Judäo-arabische Halacha-Schriften aus der Staatsbibliothek zu Berlin

Neri Y. Ariel 
CNRS-IRHT
neri.ariel@mail.huji.ac.il

1 Einführung

Die Staatsbibliothek zu Berlin (SBB) bietet eine umfangreiche judaistische Sammlung, die mit diversen Gattungen das gesamte Umfeld der jüdischen Literatur abdecken kann. Für meine Forschungen im Bereich der Halacha und des Judäo-Arabischen sind mehrere Handschriften von großer Relevanz, nämlich: frühe halachische Midraschim, Mischna, Tosefta,1 Talmudim, nach-talmudische Kommentare, Monographien zu rechtlichen Themen, Responsa und Literatur, die engste Verbundenheit zum alltäglichen Leben und Praxis des jüdischen Gesetzes hat, u. a. Gerichtsdokumente aus unterschiedlichen Regionen und historischen Perioden. Nicht zuletzt enthält die Sammlung zahlreiche illuminierte Handschriften, darunter auch weltweit berühmte.

2 Fragmente und vollständige Handschriften im Qalamos-Katalog

Nicht alle Handschriften sind digitalisiert oder gescannt, und unter den Schätzen der SBB gibt es nicht wenige, die noch nicht entdeckt worden sind oder noch gänzlich unbearbeitet blieben. Mit der Webseite Qalamos wurde damit begonnen, alle Handschriften verfügbar zu machen. Sie beinhaltet Digitalisierungen von mehreren Fragmenten und vollständigen Kodizes aus der Handschriftensammlung, die Mehrheit davon ist bereits identifiziert und beschrieben. In Qalamos wurden zahlreiche Fehler korrigiert, was die Nützlichkeit einer weiteren Kooperation zwischen der SBB und philologisch orientierten Judaisten zeigt. Daher sollte diese Webseite durch die Forscher weiterbearbeitet werden, unter Einbeziehung der Ergebnisse, die andere Quellen anbieten. Insbesondere sollte die Webseite Ktiv der Israelischen Nationalbibliothek, die sich zum Ziel gesetzt hat, die gesamten judaistischen Handschriften weltweit verfügbar zu machen, einbezogen werden. Auf Ktiv gibt es schon mehrere Handschriften und Fragmente der Staatsbibliothek zu Berlin, die schon identifiziert worden sind, manche mit weiteren ausreichenden oder sogar umfangreichen Beschreibungen, die online stehen. Das ist nur der Anfang der inhaltlichen Arbeit an diesem Online-Portal, das viele Informationen enthält und die Arbeit der Forscher erleichtert.

Die Wichtigkeit der Digitalisierung bedarf keiner besonderen Erklärungen, doch könnte ein Beispiel aus der Sammlung die Dringlichkeit und Relevanz veranschaulichen: Eine der wichtigsten Handschriften der Bibelübersetzung und -auslegung des Rav Saadia Gaon (Babylonien, 882–942) befindet sich in der SBB (Ms. or. fol. 1320), doch ist diese wegen starker Schäden leider nicht mehr einsehbar. Das Digitalisat ermöglicht, die Existenz dieser Handschrift auf Dauer zu sichern und sie gleichzeitig weltweit verfügbar zu machen. Dabei ergeben sich zwei andere Probleme: die Bedeutung der Sammlung einer Bibliothek ändert sich, die Sammlung ist nicht mehr für sich als alleinstehend wichtig und wird nicht nur in einem preußischen Kontext, sondern im größeren Kontext von Aschkenas oder generellem Judentum gesehen werden. Die Internationalisierung der Bruchstücke erleichtert die lokale Arbeit und macht den Kontext zu einer Forschungsthematik für sich. Aus der Digitalisierung ergibt sich aber noch eine weitere Frage im Fachbereich der Digital-Humanities: jemand muss auf Dauer die Webseiten technisch unterstützen. Das erfordert fachkundiges Personal, das sich dauerhaft mit der Thematik beschäftigt. Die Erfahrung zeigt, dass bei solch riesigen Datenbanken Fehler passieren, und die Werkzeuge müssen gepflegt werden. Trotzdem funktionieren sie nicht immer, und die gewünschte Verfügbarkeit scheint nicht vollständig garantierbar. Die Kopie eines Buchs kann verbrennen, gestohlen oder beschädigt werden. Eine digitale Version kann von der Cloud verschwinden und ist von Computerkapazitäten abhängig.

