. Doch scheint das Benyoëtz nun nicht mehr zu beunruhigen. Er schreibt in neuer Einigkeit mit seiner Lesungs-Partnerin: „Aber wie auch immer – das wissen wir schon: es wird unser Haus sein, vielstimmig und stimmig; es genügt ja, wenn unsere Texte gut sind und wir neben- und zueinander stehen […].“79 Und Jahre später, am 12. Oktober 2017, als er ihren Briefwechsel für den Band Was sich ereignet, findet nicht statt wieder liest, schreibt er an Hans-Jürg Stefan, neben Rutz der Herausgeber des Bandes: „… bin eben fertig mit der Brieflektüre, es ist eine wirkliche Geschichte um eine Lesung herum, und sie klingt ganz unmerklich zart als Liebesgeschichte aus.“80 Ein „weiter Weg“81 sei es gewesen, aber „kein vergeblicher“82.

3 Die Begegnung im Kloster Fahr vor der Lesung

Elazar Benyoëtz berichtet von dieser positiven Entwicklung der Vorbereitung rückblickend in seiner Festgabe zu Silja Walters 90. Geburtstag:

So trat nach und nach Vertrauen zwischen uns ein, und mehr und mehr gingen die Faxe aus dem Kloster Fahr direkt an meine Klause in der Gat-Str. 8, Jerusalem.

Ich könnte sagen, eine Entkrampfung fand statt, die Sprache löste sich, wurde freundlich, bald offen, fast zugeneigt, mein Name bekam auch endlich Gesicht und Klang […]. Endlich stand das Programm fest, wir waren auf die Aufführung vorbereitet, noch nicht aufeinander.83

Die „Vorbereitung aufeinander“ – sie fand statt bei der ersten Begegnung von Elazar Benyoëtz und Silja Walter im Kloster Fahr, einige Tage vor dem Lesungstermin in Solothurn.84 Es ist eine kleine Delegation, die gemeinsam zum Kloster anreist: Paul Rutz als Gastgeber der Lesung, Elazar Benyoëtz in Begleitung seiner Frau Renée Koppel/Metavel. Sie treffen Silja Walter am Zielort ihrer Berufung und ihres Ordensalltags. Dies ist nicht nur ein räumliches Entgegenkommen, sondern auch ein Zeichen von Offenheit und Wertschätzung, der Ordensfrau Sr. Hedwig am Ort ihres Lebens, Glaubens und Schreibens zu begegnen, ihre Welt kennenzulernen und zu würdigen. Ihr Aufeinandertreffen im Kloster Fahr wird in der Schilderung von Benyoëtz aus dem Jahr 2009 wieder lebendig: „Schwester Hedwig kam uns schwebend entgegen, die ersten Hemmungen waren rasch überwunden, es folgten zwei denkwürdige Stunden des Gesprächs und der Kunstbetrachtung.“85 Von einer derartigen Erfahrung bei einem ersten Treffen mit Silja Walter im Sprechzimmer des Klosters (in den 1980er-Jahren) berichtet auch ihre Verlegerin Elisabeth Raabe sehr anschaulich:

Die Tür öffnet sich, und beinahe schwebend betritt sie das Zimmer: Schwester Maria Hedwig OSB. Eine helle, fast singende Stimme, prüfende und zugleich fröhliche Augen in einem schmalen, jugendlich wirkenden Gesicht. Wie weggewischt sind Fremdheit, Unsicherheit. Schon sind wir mitten in einem für Autorin und Verlegerin typischen Gespräch, Fragen zur Ausstattung, Auflagenhöhe. Ich merke sofort, da sitzt mir eine Frau gegenüber, die, obwohl sie in Klausur lebt, die Welt draußen, vor den Klostermauern, ihre Mechanismen, ihre Schwierigkeiten kennt, die zuhört und einordnet, konzentriert und hellhörig, die aufnimmt und zurückgibt: einen Augenblick der Ruhe, der einsichtigen Fernsicht in das andere, das eigene innere Erleben und Wahrnehmen, in eine andere Fröhlichkeit. Und als setze eine Stimme den notwendigen Schlußpunkt des Gesprächs, erhebt sich Silja Walter, genau nach einer Stunde, verabschiedet sich lächelnd und verschwindet leichtfüßig wie ein junges Mädchen […].86

Mit seiner Frau, der Künstlerin Metavel findet Silja Walter sofort zu einem „herzlichen Einvernehmen“,87 so Benyoëtz: Silja Walter, die selbst auch malte, zeigte sich begeistert von Metavels Miniaturenmalereien zum biblischen Hohelied88, Metavel wiederum konnte sich in die französische Ausgabe des Gesprächs zwischen Silja Walter und ihrem Bruder Otto vertiefen, die ihr wohl Silja Walter gezeigt hatte. Silja Walter war empfänglich für Renée Koppels Liebenswürdigkeit und Zugewandtheit und beantwortete sie freudig mit gleicher Offenheit. In einem Tagebuch-Notat von Benyoëtz aus dieser Zeit heißt es über seine Frau, dass sie „so verständnisvoll und schön, wie eine große Schwester“89 zu Silja Walter gesprochen hätte, und er notiert am gleichen Tag, den 27. Mai 2003, was ihm von dem Gespräch mit Silja Walter in Erinnerung geblieben war: dass sie seinen Namen endlich richtig aussprechen konnte – „er geht über meine Lippen wie die Tauben über die Dächer Jerusalems“90, soll sie gesagt haben. Und als sie seinen Namen nannte, klang es „so schön, wie Jetzt und Du“91 – mit diesen Worten „Jetzt / Und / DU“ endet auch Elazar Benyoëtz’ Gedicht „Augenglücklich“ aus seinem Band Finden macht das Suchen leichter (2004)92, den er seinem verstorbenen Vater Yoetz Gottlieb Koppel (Wiesen 1897 – Tel Aviv 1943) widmete.93 Silja Walter bekannte ihm gegenüber auch ihre „Angst“ (wovor, wird nicht erläutert), „nun sei sie aber glücklich, und sie hoffe, mit mir auch nach der Aufführung die Beziehung fortzusetzen – wenn meine Frau nichts dagegen hätte.“94 Auch von Benyoëtz’ Buch Finden macht das Suchen leichter zeigte sich Silja Walter begeistert: „genau meine Lage: Ich habe Gott gefunden und nun suche ich ihn.“95

Es sind intensive Momente, die Benyoëtz in seinen Tagebuch-Aufzeichnungen vom 27. Mai 2003 in der Festgabe für Silja Walter 2009 wiedergibt: dass Silja Walter, die seit vierzig Jahren keine Bücher mehr richtig lesen würde, nur die Bibel, sich begeistert von seinem Buch Der Mensch besteht von Fall zu Fall (2002) zeigte. Nach langem Zögern hätte sie es doch gelesen: „der letzte Abschnitt über den Glauben hat’s ihr angetan“96, notierte Benyoëtz nach der Begegnung im Kloster Fahr. Es berührt ihn sehr, dass sie in seinem Buch zunächst ein Gedicht von seiner Mutter Else Gottlieb (1909–2001) angestrichen hatte und es sogar laut vorlas, „außer sich und mit Feuer“. Es lautet: „Ich spreche im Nebel, / nicht aus dem Schlaf: / Gott reißt mir den Tod / aus dem Leib“. Else Gottlieb hatte diese Zeilen am 6. Juni 2001 geschrieben;97 Benyoëtz hatte den Aphorismen-Band seiner verstorbenen Mutter gewidmet.98 Mit dem eindringlichen, intensiven Ton von Silja Walters Gedichten im Ohr ist deren Begeisterung für Else Gottliebs Text sehr nachvollziehbar.

Sich daran zu erinnern, wie Silja Walter das Gedicht der toten Mutter leidenschaftlich vorlas, löste bei Benyoëtz schmerzhafte Gefühle aus. Von dieser Trauer schrieb er in seinem Tagebuch am 27. Mai 2003:

Und wieder der Gedanke, dass meine Mutter nicht mehr da ist, und dass ich mich ans Unwiederbringliche gewöhne, denkend, ich habe die Stunde ihres Todes noch nicht erreicht, obwohl mir alle Bilder klar vor Augen stehen.

Alles in eine Abschiedsstunde gehüllt.

Meine Blicke fallen wie Tränen aus meinen Augen.99

In dieser Herzens-Begegnung im Kloster Fahr entstand zwischen allen Beteiligten eine unverhoffte innere Verbundenheit.100 Mit Paul Rutz als „Schirmherr“ ihrer Zusammenkunft war es die Begegnung dreier Künstler: Jede und jeder von ihnen führte für die kreative Existenz einen anderen Namen neben dem bürgerlichen bzw. Ordensnamen. Das Künstlerische war die „Schnittmenge“ jenseits von Religion und Herkunft, die das Band zwischen ihnen knüpfte. Und dass diese Kunst von der Schrift der Bibel seine Inspiration her empfängt, tat ein Übriges, sich einander nahe zu fühlen. Renée Koppel/Metavel war dabei mehr als nur die Begleiterin ihres Mannes: Sie war das Bindeglied zwischen Elazar Benyoëtz und Silja Walter, das „Zaubermittel“. Elazar Benyoëtz wird um diese Wirkung gewusst und auf sie vertraut haben.

