Unter dem Titel „Stenographisches Protokoll des VII. Zionisten-Kongresses“ erschien
1904 in der von jungen Berliner Zionisten herausgegebenen Zeitschrift Schlemiel eine bemerkenswerte Kongressprotokollparodie. Die Nachtsitzung des zehnten Tages,
so informiert der satirische Text, sei Theodor Herzls „Antrag auf Errichtung einer
Centrale für Schlemieligkeiten“ gewidmet gewesen. Mit dem ,Schlemiel‘ wird die im
Jiddischen überlieferte Figur des Pechvogels („schlimm-Massel“ [jidd. „Masal“: Glück])
aufgerufen. Die Teilnehmer an der hitzigen Kongressdebatte diskutieren die Frage der
„Schlemieligkeit“ des Judentums, als deren wichtigster Vertreter neben Herzl übrigens
(in satirischer Verkehrung seines „Muskeljudentums“) auch Max Nordau auftritt, in
allen Facetten. Mit Herzl und Nordau treten dabei verschiedenste zionistische Kongressabgeordnete
auf, von Alfred Nossig bis Israel Zangwill. Nossig rät der „zu wählenden Schlemielkommission
[...] endlich die Einführung der einheitlichen obligatorischen Nationalkrawatte in
Angriff [zu] nehmen“. Noch wichtiger seien allerdings, so Sir Francis Montefiore:
„weiße Handschuh!“1 Als Ober-Schlemiel erweist sich schließlich Herzl selbst, der eine bloß scheindemokratische
Entscheidung in der Schlemielfrage herbeiführt.
Beim Autor dieser Parodie handelt es sich um den Schriftsteller, Rechtsanwalt und
Zionisten Sammy Gronemann (1875–1952), der sich und die übrigen Redakteure des Schlemiel als „jüdische Hofnarren“ bezeichnete und in seinen Erinnerungen davon berichtet, dass Herzl die Parodie mit großem Vergnügen unter Freunden vorgelesen
habe. Gronemann wuchs als Sohn eines Rabbiners in einem neo-orthodoxen Umfeld in Hannover
auf und besuchte selbst eine Rabbinerschule; er nahm 1900 zum ersten Mal an einer
zionistischen Tagung teil und gründete daraufhin eine zionistische Ortsgruppe, die
er beim darauffolgenden Zionisten-Kongress vertrat. Ab 1904 fungierte der studierte
Jurist als Herzls Anwalt. So etwa auch im Fall von Herzls Klage gegen Davis Trietsch,
seinem ‚pragmatischen‘ Gegenspieler, der in Gronemanns Kongressparodie nicht fehlen
darf. Auf dem der Parodie zugrundeliegenden Zionisten-Kongress von 1903 hatte Trietsch
den Vorschlag zur zionistischen Kolonisation Ostafrikas heftig zurückgewiesen und
Herzls Führung angezweifelt.
Bemerkenswert ist Gronemanns satirische Skizze, weil sie bis in die Kleidungsfragen
die theatralen Inszenierungen und Inszenierungsfantasien rund um die ersten Zionistischen
Kongresse aufgreift. Gleichzeitig stellt die zionistische Schlemieldebatte der Kongressparodie
auch einen metatheatralen Kommentar zum Drama der Assimilation und dessen zionistischer
Inversion dar. Gerade die zur Debatte stehende zionistische Schlemieligkeit erscheint
so als Ausdruck eines diasporischen Habitus – als närrische Figuration einer Existenz,
die sich zur falschen Zeit am falschen Ort wähnt, daraus jedoch Witz und Zuversicht
generiert. Diese mit der ostjüdischen Tradition verbundene Narrenfigur offenbart durch
den Witz eine Ebene der Reflexion jenseits des zionistischen Pathos.
In Jan Kühnes Monografie über Gronemann dient ebendiese Kongressparodie als Scharnier
zwischen Überlegungen zur „Entstehung der zionistischen Komödie“ und der dramatisch-politischen
Werkbiografie Sammy Gronemanns. Sie wirft dabei die der Studie zugrundeliegende Frage
nach der generischen und sozialen Funktion von Komödie, Witz und Satire für den Zionismus
in der Diaspora auf, die der Autor mit Blick auf Gronemanns Emigration nach Palästina
1936 und dessen deutschsprachige Dramenproduktion im hebräischen Kontext in einem
Zwischenraum positioniert. Die dabei verfolgte Gattungsgeschichte aus der Rekonstruktion
von Gronemanns Dramen – zwischen den beiden Lebensorten Berlin (1896–1933) und Tel
Aviv (1936–1952) sowie zwischen Galut- und Jischuw-Kultur – unternimmt Kühne aus der
Perspektive „einer Jerusalemer mehrsprachigen Germanistik und komparativen Kulturwissenschaft“
(S. 6).