Auf Qalamos finden sich auch bibliographische Hinweise auf die relevante Forschungsliteratur, insbesondere eine Referenz zum umfangreichen und kenntnisreichen Katalog von Moritz Steinschneider. Konkrete Beispiele indessen zeigen, dass dieser Katalog nicht aktuell ist. Viele Handschriften wurden bereits zu Lebzeiten Steinschneiders identifiziert oder in jüngster Zeit auf der oben erwähnten Webseite Ktiv, die von der SBB besser verlinkt werden sollte. Meine Anwesenheit in Berlin war eine Gelegenheit, den Mangel zu entdecken, um jedoch die Herausforderungen zu meistern, muss noch viel Arbeit an den Beständen geleistet werden. Die Sammlung hat noch Entdeckungspotenzial, insbesondere hinsichtlich unbekannter halachischer Werke. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, müssen an erster Stelle alle jüdisch-halachischen Handschriften der SBB gut beschrieben werden, außerdem müssen die Kataloge von Steinschneider (s. Steinschneider § 160), der unveröffentlichte Katalog von Roth-Tetzner, sowie auch Ktiv berücksichtigt werden. Als Beispiel nenne ich MS. or. quart. 685, das von Jakob Nahum Epstein und Edna Engel beschrieben wurde,2 worauf jedoch in Qalamos nicht Bezug genommen wird. Die Literatur ist nach Steinschneider weiter aktualisiert worden, und diese Handschrift war falsch auf der Webseite bezeichnet. Dieser Kodex (heb. מצחף) beinhaltet zahlreiche Werke, teils klassisch-gaonäische Werke, teils spätere und frühere halachische Schriften. Darunter sind auch Manuskripte der wichtigsten halachischen Werke der Geonim: Sefer haMekach uMimkar über Kauf, Verkauf, Besitz und Eigentumsrechte, Sefer Mishpatey Shevuot über Eide im Gericht sowie weitere rechtliche Diskussionen, die von Gerichtsbarkeit handeln. Diese Werke wurden irrtümlicherweise in der Handschrift selbst als Responsen der Geonim bezeichnet (תשובות שלרב האיי בר רב שרירא). Diese sind jedoch als zwei unterschiedliche Gattungen in der modernen Forschung zu unterscheiden. Teshuwot sind Responsen, die die autoritativen Rabbiner der Diaspora an den Fragesteller rückgemeldet haben.

Die Sammlung beinhaltet auch aufschlussreiche manuskriptale Materialien zu den Beziehungen zwischen den Juden und den Kurfürsten, in deren Herrschaftsbereich sie lebten. Das wertvolle Manuskript Ms. or. fol. 113 von Isaac ben Jacob Alfasi (1013–1103) ist ein halachischer Kodex mit Kommentar bzw. Scholion am Rand der Handschrift, welcher den Reichtum der SBB-Sammlung aufzeigt und im Auftrag des Kurfürsten von den Hofjuden geschrieben wurde. Es ist derzeit noch fraglich, welcher Perush hier vorliegt.4 Meines Wissens wurde diese Frage noch nicht kodikologisch untersucht, auch wurde in den Katalogen nicht darauf eingegangen. Dieser schöne Kodex teilt sich in zwei Teile. Es entsteht daraus eine positive und kooperative Verbindung zwischen den Juden und dem Kurfürsten. Beim Anfang des zweiten Bandes steht nämlich ein Gebet für den Kurfürsten (Abbildung 1):