4 Das Ereignis: die Lesung in der St. Ursen-Kathedrale, 1. Juni 2003

Die Benediktinerin aus dem Kloster Fahr und die Medien – unter diesem Leitgedanken erinnert sich Silja Walter in ihrer Glaubensbiographie von 2009 an die Lesung in Solothurn:

Und kurz zuvor [vor einem Interview und einer Lesung von „Keine Messgebete“ in der Einsiedler Klosterkirche – „auch unter blitzender Kamera“ –] hatte ich im Rahmen der Solothurner Literaturtage in der wunderschön mit weiß-gelben Flaggen geschmückten St. Ursen-Kathedrale zusammen mit Maria Becker und dem jüdischen Aphoristiker Elazar B., mit Gedichten live aufzutreten, auch da Kamera und Presse.101

Die Dokumentation des Ereignisses, die Lesung zum Abschluss der Solothurner Literaturtage in der St. Ursen-Kathedrale, mit dem Titel „Finden macht das Suchen leichter. Moderne Vesper“, nennt als Mitwirkende: „Autoren / Sprechende: Silja Walter / Sr. M. Hedwig OSB, Kloster Fahr; Elazar Benyoëtz, Jerusalem; Rezitation: Maria Becker, Zürich; an der Orgel: Evelyn Grandy; Begrüßung: Stadtpfarrer Paul Rutz und Dr. Ulrike Wolitz.“102

Die beiden letzten Gedichte von Elazar Benyoëtz, „Schlußgespräch“, – Maria Becker liest den ersten Teil, Elazar Benyoëtz den zweiten – und von Silja Walter, „Ich habe den Himmel / gegessen“, – von ihr selbst vorgetragen – gehören meiner Einschätzung nach zu den stärksten und persönlichsten Texten der Lesung. Für die Zuhörenden waren sie vermutlich am meisten irritierend und rätselhaft, falls sie das beim ersten Hören haben aufnehmen können. Dazu später mehr. Zunächst soll der „Bauplan“ der Lesung in den Blick genommen werden, verbunden mit der Frage, was von den ursprünglichen Planungen in die Endfassung der „Modernen Vesper“ eingegangen ist und ob der Wunsch von Silja Walter und Elazar Benyoëtz sich erfüllt hat: mit ihrer Textauswahl und Darbietung – gemeinsam mit der Schauspielerin Maria Becker – ihr eigenes „kleines Haus“ in der Kathedrale gebaut zu haben, „vielstimmig und stimmig“.103

Was sich über die ganzen Planungen hin erhalten hat, ist der „Abraham“-Text von Benyoëtz, aus dem er in der Lesung verschiedene Abschnitte selbst vorliest oder von Maria Becker vortragen lässt; außerdem hat Silja Walter, wie geplant, das erste Wort der Lesung und das letzte. Dafür beginnt Benyoëtz den zweiten und dritten Lesungsteil nach den Orgel-Zwischenspielen. Ebenso ist seine Intention eingelöst worden, dass Silja Walter mit ihrem Glaubensweg zur Sprache kommt durch persönliche Erinnerungen und ihr dichterisches Credo, während Benyoëtz selbst Glaubensgehorsam und das Motiv des Aufbruchs an den biblischen Abraham bindet. Ebenso werden damit die Leitthemen „Glaube / Glauben“ und „Beten / Gebet“ auf vielstimmige Weise – inhaltlich und verteilt auf die drei Rezitatoren – zwischen Zweifel und Zuversicht durchdekliniert. Auch Benyoëtz’ Wunsch-Gedicht von Silja Walter, „Von frühem Morgen an“104, wird von der Autorin selbst gegen Ende des zweiten Lesungsteils vorgetragen; daran nahtlos schließt sie ein Gedicht an, das sie im Briefwechsel mit Benyoëtz selbst für die Lesung ausgewählt hatte: „Und ich singe sing“.105 Beide Gedichte drücken jubelnde Gottesgewissheit aus und wurden erstveröffentlicht in ihrem dem Bruder gewidmeten Gedichtband Die Feuertaube (1985). Einen Text über das Judentum aus eigener Erfahrung, von dem während der Vorbereitung die Rede war, hat Silja Walter jedoch nicht geschrieben.

Das „Haus“, das in der Kathedrale gebaut werden sollte, es zielte auf Wirkung und Überzeugungskraft der Texte bei der Zuhörerschaft, aufgebaut durch Stimme und Präsenz der Vortragenden. Dies ist bestimmt gelungen. Als ich die Texte der „Modernen Vesper“ las und sah, wie sie auf die drei Sprecher verteilt wurden, hatte ich eine andere Assoziation: Ich hatte die Vorstellung einer dauernden Wellenbewegung im Kirchenschiff: Gebet und Anrufung, Aufbruch und Heimkommen, wie die in den Texten vorgetragenen Gezeiten des Glaubens und Unglaubens, des Glaubenszweifelns und der Glaubenstreue: ein Auf und Ab wie die Tonfärbungen der beteiligten Stimmen. Die sonore Stimme von Benyoëtz, die dunkle Frauenstimme Maria Beckers, die helle, singende Stimme von Silja Walter sprachen kurze und lange Texte: Prosa, Aphorismen, Gedichte, Gedanken, Gebete – und dazwischen das Brausen der Orgel. Vielleicht ist damit kein „Haus“ geschaffen worden, aber ein auf den Wellen der Worte schwimmendes Zuhause, auf dem Gott – die „teure Last“ – an Bord geholt wurde wie in dem ältesten deutschsprachigen Choral „Es kommt ein Schiff, geladen“, in biblischer Erinnerung an die rettende Arche Noah.

Wie kam es dazu, dass die „Moderne Vesper“ nicht mit dem „Amen“ aus Silja Walters Gedicht „Ite missa est“106 endete, sondern mit der letzten Zeile eines anderen Gedichts von ihr, die lautet: „nach Hause“?107 In „Ite missa est“ ging es um den Aufbruch im Irdischen. Im letzten, schließlich ausgewählten Gedicht der Lesung in der St. Ursen-Kathedrale, „Ich habe den Himmel“, um das Aufbrechen in eine andere Welt. Die „Moderne Vesper“ mit Silja Walter, Elazar Benyoëtz, Maria Becker und Evelyn Grandy an der Orgel ist auf jeden Fall „vielstimmig“ zu nennen. Aber war sie auch „stimmig“? Wobei zunächst zu klären wäre, was „Stimmigkeit“ ausmacht: War sie ein harmonisches Ganzes? Oder der authentische Ausdruck zweier sehr unterschiedlicher Dichterpersönlichkeiten? Das Unerwartete und Geheimnisvolle ereignete sich im Schluss – als ein überraschendes Konvergieren: zwei Stimmen finden zueinander. Nie waren sich Elazar Benyoëtz und Silja Walter dichterisch näher als in ihren beiden Schluss-Gedichten (oder Schluss-Gebeten?). Das wird noch deutlicher, wenn man sie nebeneinanderstellt, Seite an Seite:

Schlußgespräch

Noch führst du große Reden,
bald stehst du im Wort,
allein

Bald ist das Wort,
in dem allein du stehst,
in deinen Augen zu lesen

Du bist mein Anfang an jedem Ende,
und möchte es das bitterste sein;
deiner gedenkend
beginne ich täglich
von vorn

Alles habe ich hinter mir,
die Hoffnung eingeschlossen;
es ist vollbracht,
ich bin dir
zugetan

(EB)

Ich habe den Himmel
gegessen
in meinen Zellen nistet
sich Ewigkeit
ein
Die Stadt weicht mir aus
auf dem Gehsteig
und keines der Boote
nimmt mich mehr
mit
Nur mein Engel
fürchtet die Ansteckung
nicht
Meinen lumpigen
ausgetretenen Tod an den
Füßen
geh ich über das Wasser
nach Hause

(SW)

Mit Elazar Benyoëtz’ „Schlußgespräch“108 endet ebenso sein dem früh verstorbenen Vater gewidmeter Band Finden macht das Suchen leichter. Silja Walters Schlusswort der „Modernen Vesper“, ihr Gedicht „Ich habe den Himmel“, ist aus dem ihrem Bruder Otto noch zu Lebzeiten gewidmeten Band Die Feuertaube.109 Es sind beides irritierende, widersprüchliche Texte, mit ungewöhnlichen, auch paradoxen Formulierungen für existenzielle Lebenssituationen und Sterbestunden. Benyoëtz’ „Schlußgespräch“ – ist es Selbstgespräch im ersten Teil, den in Solothurn Maria Becker gelesen hatte, und im zweiten, mit der deutlicheren Du-Ansprache, die konkrete Anrede an ein Gegenüber?

Benyoëtz’ „Schlußgespräch“ atmet ein Ankommen im Abschied – von einer geliebten Person oder in den eigenen Tod hinein. Große Reden führen: auf Wirkung und Anerkennung in der Öffentlichkeit bedacht sein; im Wort stehen, allein: da muss sich bewähren und auch ereignen, was vormals vollmundig behauptet und in klingende Worte gefasst worden war. Es ist auch die Heilige Schrift selbst und Gottes Gegenwart, die im „Wort“ sich vereinigt und das Du (als Selbstansprache oder dialogische Anrede) zur existenziellen Selbstbefragung führt. Eine Existenzumwandlung der Person wird angekündigt, steht nicht mehr zur freien Gestaltung zur Verfügung, sondern ist in der Person (im Du oder Ich) selbst eingeschrieben, Körper geworden, „in deinen Augen zu lesen“. Eine Gottesschau nicht in der Schrift der Bibel, sondern in der gelebten Existenz eines Menschen. Der Mensch ist Gottesschrift geworden, angesichts des Abschieds (voneinander) und des Todes, eines Endens. „Du bist mein Anfang an jedem Ende“ kann in diesem Zusammenhang nicht mehr Selbstansprache sein. Es ist ein ewig geliebtes Du (verstorben wie Vater und Mutter oder Gottes Anrede), das wirkmächtig einen Anfang an jedem Ende freisetzt. Der Sprechende scheint diese Stunde des Abschieds und der Endgültigkeit schon erreicht zu haben, sodass bereits die „Hoffnung“ hinter ihm liegt. Was aber liegt jenseits der Hoffnung? Die Erfüllung, schon jetzt: „es ist vollbracht, / ich bin dir / zugetan“, endet das „Schlußgespräch“ als eine abgründige Erklärung von Liebe und Treue. Du und Ich sind wieder beieinander, vereint.