In einer sehr ausführlichen Aufarbeitung der Rezeptionsgeschichte zu Gronemann wird
deutlich, wie die Flucht Gronemanns ins Mandatspalästina und die dortige Jeckes-Kultur
dafür gesorgt hat, dass seine Schriften von Germanistik und den Jewish Studies lange
nicht wahrgenommen wurden. Kühnes Arbeit, die an Hanni Mittelmanns erste deutschsprachige
Monografie über Gronemann (Niemeyer 2004) anschließt, trifft sich in dieser Sensibilisierung
auch mit dem Anliegen von Sebastian Schirrmeisters Studie zu Verschränkungen deutsch-
und hebräischsprachiger Literatur im Jischuw (Metzler 2019). Im Falle Gronemanns lässt
sich die latente Präsenz seiner Dramatik im hebräischen Theater an der Popularität
der Übersetzung seiner Salomo-Komödie Der Weise und Narr (1942) festmachen, die gemeinsam mit hebräischen Liedern zwar zu einem veritablen
Musicalerfolg auf den israelischen Bühnen führte, jedoch auch zur „Verdrängung Gronemanns
als Autor“ (S. 67f.) gegenüber dem Übersetzer Nathan Alterman.
Während Sammy Gronemanns Roman Tohuwabohu (1921) so zwangsläufig wenig Berücksichtigung findet, ermöglicht Kühnes gattungstheoretische
Einschränkung auf die Dramen Gronemanns die Aufarbeitung einer „Genealogie“ des „neujüdischen
Lustspiels“ und der zionistischen Komödie. Vor dem Hintergrund dieser Debatte erscheinen
Gronemanns Texte in einem neuen (sozialen und wirkungsästhetischen) Zusammenhang.
Dass diese Genealogie als Gründungsdokument eine Kurznotiz aus Theodor Herzls Tagebuch
einsetzt – „Das erste große Genre der neujüdischen Kunst wird wohl das Lustspiel sein“2 –, wirkt etwas forciert, zumal nicht auf dessen eigene Lustspielproduktion eingegangen
wird. Relevanter für Kühnes Argumentation ist demgegenüber schon eine Folge von Beiträgen
(von Nathan Birnbaum, Martin Buber und Felix Salten) zum (neu)jüdischen Theater in
Herzls zionistischer Zeitschrift „Die Welt“, die zwar zum Teil bereits aus Brigitte
Dalingers Quellenedition zur Geschichte des jüdischen Theaters in Wien (Niemeyer 2003)
bekannt sind, von Kühne nun allerdings differenziert analysiert und mit den frühen
Aktivitäten Sammy Gronemanns im jüdischen Laientheater in Verbindung gebracht werden.
Schlüssig erscheint etwa eine Relation zwischen Martin Bubers Text „Eine jungjüdische
Bühne“ (1901) und der Theatergruppe des Hildesheimer Rabbinerseminars, der Gronemann
assoziiert war und für die er verschiedene Theaterstücke verfasste. Aus dieser Zeit
stammt auch der erste Entwurf von Hamans Flucht, einem „Purimspiel in fünf Bildern“, bei dem es sich, wie Kühne ausführt, um ein
Auftragswerk Bubers handle.
