Lutz Doering (Bearb.), Rabbinische Texte, Erste Reihe: Die Tosefta. Band II: Seder Moëd. Teilband 1: Schabbat. Übersetzung und Erklärung. Verlag Kohlhammer, Stuttgart, 2019. VIII, 342 Seiten, EUR 320, ISBN 978-3-17-019544-8.

Günter Stemberger 
Universität Wien
guenter.stemberger@univie.ac.at

L. Doering, Professor für Neues Testament und Antikes Judentum sowie Direktor des Institutum Judaicum Delitzschianum an der Universität Münster, bestens bekannt für seine umfassende Studie Schabbat. Sabbathalacha und -praxis im antiken Judentum und Urchristentum (TSAJ 78, Tübingen 1999) und viele weitere Arbeiten zum Themenkreis, war gewiss der ideale Autor für Übersetzung und Kommentierung des Toseftatraktats Schabbat in der Reihe Rabbinische Texte. Mit diesem Band ist endlich ein zentraler Toseftatraktat gut kommentiert auf Deutsch zugänglich. Man kann nur hoffen, dass das Langzeitprojekt der deutschen Tosefta-Ausgabe in absehbarer Zeit abgeschlossen werden kann.

Die Übersetzung gibt sehr präzise den hebräischen Text der Handschrift Erfurt wieder, immer wieder korrigiert durch MS Wien und Geniza-Fragmente. Sie ist gut lesbar, auch wenn vielfach die Bedeutung hebräischer Begriffe etwa von Pflanzen- oder Tierarten nicht voll gesichert ist und manche der Begriffe, etwa auch von verschiedenen Bearbeitungsstufen von Wolle, zu Schmuck und Haartracht von Frauen usw. den meisten heutigen Lesern wohl unverständlich bleiben müssen – doch das liegt in der Natur des Textes, dessen Inhalt zu vermitteln sich Doering redlich bemüht.

Jedem Kapitel geht eine ausführliche Einleitung zu Aufbau und Inhalt sowie dem Vergleich mit der parallelen Mischna voran. Der Kommentar besteht, wie es der Reihe entspricht, aus umfangreichen punktuellen Anmerkungen zu den einzelnen Begriffen und sprachlichen Ableitungen sowie zu den Realien. Dazu kommen reiche Literaturangaben und rabbinische Parallelen. Den durchschnittlichen Leser wird wohl am meisten das erste Kapitel mit den vier Sabbatgebieten und den darauf beruhenden grundsätzlichen Regelungen für alles, was am Sabbat erlaubt oder verboten ist, interessieren, weiterhin das zweite mit viel Details zur Haltung von Haustieren, aber auch Kapitel 6 zu den „Amoriterbräuchen“, was alles als „Aberglaube“ oder „Magie“ betrachtet wird, was davon als verboten oder erlaubt gilt und welche Parallelen es in der nichtjüdischen, v. a. römischen, Umwelt dazu gibt. Kapitel 12 schildert u. a. diverse Krankheiten und Beschwerden und welche „Heilmittel“ dagegen auch am Sabbat erlaubt sind. Von großem Interesse auch für Neutestamentler sind die Aussagen von Kapitel 13 zu den heiligen Schriften und wie man mit ihnen am Sabbat umgeht, welche man auch am Sabbat aus dem Feuer rettet usw. In 13,5 werden die oft fälschlich als Evangelien verstandenen gilyonim we-sifre minim genannt, in Wirklichkeit unbeschriebene Ränder und Vorsatzblätter einer Schriftrolle und von Schreibern, die sich nicht an rabbinische Normen halten (minim, „Außenseiter, Häretiker“), geschriebenen Bibeltexten. Die Regeln zur Beschneidung von Kindern am Sabbat (Kap. 15) führen auch zur Diskussion der Lebensgefahr bei Bluterkrankheit und zur Überlebensfähigkeit von Achtmonatskindern und von da allgemeiner zur Regel der Lebensrettung (piqquaḥ nefesh), derentwegen man jederzeit die Sabbatruhe unterbricht. Insgesamt enthält der Traktat eine Fülle an Themen, die weit über die Frage der Sabbatruhe hinausgehen und von allgemeinem Interesse sind, während man viele sperrige, heute kaum noch verständliche Themen und Realien ruhig Spezialisten überlassen wird. Es bleibt mehr als genug, was die aufmerksame Lektüre des Traktats bzw. zumindest vieler seiner Kapitel lohnt. Doerings Übersetzung und reiche Kommentierung bietet dafür verlässliches Geleit; er hat sich damit den Dank aller an rabbinischer Literatur und der Religion des frühen Judentums Interessierten verdient.