Auch Silja Walters Gedicht bespricht End-Gültigkeit: Der Text setzt unmittelbar ein mit einer drastischen Selbstaussage: „Ich habe den Himmel gegessen“. Da hat nicht nur jemand vom Paradies gekostet – in seltenen glücklichen, erfüllten Momenten der Liebe, Freundschaft, eines Gelingens. Da hat sich auch nicht eine auf die Suche gemacht nach „einem kleinen bisschen Glück“, nach „ein bisschen Seligkeit“, wie im bekannten Lied „Irgendwo auf der Welt“ von 1932 aus dem Ufa-Film „Der blonde Traum“. Und das Ich aus Silja Walters Gedicht hat sich mit einem „Bißchen“ auch nicht zufriedengegeben: Den Himmel essen, das scheint eine große Ration gewesen zu sein, einmalig oder dauerhaft. Wir erfahren auch nichts von einer früheren Suchbewegung nach einem „Stück Himmel“ im irdischen Glück. Die Einverleibung des Himmels ist geschehen und davon gibt das Gedicht Zeugnis: „in meinen Zellen nistet / sich Ewigkeit / ein“. Und diese „Gottes-Infektion“ führt jedoch nicht zu irdischem Glück und Anerkennung. Im Gegenteil: „Die Stadt weicht mir aus / auf dem Gehsteig“. Die Gottes-Infizierte wird im Alltag gemieden, ja ausgegrenzt: Man hat Angst vor einer Infektion in der Begegnung mit ihr. Die „Stadt“ fungiert hier als Platzhalterin für menschliche Selbstermächtigung freier Bürger, ihrem geschäftigen Treiben und Getriebensein, auf irdische Ziele gerichtet.110 Würde die Bewusstwerdung menschlicher Sterblichkeit und Endlichkeit nur verstören? Dass da noch etwas Anderes ist, das Gegenwart und Raum einnehmen will, sich ausbreiten? Auch eine Flucht vor solcherart Diskriminierung scheint nicht mehr möglich: „und keines der Boote / nimmt mich mehr / mit“. Einziger Gefährte des Ichs ist „mein Engel“, der die Sprechende wie eine Lepra-Aussätzige begleitet, die Gottes-Ansteckung nicht fürchtend. Und so den Mut zum nächsten Schritt an der Grenze zweier Lebensbereiche freisetzt: „Meinen lumpigen / ausgetretenen Tod an den / Füßen / geh ich über das Wasser / nach Hause“. Aufbrechen in Richtung eines Zuhauses, das auf keiner Land- oder Seekarte zu orten wäre.

Haben die Zuhörerinnen und Zuhörer in der St. Ursen-Kathedrale das Skandalon der Schlusstexte der Lesung hören können, der Irritation nachgehen, dass sowohl Elazar Benyoëtz als auch Silja Walter Anklänge an Evangelientexte über Jesus von Nazareth auf unerwartete Weise in den letzten Zeilen ihrer Texte eingefügt haben? Das „Consummatum est!“, die letzten Worte Jesu am Kreuz nach dem Johannes-Evangelium (19,30), „Es ist vollbracht!111, zitiert Benyoëtz am Ende von „Schlußgespräch“. Silja Walters Gedicht spielt beim Gang über das Wasser auf Jesu Seewandel an (Mk 6,45–52; par: Mt 14,22–33; Joh 16–21), wo Jesus, um den Jüngern im Boot bei einem Sturm auf dem See Genezareth zu Hilfe zu kommen, über das Wasser geht, und Petrus, der von Jesus aufgefordert wird, zu ihm zu kommen, in dem Moment versinkt, wo Angst und Zweifel ihn packen. Das Ich aus Silja Walters Gedicht hat die Wirkmächtigkeit Gottes bereits am eigenen Leib erfahren, sie hat „den Himmel gegessen“, ist schon in die göttliche Sphäre eingetreten, wo Vertrauen über das Wasser trägt, „nach Hause“.

Beide Gedichte sind abgründige, persönliche Beziehungsgeschichten von Gott und Mensch als existenziell erfahrene Trennungsgeschichten: Abschied von einem geliebten Menschen oder der eigenen Lebenszeit („Schlußgespräch“), erlittene Separation von der Welt in Ausgrenzung und ängstlicher Abwehr („Ich habe den Himmel“), die am Ende in Form eines unvermittelten „Umschlags“ in den Texten zu einer überraschenden Vollendung streben und führen: im Ankommen bei Gott und unbedingter Liebe und Treue. So paradox wie der Ausspruch von Silja Walter bei der Begegnung im Kloster Fahr: „Ich habe Gott gefunden und nun suche ich ihn.“112

5 Silja Walters „Gomer“ – Sr. Hedwigs Entdeckung der jüdischen Bibel. Eine Heimkehr ins Wort

Die Lesung war vorbei, das gemeinsame Ereignis – trennten sich daraufhin wieder ihre Wege? Silja Walter und Elazar Benyoëtz blieben auch nach ihrer Lesung in Solothurn 2003 in Verbindung. Die Benediktinerin veröffentlichte im Jahr 2005 die Betrachtung Regel und Ring über ihre Ordensregel; es ist ihre Antwort auf die Aufgabe der neuen Priorin Irene Gassmann an ihre Mitschwestern, ihren Vorstellungen über Berufung und Ordensleben nachzugehen. Elazar Benyoëtz zeigt sich an ihrem neuen Werk interessiert, er denkt mit und gibt Silja Walter sogar Impulse aus biblischer Sicht, die ihr bei ihrem Projekt neue Perspektiven eröffnen.113 Silja Walter berichtet über ein Telefonat mit „Rabbi Elazar“114 in Regel und Ring:

Heute morgen ruft Elazar Benyoëtz aus Jerusalem an. […] Elazar Benyoëtz kennt mich von den Solothurner Literatur-Tagen her, wo wir in der Kathedrale zu lesen hatten.

Anruf aus Jerusalem, während die Panzer durch die Strassen rollen. – Elazar Benyoëtz ist ein moderner Israeli und ein Prophet aus dem ersten Testament. Ich habe ihm von meiner Absicht, den Ring der Verlobung von uns Frauen vom Fahr mit Jesus Christus in der Regel zu suchen, erzählt. Er kennt das Selbstverständnis der Nonne, die sich als Gomer entdeckt. Er liest eben meinen „Tanz des Gehorsams“. Die Projektion „Nonne Gomer“ scheint ihn zu überzeugen.

„Wir sind auch Sulamith“, sage ich. „Ja ja, Nonnen sind allerlei.“

Elazar Benyoëtz lacht: „Ich staune, wie Sie diese Sache mit der Gomer schaffen.“115

Worauf Silja Walter antwortet: „Das schaffen wir nicht, was wir finden, wird uns geschenkt“ – eine Antwort, die Benyoëtz gefällt, geht sie doch in die Richtung seines eigenen Denkens in Gegensätzen. Er möchte unbedingt wissen, wie ihr Buch weitergeht; sie möchte ihm doch mehr darüber schreiben. Silja Walter gibt den kurzen Dialog wieder: „Im November?“ – „Im November, sehr gut.“116 Über diese Art Telefongespräche schreibt Elazar Benyoëtz:

Über Gomer habe ich mit Silja öfter telefoniert, mich vergewissernd, ich spräche auch wirklich mit Gomer. Und immer hatte sie mir das bestätigt und mit einer Leidenschaft, die über den Buchdeckel stieg, als wärs die Klostermauer.

Ich kann nicht umhin, ich liebte Gomer. Das war die Zeit, in der wir einander nahe kamen und auch nah waren. Ich habe fast jede Woche im Kloster angerufen, und sie wird auf meinen Anruf gewartet haben. Das waren goldige Momente in meinem hebräischen Alltag.117

Silja Walters frühe Gedichte, so äußerte sich Benyoëtz in der Festgabe zu Silja Walters 90. Geburtstag, hätte er geliebt; das Buch jedoch, dem seine Liebe aktuell gelte, sei Der Tanz des Gehorsams oder Die Strohmatte (1970):118 „Ein Buch, in seiner Einfachheit und Kühnheit gleich echt, in Aufschluss und Einsicht gleich hell.“119 Besonders hatte es ihm die, wie Silja Walter es nennt, „Projektion ‚Nonne Gomer‘“ angetan:

Alles Für des Buches ist eindeutig, aber es enthält auch das Wider, und dieses gilt der früheren Dichtung. Auch im Blick darauf, und nicht nur als Nonne, ist sie Gomer, „die Tochter Diblajims“ (Hosea 1,1–3). „Eine Nonne ist immer Gomer“, aber Nonne muss man erst werden, ist man Nonne geworden, dann war man schon immer Gomer gewesen.