הנותן תשועה למלכים הפוצה את דוד עבדו מחרב רעה הוא ישמור וינצור ויעזור את אדונינו הקורפוירשט יר״ה [= ירום הודו] מברנדיבורג שבקש מיהודים הדרים תחת ממשלתו במדינות קלֵיב ומרק לבקש ספרים הנכתבים בכתב ידי אדם בכן אני אסקופה תחת רגליו באתי למלאות שאלת אדוני מאשר חנני יי אלהים כן יזכהו יי לראות בנים ובני בנים כה עתירת עבדו מרדכי גומפל בן לא״א מהר״ר דוד מוויזל: שנת חמשת אלפים וארבע מאות ועשרים ואחד לבריאת העולם

Er, der Sieg den Königen verleiht, Er errettet David, seinen Diener, vom bösen Schwert5 – Er wird unseren Herrn, den Kurfürsten von Brandenburg – seine Ehre sei erhoben! – bewahren und ihm helfen, da er die unter seiner Herrschaft in den Ländern Kaliv6 und Mark wohnenden Juden ersuchte, nach von Menschenhand geschriebenen Schriften zu suchen. Da bin ich, der glücklich wohlbehalten7 unter seiner Herrschaft lebt, bereit, gemäß der Fähigkeit, die Gott unser Herr mir verliehen hat, der Bitte unseres Herrschers nachzukommen. Dafür möge Gott ihn ehren, Söhne und Enkelsöhne zu sehen. Diese ist die Bitte das Gebet seines Dieners, Mordechai Gumpel, Sohn des Rabbi David aus Wiesel, im Jahr 5421 (=1660)8 nach Schöpfung der Welt.

Die hier erwähnte Geschichte ist die der bekannten Familie Gumperz, die eine wichtige Position am Hofe der Kurfürsten innehatte.

Die physischen Aspekte dieses Kodex sind beeindruckend. Er hat einen originalen Verschluss, ist auf Pergament geschrieben und hat – ein wichtiger Aspekt für die Buchkultur – Wasserzeichen am Ende. Es ist dies ist sicherlich kein jüdisches Wasserzeichen, was für die Kooperation zwischen Juden und Kurfürsten bei der Buchproduktion spricht. Dieses Phänomen ist im europäischen Raum zu kontextualisieren: ein Projekt der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hat alle uns bekannten Wasserzeichen katalogisiert und online verfügbar gemacht. Michael b. Samuel Struspork, dem angeblich irgendwann das Buch gehörte, kommt wahrscheinlich aus Strassbourg, und als Besitzvermerk schreibt er eine Art Gedicht. Er9 gibt kleine Kommentare und bibliographischen Hinweise am Anfang des Buches, die für die Entdeckung seiner Geschichte wertvoll sind. Dazu bringt er auch eine Zeile aus Sefer Hassidim: לעולם ירשום אדם שמו על שם ספרו וכו׳, „man soll seinen Namen auf das Buch schreiben, bevor jemand kommt und das Buch wegnehmen würde“.

Die zweite Seite des ersten Bandes ist besonders spannend. Da kann man sehen, wie die Kommentare und Super-Kommentare nicht mehr nur am Rand liegen, sondern überall angebracht wurden. Sie bedecken das Blatt von allen Seiten des Pergaments und verdeutlichen so die Tiefe dieser Kultur des Lernens und Kommentierens. Der Text ist einerseits in der Mitte und gilt als autoritativ. Als solcher wird er intensiv diskutiert, negiert und kommentiert. Die Kommentare, Super-Kommentare und Notizen sind dabei nicht weniger wichtig als der Text, der in der Mitte steht. Die Interpretation gilt vielmehr als ein integraler Teil der Rezeption des Textes, und bei diesem Kodex kommt es oft vor, dass die Ränder das ganze Blatt fassen. Der Kommentar geht manchmal einige Seiten vorwärts, als Art Appendix, weil es keinen Platz mehr im Kodex gab. Der Kodex war folglich sehr geplant. Aber so eine handschriftliche Planung hat ja auch ihre Grenzen. Man hat in der Ausarbeitung der Handschrift (Melechet haSefer) viel in die materiellen Aspekte investiert, und dies war auch eine Art und Weise, wie Autoren, Buchhändler und sogar Künstler sich auf individuelle Weise ausdrücken konnten.