Ausgehend von der Komödie Hamans Flucht, die zwar bereits um 1900 entstanden war, jedoch erst 1926 veröffentlicht wurde,
entfaltet Kühne für die zionistische Komödie ein Zusammenspiel zweier biblischer Paradigmen:
Purim und Pessach. In der Nacht vor Purim wird Heinz, der programmatisch für die in
Deutschland akkulturierte Generation steht, in Gronemanns Purim-Komödie von seinem
Onkel Baruch in dessen Bibliothek eingeschlossen. Es handelt sich dabei um eine Bestrafung
dafür, dass er vergessen hatte, wann der Tempel in Jerusalem zerstört wurde. Anstatt
dieses Versäumnis in der Bibliothek nachzulesen, schläft der mit Schlemiel-Attributen
(in der hebr. Übers. bedeutet Heinz „Schlumiel“) ausgestattete Knabe ein und träumt
die biblische Geschichte aus dem Buch Ester, in der der zum Symbol der Judenfeindschaft
gewordene persische Großwesir Haman aus gekränkter Ehre die Ermordung aller Juden
plant und dafür zunächst auch den König Ahasveros gewinnt. Der jüdische Hofbeamte
Mordechai überzeugt schließlich Ester, die Gemahlin des Ahasveros, sich für ihr Volk
vor dem König einzusetzen und Haman zu entmachten, der am Galgen endet.
Bei Gronemann gelingt es Haman allerdings, wie bereits der Titel vermuten lässt, dem
Galgen zu entfliehen. Heinz verfolgt den Archetypus der Judenfeindschaft in seinem
Traum gemeinsam mit der mythologischen Figur des Weltenträgers Atlas durch die Weltgeschichte,
in deren Folge Haman in verschiedene Rollen schlüpft, wie jene des römischen Kaisers
Vespasian oder des spanischen Inquisitors Torquemada. Nachdem Heinz mehrfach Pech
hat bzw. in Gefahr gerät, aus der er allerdings tricksterhaft entkommt, endet der
Traum mit einer Szene, die zu den Klängen der Hatikvah (seit 1948 israelische Nationalhymne)
eine jüdische Kolonie in Palästina zeigt: „Wolkenvorhang teilt sich. Gruppe von Schnittern
und Schnitterinnen in Palästina. – Heiterer Tanz. – Währenddessen schleicht Haman
in seinem persischen Kostüm sich betrübt und heimlich vorüber. Er nimmt die Vorhangschnur
des Wolkenvorhanges, knüpft eine Schlinge und steckt den Kopf hinein.“3 Mit dieser „metatheatralischen Antitheatralität“ (S. 210) endet das Drama: „Wenn
die Juden [...] selbst ihr Haus verteidigen“, so Gronemann an anderer Stelle, „dann
bricht Haman entlarvt und schwach zusammen. Wenn alle Larven fallen, wird auch Haman
die Maske abgerissen. / So ist Purim, das Maskenfest, ein ewiges Symbol.“4 Darin, das macht Kühne deutlich, lässt sich auch eine übergreifende Denkfigur für
die zionistische Dramatik Gronemanns finden: Eine dramatische Überwindung des Dramas
der Assimilation.
Gronemann, der dem Purim-Paradigma selbst autobiografisch über seinen Geburtstag zum
Purimfest 1875 Bedeutung verliehen hat, reiht sich zwar zu Beginn des 20. Jahrhunderts
in verschiedene Versuche ein, die jüdische Geschichte der persischen Diaspora und
die Bedrohung durch Haman zu dramatisieren, sein Purimspiel unterscheidet sich allerdings
auf zweifache Weise von den erwähnten Dramen – als explizite Komödie und in der Verschränkung
mit dem Pessachmotiv, das an den jüdischen Auszug aus Ägypten erinnert. Die Wiederholung
– nicht der Erzählung, sondern des Auszugs – begründete die kollektive Imagination
des Zionismus (hinsichtlich einer Bewegung als Gemeinschaft, in Raum und Zeit). Es
gehört zur großen Leistung von Kühnes Dissertation, die Bedeutung von Purim bzw. des
Ester-Stoffs in der Korrelation mit dem Auszug aus Ägypten für die zionistische Komödie
herausgearbeitet zu haben.
Überzeugend zeigt der Verfasser diesen Zusammenhang schließlich auch in der Lektüre
der in Palästina/Israel verfassten Dramen (1936–1951) Gronemanns auf. Im erfolgreichen
Einakter Der Weise und der Narr (1942) verbinden Gronemanns Komödienpoetik, Schlemielfiguration und Witz nicht nur
Galut- und Jischuw-Erfahrungen, sondern konfrontieren zudem Herzls zionistischen Traum
mit der Realität des jüdischen Gemeinwesens in Palästina. Im Zentrum des „Versspiels
in sieben Bildern“ steht der Kontrast zwischen dem melancholisch-grüblerischen König
Salomo und dessen närrisch-lebensfrohem Doppelgänger, dem Schuster Schemadai. Nachdem
Salomo vom Doppelgänger und dessen Possen gehört hat, holt er den Schuster und dessen
Frau, die er begehrt, in den Palast, um mit den beiden ein Maskenspiel aufzuführen:
Der Schuster verwandelt sich auf sein Geheiß in den König und Salomo streift sich
die ärmlichen Gewänder über. Allerdings entgleitet ihm, durch seine Mutter befördert,
der Kleider- und Rollentausch; der Schuster bleibt in der königlichen Rolle und lässt
den richtigen Salomo als Schuster aus dem Palast werfen. Das Happy End mit der Auflösung
des Maskenspiels führt die dem Stück zugrundeliegende Dynamik von Verhüllung und Offenbarung
konsequent zu Ende.