Klein hingesprochen, ist es die große Erkenntnis. Eine Nonne kann nicht anders, als immer Gomer gewesen zu sein, gespalten zwischen Ursprung und Ziel, denn freilich „kehrt eine Nonne immer heim“, Gomer aber ist vor allem eine heimentlaufene.120

Über die Entdeckung der biblischen Gomer, die Entstehung des Buches Der Tanz des Gehorsams oder Die Strohmatte und seine Grundidee berichtet Silja Walter in ihrer Glaubensbiographie Das dreifarbene Meer:

Es war eines Morgens während der Meditation. Ich kniete mit meiner Bibel vorne am Chorgitter und stieß beim Blättern auf das Buch des Propheten Hosea und seine Schicksals-Geschichte mit der von Gott ihm angelasteten Kultdirne Gomer, des Zöllners Diblajims Tochter. Der Prophet sollte sie, zeichenhaft für Israels Abfall von Jahwe, seinem Gemahl, als eine ihm zum vorneherein davonlaufende Frau heiraten.121

Silja Walter nennt die biblische Geschichte um Gomer, auf die sie eher zufällig stieß, und überhaupt die Entdeckung des Ersten Testaments ein „entscheidendes Geschenk“ ihrer Klosterzeit im Fahr. Bis zu ihrem Eintritt kannte sie nur das Zweite Testament und daraus auch nur die Lesungen aus den Evangelien gemäß dem Kirchenjahr. Zum ersten Mal besaß sie eine vollständige Bibel: Sie entdeckte nicht nur ganz neu die Geschichten des Ersten Testaments, sondern sich selbst in der symbolischen Gestalt Gomers: „Ich selber war Gomer. Davongelaufen meinem Gott, von ihm in die Wüste ‚Kloster‘ geführt, in das Gehege der Klausur, um nun im Fahr zu ihm heimzukehren.“122

Dieser Gedankengang ist schwer nachvollziehbar: Wieso ist Silja Walter Gott davongelaufen? War sie nicht gerade erst nach vielversprechenden Anfängen als junge Dichterin und jahrelangem Sträuben, dem Ruf Gottes zu folgen – sie nennt es „Gottesangst“123 –, in ein Kloster eingetreten? Auch darüber liest man in ihrer Glaubensbiographie: Mit dem Klostereintritt war sie keinesfalls, wie sie zunächst dachte, am Ziel der Reise angekommen und dem Ruf Gottes bereits gefolgt. Silja Walter war eingetreten, um sich als Postulantin, dann Novizin Sr. Hedwig in die Anwesenheit Gottes permanent zu versenken – ein großes Missverständnis: Denn ihre Aufnahme im Kloster Fahr am Passionssonntag 1948 bedeutete Eintritt in eine Gemeinschaft, bedeutete Regeln zu befolgen und nach einem bestimmten Rhythmus aus Arbeit, Lesung und Gebet zu leben. Darüber schreibt Silja Walter: „Rufer, da bin ich! Gleich nach dem Eintritt in die Klausur begann das andere Leben. Das Leben im Urteil und nach dem Willen vieler andern, der Priorin, der Gemeinschaft und der klösterlichen Observanz des Fahr. Nun begannen die Probleme.“124 In Regel und Ring wird sie noch deutlicher:

Ich war schon in meiner ersten klösterlichen Seinserfahrung mit mir durcheinandergeraten. Niemand sagte mir, diese anfängliche Verwirrung sei zu erwarten gewesen.

Was ich war, galt nicht mehr. Was ich jetzt zu sein hatte, konnte ich noch nicht definieren. Die Frage schien im Kloster niemanden zu beschäftigen.

Das reguläre Leben in der Klausur unter vorerst unbekannten, ins Schweigen und Verschweigen verpflichteten Frauen löschte mich aus.125

Dramatische Worte! Was hatte Silja Walter dem Kloster Fahr und den Mitschwestern zu bieten? Schreibmaschine schreiben, Geige spielen, als junge Dichterin bereits Erfolg haben und bekannt sein – das galt alles nichts, im Gegenteil. Und Silja Walters Ausdruckstanz bei einer Aufführung einer von ihr selbst geschriebenen „Tanz-Legende“ im Vortragshaus des Klosters Fahr ein Jahr vor ihrem Klostereintritt: das muss die damalige Priorin mehr als befremdet haben.

Silja Walter nannte diese Art Ernüchterung über ihren Ordensalltag „Wüste“. Sie schrieb: „Also Theater, Tanz, Gedichte, war das alles? Ich hatte mir nie überlegt, dass man im Fahr etwas ‚können‘ muss. Hatte gedacht, in einem geschlossenen Kloster geht es um Gott und sonst um nichts.“126 Sie sei schwierig einzuordnen gewesen, urteilt Silja Walter rückblickend, im Übrigen hätte auch niemand daran geglaubt, dass sie bleiben werde. Aber sie bleibt, will die Probe bestehen, hört nicht auf, heimlich zu tanzen und behält ihre Art einer poetischen Wahrnehmung der Welt und ihrer konkreten neuen Lebenssituation auch in der Klausur. Ihre Heimkehr zu Gott gestaltete sich als eine Heimkehr zur Literatur – und umgekehrt.

Silja Walter gewinnt eine neue, innere Freiheit. Die Entdeckung Gomers und die Deutung als ihr Alter Ego begreift Silja Walter als eine erfahrungsbezogene Glaubenserkenntnis. Sie erweist sich als rettender Gedanke und wird zu einem engagierten Projekt: Die junge Nonne scheut nicht die Auseinandersetzung mit dem Novizenmeister der Benediktinerabtei Einsiedeln, der monatlich den Schwestern im Fahr Vorträge über die Regel des Hl. Benedikt hält. Sr. Hedwigs Argumentation würde man heute „geschlechtersensibel“ nennen und ihr Vorgehen, „Selbstermächtigung“. Denn sie erklärt dem verblüfften Novizenmeister nachdrücklich, dass die Ordensfrauen bei ihrer Gottsuche andere Erfahrungen machen würden als die Ordensmänner im Kloster Einsiedeln.127 Die fast Neunzigjährige beschreibt anschaulich die damalige Ratlosigkeit des Benediktinerpaters und ihren eigenen glühenden Eifer, der anderen Lesart zum Ausdruck zu verhelfen:

Pater Johannes hörte erstaunt lächelnd zu. Es war wohl das erste Mal, dass eine Novizin vom Fahr seine Vorlesungen auf seine benediktinische Männlichkeit hin in Frage stellte. Er blieb freundlich, ging jedoch nicht auf meine „andere“ Perspektive einer Regelinterpretation ein. Er konnte mir ja nicht versprechen, seinen Kommentar auf meinen Protest hin „weiblicher“ zu gestalten. Das verstand ich zwar, lief aber erregt in meine Zelle mit dem Entschluss: „Dem zeig’ ich’s!“128

Silja Walter gibt an, die Gedichtzyklen des Bandes Der Tanz des Gehorsams oder Die Strohmatte innerhalb von zwei Wochen geschrieben zu haben – es sind 103 Gedichte, die sie acht Kapiteln zugeordnet hat – man kann also über diese geballte kreative Schaffenskraft nur staunen. Dazu schuf sie außerdem Illustrationen: abstrakte Kohlezeichnungen und Bilder in den Grundfarben Blau, Rot und Gelb. Die Auseinandersetzung mit der Gomer-Thematik wurde zur Kraftquelle, genau wie die poetische Umsetzung der benediktinischen Tagesstruktur (Arbeit, Lesung, Gebet) in Farbfelder (Blau, Gelb, Rot), die sich abwechseln wie die Streifen einer Strohmatte (daher der Titel), über die „Gomer“ immer selbstverständlicher und leichtfüßiger läuft.

So ungewöhnlich das Buch ist – Silja Walter hat mit ihm in und außerhalb des Klosters Erfolg: Zu einer eindrucksvollen Aufführung kam es in der Abtei Maria Laach, als Sr. Hedwig eingeladen wurde, bei einer Versammlung deutscher Benediktiner-Äbtissinnen aus ihrem Buch zu rezitieren, begleitet vom Ausdruckstanz einer Mitschwester zu moderner Musik. Die Erkenntnis, die Silja Walter nach dem grandiosen Erfolg ihrer Gomer-Gedichte formuliert, wird auch Elazar Benyoëtz für sie eingenommen haben. Sie schrieb:

Langsam wurde mir klar: Mit diesem Versuch, mich mit der symbolischen Gomer aus dem Buch des Propheten Hosea zu identifizieren und in ihrem Weg und Schicksal den geistlichen Weg einer Nonne zu entdecken, bin ich als Christin für immer in den biblischen, in den durch alle Zeiten dauernden Exodus der Menschheit hineingeholt.129

Elazar Benyoëtz’ Mitdenken bei ihrem aktuellen Buchprojekt über „Regel und Ring“ berührt Silja Walter sehr und auch seine Mitfreude, als sie ihm ihren Entschluss mitteilt, sich vom Getriebe der Welt mehr ins Schweigen zurückziehen zu wollen:

Seine Reaktion war erstaunlich. Er sang seine Freude geradezu, sang seine Freude über meine Freude aus dem fernen Israel herüber in meine Zelle im Fahr. / Ein bis vor ein paar Wochen mir fremder Jude fragt mitten im Krieg vor seinem Haus nach meinem Profeßring, meiner Regel. / Jerusalem – Fahr: Orte als Zeichen von „in Gott – ungetrennt“. Von Bund und Bund, letztlich ein einziger, einer, der immer gilt.130

Wie immer man zu Silja Walters Gomer-Gedanken steht und ob man ihn nachvollziehen kann – die Umsetzung in kraftvolle und phantasievolle Gedichte voller überraschender Bilder und Aussagen ist großartig. Und er bewirkte die Verankerung einer jungen Ordensfrau mit poetischer Wahrnehmung in den Lebensbereich der Klausur, der zunächst ungewohnt und fremd war. Darüber hinaus fand sie eine neue spirituelle Verankerung im Gottesbund mit Israel, wie im biblischen Hohelied der Liebe und im Ring, den Sr. Hedwig bei ihrer Profeß als Benediktinerin erhielt. Sie erlangte eine innere Freiheit als Sr. Hedwig und drückte sie als Silja Walter dichterisch aus – eine Transformation, die Elazar Benyoëtz sensibel wahrnahm, die ihn beeindruckte und die er anlässlich ihres 90. Geburtstags ausdrücklich würdigte. Benyoëtz amüsierte die Unbekümmertheit, mit der Silja Walter sich und ihre Mitschwestern, im Letzten alle Gott-Suchenden, mit der Kultdirne Gomer identifizierte,131 und er liebte den religiösen Ernst und die poetische Gestaltung, mit der sie diese Symbolik – beidesmal mit Leidenschaft – umsetzte. Benyoëtz, dessen Liebe zuerst ihrem Frühwerk galt, das Silja Walter schrieb, als sie noch nicht Sr. Hedwig war, hat mit den Gomer-Gedichten die Dichterin in der Ordensfrau wiedergefunden – das war sein Glück. Und Silja Walter entdeckt in Regel und Ring ihre Rückbindung als katholische Ordensfrau an den jüdischen Glauben: Sie trägt den Profeßring (am Mittelfinger ihrer linken Hand) als Zeichen der Erwählung Gottes, die in der Heilgeschichte mit Israel ihren Anfang genommen hatte: „Das bindet uns zurück bis in die Gottesgeschichte mit Israel.“132