Mehrere Male wiederholt der Besitzer seine Relation zum Eigentum, was zeigt, dass er Angst hatte, dass die wertvollen Bücher ihm weggenommen werden könnten.

3 Illuminierte Handschriften – Beispiel Maimonides

Bei der Vertiefung in einen Kodex der Mischne Tora im Besitz der SBB (Ms. or. fol. 1210) kann folgende Anmerkung zur Entstehung der halachischen Kodifikation bzw. Kodifizierung gemacht werden: Es geht hier, wie bereits Moritz Steinschneider kommentiert, um einen vollständigen Kodex des monumentalen Werks.11 Am Anfang des Kodex steht eine Liste von Mitzwoth, welche jedoch in manchen späteren Editionen weggelassen wurde. Die Mischne Tora versucht die gesamte bisherige Halacha zu kodifizieren. Es ist bekannt, dass Maimonides sich als Nachfolger des Propheten Moses versteht, so wie der bekannte Spruch suggeriert: von Moses (dem Propheten) bis Moses (Maimonides) gab es keinen wie Moses (ממשה עד משה לא קם כמשה). Wie Moses in der Bibel, sieht sich Moses Maimonides als Übermittler der mündlichen Tora. Indem er am Beginn der Mischne Tora die Gebote aufzählt, verweist er auf die inhärente Affinität seines Werks zur schriftlichen Tora. In seinem Sefer haMitzwoth (Buch der Gebote) werden die Affinität zur schriftlichen Tora und die Zentrierung der mündlichen Tora verdeutlicht. Die Manuskripttradition hat dazu beigetragen, dass die Lehre Maimonides so stark verschriftlicht wird und fast den Status der schriftlichen Tora erhält.

Dieses Manuskript von Maimonides ist besonders illuminiert, was die Wichtigkeit dieser Handschriften zeigt und damit wiederum, welcher Reichtum in der Preußischen Bibliothek vorhanden ist. Die Illuminationen haben manchmal eine klare Verbindung zum Inhalt des Textes, manchmal nehmen sie wahrscheinlich vorliegende Formen von der Umgebungskultur auf, hauptsächlich der christlichen. In diesem Kodex dominieren die Kommentartraditionen den Text vollständig, wodurch sich der Haupttext mitunter lediglich am Rande der Diskussion befindet. Diese Vielfältigkeit kann man mit den Kommentaren auf S. 84 sowie auch S. 113 bis S. 115 des Kodex schön zeigen, denn dort finden sich mehr Superkommentare als Text, und die Textkritik und Textinterpretation werden zur Hauptbeschäftigung (siehe Abb. 2–17).

Das Verhältnis von Bild und Text in dieser Handschrift ist meist unklar, doch möglicherweise ist es gar nicht nötig, nach einer direkten Verbindung der Bilder zu den jeweiligen Textpassagen zu suchen, schließlich handelt es sich einfach um Bilder, die klar aus der Umgebungskultur stammen. Neben den beeindruckenden Bildern kann man hier auch die kulturelle Prägung von Maimonides beobachten, insbesondere die Aschkenasierung von Maimonides und seiner Welt. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Wandels liegt in der Illumination und fungiert als künstlerischer Ausdruck der Traditionen. Diese Traditionen versuchten, Maimonides an die Riten und Vorbilder aus Aschkenas anzupassen. Dies zeigt sich deutlich in der Rezeption, Interpretation und Illumination von Maimonides in Aschkenas, die ihn als bedeutenden Bestandteil der aschkenasischen Tradition präsentiert.