Die ägyptische Prinzessin und Haremsdame Nofrith, die Kühne als Personifikation der
Diaspora und als Hamanfigur liest, wird dabei, da sie versucht hatte, sich den vermeintlich
falschen König gefügig zu machen und die Herrschaft zu übernehmen, des Landes verwiesen.
Während die Diaspora also bereits die historische Heimat bedroht, handelt es sich
bei der Ausweisung Nofriths – in einer komischen Verkehrung des Sederskripts – um
„eine Vertreibung nach Ägypten“ (S. 278). Mit dieser Vertreibung der einzigen arabischen Figur des Dramas
geht am Ende auch der Einzug einer anderen Fremden einher, der auf Gronemanns letzte,
ebenso biblische Komödie vorausweist: Die äthiopische Königin von Saba (1951) wird drei Jahre nach der Staatsgründung und dem Unabhängigkeitskrieg sowie
der palästinensischen Nakba den patriarchalen Judenstaat Salomos mit einem matriarchalischen
Frauenstaat konfrontieren und durch die fremde Ester-Figuration die Vertreibung Nofriths
rückgängig machen.
In der Verwechslungs- und Doppelgängergeschichte von Salomo und Schemadai „wird die
palästinensische Realität des jüdischen Jischuw im biblischen Mythos reflektiert“
(S. 276). Das betrifft nicht zuletzt den sozio-ökonomischen Abstieg Gronemanns selbst
in Folge der Immigration, der – wie Salomo zunächst ein Richter-Dichter – innerhalb
einer hebräischen Hegemonie im kulturellen Jeckes-Milieu nur eingeschränkt wirken
konnte. In dieser Situation fungieren die Komödien auch als kritisches Medium, um
die gesellschaftliche und politische Realität im Jischuw bzw. im Staat Israel anzuklagen.
In der komischen Konfrontation von alter Überlieferung und neuer Welt liegt somit
auch immer die poetologische und kulturelle Frage nach der Möglichkeit eines neuen
jüdischen Theaters begründet, die die Jischuw-Dramen wieder an die zionistischen Theaterdebatten
des Jahrhundertbeginns und zur zionistischen Schlemielkommission der Kongressparodie
zurückführt.
Kühne, der auch als Herausgeber von Gronemanns Werkausgabe (2018–2019) im De Gruyter
Verlag fungiert, kombiniert umfassendes Quellenwissen mit intensiven Textlektüren.
Dabei gelingt ihm die Entfaltung einer dramatischen Dynamik „zwischen verborgenem
Judentum und offenbarem Zionismus, zwischen manifestem Optimismus, suspendierter Realität
und latenter Theatralität sowie zwischen humorvollem Rückhalt und witzigem Hinterhalt“
(S. 6). So wie Gronemann sich selbst einen ,Theaterraum‘ der zionistischen Komödie
erschrieben und begründet hat, etabliert der Verfasser einen interdisziplinären Raum,
in dem Gronemanns Texte neu lesbar werden. Dass dieser Raum mitunter auf dem Ausschluss
literaturgeschichtlicher Fragen der Diaspora-Kultur beruht – Gronemanns Beziehungen
zum modernen Theater im Berlin (oder Wien) der Jahrhundertwende und der Weimarer Republik
kommen in der Studie kaum vor –, ist der konzentrierten Rekonstruktion der dramatischen
Praxis vor der Folie biblischer Überlieferung und der Krise des modernen Judentums
geschuldet. Gerade in der literatur- und kulturtheoretischen Verschränkung des Purim-
und Pessach-Paradigmas liegt das Innovationspotential dieses Buches.