6 Siljanusgesichtig – Gedenken an Silja Walter

Der 90. Geburtstag von Silja Walter am 23. April 2009 war noch einmal ein großes Ereignis. Silja Walter schrieb ihre Autobiographie Das dreifarbene Meer, vermutlich am Computer, den sie zum 80. Geburtstag geschenkt bekommen hatte.133 Elazar Benyoëtz beteiligte sich mit seinem Beitrag „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“ an der von Ulrike Wolitz herausgegebenen Festgabe Ozean Licht als einer von 50 Beiträgern, die als Künstler, Musiker, Dichter, Regisseure, Theologen, Ordensleute, Wissenschaftler, Literaturkenner und Freunde der schreibenden Benediktinerin im Kloster Fahr ihre Verbundenheit, Wertschätzung und Dankbarkeit ausdrückten.134 In seinem Festbeitrag vergleicht er Silja Walter mit der engagierten, deutsch-französischen Schriftstellerin Annette Kolb (1870–1967), mit der ihn eine der „schönsten Freundschaften seines Lebens“135 verbunden habe: „Mich nannte sie den wilden Hebräer, sich – meine sanfte christliche Schwester“136. Das sei sie aber keinesfalls gewesen, vielmehr eigensinnig und widerständig „gegen die Herren, die die Welt beherrschen“.137 Lange hätte er geglaubt, dass seine Erfahrungen mit Annette Kolb ihn Silja Walter näherbringen würden. Doch zwischen beiden Frauen gäbe es „einen grundlegenden Unterschied“:138 Annette Kolb hätte die „Weltverstrickung“139 gesucht, Silja Walter das Gegenteil. Sie folgte der Stromrichtung ins Kloster, „lief auch ein wie ein Boot in einen sicheren Hafen“140 und schuf dort ihr Werk: „Dieses Werk entstand nicht nur im Kloster, es ist ihr ganzes Klosterleben. Ob sie in Fahr, ob Fahr in ihr – es wäre eine reizvolle Facette von Überleben.“141 Warum der Vergleich mit Annette Kolb? Weil auch Silja Walter wusste, was sie wollte: „Wenn Gott, dann ganz!“, sagte sie in der SRF-Sendung Sternstunde Religion entschieden.142 Auch Silja Walter sei „keine sanfte“143, so Benyoëtz, und zeigte damit seine Bewunderung für eigensinnige, innerlich unabhängige Frauen, die für ihre Lebensentscheidung und ihr Lebenswerk selbstbewusst einstehen. Sie war das „Ringen“ wert, als er bei der Vorbereitung für Solothurn um sie warb: „Ich habe alle Sympathie für sie. Ich könnte sogar von Liebe sprechen.“144

Silja Walter starb an einem Montag, den 31. Januar 2011, in den frühen Morgenstunden 91-jährig im Kloster Fahr, wo sie über sechzig Jahre als Benediktinerin gelebt und gewirkt hatte. Am 7. Februar 2011 wurde sie beerdigt. Vier Monate, vom 18. September bis 20. Dezember 2010 führte sie ein letztes Tagebuch.145 Am 27. Mai 2011 schreibt Elazar Benyoëtz an Ulrike Wolitz:

Mein Buch liegt in den letzten Zügen, mein letztes Hauptwerk, es soll gleich in Satz gehen und zu meinem 75. Geburtstag erscheinen. Heute wollte ich den Schlussstrich darunter ziehen, da kam mir Silja Walter entgegen, von mir scheinbar etwas wollend. Ich folgte unschlüssig dem Wink und lege das Resultat bei. Es ist vielleicht nicht das letzte Wort, das letzte aber zu besprechende: Verstehen Sie das in meinem Sinne? Ist es klar, dass es – sinnvoll wie immer – nicht gegen den ursprünglichen Sinn gedeutet werden will, auch nicht gedeutet werden könnte?146

Worauf Benyoëtz in diesem Brief hinaus will: Er will Silja Walter ein Denkmal setzen, indem er ihr Gedicht „Vom frühen Morgen an“ in seinem gerade abgeschlossenen Buch Sandkronen hineinrufen will. Für den Abdruck braucht er das Einverständnis von Ulrike Wolitz. Benyoëtz ist sich bewusst, dass gerade dieses Gedicht, das den Juden Jesus meint, im Band eines Juden und israelischen Dichters als persönliche Aneignung, ja Vereinnahmung missverstanden werden könnte. Darauf geht er im Brief an Wolitz ein:

Es ist klar, wer ihr „armer Jude“ ist, auch wenn mir nur am „Juden“ liegt, ich selbst war ihr der Jude nur am äußersten Rand des Späten, doch war ich einer, mit den sie ringen wollte, den sie auch – am schieren Ende – akzeptieren konnte. Es war nicht alles ausgesprochen, weil das nicht sein muss, selten sein kann, meist unnötig ist, weil elementar unmissverständlich. Nun, es soll daraus Dichtung werden, keine Geschichte.147

Benyoëtz hat in seinem Band Sandkronen (2012) schließlich fünf Gedichte von Silja Walter ganz oder in Ausschnitten zitiert: „Dein Name ist das“148 sowie, unter der Überschrift „Siljanusgesichter“, die Gedichte „Vom frühen Morgen an“, „Fortgehen“ / „Ite missa est“ (ohne die mittlere Strophe und die letzten neun Zeilen), Teile aus dem Gedicht „Geweihte Asche“ und die letzten fünf Zeilen des Gedichts „Ich habe den Himmel“149, mit dem auch die gemeinsame Solothurner Lesung geendet hatte. Alles „Lieblingsgedichte“, die er für die gemeinsame Lesung in Solothurn vorgeschlagen hatte; zwei davon hat Silja Walter in der St. Ursen-Kathedrale gelesen: „Vom frühen Morgen an“ und „Ich habe den Himmel“. Seine Auswahl ergänzte Benyoëtz mit kurzen Texten aus eigener Perspektive auf das Zitierte. Seine Bemerkung im siebten Abschnitt seiner „Siljanusgesichter“ ist sehr persönlich: „Sie reckt sich, / als zöge sie ihren Leib an. / Meine Schwester Hedwig“.150 Die Passagen aus Benyoëtz Sandkronen, in denen er Silja Walters Worten in seinem Werk Präsenz verschafft, sich ihr damit neu zur Seite gesellt, lese ich wie einen inneren Dialog der Dankbarkeit. „Meine Schwester Hedwig“ unterstreicht wie bei Benyoëtz’ Festgabe zu deren 90. Geburtstag eine fast familiäre, „geschwisterliche“ Verbundenheit mit der vor wenigen Monaten Verstorbenen. Hans-Jürg Stefan nennt die Silja Walter-Gedichte in Benyoëtz’ Sandkronen „eine persönliche Reflexion“, einen „poetischen Nach-Ruf“, ein „spätes Echo“151.

Auch bei seiner Schweizer Lesereise im Herbst 2016152 wird Elazar Benyoëtz an Silja Walter erinnern. Seine Lesung am 6. November in der Jesuitenkirche in Solothurn widmet er gemeinsam mit Paul Rutz und dem ebenfalls mit ihr befreundeten Organisten Carl Rütti, „dem Andenken an Schwester Hedwig, der Dichterin Silja Walter“153 – eine „Liebesbekundung“.154

Die Passage zu Beginn der Lesung, in der Benyoëtz an seine Begegnung mit Silja Walter erinnert, ist mit dem 26. Dezember 2002 datiert, also aus der Zeit, in der Silja Walter der gemeinsamen Lesung in der Solothurner St. Ursen-Kathedrale zugestimmt hat, sie aber noch nicht die gemeinsame Vorbereitung darauf begonnen haben. Es ist die Zeit, in der es dieses „Wir“, das Benyoëtz sich von Anfang an wünschte, noch nicht gab. Er schrieb: „Wir kommen aus dem gleichen Ort, Wort von uns genannt und Poesie“,155 um dann ihre Differenz zu betonen:

Aus dem Innern der Kirche kommend, spricht sie als Schwester Hedwig.