4 Funde zur weiteren Forschung über die Thematik Richter, Gericht und Gerichtsbarkeit

Ein Schwerpunkt dieses Forschungsprojekts ist die Rechtsprechung und insbesondere die Gattung Adab al-Qāḍī,13 die sich mit Richterspflichten befasst. Zielsetzung des Projektes an der SBB war, meine Habilitationsschrift, zu der ich gerade meine Forschung beginne, durch die Bestände der Preußischen Bibliothek anzureichern. Das Projekt, das unseren Blick auf die Bestände im Fachbereich der Halacha erweitert, hilft, meine Thematik besser zu begreifen und zu konzipieren. Durch diese Forschungsarbeiten durfte ich auch die Bestände des Preußischen Kulturbesitzes mit neuen Reflexionen bereichern. Zudem existieren zahlreiche arabische Handschriften aus verschiedenen Epochen, die in Zusammenhang mit der Thematik Fiqh stehen, darunter auch klassische Werke der islamischen Schultraditionen. Diese ganze Forschung konnte ich in der begrenzten Zeit nicht abschliessen, aber Ideen zur Thematik gewinnen: der Islam war einer der wichtigsten Prägungskatalisatoren der jüdischen Halacha. Die halachischen Kodizes im mittalalterlichen Judentum entstanden nach dem Modell seiner zwei grösseren abrahamitischen Schwestern, nämlich Christentum und Islam, die das Judentum sehr geprägt und beeinflusst haben. Beispielsweise besitzt die Staatsbibliothek mehrere Werke bzw. Fragmente von Werken verschiedenster islamischer Autoren, die zum Thema islamische Jurisprudenz schrieben, z. B. aus dem Werk Maʿānī al-āthār (شرح معاني الآثار) vom islamischen Rechtsgelehrten Ṭaḥāwī, Aḥmad ibn Muḥammad, einem ḥanafitischen Rechtsgelehrten, der zur Zeit der Geonim lebte. Die Fragmente erfordern weitere Untersuchungen, um festzustellen, ob Spuren aus der Zeit der Geonim in den islamischen Rechtswerken vorhanden sind und wie die Beziehungen zwischen den Ursprüngen dieser beiden Religionen zu verstehen sind. Die Geonim, die zur Zeit dieses fiqh-Gelehrten lebten, wurden von den Schreibmethoden und von der Kalam-Theologie, die auf der Meta-Ebene der Halacha stand, zutiefst beeinflusst. Es ist eine offene Frage in der Forschung, von welcher islamrechtlichen Schule die Geonim am stärksten beeinflusst wurden und wie dieser Einfluss angemessen zu verstehen ist. Dazu kommt noch die christlich-syrische Tradition, die eine Hauptquelle der arabischen Rechtsliteratur war. Auch innerhalb des Judentums gibt es verschiedene Strömungen mit unterschiedlichen Weltanschauungen, z. B. die Karäer.14 Die Signatur SBB Ms. Or. Oct. 351 beinhaltet eine karaitische Halacha zu Adab al-Qāḍī mit dem Titel Kitāb alMurshid von Samuel ben Moses al-Maghribī (ha-Maʿaravi, 15. Jhd.). Diese Handschrift ist bedeutend für meine Forschung und zeigt, dass nicht nur muslimische Werke der Gattung Adab al-Qāḍī existierten, sondern dass Werke dieser Kategorie auch von unterschiedlichen Gruppierungen des Judentums verfasst wurden. Die Beziehungen zwischen karaitischer Halacha und dem Islam sind noch kaum erforscht, und Adab al-Qāḍī war auch für die Karäer prägend, als sie ein eigenes Gerichtssystem entwickelten.

Die Erweiterungen dieser Thematik könnten sowohl geographisch als auch historisch bereichert werden. Marokkanische Handschriften zum Thema Richterspflichten inklusive Ma’ase beit Din u. a. sind weiterhin zu betrachten. Ms. or. Fols. 4060 und 4201 sind für diese Thematik eine potenzielle Bereicherung.15 Sie beinhalten rechtliche Entscheidungen in verschiedenen historischen Angelegenheiten und bilden eine spätere Genizah aus Marokko. Die Schrift ist besonders und nur mit speziellem Training lesbar. Die Verwendung von judäo-arabischen Wörtern, darunter vermutlich lokale Begriffe, trägt zur Komplexität und Schwierigkeit der Textlesbarkeit bei. Eine wissenschaftliche Edition zu betreiben wäre eine lohnende Herausforderung.