Ich komme aus Jerusalem und begleite meine Schwester Hedwig wie ein fernes Echo der alten Synagoge, aber mit dem Klang eines Steinwurfs, wie ihn die heutigen Synagogen Europas wiedergeben, die nicht mehr leer stehen und darum bedroht sind.156

Es ist nicht klar, aus welchen Anlass dieser Text im Dezember 2002 geschrieben wurde: ursprünglich als Einleitung zur Lesung im Jahr 2003 oder als ein Tagebuch-Notat, in dem Benyoëtz über die Unterschiede ihrer Religionszugehörigkeit reflektierte? Das Besondere dieser Konstellation wird gewürdigt, auch in Kontrast zum früheren jüdisch-christlichen Verhältnis: Sie stehen einander gegenüber, aber nicht mehr „im alten Disput“, sondern „einander zugeneigt“. Und auch hier kommt Elazar Benyoëtz auf eines seiner liebsten Gedichte von Silja Walter zu sprechen:

Es geht um Wort und Stimme, nicht um Harmonisierungen. Der uns auf engste [sic] verbindet und am weitesten auseinandertreibt, ist ein Jude. Buber nannte ihn seinen großen Bruder, Silja Walter lief ihm „vom frühen Morgen an / durch alle Türen / zu / und fiel / als die Nacht kam, in die Sonne.“ / Silja Walter weiß, wovon man nicht mehr sprechen kann, und spricht davon, und nur davon: angenehm in der Prosa, anstößig in der Lyrik. / Wir sprechen dieselbe Sprache und von denselben Dingen, die nicht die letzten und nicht die göttlichen sind. / Gott müsste größer sein als unser Einverständnis. Auch maßlos, auch anmaßend, bleiben wir im Ermessen, also treu. Der Rest, der immer bleibt, ist das, was wir für einander übrig haben. Er wird in der Lesung wachsen, und natürlich über sie hinaus.157

Elazar Benyoëtz hätte Silja Walters Gedicht über den Juden Jesus („Von frühem Morgen an“) nur zu gerne auf sich selbst hin interpretiert. Er war nicht gemeint und sie ist auch nicht auf ihn zugelaufen. Eine „Sonne“ bei der Lesung in der St. Ursen-Kathedrale hat es trotzdem gegeben: Als Benyoëtz das Sosein von Silja Walter/Sr. Hedwig akzeptieren, seine Erwartungen und Besorgnisse bei der Vorbereitung ihrer Duo-Lesung loslassen konnte – in dem Moment, als ein gemeinsamer Modus sich einstellte, eine gemeinsame Entwicklung aufeinander zu –, da bewahrheitete sich, was Benyoëtz in einem Aphorismus so formuliert hatte: „Müßte ich / Deiner Erwartung / nicht entsprechen, / ich könnte dir / jeden Wunsch / erfüllen.“158

Am Ostersonntag 2019 begann im Kloster Fahr eine Woche voller Feierlichkeiten zu Ehren von Silja Walter, deren Geburtstag sich am 23. April zum einhundertsten Mal jährte. Auch Elazar Benyoëtz war seiner Schwester Hedwig noch einmal ganz nahe, als er während seiner Schweizer Lesereise im Herbst 2019 den Lebensort Silja Walters aufsuchte, wo er ihr 2003 vor ihrer gemeinsamen Solothurner Lesung erstmals persönlich begegnet war. Er las im Kloster Fahr am Sonntag, den 3. November, aus seinem gerade erschienenen Band Nadelind, begleitet von Carl Rütti an der Orgel.159

Benyoëtz hatte seinen Beitrag in der Festgabe Ozean Licht mit den Worten ausklingen lassen: „Ich könnte viel über Silja Walter schreiben, es wäre darunter nicht wenig Fantastisches, wie sollte ich – ein Jude in Jerusalem – ohne Beistand der Fantasie an Schwester Hedwig im Kloster Fahr auch denken. / Jerusalem, 10. Kislew 5769/7.12.08“.160 Elazar Benyoëtz pflegte lange seine Phantasie über eine schreibende Nonne, die in der Solothurner Lesung mehr Literatin als Nonne sein sollte – im Gewand einer Ordensfrau. Sein „Ringen“ war leidenschaftliches Bemühen um die Glutkerne ihres Werks, ein beharrliches Werben um ihr Vertrauen. Silja Walter hat sich diesen Erwartungen und Zuschreibungen entzogen – sie war einfach sie selbst, musste nichts und niemandem etwas beweisen. Benyoëtz hatte im Vorfeld ihrer gemeinsamen Lesung in Solothurn bereits über die grundlegende Differenz zu Silja Walter reflektiert: Die Kathedrale in Solothurn war auf eine selbstverständliche Weise ‚ihr Haus‘, Benyoëtz ein Gast.161 Aber gerade dies, diese Brüche und Spannungen im Programm der „Poetischen Vesper“162, flankiert von Orgelmusik und einer dritten Stimme (Maria Becker) sowie die unterschiedlichen Persönlichkeiten und eigenen Habitus der zwei Haupt-Protagonisten machten den Reiz und die Einzigartigkeit des Ereignisses in der St. Ursen-Kathedrale aus: Nicht die Harmonisierung, sondern die Anerkenntnis der Unterschiede und Viel-Stimmigkeiten hatte zu einer wahren, nachhaltigen Begegnung geführt. Hans-Jürg Stefan nannte sie eine „einmalige Konstellation“, in der sich „die beiden Geistesverwandten“ aufeinander zu bewegten und sich „mit hohem Respekt tiefer kennen und schätzen“163 lernten. Elazar Benyoëtz hat diese ‚Treue zum Unterschied‘ bleibend bewahrt, indem er sein spannungsreiches dichterisches Miteinander mit Silja Walter, „seiner“ Schwester Hedwig, ehrlich bekannte und vielfältig für die Nachwelt dokumentierte. Man könnte es Liebe nennen.

Anmerkungen

  1. Walter, Die Fähre legt sich hin am Strand, 69; GA, Bd. 1, 21.

  2. Vgl. den Einladungstext der Veranstalter, den Silja Walter in ihrem Brief vom 8.1.2003 an Paul Rutz und Elazar Benyoëtz zitiert: Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 67. Mein Dank gilt Alfred Miersch, NordPark Verlag, Wuppertal, der mir freundlicherweise eine Kopie des bereits vergriffenen Bandes Was sich ereignet findet nicht statt. Solothurner Lesungen 2016 und 2003 (WE) zur Verfügung stellte. Ebenso danke ich meinem Schweizer Freund Norbert Lüthy, Eschlikon, der mir wertvolle Hinweise für diesen Beitrag gegeben hat, vor allem auch über seine Begegnungen mit Silja Walter im Kloster Fahr, nachdem er sie bei der Lesung mit Benyoëtz in der St. Ursen-Kathedrale 2003 kennengelernt hatte. Vgl. auch: Walter, Ich habe meine Insel gefunden, 157–158.

  3. Vgl. die Lesungstexte in Benyoëtz und Walter, „Finden macht das Suchen leichter“.

  4. Vgl. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 22.

  5. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 23.

  6. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 22. Benyoëtz kannte auch Silja Walters Bücher Der Fisch und Bar Abbas (1967) sowie Die Schleuse oder Abteien aus Glas (1972). Er empfahl diese Bücher Heidy M. Müller, Liestal, Schweiz, die an einem Buch über die Judendarstellung in der deutschsprachigen Erzählprosa (1945–1981) arbeitete. Ihre Studie erschien 1984. Vgl. den Brief von Müller an Benyoëtz vom 8.8.1981, in GW.

  7. Walter, Die Fähre legt sich hin am Strand, 29.

  8. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 23.

  9. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 24.

  10. Zitiert in Rutz, „Begegnungen mit Elazar Benyoëtz“, 94–95 (= V, 18–19; Neuausgabe: S, 20–21).

  11. Rutz, „Begegnungen mit Elazar Benyoëtz“, 93; vgl. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 24.

  12. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 24.

  13. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 24.

  14. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 24.

  15. Walter, Das dreifarbene Meer, 181

  16. Vgl. Rutz, „Begegnungen mit Elazar Benyoëtz“, 96–97; ausführlicher zu Renée Koppel/Metavel: WE, 111–112.

  17. Rutz, „Begegnungen mit Elazar Benyoëtz“, 97.

  18. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 24.

  19. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 24.

  20. Benyoëtz an Paul Rutz, 29.11.2002, in Bw, 302.

  21. Bw, 302–03.

  22. Die Zeilen sind aus Silja Walters Gedicht „Tanzlied am Ende“ (zu Spr 8,22–31) aus einer Tanzliturgie zum Weltgebetstag 1972, in Walter, Die Fähre legt sich hin am Strand, 67–68; vgl. den Titel von Silja Walters „letztem Tagebuch“, Tanzen heißt auferstehen (2014).

  23. Benyoëtz an Paul Rutz, 4.12.2002, in Bw, 303.

  24. Bw, 303.

  25. Benyoëtz an Silja Walter, 9.12.2002, in Bw, 315.

  26. Benyoëtz an René Dausner, Jerusalem, 23.12.2002, in Vz, 220. René Dausner lernte Benyoëtz 1999/2000 während seines Theologischen Studienjahrs an der Dormitio in Jerusalem kennen; 2007 erschien seine Dissertation über Benyoëtz. Vgl. auch: Benyoëtz an Hans-Jürg Stefan, 14.12.2015, in Bw, 92. „Marti muss Silja Walter nicht schätzen, ich – ob ichs [sic] Dir gestehen darf? – schätze manche Flächen bei ihr auch nicht. Sie ist nicht umsonst und nicht von ungefähr Schwester Hedwig geworden. Ich musste mit ihr ringen, mein Ringen gründete auf Freundschaft und Instinkt, mein Instinkt bewährte sich, das Ringen ward mir nicht erspart.“

  27. Benyoëtz an Paul Rutz, Jerusalem, 7.1.2003, in Vz, 221; auch: Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 64.

  28. Vz, 221; Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 64.

  29. Vz, 221; Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 64.

  30. Vz, 221; Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 64.

  31. Vz, 221; Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 64.

  32. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 65.

  33. Walter an Paul Rutz und Elazar Benyoëtz, Kloster Fahr, 8.1.2003, in Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 67.

  34. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 67.

  35. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 67.

  36. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 67.

  37. Benyoëtz an Silja Walter, Jerusalem, 9.1.2003, in Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 68.

  38. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 68.

  39. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 68.

  40. Benyoëtz an Silja Walter, Jerusalem, 13.2.2003, in Vz, 222–223; Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 71–75. Benyoëtz bezieht sich vermutlich dabei auf ein Telefonat mit Walter, ein Brief von ihr dazu ist nicht abgedruckt.

  41. Vgl. GA, Bd. 6, 461–469.

  42. Walter, Die Feuertaube.

  43. Vz, 222; Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 72.

  44. Vz, 222–223; Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 72.

  45. Vz, 222; Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 71.

  46. Vz, 222; Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 71.

  47. Hatte Benyoëtz Silja Walters Text „Der Tag ist das Leben. Alltag im Kloster“ studiert? Denn auch dieser Text steht in Walter, Die Fähre legt sich hin am Strand, 13–19, aus dem Benyoëtz die Gedichte für die Lesung in Solothurn aussuchte.

  48. Vz, 223; Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 74–75.

  49. Walter an Elazar Benyoëtz, Kloster Fahr, 14.2.2003, in Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 75.

  50. Benyoëtz an Silja Walter, Jerusalem, 17.2.2003, in Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 75.

  51. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 75–76.

  52. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 76.

  53. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 77.

  54. Benyoëtz an Silja Walter, Jerusalem, 7.3.2003, in Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 77.

  55. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 78.

  56. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 78.

  57. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 78.

  58. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 78.

  59. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 79.

  60. Benyoëtz an Paul Rutz, Jerusalem, 7.3.2003, in Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 79.

  61. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 79.

  62. Walter an Elazar Benyoëtz, Kloster Fahr, 12.3.2003, in Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 82.

  63. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 83.

  64. Benyoëtz an Paul Rutz, Jerusalem, 14.3.2003, in Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 83–84; Benyoëtz an Paul Rutz, Jerusalem, 21.3.2003, in Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 84–85.

  65. Benyoëtz an Paul Rutz, Jerusalem, 21.3.2003, in Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 84.

  66. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 84.

  67. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 85.

  68. Walter an Elazar Benyoëtz, Kloster Fahr, 24.3.2003, in Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 86.

  69. Vgl. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 86–87.

  70. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 86.

  71. Benyoëtz an Silja Walter, Jerusalem, 1.4.2003, in Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 87.

  72. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 87.

  73. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 87; 88.

  74. Walter an Elazar Benyoëtz, Kloster Fahr, 3.4.2003, in Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 89.

  75. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 89.

  76. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 89.

  77. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 89.

  78. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 90.

  79. Benyoëtz an Silja Walter, Jerusalem, 4.4.2003, in Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 91.

  80. Benyoëtz an Hans-Jürg Stefan, 12.10.2017, in Stefan, „Editorische Notiz“, 104.

  81. Stefan, „Editorische Notiz“, 104.

  82. Stefan, „Editorische Notiz“, 104.

  83. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 24–25.

  84. Elazar Benyoëtz und seine Frau Renée Koppel/Metavel trafen, so in seinem Brief an Paul Rutz vom 21.3.2003 angekündigt, wahrscheinlich bereits am 22. Mai 2003 in Solothurn ein, um die Ausstellung der Miniaturmalereien von Metavel vorzubereiten. Vgl. Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 85.

  85. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 25.

  86. Raabe, „Statt eines Vorworts“, 8.

  87. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 25.

  88. Vgl. die Kurzbiographie von Renée Koppel/Metavel in WE, 111–112.

  89. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 25.

  90. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 25.

  91. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 25.

  92. FS, 41.

  93. Vgl. FS, 6.

  94. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 25.

  95. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 26.

  96. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 26.

  97. FF, 174.

  98. Vgl. FF, 7.

  99. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 26.

  100. Vgl. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 25.

  101. Walter, Das dreifarbene Meer, 183–184.

  102. Benyoëtz und Walter, „Finden macht das Suchen leichter“, 35. Das Schweizer Radio DRS2 zeichnete die „Moderne Vesper“ auf. Rutz schreibt dazu: „Leider erlaubt die mangelhafte Qualität dieser Live-Aufnahme keine Reproduktion.“ Rutz, „Begegnung mit Elazar Benyoëtz. Solothurner Lesungen 2000–2016“, 97; 99.

  103. Vgl. den bereits zitierten Brief von Benyoëtz an Walter vom 4.4.2003, in Benyoëtz und Walter, „Aus dem Briefwechsel“, 91.

  104. Walter, Die Fähre legt sich hin am Strand, 190; Benyoëtz und Walter, „Finden macht das Suchen leichter“.

  105. Walter, Die Fähre legt sich hin am Strand, 190, 202; Benyoëtz und Walter, „Finden macht das Suchen leichter“, 51.

  106. Walter, Die Fähre legt sich hin am Strand, 97–98.

  107. Aus: Ich habe den Himmel / gegessen. In: Walter, Die Fähre legt sich hin am Strand, 187; Benyoëtz und Walter, „Finden macht das Suchen leichter“, 60.

  108. FS, 254; Benyoëtz und Walter, „Finden macht das Suchen leichter“, 58–59.

  109. Walter, Die Fähre legt sich hin am Strand, 187; Benyoëtz und Walter, „Finden macht das Suchen leichter“, 60. Vgl. auch das Soloprogramm der Sängerin und Schauspielerin Christine Lather, „Ich habe den Himmel gegessen“ – Silja Walter. Reise ins Innere. Monolog mit Liedern. Christine Lather hat darin Original-Texte Walters (Lyrik und autobiographisches Material) zu einem Theater-Monolog verflochten. Vgl. Huber-Halter, „Wo Himmel und Welt verbunden sind. 100 Jahre Silja Walter“ [mit einem Bericht über C. Lather].

  110. Vgl. Walter, Das dreifarbene Meer, 11: „Nach dem großen jüdischen Theologen Abraham Joshua Heschel leben wir in den sechs Tagen der Woche unter der Tyrannei der Dinge. Aber am Sabbat sollen wir teilnehmen an dem, was ewig ist in der Zeit. […] ‚Das, was ewig ist‘, wartet im laufend vergehenden Welthaften auf Entdeckung.“

  111. „Und er neigte das Haupt und gab seinen Geist auf“, in Korrespondenz zu Lk 23,46 und Ps 31,5: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“

  112. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 26.

  113. Vgl. Walter, Regel und Ring, 22–24.

  114. Walter, Regel und Ring, 23.

  115. Walter, Regel und Ring, 22–23. Zu „Wir sind auch Sulamith“ vgl. Walter, Regel und Ring, 20.

  116. Walter, Regel und Ring, 23.

  117. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 23.

  118. Es ist aus dem Text nicht ersichtlich, wann Benyoëtz dieses Buch von Silja Walter kennengelernt hat, ob vor oder erst nach der gemeinsamen Solothurner Lesung.

  119. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 23.

  120. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 23. Benyoëtz zitiert aus einem Gedicht, das als „Vorwort“ die Gomer-Gedichte einleitet: „Gomer ist alle / Alle sind Gomer / ich bin auch Gomer / Diblajims Tochter / eine Nonne ist immer Gomer. / Gomer muß ja doch / zurückkehren / zu ihrem ersten Mann. / Eine Nonne kehrt immer / heim.“ Walter, Der Tanz des Gehorsams oder Die Strohmatte, 12.

  121. Walter, Das dreifarbene Meer, 77.

  122. Walter, Das dreifarbene Meer, 78.

  123. Walter, Das dreifarbene Meer, 28.

  124. Walter, Das dreifarbene Meer, 57.

  125. Walter, Regel und Ring, 18.

  126. Walter, Das dreifarbene Meer, 58.

  127. Vgl. Walter, Das dreifarbene Meer, 78.

  128. Walter, Das dreifarbene Meer, 78.

  129. Walter, Das dreifarbene Meer, 81. Benyoëtz zeigte sich verblüfft darüber, dass Silja Walter die hebräische Bibel wirklich kennen würde, „wenn auch nicht auf Hebräisch, Blatt um Blatt und Wort für Wort. […] Sie saugt die Worte auf, schöpft die Bilder bildlich aus.“ (Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 27.)

  130. Walter, Regel und Ring, 48.

  131. Vgl. Walter, Das dreifarbene Meer, 182. Silja Walter berichtet von der Reaktion einer Moderatorin während eines Interviews mit ihr im Kloster Fahr, der sie von ihrer „Gomer“-Entdeckung erzählte: „Die Fernseh-Dame war höchst erstaunt, ja schockiert. ‚Wie können Sie sich als Ordensfrau mit einer Dirne identifizieren!‘ Ob sie akzeptiert hat, dass jeder Mensch diese biblische Gomer sei, Gott davongelaufen wäre und zurück müsse, kann ich nicht wissen. Aber ich habe mir Mühe gegeben, diese Symbol-Ehe im Hinblick auf Israel und seinen Gott Jahwe so zu deuten, wie sie verstanden sein will, nämlich als Gottes Geschichte mit der Menschheit und mit jedem Menschen.“ Vgl. Sternstunde Religion: Silja Walter. 29. Juni 2003.

  132. Walter, Regel und Ring, 48.

  133. Vgl. die Fotografien von Silja Walter im Kloster Fahr, u. a. an ihrem Computer schreibend, aufgenommen von Christoph Hammer, Baden/Schweiz.

  134. Das Gesamtwerk Silja Walters wurde ab 1997 in das Schweizer Literaturarchiv, Bern, aufgenommen; es erhielt nach ihrem Tod den gesamten Nachlass. Im Paulus-Verlag, Freiburg/Schweiz, erscheint seit 1999 eine von Ulrike Wolitz betreute, auf 12 Bände konzipierte Gesamtausgabe von Silja Walters Schriften.

  135. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 26. Vgl. auch AK, 128–132, wo Benyoëtz Annette Kolb mit Margarete Susman vergleicht; dazu: Koelle, „Es begann in Jerusalem. Benyoëtz und Margarete Susman“, 143.

  136. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 26.

  137. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 27.

  138. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 26.

  139. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 26.

  140. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 27.