Die Preußen hatten großes Interesse an orientalischen Materialien aller Sorten und Ursprünge gezeigt. Es ist Ihnen gelungen, viele Handschriften zu besitzen, unter diesen auch solche von den größten Rabbinern der Frühen Neuzeit in Marokko. Diese sind besonders wichtig für die Rechtskultur des marokkanischen Judentums. Die Kontextualisierung der Thematik aufgrund des historisch-politischen und philosophisch-literarischen Hintergrunds ist für die Erforschung der Beziehungen zwischen allen drei monotheistischen Religionen von großer Wichtigkeit.

Anmerkungen

Zuerst bedanke ich mich bei der Kommission der Stipendien der Staatsbibliothek zu Berlin, die mir die wertvolle Gelegenheit geboten hat, innerhalb der Staatsbibliothek zu Berlin zu forschen, meine Forschungen zu vertiefen, und sogar meinen bescheidenen Teil zur Entwicklung des Verständnisses von besonderen Beständen und handschriftlichen Schätzen beitragen zu dürfen. Ich bedanke mich herzlichst bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), sowohl für ihre großzügige finanzielle Unterstützung als auch für die Bestände, die sie mir zur Verfügung gestellt hat. Schließlich möchte ich mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen Dr. Ernst Aichinger, Petra Figeac, Frau Susanne Henschel und Dr. Eva-Maria Thimme herzlich für ihre wertvollen Kommentare und ihre Unterstützung bei der Überarbeitung dieses Aufsatzes bedanken.

  1. Beispielsweise die bekannte vollständige Handschrift aus der Evangelischen Ministerialbibliothek in Erfurt, Ms. or. fol. 1220.

  2. Für detailierte Beschreibung s. Epstein, Studies, S. 140–222

  3. http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB00024F9C00020000

  4. S. Friedman, Tosaffot, S. 196.

  5. Vgl. Ps. 144:10.

  6. Vermutlich ist mit Mark die Markgrafschaft Brandenburg gemeint. Jedoch ist mir Kaliv derzeit völlig unbekannt.

  7. Für diese Phrase s. bspw. Talmud Bavli Eruvin 98a. Wörtlich bedeutet Iskupa eine ‚Türschwelle‘ und nach Goldschmidt Talmudübersetzung sollte es wörtlich heißen: ich bin die Schwelle, auf der der kurfürstliche Herr herumtritt.

  8. Wenn die Jahreszahl stimmt, handelt es sich hier um den Herzog in Preußen und Kurfürst von Brandenburg Friedrich Wilhelm (1620–88), der für seine Sammelleidenschaft berühmt ist.

  9. Obwohl es sein könnte, dass manche Kommentare nicht von ihm, sondern von einer anderen Hand stammen.

  10. http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0001C24000000000

  11. Steinschneider, Handschriften-Verzeichnisse, zweiter Band, § 7.

  12. Für den professionell-kodikologischen Begriff von Kustode S. Jakobi-Mirwalds, Buchmalerei, S. 137.

  13. S. Ariel, Discovery; idem. Hai Gaon.

  14. Die Karäer reklamieren einen „näheren“ Zugang zu biblischen Quellen und lehnen grundsätzlich die mündliche Tora (Torah shbeAl Peh) ab.

  15. Ms. or. fol. 4060 ist bei Róth, Vorläufige Beschreibung der hebr. Handschr. der Staatsbibliothek, S. 344–345 beschrieben. Ms. or. fol. 4201 ist auf S. 357–359 beschrieben.

Bibliographie der wichtigsten einschlägigen Arbeiten

Ariel, Neri Y. „Discovery of a Lost Jurisprudential Genre in the Genizah Treasures“. JUDAICA 7 (2017), 299–309.