  141. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 27. Leben und Werk von Silja Walter gehen im Kloster Fahr wirklich weiter: Man kann ihr heute dort immer wieder aufs Neue begegnen: im dort eingerichteten Silja Walter-Raum oder bei Seminaren und Kursen, die Silja Walters Blick auf Welt, Schrift und Wort kreativ nachgehen und aktualisieren. Vgl. Kloster Fahr. Webseite zu Silja Walter.

  142. Sternstunde Religion: Silja Walter. 29. Juni 2003.

  143. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 27.

  144. Benyoëtz an Paul Rutz, 4.12.2002, in Bw, 303.

  145. Walter, Tanzen heißt auferstehen.

  146. Benyoëtz an Ulrike Wolitz, 27.05.2011, in Bw, 272–273.

  147. Bw, 273.

  148. Sa, 122.

  149. Sa, 317–320; Wiederabdruck auch in Stefan, „Editorisches Nachwort“, 105–107. Als Quelle der Gedichte gibt Benyoëtz an: Walter, Die Fähre legt sich hin am Strand. Die zitierten Gedichte finden sich dort auf den S. 200; 190; 97; 186; 187.

  150. Sa, 319.

  151. Vgl. Stefan, „Editorisches Nachwort“, 105. Zur Bedeutung der Zitate und des Zitierens im Werk von Benyoëtz vgl. den Tagungsband Zitat und Zeugenschaft, insbesondere die Beiträge des ersten Abschnitts „Sprache und Zeugenschaft“ (13–60) von Lydia Koelle, Katharina Heyden und Magdalene L. Frettlöh.

  152. Vgl. auch zu Benyoëtz’ Station in Bern (Studientag zu seinem Werk und Lesung): Zitat und Zeugenschaft (2017).

  153. Benyoëtz, „Solothurner Lesung 2016“, 13.

  154. Vgl. Benyoëtz, „Solothurner Lesung 2016“, 13: „Bei der heutigen Lesung […] wird es ebenfalls nicht um Harmonisierungen gehen, doch aber um den Versuch, der selten gelingt, Liebe zu bekunden.“

  155. Benyoëtz, „Solothurner Lesung 2016“, 11.

  156. Benyoëtz, „Solothurner Lesung 2016“, 11.

  157. Benyoëtz, „Solothurner Lesung 2016“, 11–12.

  158. FS, 253.

  159. Vgl. Huber-Halter, Wo Himmel und Welt verbunden sind. 100 Jahre Silja Walter.

  160. Benyoëtz, „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“, 27.

  161. Vgl. Elazar Benyoëtz’ Brief an Paul Rutz, 4.12.2002, in Bw, 303: „Ich bin in der Kirche Gast, aber das werden auch andere sein, die nur darum kämen, weil sie dem Dichterwort noch einmal in einem sakralen Raum die Chance geben wollten. […] Ich trete nur als Dichter auf und habe sonst nichts anzubieten.“

  162. Hans-Jürg Stefan nannte die „Moderne Vesper“ in der St. Ursen-Kathedrale 2003 eine „Poetische Vesper“; vgl. Stefan, „Editorische Notiz“, 104.

  163. Stefan, „Editorische Notiz“, 104.

Literaturverzeichnis

Verwendete Siglen

AK Benyoëtz, Elazar. Annette Kolb und Israel. Heidelberg: Lothar Stiehm, 1970.
Bw Beziehungsweisen. Elazar Benyoëtz: Ein Porträt aus Briefen, herausgegeben von Friedemann Spicker. Tübingen: Narr Francke Attempto, 2019.
FF Benyoëtz, Elazar. Der Mensch besteht von Fall zu Fall. Aphorismen. Leipzig: Reclam, 2002.
FS Benyoëtz, Elazar. Finden macht das Suchen leichter. München–Wien: Carl Hanser, 2004.
GA Silja Walter. Gesamtausgabe. 12. Bde., herausgegeben von Ulrike Wolitz. Freiburg/Schweiz: Paulus, 1999–2022 (Bd. 12 erscheint im Okt. 2022).
GW Das gerichtete Wort. Briefe von und an Elazar Benyoëtz (Briefauswahl online), herausgegeben von Barbara Hoiß, Julija Schausberger. Mit einem Editorial von Johann Holzner. 2007, https://www.uibk.ac.at/brenner-archiv/editionen/Benyoëtz/.
N Benyoëtz, Elazar. Nadelind. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2019.
S Benyoëtz, Elazar. Scheinhellig. Variationen über ein verlorenes Thema. Wien: Braumüller, 2009.
Sa Benyoëtz, Elazar. Sandkronen. Eine Lesung. Wien: Braumüller, 2012.
V Benyoëtz, Elazar. Variationen über ein verlorenes Thema. Wien: Carl Hanser, 1997.
Vz Benyoëtz, Elazar. Vielzeitig. Briefe 1958–2007. Bochum: Brockmeyer, 2009.
WE Benyoëtz, Elazar. Was sich ereignet findet nicht statt. Solothurner Lesungen 2016 und 2003. Im Gedenken an Silja Walter, Sr. M. Hedwig OSB, herausgegeben von Paul Rutz und Hans-Jürg Stefan. Wuppertal: NordPark, 2017.

Weitere Literatur

Benyoëtz, Elazar. „Silja Walter, meine Schwester Hedwig“. In Ozean Licht. Festgabe für Silja Walter zum 90. Geburtstag, herausgegeben von Ulrike Wolitz, 22–27. Freiburg/Schweiz: Paulus, 2009.

Benyoëtz, Elazar. „Solothurner Lesung 2016. Nur in der Liebe ist Warten kein Zeitverlust“. In WE, 7–34.

Benyoëtz, Elazar und Silja Walter. „Aus dem Briefwechsel“. In WE, 61–91.

Benyoëtz, Elazar und Silja Walter. „Finden macht das Suchen leichter. Moderne Vesper. Lesung zum Abschluss der Solothurner Literaturtage, St. Ursen-Kathedrale, Solothurn, 1. Juni 2003“. In WE, 35–60.

Hammer, Christoph. Fotographien von Silja Walter, 90. Geburtstag, Kloster Fahr, http://christophham(mer-photography.ch/reportagen/silja-walter-90-geburtstag/.

Huber-Halter, Verena. „Wo Himmel und Welt verbunden sind. 100 Jahre Silja Walter“ [Bericht über die Festwoche zu Ehren von Silja Walter im Kloster Fahr], https://docplayer.org/171776487-Wo-himmel-und-welt-verbunden-sind.html.

Koelle, Lydia. „Es begann in Jerusalem. Benyoëtz und Margarete Susman“. In Keine Worte zu verlieren. Elazar Benyoëtz zum 70. Geburtstag, herausgegeben von Christoph Grubitz, Ingrid Hoheisel, Walther Wölpert, 137–144. Herrlingen bei Ulm: Herrlinger Drucke, 2007.

Kloster Fahr. Webseite zu Silja Walter, https://www.siljawalter.ch/

Lather, Christine. Soloprogramm „Ich habe den Himmel gegessen“ – Silja Walter. Reise ins Innere. Monolog mit Liedern, https://www.christinelather.ch/detail/ich-habe-den-himmel-gegessen; https://www.himmelgegessen.ch/.

Raabe, Elisabeth. „Statt eines Vorworts“. In: Walter. Die Fähre legt sich hin am Strand, 7–10.

Rutz, Paul. „Begegnung mit Elazar Benyoëtz. Solothurner Lesungen 2000–2016“. In WE, 92–100.

Stefan, Hans-Jürg. „Editorische Notiz“. In WE, 101–109.

Sternstunde Religion: Silja Walter. 29. Juni 2003. Gespräch mit Brigitta Rotach, SRF Kultur, https://www.srf.ch/play/tv/sternstunde-religion/video/sternstunde-religion-silja-walter?urn=urn:srf:video:4b469759-bbb6-4b14-9127-a788637cc6fa.

Walter, Otto. F. und Silja Walter. Eine Insel finden. Gespräch. Moderiert von Philippe Dätwyler. Zürich: Arche, Raabe + Vitali, 1983.

Walter, Silja. Das dreifarbene Meer. Meine Heilsgeschichte – eine Biographie. Freiburg/Schweiz: Paulus, 2009.

Walter, Silja. Der Fisch und Bar Abbas. Erzählung. Zürich: Arche, 1967.

Walter, Silja. Der Tanz des Gehorsams oder Die Strohmatte. Mit Illustrationen der Autorin. Zürich: Die Arche, 1970. Neuausgabe Freiburg/Schweiz: Paulus, 1996.

Walter, Silja, Die Fähre legt sich hin am Strand. Ein Lesebuch, Zürich–Hamburg: Arche, 1999.

Walter, Silja. Die Feuertaube. Neue Gedichte. Für meinen Bruder. Zürich: Arche, 1985.

Walter, Silja. Die Schleuse oder Abteien aus Glas. Ein Roman. Zürich: Arche, 1972.

Walter, Silja. Gesammelte Gedichte. Zürich: Die Arche, 1972.

Walter, Silja. Ich habe meine Insel gefunden. Geheimnis im Alltag. Tagebuch. Nachwort von Josef Bättig. Freiburg/Schweiz: Paulus, 2006.

Walter, Silja. Regel und Ring. Betrachtung, Erfahrung. Freiburg/Schweiz: Paulusverlag, 2005.

Walter, Silja. Tanzen heißt auferstehen. Letztes Tagebuch. Kevelaer: topos plus, 2014.

Zitat und Zeugenschaft. Eine Spurensuche im Werk von Elazar Benyoëtz, herausgegeben von Magdalene L. Frettlöh, Matthias Käser-Braun. Dokumentation eines Studientags zu und mit Elazar Benyoëtz am 7. November 2016 an der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Uelzen: Erev-Rav, 2017.