Ariel, Neri Y. „Rav Hai Gaon’s Jurisprudential Monograph Kitāb adab alqaḍā Reconstructed from the Cairo Genizah“. Jewish History (2024): 1-40.

Epstein, Jacob Nahum, Studies in Talmudic Literature and Semitic Languages. The Magnes Press at the Hebrew University: Jerusalem 1983.

Friedman, Shamma Y. מתוספות הרשב״ם לרי״ף, Kovetz al Yad 18 (1976): 189-226.

Jakobi-Mirwald, Christine. Buchmalerei: Terminologie in der Kunstgeschichte. 4., überarb. Aufl. Berlin: Reimer 2015.

Pehlivanian, Meliné, Christoph Rauch und Ronny Vollandt, Hrsg. Orientalische Bibelhandschriften aus der Staatsbibliothek zu Berlin – eine Illustrierte Geschichte. Reichert Verlag: Wiesbaden 2016.

Róth, Ernst. *Vorläufige Beschreibung der hebr. Handschr. der Staatsbibliothek. [Berlin]: 1982. http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0000B50500000000.

Siegel, Björn, Mirjam Thulin, Tim Corbett und Oskar Czendze, Hrsg. Intersections between Jewish Studies and Habsburg Studies. PaRDeS, Nr. 29 (2023). https://doi.org/10.25932/publishup-62207.

Steinschneider, Moritz. Die Handschriften-Verzeichnisse der Königlichen Bibliothek zu Berlin, zweiter Band. Buchdruckerei der Königl. Akademie der Wissenschaften: Berlin 1878.

כתבי יד – Jüdische Handschriften: Restaurieren. Bewahren. Präsentieren. Teil 1: Jüdische Kultur im Spiegel der Berliner Sammlung. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz 2002.

כתבי יד – Jüdische Handschriften: Restaurieren, Bewahren, Präsentieren. Teil 2: Schritte der Restaurierung der hebräischen Bibel „Erfurt I“. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz 2002.

Abbildungen

Ms. or. fol. 11

Abbildung 1Gebet für den Kurfürsten

Ms. or. fol. 12

Abbildung 2Iluminierte Figuren, Blumen (14v)

Abbildung 3Illuminationen über Wörtern (17v)

Abbildung 4Verzierte Wörter am Ende des Traktats Mada (69r) – ähnliche Verzierzungen auch am Ende anderer Traktate

Abbildung 5Geschöpf zwischen Mensch und Tier, eine Art Elf oder Kentaur (23v unten)

Abbildung 677v: Innerhalb der Figur erscheint das Wort רצה, das ist eine Kustode.12 Das Wort wird auf dem nächsten Blatt oben wiederholt, und so wird die Ordnung des Pamphlets bzw. des Kodex zusammengehalten.

Abbildung 7Betendes (?) vogelähnliches Geschöpf, mit dem Wort תפילה innerhalb der Figur (85v)

Abbildung 8Unbekanntes Geschöpf, ev. aus der Mythologie (101v)

Abbildung 9Eine tolle Figur, ev. ein Menschkamel? (125v)

Abbildung 10Vogel (31v)

Abbildung 11Vogel mit Sprechblase aus dem Mund (93v)

Abbildung 12Mit etwas (zwischen Pfeil und Herz) im Mund (151v)

Abbildung 13Ein Reh (?) oder ein anderes (koscheres!) Tier (159v)

Abbildung 14Ein Herzchen als Dekoration und Ornamentierung des halachischen Textes (35r). Ähnliche Illuminationen auf S. 35v, 41v, 55r, 60v, 61v, 67r, 68v, 120r und 133v.

Abbildung 15Menschliche Figur (118v). Diese Figur hält in der Hand wahrscheinlich einen Kidduschbecher, der als Teil des Sabbatrituals dient.

Abbildung 16Esel oder Wolf (innerhalb der Figur steht זאב) auf Fol. 55v.